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HERAUSGEGEBEN

VON

G. KÖRTING UND E. KOSCHWITZ.
IV. BAND. 5. (SCHLUSS-) HEFT.

GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG

DER

MUNDART VON MONTPELLIER

(LANGUEDOC)

VON

WILHELM MUSHACKE.

1874

HEILBRONN.

VERLAG VON GEBR. HENNINGER.

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Geschichtliche Entwicklung der Mundart von

Montpellier (Languedoc).

Von allen romanischen Idiomen hat sich das Provenzalische zuerst, und zwar in der Lyrik, eine Kunstsprache geschaffen, die ihren spezifisch einheitlichen Charakter einem einheitlichen Ursprung verdankt. Bestimmend, wie im nördlichen Gallien die francische, ist für die ältere Schwester im Süden die Mundart von Limousin geworden; sie bildet die Quelle der Troubadoursprache, die dreita parladura, und musste von den Meisten, die Anwartschaft auf die dreita manieira de trobar machten, schulmässig erlernt werden. Kann es daher Wunder nehmen, wenn zuweilen sogar die Heroen unter den occitanischen Dichtern unwillkürlich Formen einfliessen lassen, die von den rein »klassischen« abweichen? Und wenn R. Vidal solche u. A. bei Bernhard von Ventadorn belegt und tadelt, so ist ihre Entstehung keineswegs auf Nachlässigkeit oder Sprachverderbnis zurückzuführen, sie verdienen vielmehr als dialektische Eigentümlichkeiten die höchste Beachtung.

Weit stärker als in der Lyrik, die als Kunstsprache sich doch immerhin im Allgemeinen ihrer Aufnahme verschloss, begegnen solche Formen, bald mehr, bald minder, in den volkstümlicheren Denkmälern, Epen, Legenden u. s. w., so dass bei manchen der dialektische Sprachcharakter sogleich in die Augen springt. Das Erlöschen der Kunstsprache zwang naturgemäss die provenzalische Muse, sich in das bescheidene mundartliche Gewand einzuhüllen, und wie hoch man den Aufschwung auch schätzen mag, den sie in der Neuzeit wieder genommen, wie hoch die Schönheit und Farbenpracht, die sie immer mehr entfaltet, sie hat es zwar allmälig verfeinern, aber noch nicht ablegen können.

Diese Thatsachen genügen, um die Bedeutung der Dialekte für die literarischen Erzeugnisse des südlichen Frankreichs, beides, in alter und neuer Zeit, zu verstehen. Berücksichtigt man ferner, welch' wichtige Resultate bereits dialektische Forschungen im Allgemeinen für die Linguistik ergeben haben, eine wie einflussreiche Stellung endlich das Provenzalische in der romanischen Sprachwissenschaft ein

Französische Studien. IV. 5.

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nimmt, so muss eine gründliche Untersuchung der einzelnen südfranzösischen Mundarten in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien dringend geboten erscheinen.

Leider ist das Provenzalische in dieser Hinsicht, namentlich im Vergleich zur nördlichen Schwestersprache, wo man die Kette der dialektischen Untersuchungen an manchen Stellen als schon geschlossen ansehen kann, allzu stiefmütterlich behandelt worden. Zwar wurden von den neueren Mundarten bereits einige in musterhafter Weise grammatisch behandelt, es sei hier nur erinnert an die » Grammaire limousine<< von Chabaneau (Revue des langues Romanes II ff.), Aymeric >> le dialecte rouergat « Zeitschrift für rom. Philol. III 321 ff., oder an den » Sous-dialecte du Rouergue« von Constans für die ältere Sprachperiode indessen fehlt es unseres Wissens an ähnlichen zusammenhängenden Arbeiten noch ganz, und dieser Mangel muss um so tiefer empfunden werden, als eine genaue Durchforschung der einzelnen Mundarten in ihrem mittelalterlichen Zustande namentlich für die schriftlichen Denkmäler aus dieser Zeit, z. B. bei der Entscheidung über Ort und Zeit ihrer Abfassung, von grosser Wichtigkeit sein wird.

Nachstehend ist nun der Versuch gemacht worden, den historischen Entwicklungsgang eines der provenzalischen Dialekte darzulegen. Die Wahl war hier nicht schwer. Der in manchen Punkten scharf ausgeprägte konservative Sprachcharakter, die Reichhaltigkeit des überlieferten Materials entschied zu Gunsten der Mundart von Montpellier, um so mehr, als diese Stadt auf dem besten Wege ist, die geistige Metropole des französischen Südens zu werden hier ist der Sitz der Société pour l'étude des langues romanes, hier tagen die Félibres du Languedoc, und mit der Errichtung eines Lehrstuhles für die heimatliche Philologie an der faculté des lettres ist diese Thatsache so zu sagen offiziell anerkannt worden.

Der Schwerpunkt unserer Untersuchung liegt in der älteren Sprache. Es versteht sich somit von selbst, dass die eingeschlagene Methode der von Chabaneau und Constans befolgten entgegengesetzt sein wird, indem bei beiden die neuere Mundart das Hauptinteresse beansprucht. Die letztere sollte ursprünglich nur dann in Betracht kommen, wenn es die älteren Laut- und Flexionsformen zu ihrer Erklärung und Stütze unbedingt erforderten. Schliesslich entschlossen wir uns indessen dazu, dieselben in ihrer Gesammtheit bis in die Gegenwart weiter zu verfolgen, so weit das benutzte Material dies ermöglichte. Da dieses jedoch nur ein beschränktes ist, uns auch die Gelegenheit fehlte, dem lebenden Patois persönlich näher zu treten, so kann in diesem Punkte auf Vollständigkeit kein Anspruch erhoben werden; immerhin erlaubten aber die zahlreichen Reime eine Reihe sicherer Schlüsse zu ziehen.

Hiernach möge man die vorliegende Abhandlung beurteilen! Aus dem bereits Gesagten folgt, dass literarische Denkmäler nicht dazu angethan sind, zuverlässiges Material für das Studium der älteren

Entwicklungsperiode unseres Dialekts zu liefern. Anders verhält es sich mit denjenigen, die aus den Bedürfnissen des öffentlichen und häuslichen Lebens ihren Ursprung herleiten: Lehns- und Diensteide, Testamente, Quittungen, Inventare, Kaufakten, kurz die verschiedentlichen Rechtsurkunden sind die sichersten Quellen dialektischer Untersuchungen. Freilich gilt es auch hier vorsichtig zu sein! Hat man doch häufig mit einer schulmässigen, klassisch angehauchten Orthographie der Notare und Kopisten zu rechnen, die von dem wirklichen Sprachzustande in wesentlichen Punkten abweicht und namentlich durch ihren ausgesprochen konservativen Charakter auffällt. Diese schreibkünstlerischen Schrullen würden die Untersuchung sehr erschweren, wenn sich nicht der Kopist manchmal vergessen und, natürlich gegen seinen Willen, eine phonetische Orthographie angenommen hätte; seine Nachlässigkeit aber ist unser Glück; denn sie ermöglicht einen Blick hinter die Coulissen zu werfen und den wahren Lautbestand zu erfahren.

Mit der Zeit jedoch geriet das überlieferte System in Verfall, so dass sich aus den jüngeren Urkunden bereits merkliche Abweichungen verzeichnen lassen, die durch den Untergang der Trou badoursprache und das stetig zunehmende Eindringen des Französischen veranlasst wurden, und als letzteres gar nach der Mitte des 16. Jahrhunderts ausschliesslich bei der Abfassung von Urkunden Verwendung fand, ging die schulmässige Orthographie ganz in die Brüche.

So nur lässt sich die überraschende Thatsache verstehen, dass die jüngsten Urkunden (15. u. 16. Jahrh.) in ihrem Sprachcharakter von den ältesten (11. u. 12. Jahrh.) weniger abweichen, als von den zeitlich näherliegenden Gedichten aus dem 17. Jahrhundert.

Fremdsprachlichen Einflüssen hat sich der Dialekt von Montpellier ebenso wenig entziehen können, wie die übrigen südfranzösischen Mundarten. Vor allem sind die massenhaft eingedrungenen französischen Formen dazu angethan, denselben zum Patois herabzudrücken und dieses wiederum der Vernichtung preis zu geben. Die hierdurch eingetretene Sprachverderbnis ist natürlich in der Stadt selbst grösser als auf dem Lande, und auch die neueren Dichtungen haben mehr oder weniger an ihr zu leiden. Klingt es nicht geradezu ironisch, wenn A. Guiraud in der Font Putanella (Rev. d. 1. r. IV 153) das von dem Theaterdirektor gegen die Aufführung des Stückes gemachte Bedenken:

>>Il est à craindre, toutefois
Que ce baragouin de patois
N'ait un effet désagréable.

Ceux du pays l'entendront bien

Mais l'étranger n'y comprend rien.«

durch den cap de jouven« Ratalet mit den Worten beschwichtigt: >>Aco's aco que vous chagrina?

Nostre patouès es presque tout francés

E, s'un mot n'es pas ben coumpres,

Un vesi coumplesen l'expliqua à sa vesina.<<

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