Weil der herrliche Pelide1) Priams schöne Tochter 2) freit. 2. Und geschmückt mit Lorbeerreisern, Festlich wallet Schar auf Schar Nach der Götter heil'gen Häusern, Zu des Thymbriers 3) Altar. Dumpf erbrausend durch die Gassen Wälzt sich die bacchant'sche Lust, Und in ihrem Schmerz verlassen War nur eine traur'ge Brust. 3. Freudlos in der Freude Fülle, Ungesellig und allein, Wandelte Kassandra1) stille In Apollos Lorbeerhain. In des Waldes tiefste Gründe Flüchtete die Seherin, Und sie warf die Priesterbinde Zu der Erde zürnend hin: 4. „Alles ist der Freude offen, Alle Herzen sind beglückt; Und die alten Eltern hoffen, Und die Schwester steht geschmückt. Ich allein muß einsam trauern, Denn mich flieht der süße Wahn; Und geflügelt diesen Mauern Seh' ich das Verderben nahn. 5. Eine Fackel seh' ich glühen, Aber nicht in Hymens3) Hand; Nach den Wolken seh' ich's ziehen, Aber nicht wie Opferbrand. Feste seh' ich froh bereiten, Doch im ahnungsvollen Geist Hör' ich schon des Gottes Schreiten, Der sie jammervoll zerreißt. 6. Und sie schelten meine Klagen, Und sie höhnen meinen Schmerz. Einsam in die Wüste tragen Muß ich mein gequältes Herz, Von den Glücklichen gemieden Und den Fröhlichen ein Spott! Schweres hast du mir beschieden, Pythischer), du arger Gott! 7. Dein Drakel zu verkünden, Warum warfest du mich hin In die Stadt der ewig Blinden Mit dem aufgeschlossnen Sinn? Warum gabst du mir zu sehen, Was ich doch nicht wenden kann? Das Verhängte muß geschehen, Das Gefürchtete muß nahn. 8. Frommt's, den Schleier aufzu= heben, Wo das nahe Schrecknis droht? Nur der Irrtum ist das Leben, Und das Wissen ist der Tod. Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit, Mir vom Aug' den blut'gen Schein! Schrecklich ist es, deiner Wahrheit Sterbliches Gefäß zu sein. 9. Meine Blindheit gieb mir wieder Und den fröhlich dunkeln Sinn! Nimmer sang ich freud'ge Lieder, Seit ich deine Stimme bin. Zukunft hast du mir gegeben, Doch du nahmst den Augenblick, Nahmst der Stunde fröhlich Leben Nimm dein falsch Geschenk zurück! 10. Nimmer mit dem Schmuck der Bräute Kränzt' ich mir das duft'ge Haar, 1) Achilles, des Peleus Sohn. nach dem troischen Orte Thymbra. der Ehe. 2) Polyrena. 3) Ein Beiname Apollos 4) Tochter des Priamus. 5) Der Gott 6) Ein Beiname Apollos von Pytho oder Delphi. Seit ich deinem Dienst mich weihte Doch es tritt ein styg'scher Schatten 2) An dem traurigen Altar. Meine Jugend war nur Weinen, Und ich kannte nur den Schmerz; Jede herbe Not der Meinen Schlug an mein empfindend Herz. 11. Fröhlich seh' ich die Gespielen, Alles um mich lebt und liebt In der Jugend Luftgefühlen, Mir nur ist das Herz getrübt. Mir erscheint der Lenz vergebens, Der die Erde festlich schmückt; Wer erfreute sich des Lebens, Der in seine Tiefen blickt! 12. Selig preis' ich Polyrenen In des Herzens trunknem Wahn, Denn den besten der Hellenen Hofft sie bräutlich zu umfahn. Stolz ist ihre Brust gehoben, Ihre Wonne faßt sie kaum, Nicht euch Himmlische dort oben Neidet sie in ihrem Traum. 13. Und auch ich hab' ihn1) gesehen, Den das Herz verlangend wählt; Seine schönen Blicke flehen, Von der Liebe Glut beseelt. Gerne möcht' ich mit dem Gatten In die heim'sche Wohnung ziehn, Nächtlich zwischen mich und ihn. 14. Ihre bleichen Larven alle Sendet mir Proserpina "); Wo ich wandre, wo ich walle, Stehen mir die Geister da. In der Jugend frohe Spiele Drängen sie sich grausend ein, Ein entseßliches Gewühle! Nimmer kann ich fröhlich sein. 15. Und den Mordstahl seh' ich blinken Und des Mörders Auge glühn; Nicht zur Rechten, nicht zur Linken Kann ich vor dem Schrecknis fliehn; Nicht die Blicke darf ich wenden; Wissend, schauend, unverwandt Muß ich mein Geschick vollenden, Fallend in dem fremden Land." 16. Und noch hallen ihre Worte, Horch! da dringt verworrner Ton Fernher aus des Tempels Pforte, Tot lag Thetis' großer Sohn!4) Eris) schüttelt ihre Schlangen, Alle Götter fliehn davon, Und des Donners Wolken hangen Schwer herab auf Jlion. 5. Das Siegesfest. 1. Priams Feste war gesunken, Troja lag in Schutt und Staub, Und die Griechen, siegestrunken, Reich beladen mit dem Raub, 1) Koröbus, der Geliebte der der bei der Eroberung Trojas fiel. des Pluto, des Herrschers in der der Zwietracht. Saßen auf den hohen Schiffen Längs des Hellespontos Strand, Auf der frohen Fahrt begriffen Nach dem schönen Griechenland. Kassandra. 2) Der Schatten des Koröbus, 3) Proserpina oder Persephone, die Gemahlin Unterwelt. 4) Achilles. 5) Die Göttin Stimmet an die frohen Lieder! 2. Und in langen Reihen, klagend, Lebe wohl, geliebter Boden! 3. Und den hohen Göttern zündet Kalchas jezt das Opfer an. Pallas, die die Städte gründet Und zertrümmert, ruft er an, Und Neptun, der um die Länder Seinen Wogengürtel schlingt, Und den Zeus, den Schreckensender, Der die Ägis1) grausend schwingt. Ausgestritten, ausgerungen Ist der lange, schwere Streit, Ausgefüllt der Kreis der Zeit, Und die große Stadt bezwungen. 4. Atreus' Sohn2), der Fürst der Scharen, Übersah der Völker Zahl, Drum erhebe frohe Lieder, Glücklich, wem der Gattin Treue 6. Und des frisch erkämpften Freut sich der Atrid1) und strickt Böses muß mit Bösem enden; 1) Der Schild des Zeus, ein Werk des Hephästos. 3) Helena. 4) Menelaos. 5) Zeus, der Sohn des Kronos. Lokrier. 2) Agamemnon. 6) Ajax, der 1) Ajax, der Sohn des Telamon und Bruder des Teukros. 2) Achilles, der Vater des Neoptolemos. Gattin des Priamos. Tochter des Tantalus. 3) Diomedes, der Fürst von Argolis. 4) Die 5) Die Gattin des thebanischen Königs Amphion und 6) Der Fluß der Vergessenheit in der Unterwelt. 13. Und von ihrem Gott ergriffen Hub sich jezt die Seherin1), Blickte von den hohen Schiffen Nach dem Rauch der Heimat hin. Rauch ist alles ird'sche Wesen; Wie des Dampfes Säule weht, Schwinden alle Erdengrößen, 6. Klage der Ceres. 1. Ist der holde Lenz erschienen? 2. Ach! wie lang' ist's, daß ich walle 1) Kassandra. 2) Bergnymphe. 3. Wer wird nach dem düstern Meines Grames Bote sein? 4. Mütter, die aus Pyrrhas') Sterbliche geboren sind, 3) Proserpina oder Persephone. 4) Helios, der Sonnengott, als Sprößling eines Titanen selbst „Titan“ genannt. 5) Die Unterwelt. 6) Der Herrscher der Unterwelt. 7) Deukalion und seine Gattin Pyrrha, die sich bei einer Sündflut in einer Arche gerettet hatten, bevölkerten die Erde aufs neue durch Steine, die sie hinter sich warfen und aus denen Menschen entstanden. 8) Die drei Schicksalsgöttinnen Klotho, Lachesis und Atropos. |