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4. Nicht die Cypresse (denn nur traurig ist sie;
Du bist traurig und schön, du ihre Schwester)
Des pflanze dich an das Grab der Freund mir,
Weide der Thränen!

5. Jünglinge schlummern hin, und Greise bleiben
Wach. Es schleichet der Tod nun hier, nun dort hin,
Hebt die Sichel, eilt, daß er schneide, wartet

Oft nicht der Ähre.

6. Weiß auch der Mensch, wann ihm des Todes Ruf schallt, Seine Antwort darauf? Wer dann mich klagen

Hört, verzeih' dem Thoren sein Ach! Denn glücklich
War ich durch Frohsinn!

9. Hermann und Thusnelda.

1. Ha, dort kommt er mit Schweiß, mit Römerblute,
Mit dem Staube der Schlacht bedeckt! So schön war
Hermann niemals!
So hat's ihm

Nie von dem Auge geflammt!

2. Komm! ich bebe vor Lust! reich mir den Adler Und das triefende Schwert! Komm, atm' und ruh hier Aus in meiner Umarmung

Von der zu schrecklichen Schlacht!

3. Ruh hier, daß ich den Schweiß der Stirn abtrockne Und der Wange das Blut! Wie glüht die Wange! Hermann, Hermann! so hat dich

Niemals Thusnelda geliebt!

4. Selbst nicht, da du zuerst im Eichenschatten Mit dem bräunlichen Arm mich wilder faßtest! Fliehend blieb ich und sah dir

Schon die Unsterblichkeit an,

5. Die nun dein ist! Erzählt's in allen Hainen,

Daß Augustus nun bang mit seinen Göttern

Nektar trinket, daß Hermann,

Hermann unsterblicher ist!

6.,,Warum lockst du mein Haar? Liegt nicht der stumme,

Tote Vater vor uns? O, hätt' Augustus

Seine Heere geführt, er

Läge noch blutiger da!"

7. Laß dein sinkendes Haar mich, Hermann, heben, Daß es über dem Kranz in Locken drohe!

Siegmar1) ist bei den Göttern!

Folg' du, und wein' ihm nicht nach!

10. Unsere Sprache.

Epigramm.

Daß keine, welche lebt, mit Deutschlands Sprache sich

In den zu kühnen Wettstreit wage!

Sie ist, damit ich's kurz, mit ihrer Kraft es sage,
An mannigfalter Uranlage

Zu immer neuer und doch deutscher Wendung reich;
Ist, was wir selbst in jenen grauen Jahren,

Da Tacitus uns forschte, waren,

Gesondert, ungemischt und nur sich selber gleich.

Lessing.

Gotthold Ephraim Lessing war den 22. Januar 1729 als Sohn eines Geistlichen zu Kamenz in der Laufig geboren. Er besuchte vom 12. bis 17. Jahre die Fürstenschule zu Meißen (s. Teil IV, 1. 133 f.), bezog dann 1746 die Universität Leipzig, um Theologie zu studieren, widmete sich aber vorzugsweise philologischen und ästhetischen Studien und wandte sein Hauptinteresse der schönen Litteratur und dem Theater zu. Das letztere begeisterte den jungen fleißigen Studenten so, daß er, um es besuchen zu können, sich Entbehrungen auferlegte, französische Stücke für die Theaterleitung überseßte und bald auch eigene Lustspiele dichtete. 1751 verließ er Leipzig und ging nach Wittenberg und von da nach Berlin, wo er mit dem Philosophen Moses Mendelssohn und mit Nicolai in Verbindung trat und namentlich eine umfangreiche kritische Thätigkeit entfaltete. Im Herbst 1755 ging er wieder nach Leipzig zu neuer Wirksamkeit für die Bühne, begleitete einen reichen jungen Mann auf einer weit geplanten Reise, die in Holland wegen des beginnenden Krieges abgebrochen werden mußte, und kehrte zurück, um in Leipzig wieder rastloser Arbeit sich zu widmen. Nach zwei Jahren trieb es ihn wiederum nach Berlin, wo er vom Januar 1759 an die Litteraturbriefe herausgab. In diesen kämpfte er namentlich gegen Gottsched, gegen die einseitigen und falschen Kunstanschauungen der französischen

1) Hermanns Vater, der in der Schlacht gefallen war, Segimer.

Klassiker, wie sie durch sklavische Nachahmung in Deutschland zur Herrschaft gelangt waren, gegen schlechte Übersezer, religiöse Schwärmerei u. a. Im Jahre 1760 wurde er Gouvernements - Sekretär bei dem General von Tauenzien in Breslau, wo er das Soldatenleben kennen lernte und seine,,Minna von Barnhelm" schrieb. 1765 wandte er sich abermals nach Berlin und veröffentlichte in den beiden folgenden Jahren seinen Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. In diesem Werke untersuchte er, welche Aufgabe jede der beiden Künste hat, bekämpfte die in jener Zeit mit Vorliebe gepflegte beschreibende Poesie, in der es der Dichter dem Maler gleichzuthun bestrebt war, und wies an Homer nach, daß die Poesie nicht das Ruhende beschreiben, sondern nur durch die Erzählung der Handlung schildern dürfe.

Im April 1767 ging Lessing, der sich nirgends Rast gönnen mochte, nach Hamburg, um dort eine Stellung als Dramaturg an dem neubegründeten deutschen Nationaltheater zu übernehmen. In seiner,,Hamburgischen Dramaturgie“ besprach er hier die aufgeführten Bühnenstücke und knüpfte an seine Recensionen die feinsinnigsten Bemerkungen über die dramatische Dicht- und Darstellungskunst. Aber nur zwei Jahrgänge seiner Dramaturgie konnten erscheinen, da das Nationaltheater sich schon im Winter 1768 wieder auflöste. Endlich im Frühjahr 1770 fand er eine dauernde Stellung, indem er von dem Erbprinzen von Braunschweig als Bibliothekar und Hofrat nach Wolfenbüttel berufen wurde. Hier entstanden neben andern Werken seine ,,Emilia Galotti" und sein „Nathan".) Im Jahre 1776 verheiratete er sich, verlor aber seine edle Frau sehr bald wieder. Er selbst starb, nachdem er infolge seiner aufreibenden Thätigkeit mehrere Jahre hindurch mit körperlichen Leiden zu kämpfen gehabt hatte, bei einem Besuche in Braunschweig am 15. Februar

1781.

Durch seine kritischen Werke hat Lessing, indem er bei allen seinen ästhetischen Forderungen unmittelbar vom Griechentume, für die Fabel von Äsop, für das Epos von Homer, für das Drama von der Poetik des Aristoteles, ausging, das falsche französische Vorbild für immer beseitigt und unsere Litteratur zu den reinen Quellen der unverfälschten altklassischen Kunst hingeführt. In seinen dichterischen Werken ist er namentlich für das Drama bahnbrechend geworden; er gab nicht nur in seiner Hamburgischen Dramaturgie deutliche und klare Vorschriften für den Bau des deutschen Dramas, sondern er schuf selbst Dramen, die noch heute als Muster und Vorbild gelten. In seiner „Minna von

1) Mit „Nathan dem Weisen“ wurde der moderne dramatische Vers eingeführt, nämlich der jambische Fünffüßler oder Quinar, welcher zehnoder elffilbig ist und des Reimes entbehrt; indem Goethe und Schiller dem Vorgange Lessings folgten, wurde dieser Vers in der Dramatik herrschend. Versform: ~_~_~

Barnhelm" gab er uns das erste wirkliche deutsche Lustspiel, in ,,Emilia Galotti" das erste Trauerspiel, in Nathan dem Weisen" das erste Schauspiel.

Die Hauptwerke Lessings sind folgende:

A. Kritische: 1. Die Abhandlungen über die Fabel 1759, 2. Die Litteraturbriefe 1759, 3. Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie 1766, 4. Die Hamburgische Dramaturgie 1767-1769.

B. Dichterische: 1. Sinngedichte, 2. Drei Bücher Fabeln, 3. Dramen: a) Lustspiele: „Der junge Gelehrte", „Der Freigeist", „Der Misogyn“ und besonders,,Minna von Barnhelm" 1767. b) Trauerspiele: „Miß Sara Sampson" 1755, „Philotas“ 1759, „Emilia Galotti" 1772. c) Nathan der Weise", ein dramatisches Gedicht, 1779.

Von Lessing enthalten die früheren Bände folgendes: Der Wolf auf dem Todbette I, 166. Der Rabe und der Fuchs Der tugendhafte Wolf Zeus und das Pferd - Der Rangstreit der Tiere II, 155-158.

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Fabeln.

1. Der kriegerische Wolf.

Mein Vater, glorreichen Andenkens, sagte ein junger Wolf zu einem Fuchse, das war ein rechter Held! Wie fürchterlich hat er sich nicht in der ganzen Gegend gemacht! Er hat über mehr als zweihundert Feinde nach und nach triumphiert und ihre schwarzen Seelen in das Reich des Verderbens gesandt. Was Wunder also, daß er endlich doch einem unterliegen mußte!"

So würde sich ein Leichenredner ausdrücken, sagte der Fuchs; der trockene Geschichtschreiber aber würde hinzusehen: Die zweihundert Feinde, über die er nach und nach triumphiert, waren Schafe und Esel; und der eine Feind, dem er unterlag, war der erste Stier, den er sich anzufallen erkühnte."

2. Der Knabe und die Schlange.

Ein Knabe spielte mit einer zahmen Schlange. „Mein liebes Tierchen, sagte der Knabe, ich würde mich mit dir so gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht benommen wäre. Ihr Schlangen seid die boshaftesten, undankbarsten Geschöpfe! Ich habe es wohl gelesen, wie es einem armen Landmann ging, der eine, vielleicht von deinen Ureltern, die er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig aufhob und sie in seinen erwärmenden Busen steckte. Kaum fühlte sich die Böse wieder, als sie ihren Wohlthäter biß; und der gute, freundliche Mann mußte sterben."

„Ich erstaune, sagte die Schlange. Wie parteiisch eure Geschichtschreiber sein müssen! Die unsrigen erzählen diese Historie ganz anders.

Dein freundlicher Mann glaubte, die Schlange sei wirklich erfroren, und weil es eine von den bunten Schlangen war, so steckte er sie zu sich, ihr zu Hause die schöne Haut abzustreifen. War das recht?"

„Ach, schweig nur, erwiderte der Knabe. Welcher Undankbare hätte sich nicht zu entschuldigen gewußt!"

„Recht, mein Sohn! fiel der Vater, der dieser Unterredung zugehört hatte, dem Knaben ins Wort. Aber gleichwohl, wenn du einmal von einem außerordentlichen Undanke hören solltest, so untersuche ja alle Umstände genau, bevor du einen Menschen mit so einem abscheulichen Schandflecke brandmarken lässest. Wahre Wohlthäter haben selten Undankbare verpflichtet; ja, ich will zur Ehre der Menschheit hoffen nie= mals. Aber die Wohlthäter mit kleinen, eigennüßigen Absichten, die find es wert, mein Sohn, daß sie Undank anstatt Erkenntlichkeit einwuchern."

3. Der Hamster und die Ameise.

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Ihr armseligen Ameisen, sagte ein Hamster. Verlohnt es sich der Mühe, daß ihr den ganzen Sommer arbeitet, um ein so Weniges einzusammeln? Wenn ihr meinen Vorrat sehen solltet!"

,,Höre, antwortete eine Ameise, wenn er größer ist, als du ihn brauchst, so ist es schon recht, daß die Menschen dir nachgraben, deine Scheuern ausleeren und dich deinen räuberischen Geiz mit dem Leben büßen lassen!"

4. Der Esel und das Jagdpferd.

Ein Esel vermaß sich, mit einem Jagdpferde um die Wette zu laufen. Die Probe fiel erbärmlich aus, und der Esel ward ausgelacht. Ich merke nun wohl, sagte der Esel, woran es gelegen hat. Ich trat mir vor einigen Monaten einen Dorn in den Fuß, und der schmerzt mich noch."

5. Der Wolf und der Schäfer.

Ein Schäfer hatte durch eine grausame Seuche seine ganze Herde verloren. Das erfuhr der Wolf und kam, seine Kondolenz abzustatten.

„Schäfer, sprach er, ist es wahr, daß dich ein so grausames Unglück betroffen? Du bist um deine ganze Herde gekommen? Die liebe, fromme, fette Herde! Du dauerst mich, und ich möchte blutige Thränen weinen."

„Habe Dank, Meister Jsegrim, versezte der Schäfer. Ich sehe, du hast ein sehr mitleidiges Herz.“

„Das hat er auch wirklich, fügte des Schäfers Hylax hinzu, so oft er unter dem Unglücke seines Nächsten selbst leidet."

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