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Sein aufrichtiges Wort in einem dieser Briefe, daß sie Beide in ihrer gegenseitigen und so eigenartigen Liebe durch ihre Heirat mit einem andern Manne nichts verlieren würden, ging auch als eine Seltenheit in Erfüllung. Als Jeannette in ziemlich vorgeschrittenem Alter von einer echt irdischen Liebe erfaßt wurde und einen bedeutend jüngeren Mann heiratete, war es die gemeinsame Begeisterung für Börne, welche das Paar zusammenführte. Und in Jeanettens Antwort auf den Freiersbrief kommt auch eine Stelle über Börne vor, welche in ihrer schlichten Beredtsamkeit so charakteristisch ist, daß sie in dieser Analyse seines Menschenwesens und seines Schriftstellerlebens nicht fehlen darf. Sie schreibt:

der

Der Doktor hat Niemand auf der Welt, als mich, ich bin ihm Freundin, Schwester, alles, was sich mit diesem Namen Freundliches, Teilnehmendes, Wohlwollendes im Leben geben, bezeichnen läßt. Wollten Sie ihm das mißgönnen? nichts weiter hat im Leben und sich mit dem Schicksal abgefunden hat... ja sich sogar dabei glücklich fühlt? . . . Ich kann mir's nicht anders denken: der Doktor muß bei uns sein können, wann, wo und so oft und für immer, wenn er es will ich kann jest nicht Sie sagen, das Herz ist mir kannst Du Dir es anders denken zu voll dann ist alles anders, wie ich es mir dachte. Ich! Wir! sollten einen Mann wie den Doktor verlassen können — er wäre ein aufgegebener, verlorener Mann! Lieber alles verlieren, lieber nicht leben, als das auf mein Gewissen laden, auch könnte ich es nicht, wenn ich auch wollte . . . Schon diese wenigen Worte, die ich darüber geschrieben, haben mich zittern und leichenblaß gemacht. Denn nichts kann mich tiefer erschüttern, als auch nur der leiseste Gedanke an einen Verrat, nur der leiseste Gedanke der

hätte mir die Ehe mehr geben können, da sie jene nicht vermehren konnte? Ja ich war immer besorgt, wenn ich es Ihnen auch nicht gestand, die Ehe möchte unser schönes Verhältnis herabziehen in das Leben der gemeinen Wirklichkeit. Aber ich dachte, was ich noch denke, Sie würden dabei gewinnen und dieses hätte auch mittelbar mein Glück erhöht. Es ist also nichts, was Sie abhalten sollte, eine Verbindung mit einem andern Manne zu schließen. Sie und ich wir verlören nichts dabei.

Untreue an der Treue. So lange ich lebe, bis zum lezten Atemzuge werde ich für Börne die Treue, die Liebe und An= hänglichkeit einer Tochter zu ihrem Vater, einer Schwester zu ihrem Bruder, einer Freundin zu ihrem Freunde haben. Wenn Du das Verhältnis nicht auffassest, nicht begreifst, mich nicht genug kennst... so ist alles aus und Nacht. Ich kann nicht weiter schreiben. Es ist gut. Jezt ist es überstanden.“*)

Es zeigte sich bald, daß Strauß, Jeannettens zukünftiger Mann nicht nur in allem auf ihre Gemütsweise einging, sondern sie auch teilte. Er wurde Börne ein treuer Freund. Im Sommer 1833 lebte Börne fünf Monate bei dem Paare in der Schweiz. Als sie sich seinethalben in Paris niederließen, lebte er vom Ende des Jahres 1833 bis an seinen Tod mit ihnen zusammen, im Winter in Paris, im Sommer in Auteuil. Außer Heine hat sich Niemand ein zweideutiges Wort über dies Verhältnis erlaubt. Diese unselige Stelle in seinem Buche „Ludwig Börne“ veranlaßte das bekannte Duell mit Strauß, in dem Heine verwundet wurde. Heine hat später aus eigenem Antrieb jene Stelle ausgestrichen. Aus Aerger und Verdruß darüber, wie sehr diese Schrift über Börne seinem Ruhme geschadet, bezeichnete er in Gesprächen Jeanette gern als das häßliche Weib, welches, als er als deutscher Lieblingsdichter seinen Triumphzug hielt, quer über seinen Weg, ihm Unglück verkündend, schritt und Schuld daran ward, daß er zurückweichend, seinen schönen Lorbeerkranz im Kote verlor.*)

Gewiß ist, daß Jeanette Heine seine unverzeihliche Verunglimpfung nie vergaß, doch Niemand war weiter davon entfernt, eine Megäre zu sein, als sie. Es erfüllte sich fast, was Börne Jeanette, über deren mangelhafte Orthographie er sich lustig zu machen pflegte, einmal schrieb, daß in dem soeben von ihr erhaltenen Briefe mehr Fehler enthalten seien, als sie selbst besize: einer.

In ihren Ansichten kann man Börnes politische Entwickelungsstufen verfolgen. Nach der Julirevolution ist auch

*) Vergl. Westermanns Monatshefte. April 1887.
**) Alfred Meißner, Erinnerungen. S. 79 ff.

fie radikal-demokratisch. Ihr Biograph, Schnapper-Arndt, hat dies vortrefflich folgendermaßen ausgedrückt: Sie denkt zumeist mit Börne, zuweilen wider Börne, selten aber ohne ihn. Ganz selbständig schien sie jedoch in ihrer rein glühenden Sympathie für das polnische Volk, während des polnischen Aufstandes zu sein, so daß sie ihm in leidenschaftlicher Weise heftige Vorwürfe darüber machte, wie er in solcher Zeit über die italienische Oper in Paris schreiben möge. Die polnischen Sensenmänner, die polnische Freiheit daneben klingt ihr nichts anderes. Sie meint, Alle müßten helfen und giebt selbst ihre Wertgegenstände zum Besten der Polen, und nichts gleicht ihrem Schamgefühl, als die Deutschen zuerst für die Sache Polens Gleichgültigkeit zeigen, nichts ihrer Freude, als ein Sturm von Sympathie und Begeisterung durch das deutsche Volk zieht und sie Börne hiervon die Zeugnisse mitteilen kann.

10.

Börne. Die „Briefe aus Paris."

Der Aufstand in Polen, welcher vom Winter 1830 bis zum Sommer 1831 dauerte, wurde von fast allen europäischen Nationen mit der lebendigsten Teilnahme verfolgt. Alle wußten, daß die Polen dafür kämpften, ob Absolutismus oder Völkerfreiheit für die Zukunft in Europa herrschen sollte. Mit äußerster Spannung verfolgte man daher die Stellung der streitenden Parteien, jeder Polensieg wurde mit Jubel begrüßt, jede Niederlage von Volkstrauer begleitet. Als man schließlich sah, daß die Polen nicht imstande sein würden, allein, mit eigenen Kräften zu siegen, liefen zahlreiche Adressen von den Unterthanen bei den verschiedenen deutschen Regierungen ein, daß man den Polen beistehen möge. Die Deutschen hatten damals die Eigenschaft, die ihnen Bismarck in späterer Zeit als Fehler vorgehalten hat: sich beinahe mehr für eines fremden Volkes Wohlfahrt als für ihre eigene zu interessieren, selbst dort, wo fremdes Wohl nur auf Kosten des deutschen Machtbereiches zu erkaufen war. Unter ihm haben sie diesen Fehler abgelegt.

Nachdem für die Polen Alles verloren war, suchte die deutsche Bevölkerung wenigstens sein Mitgefühl an den Tag zu legen und erwies den polnischen Truppen auf ihrer Wanderung durch Mitteleuropa nach Frankreich eine so umfangreiche Gastfreundschaft als nur möglich. Ueberall wurden sie mit Wärme empfangen; fast jede deutsche Stadt besaß ihr Komitee, welches Geld für die Polen sammelte und deren Weiterkommen besorgte. Jeannette Wohls Briefe an Börne enthalten so manchen feinen und bezeichnenden Zug aus der Geschichte dieser Periode. Sie erzählt, wie polnische Offiziere, welche auf dem Main von Hanau nach Frankfurt kamen und von Hanauer Enthusiasten begleitet waren, ihren Einzug vom Schiffe aus unter Musik und Böllerschüssen hielten. Sie wurden von starken Schlächterarmen durch die Volksmenge getragen. Man sieht ferner aus ihren Briefen, daß sich, so oft ein Zug Polen durch die Stadt kam, alle Häupter vor ihnen entblößten. Die Stadt bezahlte ihren Aufenthalt in den Gasthäusern. Als in einem derselben ein verwundeter polnischer Offizier starb, begleiteten ihn Tausende, darunter auch das Frankfurter Bürgermilitär, zum Grabe. Ein Goldarbeiter faßte einen Granatsplitter, welcher einen polnischen Offizier verwundet hatte, in Form eines kleinen Schwertes, besezte es mit Diamanten und verehrte es demselben.

Mit Polen fiel das Bollwerk gegen den Einfluß des russischen Absolutismus in Deutschland. Seine Niederlage war zugleich diejenige der Vorkämpfer für Volksfreiheit in allen Staaten. Der Eindruck war erschütternd.

Ein Mann, der in Bremerhaven wohnte, als die Höllenmaschine des Massenmörders Thomas explodierte, erzählte, daß unmittelbar, nachdem er das Krachen dieser fürchterlichen Explosion vernommen hätte, eine abgerissene blutige Hand durch ein offenstehendes Fenster zu ihm hereingeflogen und auf den Schreibtisch, an dem er gesessen, niedergefallen sei. Ebenso wirkte die Einnahme Warschaus auf die deutschen Schriftsteller. Die abgeschlagene Hand des verstümmelten Polens fiel ohne jede Warnung auf ihren Schreibtisch nieder. Heine schreibt in seiner Vorrede zu Kahldorfs Buch über den

Adel im Jahre 1831: „Ist es mir doch, während ich dieses schreibe, als sprizte das Blut von Warschau bis auf mein Papier und als hörte ich den Freudejubel der Berliner Offiziere und Diplomaten."

Die drei Teilungsmächte waren gar schnell bei der Hand, diesen Sieg zur Ueberwältigung des bestürzten europäischen Liberalismus zu benutzen, und zwar gleichzeitig in vier Ländern: in Deutschland, wo der Bundestag eine größere Reaktion herbeiführen und Preußen und Desterreich sie vollziehen sollten; in Italien, welches wieder von Oesterreich beseßt, in Portugal, wo Dom Miguel gegen seinen Bruder geholfen, und in den Niederlanden, wo der König von Holland gegen das aufrührerische Belgien gestüßt werden sollte.

Sofort nach Unterdrückung des polnischen Aufstandes wurde von Petersburg eine Note an die deutschen Regierungen gerichtet. Rußland forderte sie darin auf, die revolutionäre Geistesrichtung in ihren Staaten im Zaume zu halten und bot hierzu seine Hülfe an. Die Zensur wurde verschärft, liberale Tagesblätter und Zeitschriften unterdrückt, während die Kammern der süddeutschen Staaten protestirten und die freisinnige Presse troz aller Verwarnungen und Drohungen mit jedem Tage eine leidenschaftlichere und rücksichtslosere Sprache führte. Man hatte nämlich bis jezt geglaubt, daß die Fürsten nur durch ihre Umgebung daran verhindert würden, dem Volke all das Gute zu gewähren, was es erwünschte. Dieser Glaube schwand nun. Man neigte im allgemeinen zu der Ansicht, daß die Vereinigung der deutschen Lande zu einem einzigen 'fonstitutionellen und vor allem freisinnigen Staate nahe bevorstehend sei. Da man in politischer Hinsicht wenig vorausblickend, dagegen in allerhand optimistischen Anschauungen herangebildet war, so konnte man es sich nicht vorstellen, daß eine solche Bewegung, wie sie von der Julirevolution hervorgebracht war, sich wieder verlieren könnte, ohne das geringste politische Resultat ergeben zu haben. Die Verfechter des Liberalismus hatten die „Fortschrittsidee" als Religion gepredigt; .man glaubte eben, daß der Fortschritt unbedingt siegen und selbst ¡¿jeder Reaktionsversuch ihm schließlich zu Gute kommen müsse.

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