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8. Der Schiffbruch.

Mitten in des Weltmeers wilden Wellen
Scheiterte das Schiff. Die Edlen retten
Sich im Fahrzeug.,,Wo ist Don Alonso?'
Riefen sie. Er war des Schiffes Priester.

,,Reiset wohl, ihr Freunde meines Lebens,
Bruder, Oheim! sprach er von dem Borde,
Meine Pflicht beginnt, die eure endet."

Und er eilt' hinunter in des Schiffes
Kammern, seine Sterbenden zu trösten,
10 Höret ihre Sünden, ihre Buße,

Ihr Gebet und wehret der Verzweiflung,
Labet sie, und geht mit ihnen unter.

*

Welch ein Geist war größer? Jenes Cato,
Der im Zorne sich die Wunden aufriß,
Oder dieses Priesters, der, den Pflichten
Seines Amtes treu, im Meer ersinket?

9. Der gerettete Jüngling.

Eine schöne Menschenseele finden
Jst Gewinn; ein schönerer Gewinn ist,
Sie erhalten, und der schönst' und schwerste,
Sie, die schon verloren war, zu retten.

Sankt Johannes, aus dem öden Patmos1)
Wiederkehrend, war, was er gewesen,
Seiner Herden Hirt. Er ordnet' ihnen
Wächter, auf ihr Innerstes aufmerksam.

In der Menge sah er einen schönen
10 Jüngling; fröhliche Gesundheit glänzte
Vom Gesicht ihm, und aus seinen Augen
Sprach die liebevollste Feuerseele.

„Diesen Jüngling, sprach er zu dem Bischof,
Nimm in deine Hut! Mit deiner Treue
Stehst du mir für ihn! Hierüber zeuge
Mir und dir vor Christo die Gemeine!"

1) Insel bei Samos, auf welche der Evangelist und Apostel Johannes ver

bannt wurde.

Er ging zur einsam-frommen Wüstenei
Und harrete auf Offenbarung. Da

Rief eine Stimme:,,Schau zur Erd' hinab,
Simplicius."

Er sah. Ein wimmelnd Nest

10 Ameisen war vor ihm in lebender

Bewegung. Diese trugen eine Last,

Viel größer als sie selbst. Ein andrer Hauf'
Hielt Kräutersamen in dem Munde, fest
Wie mit der Zange. Jene holten Erd'
Herbei und dämmten ihren breiten Strom.
Die andern trugen für den Winter ein
Und schroteten die Körner künstlich ab,
Daß ihre feuchte Wohnung nicht mit Kraut
Verwüchse. Diese hielten einen Zug;

20 Sie trugen einen Toten aus der Stadt.
Und keiner stört' den andern, jeder wich
Beim Ein- und Ausgang seinem Nachbar aus.
Wer unter seiner Last erlag, und wer
Die steile Straße nicht erklimmen konnte,
Dem half man auf, man bot den Rücken dar.
Simplicius sah's mit Verwunderung

Und sähe noch, hätt' ihm die Stimme nicht
Gerufen:,,Bist du nicht viel mehr als sie?"

Und vor ihm stand ein Greis. „Verlorner Sohn,
30 Wie? hast du keinen Vater? keine Mutter?
Und keinen Freund und Armen, dem du jezt
Beispringen könntest? Bist vom Himmel du
Entsprossen? teinem Menschen auf der Welt
Verbunden oder wert, daß ihm ein Teil
Von dir gehöre? Sieh das kleine Volk

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Ameisen. Jede wirket ingemein,
Und ohne Eigentum hat jede g'nug."

Belehret kehrt Simplicius zurück
Zur muntern Thätigkeit und sah fortan
40 Im großen Ameishaufen dieser Welt

Die Gottesstadt, die (oft sich unbewußt)
Im Wirken fürs Gemeine lebt und webt
Niemand für sich, für alle jedermann.

8. Der Schiffbruch.

Mitten in des Weltmeers wilden Wellen
Scheiterte das Schiff. Die Edlen retten
Sich im Fahrzeug.,,Wo ist Don Alonso?"
Riefen sie. Er war des Schiffes Priester.

,,Reiset wohl, ihr Freunde meines Lebens,
Bruder, Oheim! sprach er von dem Borde,
Meine Pflicht beginnt, die eure endet."

Und er eilt' hinunter in des Schiffes
Kammern, seine Sterbenden zu trösten,
10 Höret ihre Sünden, ihre Buße,

Ihr Gebet und wehret der Verzweiflung,
Labet sie, und geht mit ihnen unter.

*

Welch ein Geist war größer? Jenes Cato,
Der im Zorne sich die Wunden aufriß,
Oder dieses Priesters, der, den Pflichten
Seines Amtes treu, im Meer ersinket?

9. Der gerettete Jüngling.

Eine schöne Menschenseele finden
Jst Gewinn; ein schönerer Gewinn ist,
Sie erhalten, und der schönst' und schwerste,
Sie, die schon verloren war, zu retten.

Sankt Johannes, aus dem öden Patmos1)
Wiederkehrend, war, was er gewesen,
Seiner Herden Hirt. Er ordnet' ihnen
Wächter, auf ihr Innerstes aufmerksam.

In der Menge sah er einen schönen
10 Jüngling; fröhliche Gesundheit glänzte
Vom Gesicht ihm, und aus seinen Augen
Sprach die liebevollste Feuerseele.

„Diesen Jüngling, sprach er zu dem Bischof,
Nimm in deine Hut! Mit deiner Treue
Stehst du mir für ihn! Hierüber zeuge
Mir und dir vor Christo die Gemeine!"

1) Insel bei Samos, auf welche der Evangelist und Apostel Johannes ver

bannt wurde.

Und der Bischof nahm den Jüngling zu sich,
Unterwies ihn, sah die schönsten Früchte

In ihm blühn, und weil er ihm vertraute, 20 Ließ er nach von seiner strengen Aufsicht.

Und die Freiheit war ein Nez des Jünglings;
Angelockt von füßen Schmeicheleien,

Ward er müßig, kostete die Wollust,
Dann den Reiz des fröhlichen Betruges,
Dann der Herrschaft Reiz; er sammlet' um sich
Seine Spielgesellen, und mit ihnen

Zog er in den Wald, ein Haupt der Räuber.

Als Johannes in die Gegend wieder Kam, die erste Frag' an ihren Bischof

30 War: Wo ist mein Sohn?" — „Er ist gestorben!" Sprach der Greis und schlug die Augen nieder. ,,Wann und wie?",Er ist Gott abgestorben, Ist (mit Thränen sag' ich es) ein Räuber."

,,Dieses Jünglings Seele, sprach Johannes, Fordr' ich einst von dir. Jedoch wo ist er?" ,,Auf dem Berge dort!"

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Ich muß ihn sehen!"

Und Johannes, kaum dem Walde nahend,
Ward ergriffen; eben dieses wollt' er.

40,Führet, sprach er, mich zu eurem Führer!"

Vor ihn trat er! Und der schöne Jüngling
Wandte sich; er konnte diesen Anblick
Nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling,
Nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater,
Einen Greis! Ich habe dich gelobet
Meinem Herrn und muß für dich antworten.
Gerne geb' ich, willst du es, mein Leben
Für dich hin; nur dich fortan verlassen
Kann ich nicht! Ich habe dir vertrauet,
50 Dich mit meiner Seele Gott verpfändet."

Weinend schlang der Jüngling seine Arme
Um den Greis, bedeckete sein Antlig,

Stumm und starr; dann stürzte statt der Antwort
Aus den Augen ihm ein Strom von Thränen.

Auf die Kniee sank Johannes nieder,
Küßte seine Hand und seine Wange,

Nahm ihn neugeschenket vom Gebirge,
Läuterte sein Herz mit süßer Flamme.

Jahre lebten sie jezt unzertrennet

60 Miteinander; in den schönen Jüngling
Goß sich ganz Johannes' schöne Seele.

Sagt, was war es, was das Herz des Jünglings

Also tief erkannt und innig festhielt?

Und es wiederfand und unbezwingbar

Rettete? Ein Sankt-Johannes - Glaube,
Zutraun, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit.

10. Das Kind der Sorge.

1. Einst saß am murmelnden Strome
Die Sorge nieder und sann;
Da bildet' im Traum der Gedanken
Ihr Finger ein leimernes 1) Bild.

2.,,Was hast du, sinnende Göttin?"
Spricht Zeus, der eben ihr naht.
Ein Bild, von Thone gebildet;
Beleb's, ich bitte dich, Gott!"

"

3.,,Wohlan denn! Lebe! Es
lebet!

Und mein sei dieses Geschöpf!"
Dagegen redet die Sorge:
„Nein, laß es, laß es mir, Herr!

4. Mein Finger hat es gebildet"
Und ich gab Leben dem Thon",
Sprach Jupiter. Als sie so sprachen,
Da trat auch Tellus 2) hinan.

5. Mein ist's! Sie hat mir ge

nommen

Von meinem Schoße das Kind."
,,Wohlan, sprach Jupiter, wartet!
Dort kommt ein Entscheider, Saturn.“

6. Saturn sprach: „Habet es alle!
So will's das hohe Geschick.
Du, der das Leben ihm schenkte,
Nimm, wenn es stirbet, den Geisst;

7. Du, Tellus, seine Gebeine
Denn mehr gehöret dir nicht.
Dir, seiner Mutter, o Sorge,
Wird es im Leben geschenkt.

8. Du wirst, solang es nur atmet,
Es nie verlassen, dein Kind.
Dir ähnlich wird es von Tage
Zu Tage sich mühen ins Grab.“

9. Des Schicksals Spruch ist erfüllet,
Und Mensch heißt dieses Geschöpf.
Im Leben gehört es der Sorge,
Der Erd' im Sterben und Gott.

1) Von Lehm oder Thon. 2) Die Erdgöttin.

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