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Wenn man auch mit der Hegelschen Verquickung von Logik und Metaphysik nicht einverstanden ist, so wird man immerhin die Summe von Geist und Wissen bewundern müssen, in die der Philosoph in seiner Logik und Phänomenologie von beiden konnten wir hier nur das allgemeinste Schema geben seine metaphysischen Hirngespinste,,hineingeheimnist" hat. Weit weniger Eigentümliches besitzt seine

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B. Naturphilosophie,

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auf deren Gebiet er sowieso, seiner ganzen Geistesart wie seinem Bildungsgange nach, weniger zu Hause war, so daß er sich in den Einzelheiten stark an Schelling anlehnt. Wie seine beiden Vorgänger, sucht auch er die Natur aus dem Absoluten, d. h. bei ihm aus der Idee, ,,abzuleiten". Die Idee entschließt sich,,,sich als Natur frei aus sich zu entlassen". Die Natur ist die Idee in der Form ihres Andersseins. Sie ist als ,,ein System von Stufen zu betrachten, deren eine aus der anderen hervorgeht, aber" wie Hegel ausdrücklich einschärft ,,nicht (!) so, daß die eine aus der anderen natürlich erzeugt würde", sondern aus,,der inneren, den Grund der Natur ausmachenden Idee!" Die Tendenz dieser Idee als Natur ist der Fortschritt zur Subjektivität. a) Zunächst nämlich erscheint sie als ein nur äußerlich durch Raum, Zeit, Bewegung, Schwere und Gravitation gehaltenes Außereinander (Gebiet der Mechanik); dann b) in ihren besonderen, durch Kohäsion, Elektrizität, chemische Affinität u. a. bestimmten Erscheinungen (Physik); endlich c) in ihrer individuellen Gestalt als Stein, Pflanze und Tier, in der Gestaltung, Assimilation und Reproduktion als den drei Grundformen des animalischen Prozesses (Organik). Der Untergang des Individuums ist eine Folge seiner,,Unangemessenheit zur Idee" seiner Gattung. So wird, wie bei Schelling, die ganze Natur rein begrifflich konstruiert; doch sieht Hegel sich genötigt anzuerkennen, daß in der realen Natur stets ein Rest zurückbleibt, welcher der Auflösung in den reinen. Begriff unzugänglich bleibt; er nennt sie daher auch das ,,Reich der Zufälligkeit".

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zusammen

Erst im Geiste findet sich die Idee selber wieder, kehrt sie in sich zurück. Damit kommen wir zum letzten und Hauptteile der Hegelschen Philosophie, der Philosophie des Geistes.

§ 55. Das System. C. Die Philosophie des Geistes: Psychologie, Ethik, Rechts-, Staats- und Geschichtsphilosophie, Ästhetik und Religionsphilosophie.

Hier ist Hegel wieder in seinem Elemente. Nach seinem Heraustreten aus der Natur richtet sich der Geist I. zunächst auf sich selbst, als „,subjektiver" Geist, der sich zum Bewußtsein seiner Freiheit durcharbeitet, die er dann II. als ,,objektiver" Geist in der Welt des Rechts und der Sittlichkeit zu realisieren sucht, um zuletzt III. sich selbst in der Einheit von Dasein und Begriff als „absoluten" Geist in der Kunst, Religion und Philosophie zu erfassen.

I.

Die Lehre vom subjektiven Geiste, die man auch als die Hegelsche Psychologie (im weiteren Sinne des Wortes) bezeichnen könnte, ist von Hegel in der Enzyklopädie nur kurz skizziert und erst in seinen Vorlesungen und von seinen Schülern weiter ausgeführt worden. Ihr erster Abschnitt, a) die Anthropologie, betrachtet den Geist, wie er aus den Händen der Natur hervorgeht, als die ideelle Einheit, Seele oder Entelechie (Aristoteles !) eines organischen Körpers (natürliche, träumende, wirkliche Seele) bis zum Bewußtsein; b) die Phänomenologie verfolgt den Prozeß weiter vom sinnlichen Bewußtsein bis zur Vernunft (vgl. § 54 I, 4); c) die „Psychologie" (im engeren Sinne) betrachtet den ,,Geist" in seiner theoretischen Ausbildung als Intelligenz, der praktischen als Wille, endlich in seiner sich selbst bestimmenden Freiheit. Als solcher geht er über in den,,objektiven" Geist.

II.

Der objektive Geist manifestiert sich 1. im Recht, 2. in der Moralität, 3. in der ,,Sittlichkeit".

1. In der von Hegel auch besonders (s. S. 307) bearbeiteten Rechtsphilosophie ist a) die niederste Stufe das,, abstrakte" oder „,formale" Recht, welches wieder in Eigentums-, Vertrags- und Strafrecht zerfällt. Der Gegenstand nämlich des Rechtes, die zu schützende Person, gibt sich die äußere Sphäre ihrer Freiheit im Eigentum, das daher ein jeder besitzen soll (vgl. Fichte, § 49), tritt in Verhältnis zu den anderen Personen im Vertrag, als dem Zusammenfluß zweier Willen, und setzt sich endlich als besonderen gegen den allgemeinen Willen in Un

ent

recht, gesteigert in Verbrechen um, dessen Negation also die,,Negation der Negation des Rechtes" - die Strafe ist. Die dem Wiedervergeltungsrecht springende Strafe ist das Recht nicht bloß gegen den Verbrecher, sondern auch des Verbrechers als vernünftigen Wesens. Der besondere Wille dagegen, der das Allgemeine als solches will, ist die

2.,,Moralität", die zum abstrakten Recht etwa dieselbe Stellung, wie bei Kant zur „Legalität“, einnimmt und ungefähr dem entspricht, was wir heute Individual-Ethik nennen. Es werden Vorsatz und Schuld, Absicht und Wohl des Handelnden, das Gute und das Gewissen behandelt. Aber aus diesen Gegensätzen vermag sich nach Hegel die subjektive Selbstbestimmung nicht herauszufinden. Die,,subjektive“ Moralität gilt ihm nicht als etwas Selbständiges sie wird vielmehr in ihrer Isolierung willkürlich und böse, sondern nur als Durchgangspunkt zu der Synthese von Legalität und Moralität, der ,,objektiven"

3.,,Sittlichkeit" in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat.

a) Aus dem sittlichen Charakter des Familienlebens werden die Grundsätze für die Ehe, das Erbrecht und die Kindererziehung deduziert.

ein aus

b) In der bürgerlichen Gesellschaft Hegels Philosophie später in den Marxismus (§ 74) übergegangener und dort viel angewandter Begriff ist letzter Zweck das Interesse des Einzelnen, das den Staat nur für den Schutz und die Sicherheit des Eigentums und der persönlichen Freiheit in Anspruch nimmt. Die Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft behandelt daher die ,,Staatsökonomie" nur als das System der Interessen und Bedürfnisse, ferner die Rechtspflege (Öffentlichkeit und Schwurgerichte werden gefordert) und die sozialen Funktionen der ,,Polizei“ (heute: inneren Staatsverwaltung, Regierung) einer-, der Korporationen (einer Art freier Zünfte) anderseits. Die Vollendung der objektiven Sittlichkeit stellt sich erst

c) im Staate dar, der dem vom Geiste der Antike erfüllten Philosophen geradezu als die Verwirklichung der sittlichen Idee oder der Freiheit, als das ,,an und für sich Vernünftige", als der absolute Selbstzweck, ja in seinem früheren System der Sittlichkeit sogar als die absolut höchste Erscheinungsform des Geistes überhaupt gilt.,,Allen Wert, den der Mensch hat, alle geistige

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Wirklichkeit" hat er ,,allein durch den Staat", den er daher ,wie ein Irdisch-Göttliches" (!) verehren soll, während jenem das Schicksal des Individuums völlig gleich ist. Der Staat beansprucht unbedingte Autorität und ist auf seinem Gebiete durchaus selbständig, auch der Kirche gegenüber, die er allerdings in seinem eigenen Interesse schützen und fördern wird. Zwar soll der Staat die Organisation der ,,Freiheit“ sein, doch merkt man davon in der konstitutionellen Erbmonarchie, die Hegel für die beste Verfassung hält, nicht viel. Das Volk erhält nur eine sehr bescheidene Teilnahme am Staatsleben in den ,,Ständen“ zugewiesen; dagegen wird großer Wert auf das Institut des erblichen Monarchen gelegt, der die lebendig gewordene Gattungsvernunft in seiner geheiligten Person repräsentiert; man muß jemand haben, ,,der den Punkt auf das i setzt". Dieser ganze Staatsorganismus ist nun aber keineswegs ein sittliches Ideal, etwa im Sinne Kants. Es wird zwar auch hier wieder genug aus Begriffen a priori deduziert, aber doch unter deutlichem Hinblick auf den bestehenden preußischen Staat des Jahres 1821. Das Ergründen des Vernünftigen besteht in der Erfassung des Gegenwärtigen.,,Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig": diesen berüchtigten Satz ließ Hegel in der Vorrede zu seiner Rechtsphilosophie mit gesperrten Lettern drucken. Freilich läßt sich damit nicht viel weniger als alles beweisen, wenn man die Vernunft im Hegelschen Sinne als die Notwendigkeit des geschichtlichen Entwicklungsprozesses faßt, und seine Schüler gingen denn auch, wie wir noch sehen werden, nach den verschiedensten Richtungen auseinander. Für Hegel selbst aber waren die ἄριστοι des platonischen Idealstaates zur preußischen Bureaukratie geworden; ,,die Regierung liegt", nächst dem Monarchen, ,,in der Beamtenwelt". Dem,,inneren" Staatsrecht wird das ,,äußere" als die Lehre von dem Verhältnis des Staates zu anderen Staaten gegenübergestellt, denn die volle Verwirklichung des „objektiven" Geistes zeigt sich nur in der Weltgeschichte. Damit geht die Rechtsphilosophie in

4. die Philosophie der Geschichte über, die zu den glänzendsten Partien des Hegelschen Systems gehört. Die Vernunft beherrscht die Welt, so auch die Weltgeschichte, in der es also,vernünftig“ zugeht. Sie ist nicht so ohnmächtig, es nur bis zum Sollen, zum bloßen Ideal (eines Kant oder Schiller) zu bringen, sondern sie

ist, ist die Wirklichkeit selbst. Die „Idee" ist das Wahre, Ewige, schlechthin Mächtige, das sich in der Welt offenbart. Der allgemeine oder Weltgeist bringt in den Schicksalen und Taten der besonderen Völker oder Staaten denn unser Philosoph faßt die Geschichte wesentlich als politische aufsukzessiv ,,sich selbst hervor" und übt sein Recht (und sein Recht ist das allerhöchste),,an ihnen in der Weltgeschichte, als dem Weltgerichte, aus". Die einzelnen ,,Volksgeister" und hervorragenden Persönlichkeiten sind nur Werkzeuge in der Hand des Weltgeistes,,,um dessen Thron sie als die Vollbringer seiner Verwirklichung und als Zeugen seiner Herrlichkeit stehen“, in der Regel, ohne daß sie selbst es wissen; denn „,das ist die List der Vernunft zu nennen, daß sie die Leidenschaften der Menschen für sich wirken läßt". Denn Hegel ist trotz seiner Konstruktionssucht keineswegs blind gegen die,,partikularen Interessen“ und „,selbstischen Absichten" der Einzelnen. Die Geschichte erklären heißt ihm ,,die Leidenschaften der Menschen, ihr Genie, ihre wirkenden Kräfte enthüllen", deren sich die göttliche Vorsehung bedient, um ihren Plan, d. h. den absoluten, vernünftigen Endzweck der Welt zu verwirklichen. ,,Nichts Großes in der Welt ist ohne Leidenschaft vollbracht worden." Die Idee ist der Zettel, die Leidenschaften sind der Einschlag des großen Teppichs der vor uns ausgebreiteten Weltgeschichte. Die konkrete Mitte und Vereinigung beider ist die sittliche Freiheit im Staate. In jedem Zeitalter übernimmt ein Volk die geistige Führung und bringt damit zugleich die betreffende Stufe des Welt geistes zum Ausdruck, bis es seine Mission erfüllt hat und ein neues an seine Stelle tritt. So gibt es vier große Perioden der Geschichte, die wieder in ihre Unterabschnitte zerfallen: die orientalische, griechische, römische und germanische Welt. Sie entsprechen dem Knaben-, Jünglings-, Mannes- und Greisenalter der Menschheit, denn,,das Greisenalter des Geistes ist vollkommene Reife, in der er nach Vollendung seines Lebenslaufs in sich selbst zurückgeht" 1). Der Orient kennt nur

1) Einen verwandten Gedanken enthält die bekannte Äußerung über die Aufgabe der Philosophie am Schlusse der Vorrede zur Rechtsphilosophie: „Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst in der eintretenden Dämmerung ihren Flug“ (a. a. O. S. 20f.).

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