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zwei grundsätzliche Gedankengänge zur Be- kann das Recht der Exterritorialität aufgründung dieses Rechtes. gebaut werden, wie ich dies an anderen Erstlich der Gedanke, daß die Personen Orten eingehend zu begründen versucht und Sachen, denen Exterritorialität zu- habe (Hirth, Annalen 1882, S. 84ff., 110ff.) kommt, als außerhalb des Staatsge- bei Stier-Somlo. Handb. d. Völkerrechts, bietes, in dem sie sich befinden, 2. Bd., 3. Abt., S. 4ff., 36ff.). gedacht werden müssen. Dies ist, II. Persönlicher und sachlicher Umum das Wort des scharfsinnigen Franzosen fang der Exterritorialität. Der perOrtolan zu gebrauchen, eine ,,figure sönliche und sachliche Inhalt der Exterrimensongère", die sich,,en perpetuelle contra- torialität bezieht sich nach der allgemein diction avec les faits" befindet. Die Tat anerkannten Theorie des Völkerrechts auf sache ist: diese Personen und Sachen 1. die Gesandten und deren Personal, befinden sich in einem Staatsgebiet und es die Gesandtschaftsräumlichkeiten und deren ist ein unmöglicher und darum unsinniger Material, Gedanke, sie aus diesem Staatsgebiet,,hinwegzudenken". Sie sind in diesem Staatsgebiet und stehen deshalb in logisch zwingender Folgerichtigkeit unter der Staatsgewalt dieses Gebietes.

2. die Staatsoberhäupter,

3. geschlossene Heereskörper und deren Material in fremdem Staatsgebiete, ebenso Kriegsschiffe in fremden Gewässern,

4. in beschränkter Weise auf die Kon

denen nach der neuesten Entwicklung

5. die Mitglieder der internationalen Gerichtshöfe im Haag.

Diese Gruppen bedürfen einer näheren Bestimmung.

Zweitens: ebenso unmöglich ist der Ge- suln, deren Personal und Material, danke, daß diese Personen und Sachen befreit seien von der gesamten Gesetz-noch hinzutreten: gebung des Staates, in dem sie sich tatsächlich befinden. Auch dies ist unmöglich, denn es ist undenkbar, daß ein Staat im Umfange seines Gebietes für irgendeine Person oder Sache grundsätzlich und generell auf seine 1. Das Recht der Exterritorialität hat gesamte Staatsgewalt verzichte. Die Be- vor allem der Gesandte jeden Ranggrades gründung dieses Satzes durch den Hinweis und zwar nicht erst von dem Moment der darauf, daß es sich um,,Ausländer" handle, Überreichung seines Beglaubigungsschreibens ist ohne jeden Wert, denn wie in alter so in sondern nach feststehendem Gewohnheitsneuer Zeit hat ein geordneter Staat es niemals recht vom Moment des Eintrittes in die anerkannt, daß Ausländer in seinem Gebiete Grenzen des Empfangsstaates bis zum nicht unter seiner Gesetzgebung stehen; Momente des Austrittes aus diesen Grenzen dies wäre gleichbedeutend mit der vollen nach Beendigung der Gesandtschaft. Mit Preisgabe der Souveränität. Diese Theorie dem Gesandten teilen dieses Recht die Bekommt übrigens in Widerspruch mit sich selbst, indem sie Vorschriften der Bau-, Gesundheits- und Sicherheitspolizei auch für Personer und Sachen der Exterritorialität als verbindlich anerkennt.

amten der Gesandtschaft, die an den Amtsgeschäften der Gesandtschaft beteiligt sind. Und auch der Dienerschaft wird dieses Recht zuerkannt, regelmäßig allerdings mit der Einschränkung: insoweit die Personen der Nach Beseitigung dieser beiden unmög- Dienerschaft nicht Staatsangehörige des lichen Grundgedanken für die juristische Empfangsstaates sind. Ebenso kommt das Konstruktion der Exterritorialität ver- Recht der Exterritorialität den sämtlichen bleibt nur mehr die einzige Möglichkeit der Familienangehörigen des Gesandten zu. juristischen Begründung in dem Satze: In sachlicher Beziehung stehen unter dem die Rechte der sog. Exterritorialität sind Rechte der Exterritorialität die RäumAusnahmen von der allgemeinen lichkeiten der Gesandtschaft, sowohl die Rechtsordnung des Gebietsstaates, bedürfen als solche eines bestimmten Rechtstitels, können sich als solche nur auf Einzelpunkte beziehen und müssen als solche aufs engste ausgelegt werden.

Dienst- als die Wohnräume, auch die nur gemieteten; und zwar nicht nur die Räume selbst, sondern auch deren gesamter Inhalt, sowohl das Mobiliar wie alles übrige Material, in erster Linie die Archive und amtlichen Akten der Gesandtschaft.

Bei kriegerischer Besetzung eines Staates können die bei diesem Staate beglaubigten Bei den in letzter Zeit so wichtig und so Gesandten gegenüber der fremden Kriegs- zahlreich gewordenen internationalen Konmacht die Privilegien der Exterritorialität ferenzen ist die Frage von hoher Bedeutung, begrifflich nicht haben; etwaige Zugeständ- ob auch die Mitglieder dieser Konferenzen nisse dieser Art sind lediglich von dem freien als Gesandte mit dem Recht der Ermessen der Besatzungsmacht abhängig. territorialität zu betrachten seien.

Ex

Die

Nur auf dieser juristischen Grundlage Frage ist unbedingt zu bejahen, da ein

begrifflicher Unterschied zwischen ständigen in theoretischen Wünschen und Beschlüssen und unständigen Gesandten nicht gemacht privater Vereinigungen, so insbesondere des werden kann. Institut de droit international, wurden diese

Daß und unter welchen Voraussetzungen Einzelbestimmungen zu allgemeinen Rechtsdas Recht der Exterritorialität durch-grundsätzen zu verdichten gesucht, die aber brochen werden kann, darüber s. unten. den Rechtscharakter von positivem Ge2. Die gleichen Rechtsgrundsätze gelten wohnheitsrecht bis heute nicht zu gewinnen für Staatsoberhäupter, sowohl monar- vermochten. chische als republikanische, die in fremdem Nur für die Konsulatspapiere und KonStaatsgebiete weilen, falls sie nicht aus-sulatsarchive aber auch hier nur unter drücklich auf dieses Recht verzichtet haben der Voraussetzung sorgfältiger Trennung (,,incognito" reisen). dieser amtlichen Schriftstücke

von den 3. Geschlossene Heeres körper, denen Privatpapieren des Konsuls - wird ein auf Grund besonderer Abmachungen der internationales Gewohnheitsrecht der Exfriedliche Durchmarsch durch fremdes Staats- territorialität anerkannt werden dürfen. In gebiet verstattet worden ist, genießen samt ihrem ganzen Heeresmateriale gleichfalls das Recht der Exterritorialität in vollem Umfange. Dieser Punkt bedarf keiner wei teren Erörterung. Das gleiche gilt von Kriegsschiffen, die in fremden Staatsgewässern weilen.

allen übrigen Beziehungen haben Konsuln das Recht der Exterritorialität nur insoweit, als hierfür positive vertragsrechtliche Bestimmungen vorhanden sind; mangels solcher besteht ein Recht der Exterritorialität für die Konsuln, ausgenommen die Konsulatspapiere, überhaupt nicht (s. über 4. Neben den Gesandten haben im Laufe die ganze Materie Zorn a. a. O. S. 91-101). des 19. Jahrhunderts die Konsuln eine 5. Durch die Entwicklung der neuesten immer steigende Bedeutung für den inter- Zeit wurden dem Recht der Exterrinationalen Verkehr der Staaten gewonnen; torialität eingefügt die Mitglieder der in wie hohem Grade dies durch den inter- neugeschaffenen internationalen nationalen Weltverkehr in Industrie und Schiedsgerichtshöfe. Diese sind erstens Handel geboten war, ist hier nicht zu unter- der durch die erste Haager Friedenskonferenz suchen. Die französische Gesetzgebung, in 1899 geschaffene Schiedsgerichtshof im Haag, diesem Punkte die weitsichtigste aller Ge- zweitens der durch den Völkerbund gemäß setzgebungen, hat demgemäß bereits durch dem Versailler Friedensvertrag errichtete das Gesetz vom 20. VIII. 1833 eine organische ständige Schiedsgerichtshof, gleichfalls im Verbindung zwischen Gesandtschafts- und Haag. In welchem Verhältnisse diese beiden Konsularwesen hergestellt. Tatsächlich aber internationalen Schiedsgerichtshöfe in der hat auch in anderer Staaten, so insbesondere Zukunft zueinander stehen, ob sie überhaupt für das Deutsche Reich, eine persönliche dauernd nebeneinander werden in Wirkund sachliche Verbindung zwischen Ge- samkeit stehen können, läßt sich heute sandtschafts- und Konsularwesen stattge- noch in keiner Weise übersehen; daß aber funden, wenn auch nur in einzelnen Fällen. die internationale Schiedsgerichtsbarkeit Daraus ergab sich nach innerer Not- einen festgesicherten Bestandteil des Völkerwendigkeit eine Ausdehnung des Gedankens rechtes der Zukunft bilden wird, darf heute der Exterritorialität auch auf das Konsular- schon als gewiß angenommen werden. wesen.,,Wo Gesandtschafts- und Konsularwesen rechtlich verbunden waren, ergaben sich keine Schwierigkeiten: Konsuln, die rechtlich zugleich Gesandte waren, hatten zweifellos das Recht der Exterritorialität als Gesandte.

Die hier einschlägigen Rechtsvorschriften bestimmen, daß,,die Mitglieder" jener Gerichtshöfe für die Dauer ihrer amtlichen Wirksamkeit das Recht der Exterritorialität genießen. Diese Vorschrift hat eiren Aber für die Konsuln, die positiven und einen negativen Rechtsinhalt. nicht formell den Gesandtencharakter Positiv bestimmt sie, daß die Richter jener trugen, vermochte sich in dieser Frage ein Gerichtshöfe als Gesandte gelten für die feststehendes übereinstimmendes Gewohn Dauer ihrer amtlichen Wirksamkeit; daß heitsrecht nicht zu bilden. Nur für die das Gewohnheitsrecht: vom Eintritt in die sog. Jurisdiktionskonsuln in den nicht- Grenzen der Niederlande bis zum Wiederchristlichen Staaten des näheren und ferneren austritt aus denselben auch hier zu gelten Orients hat sich eine den Gesandten analoge hat, darf ohne weiteres gefolgert werden, Rechtsstellung herausgebildet. Durch Staats- ja man wird geneigt sein, dies Gewohnheitsverträge einzelner Staaten wurde jedoch für recht hier dahin zu erweitern: für die ganze die beiderseitigen Konsuln in beschränktem Reisedauer vom Wohnsitze bis zur RückUmfange ein gewisses Maß von Rechten kehr an diesen, denn diese Richter stehen der Exterritorialität zugestanden; nur für die Dauer ihrer amtlichen Wirksamkeit

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im Dienste der allgemeinen Völkergemein- bezieht sich zweifellos auf alle Zivil- und schaft, nicht eines bestimmten Staates wie Strafgerichte; für sie hat die deutsche die Gesandten. Gesetzgebung sie ausdrücklich ausgesprochen Negativ aber ist die Vorschrift insofern, (GVG. § 18) und damit nur einen allgemein als sie sich nur auf die Person des Richters anerkannten Satz des Völkerrechtes wiederbezieht, nicht auf dessen Familie, sowie auf holt. anderweitiges Beamten- und Dienstpersonal. Die neueste Rechtsentwicklung hat aber Dieses ist durch den klaren Wortlaut der neben diesen beiden Gruppen der GerichtsVorschriften:,,die Mitglieder" von dem barkeit noch Gerichte verschiedener Art Recht der Exterritorialität ausgeschlossen. für bestimmte Sonderaufgaben geschaffen; Inwieweit räumlich die Vorschrift reicht, als deren wichtigste erscheint die Verwalist zweifelhaft. Daß die Amtsräume und tungsgerichtsbarkeit; daß nach dem ganzen Amtspapiere der internationalen Gerichts- Grundgedanken dieses Privilegs omnis höfe den Schutz der Exterritorialität coactio abesse debet a legato auch die haben, wird man auch ohne besondere Vor- Befreiung von jeder Art von Sondergerichtsschrift aus dem Charakter dieser Einrich-barkeit als darunter einbegriffen angenommen tungen zu folgern berechtigt, ja verpflichtet werden muß, wird Theorie und Gesetz

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sein; dagegen wird man für die Privatwoh- gebung haben diese Frage bis jetzt nicht nungen der Richter den Schutz der Ex- berührt nicht bezweifelt werden dürfen. territorialität nur für die etwa dort befind- Als feststehend aber wird in der Theorie lichen Aktenstücke des Gerichtshofes anzu- die Ausnahme anerkannt, daß in Fällen nehmen berechtigt sein. unmittelbarer Gefahr Hochverrat, Mord III. Inhalt der Exterritorialität. u. a. m. jederzeit erforderliche ZwangsDer Inhalt des Rechtes der Extraterrito- handlungen gegenüber Personen und Sachen, rialität läßt sich nicht generell bestimmen; die das Recht der Exterritorialität geinsbesondere ist, wie oben bereits festgestellt nießen, vorgenommen werden können:,,il ne wurde, der Satz unbedingt zurückzuweisen: s'agit plus de punir, il s'agit de défendre" das Recht der Exterritorialität bestehe (Ortolan).

in der Nichtgeltung der gesamten Gesetz- Daß auf die Exemtion von der Zivilgebung des Empfangsstaates für die ex- gerichtsbarkeit im einzelnen Falle mit Geterritorialen Personen und Sachen; vielmehr nehmigung des Absendes taates verzichtet unterstehen auch diese der gesamten werden kann, ist allgemein anerkannt; der Gesetzgebung des Gebietsstaates, insoweit Verzicht hat dann die Herstellung der sie nicht ausdrücklich von dieser inländischen Gerichtsbarkeit mit allen sich befreit sind. Den Inhalt der Exterri- daraus ergebenden Folgerungen Intorialität bilden nur diese ausdrücklichen stanzenzug, Vollzug des Urteils zur notBefreiungen, sei es daß diese auf positiver wendigen logischen Folge. Dagegen ist die Rechtsvorschrift oder auf internationalem | Zulässigkeit eines Verzichtes auf die Exemtion Gewohnheitsrecht beruhen.

Diese Befreiungen sind folgende:

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von der Strafgerichtsbarkeit zweifelhaft und wird nach dem Grundgedanken der Sache 1. Die erste und weitaus wichtigste ist verneint werden müssen. Das Dienstpersonal die Befreiung von der gesamten Ge- hat, soweit es sich um deutsche Staatsrichtsbarkeit des Empfangsstaates: angehörige handelt, nach der deutschen die Gerichte des Empfangsstaates sind unzu- Gesetzgebung kein Recht der Exemtion von ständig für alle Personen und Sachen, die der Gerichtsbarkeit. In Immobilienstreitigunter dem Recht der Exterritorialität keiten sowie für etwaige kaufmännische oder stehen. Den Gesetzen des Empfangsstaates gewerbliche Nebengeschäfte ist die Exemtion zwar sind diese Personen und Sachen unter- überhaupt nicht anerkannt. Soweit die worfen; der gerichtliche Zwang aber, der die Exemtion reicht, schließt sie auch die BeDurchführung dieser Gesetze zu sichern hat, freiung von der Zeugnispflicht ein; jeder kann gegen sie nicht ausgeübt werden durch Zwang zur Zeugnisablegung, wie er gesetzdie Gerichte des Empfangsstaates, sondern lich für die eigenen Staatsangehörigen besteht, nur durch die Gerichte ihres eigenen Staates, ist ausgeschlossen.

die selbstverständlich über den Fall nur 2. Die zweite Gruppe von Privilegien, die nach ihren Gesetzen urteilen dürfen; daß im Rechte der Exterritorialität enthalten hieraus sich Schwierigkeiten ergeben können, sind, bezieht sich auf die Finanzhoheit ist klar; derartige Schwierigkeiten können des Staates. einen rechtlichen Austrag nur finden durch Überweisung an einen der beiden internationalen Schiedsgerichtshöfe.

Übereinstimmend ist die Theorie dahin, daß die indirekten Steuern hierbei nicht in Betracht kommen: ihnen sind auch die

Die Exemtion von der Gerichtsbarkeit exterritorialen Personen in gleicher Weise

wie die Inländer unterworfen.

Das gleiche rechtlichen Privilegien kann nur durch die wird gelten müssen für die sog. Verbrauchs- Gesetzgebung des Empfangsstaates erfolgen abgaben, wie Wasser-, Elektrizitäts-, Ver- (s. hierzu Zorn a. a. O. S. 44ff.). kehrs- u. dgl. Abgaben. Dagegen erkennt 3. In der älteren Theorie des Völkerrechtes die Theorie die volle Freiheit der exterri- nimmt außerdem noch das sog. Kapellentorialen Personen und Sachen von recht als Bestandteil der Exterritorialität jeder Art direkter Steuern des Staates eine bedeutsame Stellung ein. Man versteht und der Kommunalverbände jeden darunter das Recht der Gesandten, sich Grades in vollem Umfange an und die Gesetzgebungen der Staaten haben dies Privileg im einzelnen näher bestimmt und begrenzt.

Desgleichen sind Personen und Sachen, die unter dem Recht der Exterritorialität stehen, frei von allen Auflagen und Abgaben für militärische Zwecke in Friedenszeiten.

in den Räumen der Gesandtschaft einen eigenen Gottesdienst ihrer Konfession einzurichten und auszuüben, also die Exemtion von der Kirchenhoheit des Staates. In den modernen Kulturstaaten, die auf dem Grundsatz der Gewissens- und Kultusfreiheit beruhen, ist dieses Privileg heute gegenstandslos geworden; doch ist es in den Staaten Ebenso besteht für solche nach über- des Orients sowie in den Staaten strenger einstimmender Ansicht der Theorie volle römisch-katholischer Exklusivität auch heute Freiheit von Grenzzöllen und die Kurier- noch von Bedeutung. säcke dürfen bei Überschreitung der Grenze

nicht durchsucht werden.

Die genauere Bestimmung dieser finanz- Eysinga s. VRsliteraturgeschichte.

Zorn.

F

Fachausdrücke, diplomatische s. Diplo- Schiffsbesatzung zuerst an eigene Rettung

matische Fachausdrücke. Fahrlässigkeit s. Haftung.

Fakultative Schiedsgerichtsbarkeit s.

Schiedsgerichtsbarkeit.

,,Falaba"-Fall.

Der

und hielt sich in den Rettungsbooten abseits, ohne am Rettungswerk teilzunehmen. Von der Aufforderung zum Verlassen des Schiffs bis zum Torpedoschuß vergingen 33 Minuten, nicht gerechnet die Zeit der Verfolgung der F., welche etwa 15 Minuten betrug. Der Dampfer F. (geb. 1906, 4806 t) der Schuß fiel erst dann, als verdächtige Rauchbritischen Elder-Line befand sich auf der wolken die Annäherung von Zerstörern Fahrt von Liverpool nach Westafrika, als wahrscheinlich machten und den Komer am 28. III. 1915 mittags 70 Meilen von¦ mandanten zu schnellerem Handeln zwangen; Milford Haven in dem von Deutschland nur Kapitän Davis hatte nach den Beoberklärten Kriegsgebiet ein Unterseeboot achtungen des U-Boots auf seinem Posten sichtete; F. hatte unter den 160 Passagieren tapfer ausgeharrt, während sonst alles von eine Anzahl höherer Kolonialbeamter sowie Bord war und von herbeigekommenen Fischeine größere Menge von Offizieren und (auch dampfern aufgenommen zu sein schien. farbigen) Soldaten an Bord. Unter der Die Versenkung der F. als ersten PassagierLadung befanden sich 13000 kg Munition. dampfers machte in England und der von Der Kommandant des U-Bootes signalisierte: dort abhängigen neutralen Presse gewaltigen ,,Drehen Sie sofort bei oder ich schieße"; Eindruck; doch konnte die seeamtliche trotzdem machte Kapitän Davis von der F. Verhandlung vor dem Board of Trade einen Fluchtversuch und suchte durch trotz der amtlichen Retusche und dem Raketensignale Hilfe herbeizurufen, wurde offensichtlichen Bestreben, den großen aber eingeholt und durch Signal aufgefordert, Menschenverlust (104 Personen, 61 Passadas Schiff binnen 10 Minuten zu verlassen. giere, 43 Besatzung) auf die unmenschliche Dann ging der Kommandant auf 500 m heran deutsche Brutalität zurückzuführen, nicht und wiederholte durch Sprachrohr:,,Leave verhindern, daß eine Menge von sehr bethe ship in 10 minutes." Man hatte auf F. lastenden Einzelheiten bekannt wurden; bereits begonnen, Boote zu Wasser zu danach ist der Schluß gerechtfertigt, daß bringen. Diese waren aber in skandalösem der Menschenverlust allein der an Zustande und brachen zum Teil auseinander Bord der F. herrschenden Unordnung oder schlugen um, außerdem dachte die und Verwirrung sowie der mangel

haften Beschaffenheit der Rettungs- bestanden hat. Lediglich tatsächlicher mittel und -maßregeln zuzuschreiben gewaltsamer Widerstand oder fortgesetztes ist. England hat sich übrigens auch gehütet, Bestreben eines Handelsschiffes zu entfliehen, den F.-Fall in dem Sammelsurium der Be- nachdem der Befehl zum Anhalten zwecks schuldigungen gegen die angeblichen deut- Durchsuchung ergangen ist, hat nach der schen,,Kriegsverbrecher" mit aufzuführen! bisherigen Anschauung das Leben der PassaSelbst wenn man von der Tatsache absieht, giere und Mannschaften verwirkt. Die daß F. als feindliches Schiff im erklärten Regierung der V. St. nimmt jedoch nicht an, Kriegsgebiet (siehe Sperrgebiete) ohne daß die Kaiserlich Deutsche Regierung sich weiteres der Zerstörung unterlag, bleibt in diesem Falle ihrer Verpflichtung entziehen neben der Wahrscheinlichkeit, ja der durch will, sondern nur die Umstände darzulegen photographische Aufnahmen an Bord be- wünscht, die den Kommandanten des U-Boots stätigten Gewißheit, daß F. als Truppen- veranlaßten, sich bei seinem Vorgehen ein transportschiff anzusprechen ist, die Tatsache so eiliges Verfahren zu erlauben." In ihrer der Flucht, welche den deutschen Komman- Antwort vom 8. VII. verneinte die deutsche danten berechtigt hätte, rücksichtslos gegen Regierung trotz aller sonstigen NachgiebigF. vorzugehen. Im Ergebnis genommen, nur keit mit Recht, ,,daß amerikanische abgesehen von der nach Lage der Dinge über- Bürger ein feindliches Schiff durch flüssigen Durchsuchung des Schiffs hat sich die bloße Tatsache ihrer Anwesendie Kriegshandlung hier ganz so nach der heit an Bord zu schützen vermögen. Regel abgespielt, als ob sie im Rahmen des Deutschland ist lediglich dem Beispiel EngKreuzerkriegs vorgenommen wäre. Trotz- lands gefolgt, als es einen Teil der See zum dem zögerte die Wilson-Regierung nicht, Kriegsgebiet erklärte. Unfälle, die in diesem auch diesen Fall gegen Deutschland aufzu- Kriegsgebiet Neutralen auf feindlichen greifen. Unglücklicherweise war nämlich Schiffen zustoßen sollten, könnten daher bei der geschilderten Konfusion vor der Ver- nicht wohl anders beurteilt werden, als Unsenkung der F. ein American Subject, ein ge- fälle, denen Neutrale auf dem Kriegsschauwisser Leon C. Thrasher (oder Trasher) platz zu Lande jeder Zeit ausgesetzt sind, ertrunken, welcher zwar keinen Wohnsitz in wenn sie sich trotz vorheriger Warnung in den V. St. hatte und seit Jahren in Britisch- Gefahr begeben". Im Anschluß daran wurde Westafrika tätig war, aber einen amerika- deutscherseits der Vorschlag gemacht, Amenischen Paß besaß; so kam Trasher dazu, in rika solle in Ermangelung des Erwerbs der ersten Lusitania-Note vom 15. 5. 1915 neutraler Passagierdampfer für den PerErwähnung zu finden (vgl. Gulflightfall). sonenverkehr Nordamerika-England vier Die deutsche Antwort vom 28. V. betonte feindliche Passagierdampfer unter amerikazwar, welch ausreichende Rettungsgelegen- nische Flagge bringen, denen,,freie und heit Passagieren und Besatzung der F. ge- sichere" Fahrt zugesagt werden solle. Diesem währt worden sei; das hinderte die Wilson- wirklich vom Geiste der Humanität erfüllten Regierung aber nicht, in der Antwort vom deutschen Vorschlag schenkte die Wilson10. VI. mit dem Schulmeisterton der Über- Regierung indessen keine Beachtung, viellegenheit zu erwidern:,,Die Regierung der mehr drohte sie in ihrer Note vom 23. VII., V. St. ist erstaunt, von der Kaiserlich daß sie,,eine Wiederholung von Handlungen, Deutschen Regierung die Auffassung ver- die Kommandanten deutscher Kriegsschiffe treten zu sehen, daß das Bestreben eines in Verletzung der neutralen Rechte begehen Handelsschiffs sich der Aufbringung zu ent- sollten, als vorsätzlich unfreundliche Akte ziehen und Hilfe herbeizurufen, etwas an der betrachten müßte, falls sie amerikanische Verpflichtung des die Aufbringung an- Bürger beträfen." strebenden Offiziers in bezug auf die Sicherheit des Lebens der an Bord befindlichen Passagiere ändern soll, auch wenn das Schiff im Augenblick der Torpedierung seinen Fluchtversuch bereits aufgegeben hatte. Das sind keine neuen Umstände. Staatsmänner und Kenner des internationalen Rechts hatten sie während der ganzen Entwicklung des Seekriegsrechts vor Augen und die Regierung der V. St. ist nicht der Ansicht, (High Court of Admiralty, 1804, 5 C. Rob. daß diese Umstände jemals so aufgefaßt Adm. 106, Scott, Cases on international law, worden seien, als könnten sie etwas an deu 1922, S. 181-185). Grundsätzen der Menschlichkeit ändern, auf I. Es handelte sich um die Frage der denen die amerikanische Regierung von je staatlichen Zugehörigkeit Louisianas. Ge

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Literatur: Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 137, 2. Ausg. 18. V. 1915; Nr. 149, Montagsausgabe 31. V. 1915; Nr. 162, 1. Ausg. 13. VI. 1915; Nr. 189, 2. Ausg. 10. VII. 1915; Nr. 204, 2. Ausg. 25. VII. 1915. Willms-Bonn.

Fama-Fall.

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