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B8h
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1886

1.

Der politische Hintergrund.

Ueber den deutschen Landen brütete seit den Tagen der Heiligen Allianz jene große, systematisch geordnete Reaktion, welche, vom Wiener Kongreß ausgegangen, auch in Desterreich ihren Mittelpunkt hatte, und Metternich, deren bedeutendster Repräsentant, ein Schüler Talleyrands, der zwar nicht die Gewandtheit seines Meisters besaß, jedoch weit schädlicher als dieser war, hoffte, ganz Europa damit umspannen zu können. Es galt jezt, daß Alles was die Revolution und Napoleon ins Wanken gebracht, erschüttert oder umgestoßen hatten, sich befestigt oder wiederhergestellt erheben konnte. Man war schließlich dazu gezwungen worden, den großen Feind durch allerlei Mittel zu bekämpfen: man hatte an das Volk appellieren müssen statt ohne Weiteres zu befehlen, man hatte sich an die Sentimentalität wenden müssen statt an die Unterthanentreue, man hatte sogar etwas von wirklicher Kabinetspolitik so Entferntes, etwas so studentenartig Revolutionäres wie „Deutschlands Wiedergeburt“ geloben müssen! Ganz gewiß war da ein merkbarer Unterschied bei der Parole gewesen, welche von Oesterreich ausging und der, welche Preußen ausgab. ,,Gerechtigkeit und Ordnung“, „Ordnung und Friede“, das waren die Stichworte in den österreichischen Proklamationen „das Volk“, „Freiheit und Ehre“, „Deutschthum“, waren die preußischen Stichworte. Aber damit waren diese beiden großen deutschen Staaten viel weiter der Stimmung des Zeitalters entgegengekommen, als es mit der Sympathie der leitenden Staatsmänner übereinstimmte. Und kaum war der Feind ver

Brandes, Hauptströmungen. VI.

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jagt, der Erbe der Revolution zerschmettert und der „Freiheitskrieg" beendet, als es auch für sie galt, der Freiheit wie dem Kriege ein Ende zu machen.

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Die Jugend, welche unter den napoleonischen Kriegen. herangewachsen war, hatte als Folge des Sieges die Verwirklichung seines Lieblingsgedankens, die Auferstehung eines einigen Deutschlands erwartet. Stein hatte bereits 1812 einen. Plan zur Wiedervereinigung der zerstreuten Theile des ehemaligen deutschen Reiches entworfen, im selben Geiste hatten Arndt und Görres ihre zündenden Reden gehalten. Aber im Pariser Frieden von 1814 wurde wörtlich bestimmt: „Die deutschen Staaten sollen unabhängig und vereint sein durch ein föderatives Band", und dadurch wurden alle Hoffnungen auf ein einiges Deutschland vernichtet. Fast ein Menschenalter entschwand, bevor dieser Gedanke wieder das Volk erfüllte. An. Stelle Deutschlands" entstand der deutsche Bunt, der deutsche Bunt" wie Jahn ihn nannte, eine bunte Harlekinstracht für die Nation und die Täuschung war bitter. Es ging mit. dem Freiheitstraume wie mit dem Einheitstraume. Um ihr Volk zum Kampfe gegen Napoleon aufzureizen, hatten mehrere Fürsten demselben eine freie Verfassung versprochen. Aber von den größeren Staaten hielten dieses Versprechen nur Bayern,. Baden und Württemberg, die ehemaligen Mitglieder des von. Napoleon gestifteten Rheinbundes, und führten, Bayern und. Baden, im Jahre 1818, Württemberg, wo der König ausnahms-weise freisinniger als die Stände war, im Jahre 1819 eine konstitutionelle Verfassung ein, während Karl August in seinem. Heinen Sachsen-Weimar als Bahnbrecher politischer Freiheit in. Deutschland bereits im Jahre 1816 eine freie Verfassung gegeben. und ein wahrhaft parlamentarisches Idyll geschaffen hatte..

Dies bedeutete aber nur wenig, da Oesterreich auch nach dem Frieden sein altes, reaktionäres Princip weiter verfolgte und Preußen, troz des politischen Triebes seiner Bevölkerung, sich ganz dem Metternich'schen Systeme anschloß.

Indessen hatte das preußische Volk nicht nur den Wunsch nach einer Repräsentativ-Verfassung, sondern es bessaß auch ein althergebrachtes Recht dazu. Es hatte Brief und Siegel darauf.

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