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stigen Geistern, und zur Nachtzeit führen hier die Bären und Gespenster einen burlesken und unheimlichen Tanz auf.

Der Geist in diesem Gedichte ist gleichfalls bis zu einem gewissen Punkte romantisch, Polemik gegen die damalige plumpe doktrinäre Tendenzpoesie, gegen die auf die Dichtkunst angewandte Nüglichkeitslehre, sowie litterarische Satire (gegen Freiligrath, Karl Mayer, Gustav Pfizer), wie die Romantiker sie liebten.

Und doch begegnet man hier einer sorgfältigen Wirklichkeitstreue bei Wiedergabe der Gegenden und Verhältnisse. Das Gedicht enthält streng genommen nur die Erzählung von einem Aufenthalte, den Heine mit einer jungen französischen Freundin in Cauterets in den Pyrenäen genommen, wo er einen Bären auf dem Markte tanzen sieht. Dieser entläuft dem Bärenführer, flüchtet sich ins Gebirge, wird von dem Führer Laskaro gejagt, erschossen und abgehäutet. Juliette, des Dichters Freundin, erhält das Fell, um es vor ihr Bett zu legen, und Heine erzählt uns zum Ueberfluß noch, daß er später in mancher Nacht auf diesem Bärenfell mit nackten Füßen gestanden habe.

Die Fabel ist hier realistisch genug. Die äußeren Einzelheiten der Reise sind mit Treue wiedergegeben. Man gewinnt den Eindruck, daß Heines Schilderung der kleinen Bergstadt, zu der er hinaufgeklettert ist, und wo die Kinder im Rundkreis tanzten und dazu fangen, genau mit dem übereinstimmt, was er sah und hörte. Selbst der Refrain des Kindergesanges, Girofflino, Girofflette, ist sicherlich der echte.

Nichtsdestoweniger haben die schönsten und tiefsten Partieen dieses Gedichtes nichts mit Realismus gemein. Es sind Gesichte. Und das beste ist dasjenige, in welchem Heine zu nächtlicher Stunde durch das Fenster der Hütte die ganze wilde Jagd dreimal um den Horizont herumjagen sieht. Nie hat er Höheres in Figurenmalerei erreicht als hier, in den sich am Dunkel des Nachthimmels abhebenden, leuchtenden Gestalten der Diana, der Fee Abunde und jener schönen Herodias, welche in ihrer Wildheit mit dem blutigen Kopfe des Täufers Ball spielt.

Es läßt sich eine Parallele zwischen Heines und Rembrandts Kunst ziehen. Keiner von Beiden besißt einen akademischen Blutstropfen; ihr Geistesgepräge ist entschieden modern. Wenn man Heine indessen als großen realistischen Dichter feiert, so ist dies nur ebenso bedingt wahr, als man Rembrandt den großen Koloristen nennt. Rembrandt gehört insofern nicht zu den größten Realisten im Kolorit, als ihn Verschiedene in der Fähigkeit übertreffen, die Lokalfarbe und deren richtige Verwertung wiederzugeben, oder die ursprüngliche Form und Farbe der Gegenstände unzweifelhaft durch das Halbdunkel hervortreten zu lassen. Nicht die Farbe, sondern das Licht ist für Rembrandt die Hauptsache.*) Für ihn ist das Licht das Leben; der Kampf des Lebens ist bei ihm des Lichtes Kampf, und die Tragödie des Lebens ist das kämpfende, in Feuchtigkeit und Dunkel ersterbende Licht. Man sollte ihn, um seine wahre Größe als Maler zu bezeichnen, eher Luminist (ein Ausdruck Fromentins) nennen, als Kolorist, sofern man unter Luminist einen Mann versteht, der das Licht in ganz eigentümlicher Manier auffaßt und behandelt. Er opfert zuweilen die Zeichnung, selbst die malerische Ausführung, wo es ihm darum zu thun ist, einen Lichtstrahl und eine Lichtwirkung zu erzielen. Man denke z. B. an den schlecht gemalten Leichnam auf seinem Bilde Unterricht in der Anatomie". Der Umstand jedoch, der ihn bei Aufgaben, welche Porträtähnlichkeit erfordern, oder die Fähigkeit, Hände zu malen oder Stoffe genau wiederzugeben, hinter den eigentlichen Realisten zurückstehen läßt dieser Umstand gerade ist es, der ihn so groß macht, wenn er das Licht ausdrücken läßt, was es einzig und allein für ihn bedeutet: das innere Leben die Welt des lebendigen Traumgesichts.

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Ganz ähnlich verhält es sich mit Heine. Wie wenig wirkliche Gestalten hat dieser große Dichter geschaffen! Wie wenige haben ihn überlebt! Diejenige, welche hierin seine Verdienste suchen, werden die grelle, fraßenhafte Skizzierung des alten jüdischen Dieners Hyacinth als Heines beste Menschengestalt nennen müssen.

*) Fromentin, les maîtres d'autrefois.

In der That, wenn Heine nach seinen Wirklichkeitsbildern beurteilt werden soll, dann steht manch geringerer Dichter hoch über ihm.

Aber man denke nur an die Visionen, an die lebendige Welt seiner Traumgesichte in Gedichten und Prosa! Gewöhnlich hält er sich im Anfang näher zur Erde als andere Dichter; dann aber öffnet sich über diesem dunklen Irdischen eine leuchtende Erscheinung, welche kommt und schwindet.

Das spürt man sogar in solchen kleineren Gedichten wie dem bereits angeführten „Wir saßen am Fischerhause“.

Man gedenke ferner der Weise, in welcher Heine Napoleons Gestalt vor seine Leser treten läßt. In seinen „Grenadieren“ ruft er die Vorstellung von Napoleon wie eine Erscheinung herbei. Die Worte „Da reitet mein Kaiser wohl über mein Grab“ klingen wie eine vom Glanz der Schwerter beleuchtete nächtliche Offenbarung. In der nicht minder bewunderungswürdigen Schilderung in den „Reisebildern“ wird das Bild wie eine Erinnerung an die Kindheit heraufbeschworen.

Oder man erinnere sich, wie Heine das Bild von Jesus hervorruft. Im Gedicht „Frieden" sieht er Jesus als Friedensfürst riesengroß in schimmerndem Weiß über das Meer schreiten. In Deutschland, ein Wintermärchen", malt er den grauen Wintermorgen auf dem Wege nach Paderborn; und als der Nebel zerrinnt, erblickt er am Wegesrand undeutlich im Morgengrauen das Holzkruzifix mit dem Bilde des großen Schwärmers, der das Menschengeschlecht erretten wollte und jezt als „warnendes Beispiel" dahängt:

Sie haben Dir übel mitgespielt

Die Herren vom hohen Rate.

Die tiefe Wehmut, der bittere Humor, welche sich in vertraulichen, herabseßenden Wendungen äußern, vermehren hier den Eindruck des menschlich Großen und grauenvoll Feierlichen, ungefähr wie jener Eindruck bei Shakespeare vergrößert wird, wenn Hamlet sein „Brav gewühlt, alter Maulwurf“ ausruft, als er des Vaters Geist unter der Erde hört. Im Lichte eines wißigen Bildes wird hier Jesus dem Leser vorgeführt, nicht als Friedensfürst, sondern als derjenige, welcher die

Geißel gegen die Tempelschänder schwang und Feuer auf die Erde warf.

Das Wintermärchen“ ist als Ganzes ein bezeichnendes Beispiel für Heines künstlerisches Verfahren. Alle siebenundzwanzig Abschnitte dieses großen Gedichtes sind ganz gleichartig gebaut. Es beginnt ganz materiell, unten auf der Erde mit Reiseerinnerungen, gewöhnlichen Wirklichkeitseindrücken. Dann erhebt sich der Erzähler unversehens in unmerklichem Uebergange zur mächtigen Leidenschaft, zu hohem Pathos, wilder Verachtung, lohender Schwärmerei, zerstörender oder aufbauender Begeisterung, zu einer heiligen Raserei, die wie Blih auf Blig wirkt, bis alles wiederum in das Grau alltäglicher Begebenheiten und Situationen zurückversinkt.

Heine kommt nach Cöln, ißt Eierkuchen mit Schinken und trinkt Rheinwein dazu, dann treibt es ihn hinaus auf die Straßen. Er gedenkt der Vorzeit der Stadt: Hier hatte die Klerisei freies Spiel, hier brannten auf den Scheiterhaufen Bücher und Menschen, hier buhlten Dummheit und Bosheit gleich Hunden auf freier Gasse. Dann erblickt der Dichter im Mondenschein die große Bastille des Geistes, den Dom von Cöln, der seinen Zorn erweckt. Aber, indem er so dahinschlendert, sieht er hinter sich eine Gestalt, die ihm so bekannt erscheint. Und nun gleiten wir unversehens in eine ganz neue Welt hinüber: in die der Visionen. Jene Gestalt geht, als ob sie sein Schatten wäre, und steht still, wenn er stehen bleibt. Früher hat er sie oft in seiner Nähe gesehen, bei Nacht an seinem Schreibtisch. Unter dem Mantel hält und hielt sie stets etwas verborgen, was seltsam blinkte und einem Beil, einem Richtbeil glich. Das ist des Dichters Liktor, der ihm folgt, wie der Liktor in Rom seinem Herrn voranging.

In den folgenden Abschnitten erscheint Barbarossa im selben Stil wie eine Traumerscheinung, welche noch zweimal wiederkehrt und geht.

Wenn Heine dergestalt in der Geschichte der deutschen Lyrik, ja der ganzen Dichtkunst, mit einem neuen Stil Epoche macht: mit der Vereinigung von Schwärmerei und Wiz innerhalb der Lyrik und mit einem ganz neuen Geistesgepräge: der

Einführung der Prosa in die Poesie als Folie für diese oder als Spott über dieselbe, so beruht dies auf seiner historischen Stellung, auf dem Uebergang von romantischer Wirklichkeitsumbildung zu pessimistischem Realismus, der damals vor sich ging und das Verschmelzen beider Elemente erklärt, die man in seiner Dichtung findet.

So gelangte er zur künstlerischen Herrschaft über das ihm besonders eigentümliche Helldunkel, welches mit demjenigen Rembrandts verwandt ist.

Die vollendeten Partieen aus dem Schatten und dem Halbdunkel, in welches sie versenkt sind, heraufsteigen zu lassen, das Licht, das natürliche Licht, geistig und übernatürlich wirken zu lassen, indem man es auf einem Meer von dunklen Schattenwellen hervorzaubert, es flackernd oder grell, wie eine strahlende Flamme aus dem Zwielicht hervorbrechen zu lassen, das Dunkel durchsehbar, das Halbdunkel durchsichtig zu machen das ist die Kunst Rembrandts.

Die nahverwandte Kunst Heines vermag eine rein moderne Traum- und Phantasiewelt in unmerklichem Uebergange aus dem realen Leben hervor und dahin zurücktreten zu lassen. Bald so, daß die Vision voll beleuchtet dasteht, während die Wirklichkeit im Zwielicht versinkt, bald umgekehrt, daß die Vision erblaßt und die Wirklichkeit allmählich voll beleuchtet hervortritt.

7.

Heine und Goethe.

Wir sahen bereits, wie Heine als Student in Bonn in hohem Grade von dem Stifter der romantischen Schule entzückt war.

A. W. Schlegels Persönlichkeit fesselte ihn nicht minder, als dessen Lehre. Er bewunderte in ihm den Mann, welcher die deutsche Poesie von Unnatur zur Wahrheit geführt hatte. Dazu kam, daß Heine von der eleganten Haltung seines vornehmen Lehrers, von dessen weltmännischen Umgangsformen

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