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Die Dram en.

§ 4. La Princesse de Sidon (Tragikomödie in 3 Akten)').

Prolog: Fröhliche Jägerinnen erscheinen auf der Bühne und fordern Mélisende, Fürstin von Sidon, auf, an ihrer Lustbarkeit teilzunehmen. Aber sie lehnt die Einladung ab und legt sich, die Rückkehr ihres siegreichen Gatten erwartend, in einer Grotte nieder. Der Schlaf überwältigt sie, und ein schrecklicher, unheilverkündender Traum führt ihr die Zukunft vor. Um diesen inneren Vorgang dem Zuschauer zugänglich zu machen, bedient sich der Dichter der Allegorie, lässt den Traumgott der schlafenden Fürstin nahen, um sie zu warnen, und führt die Traumbilder personifiziert als Diener des Traumgottes ein. Der >> Principal Songe<< erscheint in Tancreds Gestalt und äussert in Zorn und Eifersucht Bedenken gegen die Treue seiner Gemahlin, die dem Siegreichen keinen gastlichen Empfang bereite. Als er sie schlummern sieht, will er auf sie zueilen, wird aber von der >> Eifersucht<< in seinem Verdacht bestärkt und beschliesst deshalb ihren sofortigen Tod. >> Hass« und »Rache« selbst reichen ihm den Dolch dar. Schon erhebt er den Arm zum tötlichen Stoss da erwacht Mélisende, und Alles ist verschwunden. Der Prolog ist nicht tendenziöser Natur, wie dies in anderen Stücken de la Chaussée's der Fall ist, sondern steht mit der Handlung selbst in engem Zusammenhange. Wie Shakespeare zu Anfang seines Macbeth jene vielbesprochenen Hexen auftreten und plötzlich verschwinden lässt, um für den Helden zu interessieren und auf sein tragisches Geschick hinzudeuten, so ist auch dieser Traum das künstlerische Mittel, um in die Handlung einzuführen und für die darzustellenden Ereignisse Stimmung zu machen.

Boëmond, von heftiger Leidenschaft zu der Fürstin ergriffen, hat, um zum Ziele seiner unlauteren Wünsche zu gelangen, verschiedene Mordanschläge gegen das Leben Tancreds gerichtet, ist aber aus Furcht vor Entdeckung und Verzweiflung über Mélisende's Kälte vom Hofe entwichen, während ein falsches Gerücht verbreitet, die verbrecherische Liebe der Fürstin habe seine freiwillige Entfernung veranlasst. Tancred schwört der vermeintlichen Ehebrecherin Rache und entlockt seinem Schwiegervater Lusignan das Gelübde, ihn nach Kräften zu unterstützen. Als dieser aber erfährt, dass seiner Tochter Leben auf dem Spiele stehe, erbittet er Aufschub, um ihre Schuld zu prüfen. Doch Tancred, aufs Neue in seinem Verdacht bestärkt, verurteilt sie zum Tode und zeigt Lusignan zu seiner Rechtfertigung angeblich an Boëmund gerichtete Briefe Mélisende's. Angesichts solcher Indicien schwankt auch dieser im guten Glauben an die Tugend der Fürstin, hintertreibt aber nichtsdestoweniger aus Vaterliebe die Vollstreckung des Urteils und lässt sie in ein Versteck bringen, wo auch die im Zorn von Tancred verstossene Tochter 1) t. V, p. 77-144.

Mélisende's, Sidonie, Zuflucht findet. Hier überhäuft er sie mit Tadel und Vorwürfen. Als jedoch die Fürstin ihre Unschuld beteuert und die mit jenen entwendeten Briefen vorgenommene Täuschung enthüllt, greift er, um Tancred zu überzeugen, zu einem letzten Mittel und lässt Boëmond verhaften, um ihn selbst zum Geständniss zu bringen. Tancred befreit seinen vermeintlichen Freund mit eigener Hand, dankt ihm für seine Treue und erzählt ihm die Bestrafung der Schuldigen. Da regt sich Boëmonds Gewissen, und er legt ein offenes Geständniss seiner Schuld ab. Tancred ist in Verzweiflung und dem Selbstmord nahe, als Lusignan ihm Mutter und Tochter unversehrt zurückgiebt.

Die >> Princesse« gehört zu de la Chaussée's schwächsten Leistungen und ist auch niemals zur Aufführung gekommen. Mélisende könnte eine sehr passende Heldin für eine Tragikomödie sein, da sie eine nur geringe, immerhin jedoch tragische Schuld auf sich ladet, indem sie Tancred die Bewerbungen Boëmonds und ihre geheime Neigung verschweigt, aber sie spielt bis zum Schluss eine durchaus passive Rolle.

Die Schürzung des Knotens ist verfehlt, da sie nicht auf den Handlungen der Hauptpersonen beruht, sondern durch jenen niemals auftretenden Freund Boëmonds, der die Fürstin bei ihrem Gatten verläumdet, eingeleitet wird. Zur schliesslichen Wiedervereinigung Tancreds, Mélisende's und Sidonie's bedient sich der Dichter eines nur in der Komödie angebrachten, der tragischen Handlung aber durchaus unwürdigen » coup de théâtre«, indem >> er Mutter und Tochter sich unter einem Grabmal verbergen und in dem Augenblick daraus hervortreten lässt, wo Tancred in Begriff ist, Hand an sich zu legen. Auch die zweite Scene des dritten Aktes, wo Tancred, mit der angeblich Mélisende's irdische Ueberreste enthaltenden Urne in der Hand, sein Geschick beklagt, hat keine tragische Wirkung.

§ 5.

Maximien (Tragödie in 5 Akten) 1).

Gemäss der Tradition der französischen Tragödie schöpft de la Chaussée seinen Stoff aus der Geschichte und führt uns in jene verwirrenden Parteikämpfe, aus denen zuletzt Konstantin als Alleinherrscher hervorging. Um ein deutliches Bild der Verhältnisse, auf denen die Handlung basiert ist, zu gewinnen, seien einige historische Bemerkungen vorangeschickt.

Im Jahre 286 nahm Diocletian, ausser Stande, das römische Riesenreich allein zu verwalten, den tapferen und kriegstüchtigen Maximian zum Mitregenten an, ernannte aber später Constantius Chlorus und Valerius zu Cäsaren. Maximian und Constantius beherrschten die westliche, Diocletian selbst mit Valerius die östliche Reichshälfte. Im Jahre 305 legte Diocletian freiwillig die Regierung 1) t. II, p. 1-86.

ieder und Maximian folgte notgedrungen seinem Beispiel, so dass nun die beiden Cäsaren zu Augusten erhoben wurden. Auch sie nahmen Mitregenten an, aber nicht etwa Maximians Sohn Maxentius und Constantin, Constantius' Sohn, sondern Maximius und Severus. Während nun Diocletian, dem öffentlichen Leben entsagend, in sein Vaterland Dalmatien zurückkehrte, folgte Maximian im Stillen dem Gange der Politik und suchte nach einer Gelegenheit, den unfreiwillig verlassenen Thron wieder zu besteigen. Diese bot sich, als nach Constantius' Tode dessen Sohn Constantin zum Kaiser ausgerufen ward. Er eilte zu Constantin, um ihn gegen den Nebenbuhler Galerius zu schützen, gab ihm seine Tochter Fausta zur Gemahlin und wurde wieder zum Mitregenten erhoben. Treuloserweise ging er aber zu Galerius über, als er einsah, seinem Schwiegersohne nicht gewachsen zu sein. Da er auch hier nichts erreichte, dankte er zum zweiten Male ab und kehrte zu Constantin zurück, der ihn sogar zeitweise wieder mit den Regierungsgeschäften betraute. Diese Stellung benutzte Maximian zu einer Empörung, wurde aber geschlagen und gefangen genommen. Zwei Jahre später richtete er ein verräterisches Attentat gegen Constantins Leben und wurde 310 zur Strafe erdrosselt.

Diese letzte Verschwörung machte der Dichter zum Gegenstand seiner Darstellung, modifizierte aber, wie die folgende Analyse ergeben wird, den Stoff derart, dass Maximian nicht hingerichtet, sondern begnadigt wird. Fausta ist in der Geschichte nicht die tugendhafte Gattin, sondern ein ränkevolles Weib.

Beim Beginne der Handlung des Dramas steht der Ausbruch der Verschwörung unmittelbar bevor. Um eines vollständigen Erfolges gewiss zu sein, hat Maximian auch Aurel, den Befehlshaber des Heeres, ins Vertrauen gezogen und glaubt um so sicherer auf ihn rechnen zu dürfen, als Constantin's Tod ihn in Besitz Fausta's, seiner früheren Geliebten, setzen kann. Aber Aurel tritt den Verschworenen nur näher, um in das Geheimnis einzudringen, und entdeckt, als die Katastrophe herannaht, der Kaiserin den hochverräterischen Plan, damit diese Vater und Gatten versöhne. Maximian, von ihren Klagen bestürmt, leugnet, um vor Verrat geschützt zu sein, die Existenz der Verschwörung und heuchelt Aurel gegenüber Reue, beauftragt aber Albin, einen nichtswürdigen Schurken, den Aurel des geheimen Einverständnisses und eines Anschlages auf Constantins Leben zu beschuldigen. Albin berichtet, dass Verschwörer gegen den Thron entdeckt seien, und erhält sofort, ohne um Namen oder nähere Umstände befragt zu werden, den Hinrichtungsbefehl, der denn auch unverzüglich vollstreckt wird. Um Fausta aus dem Wege zu räumen, giebt er dem Kaiser fein zu verstehen, dass seine Gattin die eheliche Treue gebrochen habe und sogar an jenem Anschlage beteiligt gewesen sei. Constantin lässt sie zu sich rufen und überträgt Maximian die Bestimmung des Urteils, erklärt aber selbst, als jener Ehescheidung und Verbannung beantragt, dass nur ihr Blut seine Schande tilgen könne.

Maximian fällt dem Kaiser zu Füssen und fleht um Gnade für seine Tochter. In diesem Augenblicke erscheint auch Fausta und bittet für ihres Vaters Leben in der Meinung, seine Verschwörung sei entdeckt. Da regt sich Maximians Gewissen stärker denn je, und er bekennt seinen verrat, ohne indess bei Constantin Glauben zu finden. Erst als auch Albin, in jenem Geständniss grosse Gefahr für seine eigene Sicherheit erblickend, Maximian verdächtigt, befiehlt der Kaiser seine Verhaftung. Albin verhaftet ihn, macht jedoch einen letzten Versuch, den Abtrünnigen seinem Plane wieder zu gewinnen, indem er erklärt, der Kaiser müsse ermordet werden, ehe er überhaupt Zeit gewinne, die Strafe an Fausta zu vollziehen. Maximian lässt sich von den verlockenden Aussichten bestechen und bleibt der Verschwörung treu. Der Anschlag wird unternommen und misslingt durch Fausta's Verdienst. Glänzend gerechtfertigt von dem Verdachte der Treulosigkeit, erbittet sie als einzige Genugthuung für das erlittene Unrecht die Begnadigung ihres Vaters. Constantin willfahrt ihrem Wunsche und will ihn sogar zum Mitregenten erheben, aber Maximian zieht den Tod vor und stürzt sich in sein Schwert mit den Worten: » Sois enfin delivré d'un rival dangereux,

Juge qui de nous deux est le plus généreux!«

Vielleicht wäre der historische Maximian, welcher der Verschwörung zum Opfer fällt, recht geeignet, Held einer Tragödie zu sein, wenn sein Heldenmut und seine Kriegstüchtigkeit, die zur Zeit des Attentates bereits durch das Alter gelähmt waren, mehr in den Vordergrund gerückt würden, aber de la Chaussée's Maximian, der mit List und Heuchelei einen Anschlag gegen das Leben des Kaisers richtet, der in Gedanken seine Tochter bereits geopfert hat, dann aber, von Mitleid ergriffen, sich selbst entdeckt, den verbrecherischen Plan jedoch wieder aufnimmt, als er glaubt, jene retten zu können, schliesslich in seinem Unternehmen scheitert und dann, begnadigt, in einer Anwandelung von Hochsinn mit theatralischer Geberde Hand an sich legt, er ist kein tragischer Held, der Mitleid und Furcht erregen könnte. In allen seinen Handlungen erkennen wir eine gewisse Unselbständigkeit und Schwäche, und diese Eigenschaften sind eben mit einem tragischen Helden unverträglich, der durch seine Energie, durch die Grossartigkeit der in Bewegung gesetzten Hebel, selbst auf ein verbrecherisches Ziel hinsteuernd, imponieren, dessen Leidenschaft im Laufe der Handlung sich zuspitzen und verstärken soll. Wie viel thatkräftiger und entschlossener handelt da Cinna! Auch er schwankt im Augenblicke der Entscheidung unter den widerstreitenden Gefühlen der Dankbarkeit gegen einen Wohlthäter und der Liebe zu Emilie, verfolgt dann aber mit desto grösserer Entschlossenheit das vorgesetzte Ziel. Selbst nach der Entdeckung der Verschwörung zeigt er keine Anwandelung von Schwäche, sondern tritt mutigen Auges dem Fürsten entgegen und erklärt, Reue dürfe man

von einem Römer nicht erwarten. Als aber August ihn und alle Mitverschworenen begnadigt, da beugt sich sein stolzer Sinn vor dieser edlen Grossmut, durch die sein Verbrechen vergrössert werde, und aus dem erbittertsten Feinde wird er fortan sein treuer Freund.

Da der Maximien im Jahre 1738, also in einer Zeit erschien, wo de la Chaussée bereits grosse Beliebtheit besass, hatte er trotz seiner Schwächen einen bedeutenden Erfolg, wie 22 aufeinander folgende Aufführungen und eine neue Auflage desselben Jahres in La Haye beweisen. Voltaire schreibt im Februar 1738 an Friedrich den Grossen: »Je crois que M. Thiriot enverra bientôt à votre Altesse royale une tragédie nouvelle, qui est infiniment goûtée à Paris« (Euvres, Gotha 1778 t. 52 p. 215) und im selben Monat an Berger bei Gelegenheit der Besprechung des gleichnamigen Stückes von Thomas Corneille, dass de la Chaussée die Fehler des letzteren glücklich vermieden habe (Œuvres Gotha 1778 t. 57 p. 62). Später schwand der Maximien vollständig vom Répertoire, cf. La Harpe Cours Bd. II, 293 1): »Regnard, Marivaux, de la Chaussée et autres ont tenté la tragédie, et l'on ignore jusqu'au titre de leurs pièces.<

§ 6. Die Possen.

1. Le Rapatriage (»Die Wiederversöhnung «) [»Comi-Parade« in 20 Scenen]).

Diese >> Comi-parade« ist de la Chaussée's erster dramatischer Versuch, der aber die Bühne nie betreten hat. Die oft anstössige Handlung strotzt von Unwahrscheinlichkeit und entbehrt jeder wirklichen Komik. Die Sprache ist grossenteils dialektisch. Isabella wird von ihrem Geliebten Léandre verlassen, erreicht aber am Ende durch List und Schlauheit, dass er sie zur Gattin erwählt. Wir können darauf verzichten, die Intrigue, welche zum Teil auf der Geschmacklosigkeit beruht, dass Léandre gleichzeitig halb als Mann halb als Frau verkleidet ist, näher zu verfolgen. Interesse hat die Dichtung nur dadurch, dass sie bereits ein Weib in den Vordergrund rückt und so, wie wir unten sehen werden, die spätere Richtung de la Chaussée's gleichsam im Keim enthält. Die > Rapatriage<< ist nur in der Gesammtausgabe von 1762 und in der neuen Auflage im Jahre 1775 veröffentlicht worden.

2. Les Tyrinthiens (in 3 Akten, deren jedem ein >> Divertissement«, d. h. eine Tanz- und Gesangsscene nachfolgt) 3).

Die Dichtung verherrlicht die Freude und den heiteren Lebensgenuss gegenüber dem düsteren Ernst des Alters und kleidet dies

1) Euvres, Paris 1818.

3) Suppl., p. 1–52.

3) t. V, p. 1-66.

Französische Studien. IV. 1.

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