Page images
PDF
EPUB

späterhin nicht blos schwankte, sondern in mehreren Schriften eine völlig veränderte Lehre aufstellte, *) gab er diese nicht blos immerfort für die Wissenschaftslehre aus, sondern rechtfertigte sich auch nicht wegen der geschehenen Umwandlungen, ja er hielt es nicht einmal der Mühe werth, seine Dogmen durch eine stren= gere Form, wie früherhin, zu begrürden und zu deduziren, sondern trug fie gleich Orakelsprüchen in der Weise des Plotinos vor, an deffen schwärmerische Speculation der Leser dabei nur allzudeutlich erinnert wird. Noch sprechender ist eine andere Stelle der Wissenschaftslehre **), wo es heißt:,, das Princip des Lebens und Bewußtseyns ist zwar allerdings in dem Ich enthalten, aber dadurch entsteht noch kein wirkliches Leben, kein empirisches Leben in der Zeit: dazu bedarf es noch eines beson= deren Anstoßes auf das Ich durch ein Nicht Ich. Der legte Grund aller Wirklichkeit für das Ich ist eine ursprüngliche Wechselwirkung zwischen dem Ich, und irgend einem Etwas auffer demselben, welches dem Ich völlig entgegengesett seyn muß. Durch dasselbe wird es in Bewegung gefeßt, um zu handeln, und da seine Existenz blos im Handeln besteht, würde es ohne daffelbe gar nicht existirt haben.“

Ist es möglich, diese Säße nur flüchtig zu durchdenken, ohne das Princip der Wissenschaftslehre aufzugeben? Eben weil das Ich durch daß ihm entgegengeseßte Nicht-Ich, ein Etwas ausser ihm, eingeschränkt wird, eben weil es für sich allein nicht Princip des wirklichen Lebens, des zeitlichen Handelns des individuellen, menschlichen Ich ist, kann es auch nicht das höchste Princip der Wissenschaft seyn: es läßt sich daraus weder die Natur in der Mannichfaltigkeit ihres Seyns und Wirkens, noch unser menschliches Leben erklåren. So wurde das System im Fortgange dualistisch, als Resultat ergaben sich zwei Principien: das Ich und das demselben entgegengesetzte Nicht- Ich, auf deren Wechselwirkung und gegenseitiger Be=

*) Um auffallendsten in der Unweisung zum seligen Leben Berlin 1806. vergl. auch die Wissenschaftslehre in ihrem alls gemeinen Umrisse dargestellt. Berlin 1810.

**). 274-276.

schränkung unser Daseyn beruht. Der Machtspruch, welcher den unauflöslichen Knoten dadurch zu zerhauen suchte, daß er dem Nicht- Ich die Realität absprach, verseßte zugleich dem ganzen Systeme den Todtesstoß. Wie die Erfahrung lehrt, gelangt nicht einmal das Kind in der ersten Zeit seines Lebens, wie viel weniger der Embryo, zum Selbstbewußtseyn, und damit zur Erfassung seines Ich im Gegensaße des Nicht- Ich: es giebt mithin einen Anfang unseres irdischen Seyns unabhȧngig vom Ich, das Ich kann sich wohl finden durch Reflexion, und Fichte selbst gab dazu Anweisung, wie man vom empirischen zum reinen Ich gelangen könne, aber es schafft sich nicht. Und was vom Einzelnen, dasselbe gilt auch von dem ganzen Menschengeschlechte, welches seinen Ursprung nicht hat in dem Ich der Wissenschaftslehre, sondern in einem Wesen höher als das Ich, durch welches erst dem Ich die Möglichkeit so wie die Macht gegeben wird, sich selbst zu sehen. Fichte verwechselte offenbar das endliche Ich mit dem Absoluten, dem ewigen Wesen selbst. Dies zeigte sich ganz unzweideutig in seiner Religionslehre. Sollte das Ich, wie er lehrte, das Absolute seyn, so mußte es auch 'Gott seyn, denn ausserdem würde Gott nur als ein dem Ich entgegengeseßtes Nicht- Ich zu den= ken seyn, was blos eine Operation des empirischen, nicht des reinen Bewußtseyns ist, oder als ein Product des freien Ich, mithin ein Geschöpf unseres Geistes, d. h. gar nicht Gott. So wurde er durch sein falsches Princip und die Anmaßung der Wissenschaftslehre dahin getrieben, Gott die Persönlichkeit, ja selbst das Seyn abzusprechen, und ihn blos als-moralische Weltordnung zu denken. Die moralische Weltordnung seht aber, wie jede Ordnung, Einrichtung, Verfassung, ein ordnendes Princip voraus: es war mithin dieses ordnende Princip der wahre Gott. Die moralische Weltordnung fonnte nun nichts weiter seyn, als entweder Erstens das Ich selbst, insofern es durch seine absolute Thätigkeit eine moralische Ordnung in sich fest, darnach handelt, und derselben die Aussenwelt unterwieft. Oder Zweitens das Moralgesetz selbst in seinem absoluten Seyn, als die den Willen durch das Gewissen bindende, im Leben zu verwirklichende Idee, das unendliche Ziel

des handelnden Ich, vorgestellt unter dem Bilde einer über den einzelnen Ichs schwebenden sittlichen Weltordnung, als deren erhabene Bestimmung, und das Befruchtende und Belebende ihrer irdischen Wirksamkeit. Allein nichts von diesem, oder ihm Aehnliches, konnte mit Fug und Recht Gott genannt wer= den. Das Ich nicht, weil dieses als das Absolute in seiner Thåtigkeit an ein empirisches Ich unauflößlich geknüpft ist, und in dieser Beziehung in eine unbestimmte Anzahl einzelner Ichs zerfällt, von denen ein jedes, so gut wie Fichte, berechtiget ist, sich als das Göttliche hinzustellen, und die anderen, von denen es ja ohnedics nur durch das Medium der organischen Leiber Kunde hat, als Nicht- Ichs auffer sich, aber zugleich als Producte seiner eignen Thätigkeit zu sehen. Da nun diese einzelnen Ichs sich zu einander als selbstständige verhalten, da sie im Leben verschiedene Zwecke verfolgen, ihre Thätigkeiten sich durchkreuzen undoft feindlich berühren, so zerfällt das Göttliche hiernach in eine Vielheit einzelner absoluter Mächte, für sich seiender Götter fürwahr ein Ungethům und Scheusal ekelhafter als je die üppigste Phantasie eines Dichters dergleichen hervorgezaubert hat. Ist aber die moralische Weltordnung nichts weiter als das in uns lebende, uns durch das Gewissen bindende Moralgesek, die von uns zu realisirende Idee des Guten, so ist die Gottheit theils das bloße Product unserer Thätigkeit, theils etwas, was noch gar nicht ist, sondern erst werden soll; in beiden Fällen ist die Gottheit nichts ohne uns, wir, die Våter des Platonischen Staats erzeugen durch vertrauten Umgang mit der gemeinsamen Mutter Natur, dem angebornen NichtIch, unsere Gottheit selbst, zur lächerlichsten Parodie und Satyre auf uns selbst und unsere Weisheit.

Fichte selbst war ein viel zu scharfsinniger Denker, als daß ihm die völlige Unhaltbarkeit dieser Religionslehre früher oder später nicht hätte einleuchten sollen. Damit ergab sich von selbst die Nothwendigkeit, sie wo nicht ganz fallen zu lassen, doch wenigstens in mehrern Hauptpunkten wesentlich zu verån= dern. Diese Metamorphose offenbarte sich in der Anweisung zum seligen Leben, oder der Religionslehre, Berlin 1806, welche allerdings, wofür er selbst in der Vorrede fie

ausgiebt, den Gipfel und hellsten Lichtpunkt einer populären Lehre bildet, und in mancher Beziehung als das Ergebniß des reiferen Mannesalters, so wie der fortgesetzten Selbstbildung gelten kann, aber theils, als populåre Lehre, den wissenschaftlichen Anforderungen weit weniger gnügt, theils von ihm fålschlich für die frühere philosophische Ansicht ausgegeben wird. Hier ist nemlich das Seyn das Leben felbst, es giebt nur Ein Seyn, als das einfache, sich selbst gleiche, unveränderliche, ruhige Seyn und Bestehen. Dieses ist das Seyn des Absoluten oder Gottes, welcher sich äußert, darstellt, ganz und ohne Rückhalt heraustritt in der Welt. *) Zwar soll diese verbesserte Lehre noch dadurch mit der alten Wissenschaftslehre zueinigem Einklange gebracht werden, daß er hinzufügt:,,daß Element, die substanzielle Form des göttlichen Lebens ist der Gedanke, das reine Denken ist selbst das göttliche Daseyn, und eine Welt ist nur im Wissen da," — allein wie erzwungen dieser Zusammenhang ist, leuchtet schon bei einer flüchtigen Vergleichung ein. **)

Aus dieser Eigenthümlichkeit des Fichte'schen Systems wird zugleich ersichtlich, warum die Philosophie nicht dabei fte

*) S. 6—9. und Vorlesungen über das Wesen des Gelehrten Berlin 1806. S. 4—6.′ 25—32.

**) Es irrt auch Fichte der Sohn, wenn er behauptet, (Fichte's Leben 1ster Thl. S. 411–415.) sein Vater habe durch seine spåtere religiöse Ansicht seine Lehre in ihrem Princip völlig consequent vollendet; wobei er zugleich sich widerspricht, indem er es für nothwendig crkennt (S. 413.) um zu diesem höhern Standpunkte zu gelangen, über das Ich hinauszugehen. Eben weil die neue Religionslehre hinausgeht über das Ich, weil sie Gott, und zwar als das reine, absolute, ruhige Seyn, welches Prådicat, von Gott gebraucht, die Wissenschaftslehre für absurd hielt, an die Spike des Systems stellt, ist damit ein ganz anderes Princip aufgetreten und die Wissenschaftslehre factisch aufgege= ben. Mit gleichem Unrechte behauptet er, sein Vater habe darin die Religionslehre wissenschaftlich begründet, was schon durch das eigene Geständniß des Vaters, diese Schriften sollen eine bloße populåre Darstellung enthalten, widerlegt wird. Alle die Såge von Gott, dem ab= soluten Seyn, dem reinen Lichte, dessen Spaltung in unendliche Ichs, dem Daseyn Gottes in der Natur, über welche theils Unrichtiges, theils Wi

hen bleiben konnte, und ein selbstthåtiger Geist, sobald er sich mit demselben vertraut gemacht hatte, auf den Gedanken kommen mußte, es zu verlassen und mit einem höheren Standpunkte zu vertauschen. So bezeichnet der Uebergang zum Systeme Schelling's ein nothwendiges Moment in der Bildungsge= schichte der Philosophie.

Schelling, durch das Studium der Naturwissenschaf= ten, in denen Fichte stets Fremdling geblieben zu seyn scheint, frühzeitig mit regem Sinn für das Naturleben erfüllt, mußte sehr bald die untergeordnete Stellung bemerken, in welche in der Wissenschaftslehre die Natur, als das Nicht- Ich verseht wurde, aber wider den Geist des Systems selbst, da sie ja, als Nicht- Ich, das Ich einschränken, auf dasselbe einwirken, und seiner Thätigkeit hemmend entgegentreten sollte, was ohne eigenthümliche Realität und Kraft undenkbar war. So bot sich auf die natürlichste Weise der Gedanke dar, dem Nicht-Ich,

dersprechendes vorgetragen wird, ermangeln des haltbaren Grundes. Deßwegen durfte auch Schelling nicht getadelt werden wegen der intellectuellen Anschauung, und daß er von ihr und durch sie von dem Absoluten ausgegangen, denn eben sein Vater war gerade derjenige, welcher zuerst, ganz wider Kant's Sinn, die intellectuelle Anschauung als das alleinige Organ der Philosophiè geltend machte, und auch in der neuen Lehre unter der Benennang reiner Gedanke fortdauernd geltend macht. Endlich darf die frühere atheistische Lehre nicht damit entschuldiget werden, daß der Gedanke an einen lebendigen Gott der damaligen Bildung fern gelegen (p. 411). Einmal ist dieses Vorgeben unrichtig. In Deutschland war die freigeisterische Denkart niemals so verbreitet wie in Frankreich. Wie viele Gebildete der damaligen Zeit ließen sich, weder durch die Französischen Encyclopådisten und das verrufene Système de la Nature, noch durch deutsche Philosophen irre machen in ihrem Glauben an den lebendigen Gott, und hielten daran fest bei allem Wechsel der Systeme! Sodann wollte Kant einen persönlichen Gott, als den moralischen, allweisen Urheber und Regierer der Welt keineswegs aufgeben, sondern vielmehr durch den moralischen Beweis auf einem ficherern Wege, als seine Vorgånger, zu demselben gelangen. Endlich konnte man, gesezt auch das Zeitalter hätte sich zum Atheismus hingeneigt, von einem so kråftigen Denker, wie Fichte, erwarten, daß er dem Strome der Meinungen sich entgegengestellt, und die Zeitgenossen auf den rechten Weg geleitet håtte.

« PreviousContinue »