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Vokalismus und Konsonantismus des Cambridger

Psalters.

Einleitung.

Gegenstand der folgenden Abhandlung ist: Der Vokalismus und Konsonantismus des Cambridger Psalters 1). Aber bevor wir dazu schreiten können, die Resultate zusammenzustellen, die sich für eine Lautlehre dieses Denkmals ergeben, müssen wir einige Fragen in genauere Erwägung ziehen, die bis jetzt einerseits nur oberflächlich berührt, andrerseits in ihrer Tragweite nicht gehörig erkannt worden sind, ohne deren Lösung man jedoch kaum über das Ganze des genannten Werkes in irgend einer Richtung sich auszulassen berechtigt sein dürfte.

Gegenstand der ersten Frage ist:

I. Die Zweiteilung des Cambridger Psalters. Die Frage ist angeregt worden von Fr. Michel selbst, oder P. Meyer (vgl. Romania VII 346, Anm.), der sich p. IX seiner préface folgendermassen darüber ausspricht: »A partir du psaume CXVIII le français se détériore et les psaumes CXXXI-CXXXI et CL sont restés sans traduction: ce que l'on peut attribuer à la mort de l'interprète avant l'achèvement de son travail et à une reprise par un autre. A cette reprise la langue avait déjà changé, au moins quant à l'orthographe: fedeeil, feeil, fedeil étaient devenus fetheil; suen s'était transformé en seone (sic! muss natürlich seon heissen) signes du temps de Henri Ier d'Angleterre«.

Während Suchier bei seiner Recension der Michel'schen Ausgabe (Gr. Ztschr. I 568-572) des Psalters über diese Bemerkung mit Stillschweigen hinweggeht, heisst es bei Fichte (Die Flexion im Cambridger Psalter, Halle, Niemeyer 1879) S. 2, Z. 12: »Die nach

1) Die Dissertation von K. Dreyer, Der Lautstand im Cambridger Psalter. Greifswald 1882, von der nur ein Stück (der Vokalismus) bisher erschienen ist, war mir bei Abfassung meiner Untersuchung unbekannt.

Französische Studien. IV. 4.

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dieser Lücke (d. h. nach Psalm 124) sich häufenden anglonormannischen Schreibungen geben Grund zu der Vermutung, dass ein anderer Schreiber die Fortsetzung geschrieben hat.<< Auch Fichte ist also auf Michels Ansicht nicht eingegangen, und da er ihr nicht widerspricht, sondern selbständig, ohne sie zu erwähnen, eine neue aufstellt, so müssen wir annehmen, dass er jene nicht gekannt hat.

Von den Beispielen, die Michel (resp. P. Meyer) für den Wechsel in der Orthographie nach Psalm 118 anführt, kommt kein einziges nach diesem Psalm im Psalter selbst vor, sondern fetheil und seon finden sich in den Cantica und teon Ps. 272. Dagegen steht ausserdem heom 11; covre 164; beoneuret 11; benetheit 276. Michel und P. Meyer haben vor allen Dingen nicht erkannt, dass der Verfasser der Cantică nicht identisch ist mit dem der Psalmen (s. u.) und werfen demzufolge beide Teile zusammen.

da

In zweiter Linie ist schwer einzusehen, welche Abweichungen sich von Psalm 118 an von den vorhergehenden zeigen sollen, jeder Vergleich uns erkennen lässt, dass die Sprache von Ps. 118 bis zur erwähnten Lücke in keiner Beziehung eine andere ist, wie vor 118, weder in Bezug auf Grammatik, auf Orthographie, auf den Wortschatz, noch auf die Methode des Uebersetzens. Im Ps. 11, kommen allerdings auffallend viele Nominative lateinischer Neutra in der Accusativform vor, bei der Länge des Psalms vielleicht mehr, als im ganzen übrigen Psalter zusammen. Aber einerseits ist es Zufall, dass sich hier gerade so viele Neutra im Nominativ finden, andrerseits ist die Erscheinung, dass der Accusativ für den Nominativ der Neutra steht, nicht den Psalmen von 118 ab eigentümlich, sondern bis 124 allgemein. Weiter aber würde von 118-124 kaum eine Abweichung vom Vorhergehenden zu erkennen sein. Schluss: Die in der Einleitung zu unserer Ausgabe ausgesprochene Ansicht, dass von Psalm 118 an ein neuer Uebersetzer eintrat, ist zurückzuweisen.

Dass Michel und P. Meyer nicht, wie Fichte, nur einen andern Kopisten vermuten, mag daher kommen, dass das ganze Werk, Psalmen und Cantica, von derselben Hand geschrieben ist.

Von Psalm 131 ab dagegen finden sich zahlreiche Abweichungen jeglicher Art: Bonum, vorher mit einer einzigen Ausnahme bon, wird bun, o und au in offener Silbe, vordem in der Regel u, bez. o, erscheint als ou. Die Attraktion eines i im Hiatus, die vorher gemieden ist, wird jetzt Regel: gloire, adversaire für glorie, aversarie. Anemis steht weit häufiger wie enemis, einige Male nuns statt nus. Quare, bis dahin nur kar, wird ker. D statt z, bis 124 nur sporadisch auftretend, wird allgemein. Quod, Relativpronomen sowohl, wie Konjunktion, vorher fast ausnahmslos que geschrieben, wird zu ke. Die Schreibung w für u, bisher selten, wird gewöhnlich in jeder Beziehung (wu, w= v) Lateinisches cor, sonst meist quer, hat von 131 ab, ausschliesslich die Form cuer.

aus:

Anima, idolum, virginem werfen den nachtonigen Vokal ohne Ersatz anme, idles, virgnes, vorher aneme, ideles, virgenes. Ausfall des auslautenden n nach r in jurn u. a. nimmt überhand. Auslautendes t in den schwach gebildeten Participien Passivi und in den Femininen auf -tatem hat vollständigen Ausfall erlitten. Die inlautende Dentalis ist gleichfalls gänzlich gefallen. Dieselbe Regelmässigkeit zeigt sich in dem Beibehalten von anlautendem h in homo, habitare, (h)altus, haereditas. In den Ableitungen von permanere (s. u.): parmenable u. s. w. ist a immer zu e geschwächt. Qui und quare haben stets k im Anlaut, niemals ch, bez. c. Von Einzelheiten ist noch zu notieren: chalunge statt chalenge, loials statt leals, criemang für cremanz, vuie für voie (vocem), duignes für duinses, lengue und lengous neben langue, mm für m in cumment 1364, sicumme 14312. 14312. 1475-5.6.

Dazu kommen einige Abweichungen im Wortgebrauch: Desci ke (cf. Suchier a. a. O.) für dunkes oder gierres; einmal riens neben chose 1454; parmenance 144; neben parmenabletet; charcre 141, für prisun; al main 1426 = el matin; trestuz (s. u.) tuz; estrumenz 1362 = harpe. Jusque, das vorher nur einmal neben dem häufig gebrauchten desque auftritt, wird die alleinige Form. Frutefiiere 1489 (s. u.) frutefiable.

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Die Deklination der Neutra ist, abweichend vom Vorhergehenden, gleich der der Maskulina. Sire steht häufig für den Nominativ statt Sires (s. u.). Der Nominativ Singularis der Feminina auf -atem geht immer auf z aus und auch die weiblichen Substantiva auf -onem haben ausnahmslos in diesem Falle das flexivische s.

Jedoch noch mehr auffallend, als die hier hervortretenden Unterschiede in der Sprache, ist die ausserordentliche Konsequenz, die von 131 ab herrscht im Vergleich zu der allseitigen Inkonsequenz im Vorhergehenden. Ausser den oben schon erwähnten Fällen sei noch bemerkt, dass die dritte Person Singularis im Perfektum der schwachen Konjugation, im Futurum und Indikativ und Konjunktiv Präsentis immer auf d endigt, dass es immer els, und belte, nie eals und bealtet (wie vorher daneben), immer mun (meum), nie men lautet.

Gestützt auf die genannten Unterschiede zwischen beiden Teilen (bei den Differenzen in der Sprache ist besonders der ganz neue konsequente Gebrauch der Form ker statt kar und das gelegentliche Abweichen im Wortgebrauch von Wichtigkeit) könnte man leicht zu dem Schlusse gelangen, dass für den zweiten Teil der Psalmen ein neuer Uebersetzer anzunehmen sei. Ferner liegt die Vermutung nahe, dass das Original nur bis 124 gereicht hat, und dass es der Kopist der 124 ersten Psalmen selbst gewesen ist, der nach dem Muster derselben die Uebersetzung der übrigen hinzufügte, da die meisten der erwähnten Neuerungen vereinzelt

1*

schon bis Ps. 124 auftreten. Im Uebrigen aber ist der Lautbestand der 124 ersten Psalmen von den letzten mindestens ebenso verschieden, wie der des Cambridger Psalters vom Oxforder, an Alter, Dialekt und Orthographie, so dass wir vor besagter Annahme nicht zurückzuschrecken brauchen. (Warum die Psalmen 125-130 und 150 fehlen, kann nach den Notizen, die uns der Herausgeber von der Beschaffenheit des Kodex giebt, nicht ermittelt werden.)

Gesetzt aber, derselbe Schreiber habe auch nicht den zweiten Teil selbst verfasst, sondern alles abgeschrieben, so kann er es kaum ohne Unterbrechung gethan haben. Nach dieser hätte er dann seine Vorlage prinzipiell mit grösserer Freiheit seiner eigenen Sprache angepasst. Diese Ansicht scheint mir indes wenig für sich zu haben, weshalb ich mich zu der ersteren bekenne. Vermittelst derselben lässt sich beim ersten Teil manches leicht herausfinden, was der Schreiber am ursprünglichen Texte geändert hat (s. o.).

Noch eine Bemerkung zum ersten Teil. Es wird schon häufig aufgefallen sein, dass hier nicht nur zwei, sondern häufig drei und mehr verschiedene Wortformen neben einander vorkommen. So lesen wir bald jo, bald jeo, bald je; ceo, co und ce; car, kar und quar ; ki, chi, qui; ovre, uvre, oevre, uevre, eovre; ai, ei und e = a + J: in offener Silbe, kommt ausser als ou auch als o vor. Die dritte Person Singularis endigt auf t, oder d, oder die Dentalis ist ganz gefallen. Ein ähnliches Verhältnis findet statt in den schwachgebildeten Participien und den Substantiven auf -atem, salut u. a., wo t ausserdem zuweilen th geworden ist. Auch die inlautende Dentalis, die meist vollständigen Ausfall erlitten hat, kommt einmal als th, an 50 mal als d vor. Aus alledem geht nicht nur die unbestrittene Thatsache hervor (vgl. Suchier, Fichte a. a. O.), dass der erste Teil nicht Original ist, sondern ferner lässt sich vermuten, dass der Schreiber, mit dem wir es hier zu thun haben, selbst nur eine Kopie vor sich hatte.

II.

Die zweite Hauptfrage betrifft:

Das Verhältnis der beiden Handschriften, der
Cambridger (C) und der Pariser (P) zu einander.

Während Michel, P. Meyer und Suchier geneigt sind, anzunehmen, dass C und P von einem und demselben Original abgeschrieben sind, hält Fichte (a. a. O. S. 4) vorsichtiger Weise dafür, dass eine endgültige Entscheidung kaum möglich sei, »da die korrekteren Lesarten der Hs. B (P) dem Texte von A (C) gegenüber sowohl von dem Schreiber der Hs. B (P), der den lateinischen Text vor Augen hatte, als aus dem gemeinsamen Originale stammen können.<«< Diese beiden Möglichkeiten aber sind auch von den andern erwogen worden. Alle sind indes mit Recht darüber einig, dass weder C (s. o.) noch

P Original ist. Als Beweis dafür führt Suchier in Bezug auf C das ausserordentliche Schwanken der Sprachformen an (s. o.), welches er durch das Beispiel methesme S. 264, neben meme S. 2924 charakterisiert. Diese Stellen aber sind nicht aus dem Psalter, sondern aus den Cantica. Es soll weiter unten gezeigt werden, dass sie aus diesem Grunde nicht gut gewählt sind.

Sehen wir nun von den korrekteren Lesarten, die P vor C voraushat, ab, da diese zur Beantwortung unserer Frage nichts beitragen können, und betrachten die andern Differenzen zwischen P und C, so gelangen wir ebenfalls zu keinem Resultat, da es entweder graphische, zeitliche oder dialektische Unterschiede sind, die P ebenso gut in das Original selbst hineingebracht, als der Vorlage entnommen haben kann, oder Aenderungen in der Verszahl, (sehr selten) im Wortschatz, von denen dasselbe gilt, z. B. ist P eigentümlich das Setzen von rr für r in den Futurformen von ire und *essere irrai, serrai, oe für ue in poeple, feus für fous, queor statt quer, dulur für dolur, chaschun für chascun, uu = w, lange = langue.

oder

Es bleibt uns nur noch ein Mittel zur Lösung unserer Frage, nämlich die in P und C übereinstimmenden Wörter zu untersuchen. Diese Uebereinstimmungen nun sind häufig so auffälliger Natur, dass es kaum anders denkbar ist, als dass sie einem beiden gemeinsamen Original entnommen sind und die Schreiber von P und C sie unabhängig von einander aus demselben ebenso abschrieben. Andere Fälle tragen augenscheinlich das Gepräge einer spätern Zeit, wie im übrigen die Sprache der Uebersetzung, und, wenn dieselben wirklich in beiden Handschriften enthalten sind, so können sie nur einem Kopisten entgangen sein, dessen Manuskript die Schreiber von P und C vor sich hatten. Zu den letzteren zähle ich u. a. die vereinzelte Vokalisierung des 7 in essaucie 3716 und fous 7222, das Vorkommen von oi für ei in desvoiement 7717 u. a. (vgl. Suchier a. a. O.), die seltene Vertauschung der Imperfektendungen -abam und -ebam, den vollständigen Ausfall des t in der dritten Person Sing. Ind. der ersten und Konj. der übrigen Konjugationen: prenge 72, aprienge 75, cuevre 191, enveie 192, perde 3316, guarde 3320, parsiwe 347, prufite 367, demaine 5813, tranglute 6818, munte 7323, entre 872, esjoisse 961. Ich bin der Meinung, dass, wenn der Uebersetzer schon so gesprochen hätte, z. B. wenn das t der Endung zu seiner Zeit schon völlig verstummt gewesen wäre, er sowohl häufiger keine Dentalis mehr gesetzt haben würde, als auch besonders die Abschreiber öfters so verfahren wären. Vor allen Dingen ist zu bemerken, dass beide Handschriften in diesem Falle immer übereinstimmen, während man doch erwarten sollte, dass sie gerade hier auseinander gehen würden. Bei P ist hervorzuheben, dass dort die Abweichungen meist jüngere Formen haben, wie in C. Von einzelnen auffallenden Lesarten, die P und C mit einander gemein haben, nenne ich:

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