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Kaum gesagt, so enteilte Marie, die geschäftige Hausmagd, Nehmend von rußiger Mauer das Beil und den maschigen Beutel; Lockte den treuen Monarch mit Geburtstagsbrocken zum Backhaus, 150 Fern an den Garten hinab, und schloß mit der Krampe den Kerker. Anfangs kragte der Dogg' und winselte; aber sobald er

Wärme roch vom frischen Gebäck des festlichen Brotes,

Sprang er behend auf den Ofen und streckt' ausruhende Glieder. Jene lief in die Scheune, wo Thoms mit gewaltiger Arbeit Häckerling schnitt, denn ihn fror, und sie sagt' in der Eile den Auftrag: „Splittere Holz für die Gans und hol' in dem Beutel die Karpfen, Thoms, vor dunkeler Nacht; sonst geht dir der kizlige Fischer Schwerlich zum Hälter hinab, troß unserem Sohn und dem Pastor." Thoms antwortete drauf und stellte die Häckerlinglad' hin: 160,,Splitter, Marie, und Karpfen verschaff' ich dir, früher denn not ist. Wenn an dem heutigen Tage sich kizelig zeiget der Fischer, Treib' ich den Kizel ihm aus, und bald ist der Hälter geöffnet!" Also der rüstige Knecht; da rannte sie durch das Gestöber, Stieg auf den Taubenschlag und pustete, rieb sich die Hände, Steckte sie unter die Schürz' und schlug sich über die Schultern. Als sie mit schärferem Blick in des Schnees umnebelnden Wirbeln Spähete, siehe, da kam's mit verdecktem Gestühl wie ein Schlitten, Welcher vom Berg in das Dorf herklingelte. Schnell von der Leiter Stieg sie herab und brachte der emsigen Mutter die Botschaft, 170 Welche der Milch abschöpfte den Rahm zu festlichem Kaffee:

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„Mutter, es kömmt wie ein Schlitten; ich weiß nicht sicher, doch glaub' ich!" Also Marie; da verlor die erschrockene Mutter den Löffel; Unter ihr bebten die Knie, und sie lief mit klopfendem Herzen, Atemlos; ihr entflog im hastigen Lauf der Pantoffel.

Jene lief zu der Pfort' und öffnete. Näher und näher

Kam das Gefling' und das Klatschen der Peitsch' und der Pferde Getrampel.
Nun, nun lenkten herein die mutigen Ross' in den Hofraum,
Blankgeschirrt, und der Schlitten mit halb schon offnem Verdeckstuhl
Hielt an der Thür', und es schnoben beschneit und dampfend die Renner.
Mütterchen rief: „Willkommen, daher! Willkommen, ihr Kindlein!
Lebt ihr auch noch? und reichte die Händ' in den schönen Verdeckstuhl;
Lebt in dem grimmigen Ost mein Töchterchen?" Dann, für sich selber
Nur zu sorgen, ermahnt:,,Laßt, Kinderchen! sprach sie; dem Sturmwind
Wehret das Haus! Ich bin ja vom eisernen Kerne der Vorwelt!
Stets war unser Geschlecht steinalt und Verächter des Wetters.
Aber die jüngere Welt ist zart und scheuet die Zugluft."

Sprach's; und den Sohn, der dem Schlitten entsprang, umarmte sie eilig,
Hüllte das Töchterchen dann aus bärenzottigem Fußsack
Und liebkosete viel mit Kuß und bedauerndem Streicheln,

190 Zog dann beid', in der Linken den Sohn, in der Rechten die Tochter, Rasch in das Haus, dem Gesinde des Fahrzeugs Sorge vertrauend.

„Aber wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Geburtstag?" Fragte der Sohn. Schnell tuschte mit winkendem Haupte die Mutter: ,,Still! das Väterchen hält noch Mittagsschlummer im Lehnstuhl! Laß mit kindlichem Kuß dein junges Gemahl ihn erwecken; Dann wird wahr, daß Gott im Schlafe die Seinigen segnet!" Sprach's und führte sie leis' in der Schule gesäubertes Zimmer, Voll von Tisch und Gestühl, Schreibzeug und bezifferten Tafeln, Wo sie an Pflöck' aufhängte die nordische Wintervermummung, 200 Mäntel, mit Flocken geweißt, und der Tochter bewunderten Leibpelz, Auch den Flor, der die Wangen geschirmt, und das seidene Halstuch. Und sie umschloß die Enthüllten mit strömender Thräne der Inbrunst: „Tochter und Sohn, willkommen! ans Herz, willkommen noch einmal! Ihr, uns Altenden Freud', in Freud' auch altet und greiset, Stets einmütigen Sinns und umwohnt von gedeihenden Kindern! Nun mag brechen das Auge, da dich wir gesehen im Amtsrock, Sohn, und dich ihm vermählt, du frisch aufblühendes Herzblatt! Armes Kind, wie das ganze Gesicht rot glühet vom Ostwind!

du Seelengesicht! Denn ich duze dich, weil du es forderst. 210 Aber die Stub' ist warm, und gleich soll der Kaffee bereit sein!" Ihr um den Nacken die Arme geschmiegt, liebkos'te die Tochter: „Mutter, ich duze dich auch, wie die leibliche, die mich geboren; Also geschah's in der Bibel, da Herz und Zunge vereint war; Denn du gebarst und erzogst mir den wackeren Sohn Zacharias, Der an Wuchs und Gemüt, wie er sagt, nachartet dem Vater. Mütterchen, habe mich lieb; ich will auch artiges Kind sein. Fröhliches Herz und rotes Gesicht, das hab' ich beständig, Auch wenn der Ost nicht weht. Mein Väterchen sagte mir oftmals, Klopfend die Wang', ich würde noch krank vor lauter Gesundheit.“ 220 Jezo sagte der Sohn, sein Weib darstellend der Mutter:

„Mütterchen, nehmt sie auf Glauben! So zart und geschlank, wie sie dasteht, Ist sie mit Leib und Seele vom edelsten Kerne der Vorwelt. Daß sie der Mutter nur nicht das Herz abschwaze des Vaters! Komm denn und bring als Gabe den zärtlichsten Kuß zum Geburtstag!" Schalkhaft lächelte drob und sprach die treffliche Gattin: ,,Nicht zur Geburtstagsgabe! Was Besseres bring' ich im Koffer Unserem Vater zur Lust und dem Mütterchen, ohne dein Wissen!" Sprach's und faßte dem Manne die Hand; die führende Mutter Öffnete leise die Thür' und ließ die Kinder hineingehn. 230 Aber die junge Frau, voll Lieb' im lächelnden Antlig,

Hüpfte voraus und küßte den Greis. Mit verwunderten Augen
Sah er empor und hing in der trautesten Kinder Umarmung.

2. Der Herbstgang.

1. Die Bäume stehn der Frucht entladen,
Und gelbes Laub verweht ins Thal;
Das Stoppelfeld in Schimmerfaden
Erglänzt am niedern Mittagsstrahl.
Es kreist der Vögel Schwarm und ziehet;
Das Vieh verlangt zum Stall und fliehet
Die magern Au'n, vom Reife fahl.

2. O, geh am sanften Scheidetage
Des Jahrs zu guter Lezt hinaus
Und nenn' ihn Sommertag und trage
Den lezten, schwer gefundnen Strauß!
Bald steigt Gewölk, und schwarz dahinter
Der Sturm und sein Genoß, der Winter,
Und hüllt in Flocken Feld und Haus.

3. Ein weiser Mann, ihr Lieben, haschet
Die Freuden im Vorüberfliehn,
Empfängt, was kommt, unüberraschet,
Und pflückt die Blumen, weil sie blühn.
Und sind die Blumen auch verschwunden,
So steht am Winterherd' umwunden
Sein Festpokal mit Immergrün.

4. Noch trocken führt durch Thal und Hügel Der längst vertraute Sommerpfad.

Nur rötlich hängt am Wasserspiegel

Der Baum, den grün ihr neulich saht.
Doch grünt der Kamp1) von Winterkorne,
Doch grünt, beim Rot der Hagedorne
Und Spillbeer'n2), unsre Lagerstatt!

5. So still an warmer Sonne liegend,
Sehn wir das bunte Feld hinan
Und dort, auf schwarzer Brache pflügend
Mit Lustgepfeif', den Ackermann;
Die Krähn in frischer Furche schwärmen
Dem Pfluge nach und schrein und lärmen,
Und dampfend zieht das Gaulgespann.

1) Ein mit Graben oder Zaun eingefaßtes Stück Feld. 2) Die roten Beeren des Spillbaums, Pfaffenhütlein genannt.

6. Natur, wie schön in jedem Kleide!
Auch noch im Sterbekleid wie schön!
Sie mischt in Wehmut sanfte Freude
Und lächelt thränend noch im Gehn.
Du, welkes Laub, das niederschauert,
Du, Blümchen, lispelst: Nicht getrauert!
Wir werden schöner auferstehn!

3. Neujahrslied.

1. Des Jahres lezte Stunde
Ertönt mit ernstem Schlag:
Trinkt, Brüder, in die Runde,
Und wünscht ihm Segen nach.
zu jenen grauen Jahren
Entfliegt es, welche waren;

Es brachte Freud' und Kummer viel
Und führt' uns näher an das Ziel.

2. In stetem Wechsel kreiset

Die flügelschnelle Zeit:
Sie blühet, altert, greiset,

Und wird Vergessenheit;

Kaum stammeln dunkle Schriften

Auf ihren morschen Grüften.

Und Schönheit, Reichtum, Ehr' und Macht

Sinkt mit der Zeit in öde Nacht.

3. Sind wir noch alle lebend,

Wer heute vor dem Jahr,
In Lebensfülle strebend,
Mit Freunden fröhlich war?
Ach, mancher ist geschieden
Und liegt und schläft in Frieden!
Klingt an, und wünschet Ruh hinab,
In unsrer Freunde stilles Grab.

4. Wer weiß, wie mancher modert
Ums Jahr, versenkt ins Grab!
Unangemeldet fodert

Der Tod die Menschen ab.

Troz lauem Frühlingswetter

Wehn oft verwelkte Blätter.

Wer von uns nachbleibt, wünscht dem Freund

Im stillen Grabe Ruh und weint.

5. Der gute Mann nur schließet Die Augen ruhig zu;

Mit frohem Traum versüßet

Ihm Gott des Grabes Ruh.

Er schlummert kurzen Schlummer
Nach dieses Lebens Kummer;

Dann weckt ihn Gott, von Glanz erhellt,
Zur Wonne seiner bessern Welt.

6. Auf, Brüder, frohes Mutes,
Auch wenn uns Trennung droht!
Wer gut ist, findet Gutes

Im Leben und im Tod!
Dort sammeln wir uns wieder
Und singen Wonnelieder.

Klingt an, und: Gut sein immerdar!

Sei unser Wunsch zum neuen Jahr!

Ludwig Hölty.

Hölth wurde 1748 zu Mariensee im Hannöverschen geboren, war wie Voß Mitbegründer des Hainbundes, erkrankte aber bald nach Vollendung seiner Studien und starb noch nicht 28 Jahre alt in Hannover 1776.

Er war eine infolge seines unheilbaren Leidens eigentümlich geartete Natur, in der sich mit der Lust und Freude an einem reinen, ungetrübten Dasein tiefe Schwermut verband. Seine Lieder, welche sich durch Einfachheit in der Form auszeichnen, sind daher Ausdrücke froher Gefühle, süßer Träume und wehmütiger Ahnungen; am bekanntesten ist Der alte Landmann an seinen Sohn: „Üb' immer Treu und Redlichkeit“ Vergl. Frühlingslied, Teil I, 260.

1. Das Landleben.

1. Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh! Jedes Säuseln des Baums, jedes Geräusch des Bachs, Jeder blinkende Kiesel

Predigt Tugend und Weisheit ihm.

2. Jedes Schattengesträuch ist ihm ein heiliger Tempel, wo ihm sein Gott näher vorüberwallt, Jeder Rasen ein Altar,

Wo er vor dem Erhabnen kniet.

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