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Dem Französischen gegenüber ist der Einfluss der anderen Mundarten kaum von Belang. Nicht unerwähnt bleibe indessen, dass eine Anzahl Provinzialismen in die literarischen Denkmäler der Neuzeit Eingang gefunden hat.

Selbstverständlich reicht unsere Mundart weit über das Weichbild der Stadt hinaus und ist an lokalen Verschiedenheiten reich, die mit dem Grade der örtlichen Entfernung zunehmen, um den Uebergang zu anderen Dialekten zu vermitteln. So weit wir solchen lokalen Abweichungen in den Urkunden begegneten, sind sie berücksichtigt worden, ein Eingehen auf ähnliche Erscheinungen in neueren aus der Umgebung stammenden Dichtungen fand indessen nur selten statt.

Im Folgenden geben wir die Liste der benutzten Texte, mit Beifügung einiger Notizen über ihre Bezeichnung, ihren Inhalt, Wert, event, auch Verfasser.

Die ältesten Urkunden enthält eine Sammlung, die sich selbst den Namen >>Liber instrumentorum memoralium« gibt, die man später als >> Mémorial des Nobles « bezeichnete, eine Bezeichnung, die, als die gewöhnliche, auch hier beibehalten ist in der Abkürzung >>M.«. Für den Historiker wie für den Philologen ist dies Sammelwerk von gleich grosser Wichtigkeit, weil es beinahe die einzige Quelle für die Geschichte und Sprache Montpelliers vor dem Beginne des 13. Jahrhunderts ausmacht. Die ersten Notizen über die Handschrift gab F. R. Cambouliu im Jahrbuch III 359: »L'écriture et divers autres indices prouvent que le manuscrit date du commencement du XIII® siècle, époque où la seigneurie de Montpellier passa, comme on sait, à la maison d'Aragon. Il est probable même que ce fut en prenant possession de leur nouveau fief, que les princes de cette maison firent ainsi compiler dans un nouveau registre les pièces de date antérieure qu'ils trouvèrent dans les archives et qu'il leur parut utile de conserver<<. Von den einzelnen Urkunden stammen die ältesten aus dem ersten Viertel des 11. Jahrhunderts, die letzten aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts. Die Ordnung ist keine chronologische, sondern eine sachliche. Von 613 ist ungefähr ein Fünftel in der Volkssprache abgefasst, und diese sind von A. Montel veröffentlicht worden: Rev. d. 1. r. IV 480-501, V 40-79; 237-273, VI 39-67. Wir legen diese Ausgabe zu Grunde und citieren nach der Nummer der Urkunden 1). In ihrer Mehrzahl sind es Gelöbnisse der Treue, welche Vasallen ihrem Lehnsherrn leisten, und da diese an verschiedenen Orten wohnten, so erklären sich die mannigfaltigen Varianten der Sprache als lokale Verschiedenheiten.

Bei weitem die Meisten und für die Geschichte des Gemeinwesens von Montpellier wichtigsten Aktenstücke sind zu einem grossen

1) Für gewöhnlich sind die Belege nach der Seitenzahl gebracht worden, und nur das Gegenteil wird hier angemerkt.

Manuskripte vereinigt, dessen einzelne Hefte zu den verschiedensten Zeiten verfasst und geschrieben worden sind. Eine unbekannte Hand hat auf eins der ersten Blätter geschrieben: Thalamus parvus, unter welcher Bezeichnung diese voluminöse Sammlung immer citiert wird (T). Eine Gesammtausgabe veranstaltete die Société archéologique de Montpellier 1840, doch verdient hier gleich bemerkt zu werden, dass die Ausgabe vom philologischen Standpunkte nicht zu den besten zählt und einer Kollation dringend bedarf.

Aus den Trümmern des Westgothenreiches hervorgegangen schwang sich Montpellier nach dem Untergange der Karolinger unter der Herrschaft der Wilhelme zu einer der blühendsten Städte des südlichen Frankreichs auf. Als 1202 der letzte dieses Herrscherhauses starb, brach eine Revolution zu Gunsten der ältesten Tochter desselben aus. Diese vermählte sich 1204 mit Peter von Aragonien, und beide beschworen in demselben Jahre die » Consuetudines et Libertates Ville Montispessulani«, eine carta von 123 Artikeln, die 1205, 1212, 1221, 1223 wichtige Ergänzungen empfing. Alle diese lateinischen Originalurkunden wurden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in die Volkssprache übertragen. Die Uebersetzung führt den Titel: costumas e las franquesas de Montpeylier«, und sie, erhalten in einer Handschrift aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, bildet mit dem lateinischen Originale den ersten Teil des Thalamus (1-91), gewöhnlich als Coutumes citiert, welche Bezeichnung wir adoptieren (Cout.).

>> Las

Von derselben Hand rühren die ersten der Urkunden her, welche den zweiten Teil des Thalamus parvus ausmachen und die unter dem Gemeinnamen der Etablissements (Et) aufgeführt werden. Sie entrollen ein erfreuliches Bild von den municipalen Institutionen und dem öffentlichen Leben der Kommune von Montpellier unter der Herrschaft der Königsgeschlechter von Aragonien, und seit 1383 definitiv und für immer Frankreich, ein erfreuliches, sagen wir, weil hier ein freiheitlich organisiertes und wohlgeordnetes Staatsleben erscheint, wodurch auch Montpellier sich zählen darf zu den »républiques locales sous le patronage d'un seigneur« (Guizot: Histoire de la civilisation en France V 221). Wichtig, wie für den Historiker, ist diese grosse gegen 150 Folioseiten umfassende Sammlung (in der Ausgabe des T 92-244) aber namentlich für den Philologen. Von einigen wenigen lateinischen oder französischen abgesehen sind sämmtliche Urkunden in der Volkssprache verfasst, und die einzelnen Handschriften, in denen sie enthalten sind, lassen uns die Entwicklungsgeschichte der Sprache von Montpellier vom Ende des 13. bis Ende des 16. Jahrhunderts verfolgen: die jüngste Urkunde stammt aus dem Jahre 1584, die ältesten sind zwar schon im 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts abgefasst, aber nicht im Original erhalten, in der Ueberlieferung überwiegt die Sprache des späteren (Ende des 13. und 14. Jahrhunderts) Kopisten. In den Urkunden aus dem 15. u. 16. Jahrhundert tritt der Einfluss des Französischen immer deutlicher zu Tage.

Mit den Etablissements hängen die Serments, der dritte Teil von T, eng zusammen. Wie der Name besagt, ist es ein Verzeichniss von Eiden, welche die Municipal beamten bei ihrem Amtsantritt zu leisten hatten. Die Sprache ist ausschliesslich der Dialekt (T 246-312). Der grössere Teil rührt in der Sammlung des Thalamus von ein und derselben Hand her, deren Schriftzüge auf den Anfang des 14. Jahrhunderts hinweisen, während sich in einem kleineren der schriftliche Charakter des 15. und 16. Jahrhunderts ausprägt.

Den vierten Teil von T bildet die Chronique Romane (Chr. 313 bis 475). Sie kennzeichnet die Sprache von Montpellier von der Mitte des 14. bis gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Blätter der Kollation, auf denen sie steht, sind von mehreren Händen beschrieben; die ältesten zugleich mit dem einleitenden Kalender, der 1333 verfasst wurde. Es findet sich hier eine Aufzählung aller der Ereignisse, welche auf die Geschicke der Herrschaft von Montpellier eingewirkt haben und für den Bürger dieser Stadt von näherem Interesse sein mussten, oder, wie einer der Herausgeber sich ausdrückt: >> des événements, qui se sont succédés dans notre ville depuis le XIe siècle, des querelles de nos pères, de leurs passions, de leurs joies, de leurs malheurs, des gestes de leur souverain et de leurs consuls, de la fondation de leurs monuments religieux et scientifiques«.

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Der Thalamus schliesst mit der Chronique française, einer Fortsetzung der Chronique Romane; wir brauchen indessen auf sie nicht weiter einzugehen.

Nach T und M kommen für die ältere Sprachperiode namentlich die folgenden vier Texte aus den Archiven von Montpellier in Betracht, die von dem verdienten Stadtarchivare Achille Montel in der Rev. d. 1. r. Bd. II-IV herausgegeben wurden1).

1. Le Livre des Priviléges de la Commune Clôture (P. CI) Rev. II 86-108. Der grösste Teil ist 1264 verfasst und für die Sprache von grosser Wichtigkeit, weil sie hier die Mitte hält zwischen M (Anfang des 13. Jahrhunderts) und T (Ende des 13. Jahrhunderts u. folg.); kleinere Ergänzungen traten 1304, 1309, 1369 hinzu. Den Inhalt der drei übrigen Texte bilden Inventare. Die Namen besagen das Nähere. Sie charakterisieren den Sprachzustand unserer Mundart im 14. Jahrhundert.

2. L'Inventaire des Archives du Consulat (C) Rev. III 9—67. Es verdankt seine Entstehung der Notwendigkeit, den wachsenden absolutistischen Gelüsten der Krone gegenüber nachdrücklich an die städtischen Privilegien zu erinnern. Dieses Verzeichnis, dessen charakteristischer Anfang lautet: »Aysso es l'eventari dels prevelegis e de las cartas de las franquezas de la vila de Monpeslier<< ist uns in einer Handschrift aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erhalten. Seinen Zweck teilt es mit den beiden letzten der Inventare,

1) Wir citieren nach der fortlaufenden Nummer der kleineren Abschnitte.

die man als zusammengehörig betrachten kann und die auch in derselben Handschrift überliefert sind, nämlich:

3. L'Inventaire des Archives de la Commune Clôture (Cl), Rev. III 146-176, entstanden 1377.

4. Le Catalogue des Chapellenies (Ch), Rev. III 292-310, IV 5-43. 1378 verfasst. Ueber den Namen bemerkt der Herausgeber: »>On nommait Chapellenies des fondations de rente perpétuelle, établies dans le but de faire dire des prières pour les morts. Je n'ai pas besoin d'ajouter que ces établissements n'avaient lieu, dans le plus grand nombre des cas, qu'en vertu de clauses testamentaires et d'après les indications des défunts«.

Zur Darstellung der älteren Sprachverhältnisse wurde ferner eine Reihe von Urkunden benutzt, die, mit lateinischen untermischt, als >> Pièces Justificatives < Anhänge zu den einzelnen Bänden von Germain's >>Histoire du Commerce de Montpellier« (2 Bd. G1. G2) und >> Histoire de la Commune de Montpellier« (3 Bd. Co1. Cos. Der 2. Band enthält nur lateinische Urkunden) bilden und zu den verschiedensten Zeiten, indessen nicht vor Ende des 13. Jahrhunderts, verfasst sind.

Nicht unerwähnt bleibe schliesslich, dass die » Lois Maritimes antérieures au XVIII° siècle« von Pardessus (6 Bände) uns kein neues Material lieferten; sie enthalten an Urkunden aus Montpellier nur im 4. Band 253-256 einige Auszüge aus den Coutumes und Etablissements des Thalamus Parvus.

Um einen Einblick in die neueren Sprachverhältnisse zu gewinnen, benutzten wir in möglichster Vollständigkeit das ebenso reichhaltige wie gewählte, die Sprache von Montpellier betreffende Material, wie es durch die höchst dankenswerten Bestrebungen der Société pour l'étude des langues romanes in den einzelnen Bänden der Rev. d. 1. r. auch dem Fremden bequem zugänglich gemacht ist. Speziell wurden die folgenden, in der chronologischen Reihenfolge ihrer Verfasser aufgeführten Werke herangezogen:

Aus dem 17. Jahrhundert: Euvres choisies de Roudil, ed. L. Gaudin Rev. I 249-265; 334-346 (Rou). Dieselben zeichnen sich vor anderen dialektischen Erzeugnissen durch die grosse Reinheit der Sprache aus. » C'est le patois naturel et fluide, élégant et familier à la fois, qui était alors d'un usage général dans les meilleures sociétés de Montpellier, à une époque, où bien peu de privilégiés encore se trouvaient initiés à la langue française«. Roudil, 1612 geboren, starb wahrscheinlich 1684. Die Ausgabe umfasst 10 Gedichte, in denen namentlich die genau durchgeführte Accentbezeichnung bei e von Wichtigkeit ist: è bezeichnet den offenen, é den geschlossenen Laut1). Die Titel der einzelnen Stücke sind: I Baroun de Caravetas. II Pintoulet. III Satira contra la Razou de l'home. IV Einige

1) Es wird nach den Zeilen der einzelnen Nummern citiert.

Sonetten. V Eine Bearbeitung der Horazischen Ode: Audivere Lyce. VI Epitapha Histouriqua de Dona Catarina, Baralhèira de Pignan (in Pignan starb der Dichter). VII Zwei Epigramme. VIII Lous Coumpagnous Arches. IX Lou Testamen daou Sage (des bekannten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebenden Dichters). X Epitapha daou Sage Su las fouliès daou Mèma. (Die Fouliès sind das Hauptwerk von Sage.)

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Dem Ende des 17. und dem Anfange des 18. Jahrhunderts gehören die >> Poésies patoises de Nicolas Fizes « an, ebenfalls herausgegeben von L. Gaudin. Fizes war Professor der Mathematik an der Universität von Montpellier, wo er 1718 starb. Seine literarische Thätigkeit fällt zwischen 1679-1716. Sorgfältigkeit in der Wahl der Ausdrücke und grammatische Reinheit zeichnen seine Gedichte aus, von denen die Opera de Frontignan (fr) Rev. II 223-281 hervorzuheben ist. Die anderen Dichtungen sind satirischen Inhalts (fi) Rev. III 92-112; 220-248.

Das 18. Jahrhundert kennt als den bedeutendsten Dichter im Dialekt von Montpellier den Abbé Favre, geboren 1727, gestorben 1782 als Prior in Celleneuve. Seine poetischen Erzeugnisse sind von gesundem, urwüchsigem Humor getragen; leider gewährt er dem Französischen einen etwas zu grossen Einfluss. Benutzt wurden die Nachahmungen zweier Horazischen Satiren, nämlich der 3.: >> Ibam forte via sacra« und der achten: >> Olim truncus eram«, die mehrfache Uebertragung der beiden Epigramme des Martial, 9,5:

7,72:

»Nubere vis Prisco, non miror, Paula, sapisti;
Ducere te non vult Priscus, et ille sapit«.
>Eutrapelus tonsor, dum circuit ora Luperci
Expingitque genas, altera barba subit«.

Rev. X 6-14 (f); endlich die Auszüge, welche Dr. Noulet in seiner >> Histoire des Patois du Midi« gibt, Rev. VI 216-227, die grösstenteils Favre's >>Siége de Cadaroussa << betreffen (fo).

Demselben Gelehrten verdanken wir einige Auszüge aus den Gedichten der Gebrüder Rigaud (R) (Auguste und Cyrille R.) Rev. VII 186-190, die gegen das Ende des 18. und den Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Der erstgenannte der Beiden fügte einem Briefe an das französische Konventsmitglied Grégoire, vom 28. Januar 1791 datiert, eine kleine Sammlung von Sprichwörtern und zwei Gedichte bei: >L'Amour pounit per una abeïa«, und die Fabel >>La cigala et la fourniga« (siehe Lettres à Grégoire sur les patois de France, ed. A. Gazier, Rev. V 424-425).

Alle folgenden dialektischen Erzeugnisse fallen in das 19. Jahrhundert:

A. Guiraud (Gui) 1778-1849. Sein Hauptwerk: »La FontPutanella<<, wurde zum ersten Male 1808 in Montpellier aufgeführt, Rev. IV 142-195; 321-337; ferner: >>Que i'a de nòu«, Rev. IV 634-649, beide ediert von A. Glaize.

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