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8.

Heine und Aristophanes.

Goethe

Sicherlich hat Heine im allgemeinen Urteil der Nachwelt nichts mehr geschadet, als seine Unumwundenheit auf geschlechtlichem Gebiete. Einzelne Gruppen seiner Gedichte sind sogar aus diesem Grunde recht übel beleumundet, so diejenigen Gedichte, welche der Sammlung „Verschiedene“ angehören, von denen übrigens die meisten ungerecht verdammt sind, andere hingegen sind in der That recht platt in ihrem Gedankengange, wie auch ihr Inhalt alles andere als erhaben ist. hatte in „Der Gott und die Bajadere“ ein Beispiel gegeben, wie sogar sehr kühne Stoffe durch die Größe des Stils geadelt werden können, und selbst, wo er, wie in den venetianischen Epigrammen, Tänzerinnen behandelt, welche keineswegs durch die Liebe geläutert werden, und bei dem Verhältnis des Dichters zu jenen verweilt, wirkt schon das antike Versmaß ablenkend und kein anstößiges Wort kommt darin vor. Endlich verschwinden auch diese wenigen mutwilligen Epigramme in der Masse von Goethe's übrigen Gedichten; man fühlt gleichsam auch beim Lesen derselben, daß gerade er von der Allnatur erschaffen ward, um sie ganz zu offenbaren.

Bei Heine nimmt die Offenheit hinsichtlich seines Verhältnisses zum anderen Geschlechte einen zu großen Raum ein, und ist oft geschmacklos. Sie verschafft ihm zehn Leser statt des einen, den sie abstößt, der jedoch zuweilen mehr als jene zehn wert ist.

Und doch macht diese Offenheit in gewisser Hinsicht auch seine Stärke aus. Sie hätte vielleicht nicht so persönlich sein brauchen; andererseits aber war sie doch unumgänglich für denjenigen notwendig, welcher nicht nur das Gebiet des Ernstes, sondern auch dasjenige des Komischen umspannen wollte. Und dadurch nähert sich Heine dem bedeutendsten rein komischen. Dichter aller Zeiten.

Am Schlusse seines „Wintermärchen" erwähnt Heine, unmittelbar nach der lustigen Stelle, wo er sich Kunde von Deutsch

lands Zukunft errochen, indem er den Kopf in Karls des Großen Thronstuhl steckte, daß die edelsten Grazien die Saiten seiner Leier gestimmt hätten und daß diese Leier dieselbe sei, die einst sein Vater habe ertönen lassen, „der selige Herr Aristophanes, der Liebling der Kamönen“. Er fügt hinzu, daß er in seinem legten Kapitel versucht habe, „die Vögel“ nachzuahmen, „dies beste von Vaters Dramen".

Er hat also seine Ehre darin gesetzt, seine Kunst von dem größten komischen Dichter Alt-Griechenlands herzuleiten.

Im ersten Augenblick stußt man darüber. Denn, während verschiedene andere deutsche Dichter, wie Platen und Pruz, die Formen der aristophanischen Komödie nachgeahmt hatten: Trimeter, Chöre, Parabasen, die ganze von der griechischen Komikerschule aufgebaute, zugleich freie und feste Kunstform, hat Heine nicht einmal den Versuch gemacht, sich diese Dichtform anzueignen, ebensowenig aber irgend eine andere. Es ist charakteristisch für ihn, daß, so andauernd strebend und unbedingt gewissenhaft er hinsichtlich absoluter Richtigkeit einzelner metrischer oder ungebundener Ausdrücke war ich habe nie eine so vielfach durcharbeitete Handschrift, wie diejenige des „Atta Troll“ in der Königlichen Bibliothek zu Berlin gesehen — es ihm doch wiederum unmöglich war, sich den künstlerischen Zwang großer Formen aufzuerlegen. Es entspricht dies der Thatsache, daß in seinen größeren Dichtungen der Plan ganz locker, jede einzelne Zeile aber immer wieder durchgearbeitet ist.

Man darf wohl ohne Uebertreibung sagen, daß er sich als Künstler nie eine Aufgabe gestellt und sie gelöst hat.

Nur ein einziges Mal hat er den Versuch zu einer größeren Prosakomposition, zu einem Roman oder einer Novelle gemacht. Dieselbe ist Bruchstück geblieben. Es ist entweder, wie man sagt, der größte Teil des Manuskriptes bei einer Feuersbrunst vernichtet oder überhaupt nie vollendet worden. Dies Lettere glaube ich. Und dieses Fragment „Der Rabbi von Bacharach“ ist, näher betrachtet, nur eine in das Gewand früherer Zeiten gekleidete Umschreibung von Heines eigenen Privatverhältnissen.

Auch in einer streng zusammenhängenden metrischen Komposition hat er sich nie versucht. Seine beiden einzigen größeren

Dichtungen „Atta Troll“ und „Das Wintermärchen" sind freie, launige Phantasiegebilde, Seifenblasen, die aus Hirngespinsten entstanden, nur durch die Einheit des Tones und die Gleichheit des inneren Baues zusammengehalten werden.

Es war Heine nie in den Sinn gekommen, Aristophanes zu übersehen oder zu bearbeiten. Er war nicht wie Goethe, der sich trot seiner selbständigen ungeheuren Produktivität herabließ, Diderot, Benvenuto Cellini, Voltaire, seinen Landsleuten zu übersehen. Als Goethe bei seinen Studien auf Aristophanes trifft, wird er von ihm bezaubert, und er, nicht Heine ist es, welcher Die Vögel" für deutsche Verhältnisse umarbeitet; er unterwirft bezeichnend genug das Schauspiel einer Verwandlung, so daß die Satire aus einer politischen zu einer litterarischen wird. Die beiden politisch unzufriedenen Hauptpersonen sind bei Goethe litterarische Abenteurer geworden; mit der Eule wollte er wie aus einem Briefe Jacobis an Heinse hervorgeht - Klopstock treffen, mit dem Papagei den jungen Cramer. Im Epilog zu dieser Bearbeitung findet sich Goethes unsterbliche Bezeichnung des Aristophanes: „der ungezogene Liebling der Grazien“, eine Bezeichnung, welche auch so treffend auf Heine paßt.

War Heine nun auch zu wenig arbeitssam, um jemals einen Dichter des Altertums studieren, übersehen, bearbeiten. oder nachbilden zu können, so würde er doch niemals, wie Goethe oder Platen, aus aristophanischen Komödien reine Litteraturkomödien haben machen können: ihn zog nur die große politische Satire an!

Heine ist wahrscheinlich der wißigste Mensch, der je gelebt hat, zum mindesten der wißigste der Neuzeit. Allerdings wird Voltaire gewissermaßen als Personifikation des Wißes betrachtet, aber sein Wig ist verständig und trocken, nicht dichterisch und auch kein Phantasiewiß wie derjenige Heines.

Es war seiner Zeit von Platen unklug gehandelt, daß er stolz und steif wie er war, das Werk,,Der romantische Oedipus", in welchem er Heine verhöhnen wollte, in der äußeren Form und Manier der aristophanischen Komödie schrieb; denn er besaß nur die Grazie der Verse und die Grobheit der Worte mit

Aristophanes gemeinsam. Heine dagegen gebot über alle aristophanischen Haupteigenschaften: über Wiß und Wildheit, Phantasie, schmelzende Lyrik und Schamlosigkeit, und über all dieses in graziöser Form. Ohne Grazie und Wih ist die Schamlosigkeit wahrlich eine niedrige und abstoßende Eigenschaft. Im Verein mit so großen Fähigkeiten, wie bei Heine, ist sie jedoch außergewöhnlich. Der aristophanische Dichter darf und kann nicht jenen Stolz besigen, welcher davor zurückschaudert, die Gemeinen zu belustigen, diejenigen, welche ihn nur verstehen, wenn sie ihn im Kote treffen. Er darf sich nicht scheuen, sich bis zu einem gewissen Grade preiszugeben, das heißt, sein moralisches Wesen preiszugeben, um dafür ein großes dichterisches Feld einzutauschen.

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Es nüht nichts, wenn ein Autor wie Platen (oder wie Hauch in seinem „Babylonischen Turmbau“) vor allen Dingen den Eindruck eines edlen Dichters" machen und Respekt durch seine Person einflößen will es nüßt all sein Verkünden nichts, daß er seine Gegner mit wirklichem Wiz zermalmen“ wolle. Man kann nicht zu gleicher Zeit als feiner Mann und als Aristophaniker auftreten. Man leidet in dieser letzten Eigenschaft bald Schiffbruch, wenn man die Achtung der Anderen höher schäzt als den Triumph der Kunst. Bei dem wirklichen Aristophaniker erlangt dafür die Dichtkunst eine Entfaltung, wie sie niemals von den feierlichen Dichtern (einem Schiller, Hugo) erreicht ist; sie giebt ein treues Spiegelbild des ganzen Menschenlebens, von seinen höchsten bis zu seinen niedrigsten Verrichtungen.

So wenig formelle Berührungspunkte auch zwischen Heines lyrisch-satirischen Gedichten und Aristophanes' großen phantastischen Schauspielen vorhanden sind, so ist es doch wahrscheinlich, daß seit den Tagen des griechischen Altertums Niemand aufgetreten ist, der einen dem Aristophanes näher verwandten Wig besessen hätte, als Heinrich Heine.

Dieser Ausspruch beruht jedoch auf keinerlei Verkennung des ungeheuren Unterschiedes zwischen dem Charakter ihrer Schöpfungen. Die Aristophanische Komödie ist mit ihrer großartigen und festgezimmerten Kunstform der Ausdruck für die künstlerische Bildung eines ganzen Volkes, welche aus religiösen

Festen gleichsam als Festmonument hervorgegangen ist. Da sie von einer ganzen Reihe hervorragender Vorgänger begründet und unterbaut ist, deren Stil gleichartig, deren Talent verwandt war und deren Erbe Aristophanes antrat - ungefähr wie Shakespeare das seiner Vorgänger—so ist sie in ihrer Form weit mehr eine Kollektivarbeit als die Heine'sche Strophe. Ganz abgesehen sogar von Eupolis' und Kratinos' Beschuldigungen gegen Aristophanes hinsichtlich unerlaubter Aneignung der seinen Vorgängern gehörenden Einfälle, können wir schon aus den „Rittern" ersehen, daß bereits der Komiker Magnes Stücke mit Titeln wie die Vögel, die Wespen, die Frösche, aufgeführt hat; der als Kriechtiere, Insekten, Vögel vorgeführte Chor war etwas bereits Vorhandenes, welches Aristophanes nicht erfunden, sondern nur übernommen hat. Einzig und allein weil wir die Vorläufer des griechischen Dichters nicht kennen, betrachten wir jezt seine Schöpfungen als rein individuell hervorgebracht, als Typen einer großen phantastischen Komik, und fast jede moderne Komik und alles Phantastische erscheint im Vergleich zu ihrer Kühnheit abgeblaßt und dürftig.

Die Welt des Aristophanes ist die verkehrte. Wenn Trygaios im Frieden" einen stinkenden Mistkäfer sattelt und auf demselben wie auf seinem Pegasus durch die Luft zu den Wohnungen der Götter emporsteigt, oder wenn er später mit Hülfe eines klasterlangen Strickes die Friedensgöttin aus dem tiefen Brunnen heraufzieht, in welchen sie der Krieg herabgestürzt hatte, so scheinen diese vorgeführten Dinge zu den gewöhnlichen bekannten Möglichkeiten zu gehören; auch läßt er sie ohne jegliche Erklärung vor unseren Augen geschehen, so daß wir gezwungen werden, daran zu glauben. Wenn wir in den „Vögeln“ hören, wie zwei einfältige Burschen, welche als Weise auftreten, ihre verrückten Pläne zur Erbauung einer Stadt in den Wolken entwickeln, so klingt dies sofort in unseren Ohren als Wahnwig, und wenn wir dann sehen, wie die Vögel sie mit Ehrfurcht empfangen, so erhalten wir dadurch auch keine bessere Vorstellung von ihrer Intelligenz; die Komik hingegen, daß die dummen Tiere von jenen ihr Heil erwarten, belustigt

uns.

Wenn wir endlich gar erfahren, daß die Stadt wirklich

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