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seltene Erscheinungen, daß man deren Anblick erst erkaufen muß? Auf der Bühne soll der Mensch eine Stufe höher stehen als im Leben." Und er erklärt, daß man deshalb zur Heldenzeit der Griechen und Römer Fabeln und Göttergeschichten auf die Bühne brachte. Die Modernen, die weniger sind, brauchten nur die wirklichen Menschen der alten Völker darzustellen, oder dürften nur in den Feierkleidern ihrer Leidenschaften auf die Bühne kommen. Wie man sieht, nährt er naiv den Glauben, daß die „klassischen" Altertumsmenschen durchgängig weit über den modernen standen, und er versteht nicht, daß die schlichte Wirklichkeit durch geeignete Behandlungsweise zur Kunst geadelt werden kann.

Ein noch viel stärkeres Zeugnis, als diese akademischen Tiraden für den Börne mangelnden Sinn für einfache Poesie bietet seine Kälte gegenüber dem alten Testament. In einem seiner Briefe an Henriette Herz aus seinem 19. Jahre kommnt eine Stelle vor, so trocken und ältlich wie ein Wiz Voltaires über die fünf Bücher Moses — und zwar nach Goethe: „Die alten Juden von Abraham an bis zu dem weisen Salomo sind mir stets vorgekommen als ob sie die allgemeine Weltgeschichte travestiren wollten. Lesen Sie nur Josua und das Buch der Könige und Sie werden finden, wie Blumauerisch alles darin aussieht."*)

Diese uralten Zusammenstellungen merkwürdiger Legenden und Geschichten mit einer plumpen deutschen Travestie von Virgils Aeneis zu vergleichen, ist nur möglich, wenn man unempfänglich für die Gestalten der Vorzeit, in jedem Werke eine moderngefühlvolle, religiöse oder politische Moral sucht. Es stimmt dies aber gut dazu, daß Börne mit einer blinden Schwärmerei für das unbestimmte, halb neutestamentliche, halb modernsalbungsvolle Pathos in Lamennais' Worte eines Gläubigen" endigt.

* Briefe des jungen Börne. pag. 143.

8.

Börne und Menzel.

Ohne diesen Mangel an poetisch-künstlerischer Empfänglichkeit würde Börne's Beteiligung an der, von mehreren Wortführern seiner Zeit in Szene gesezten Reaktion gegen Goethe nicht voll und ganz erklärlich sein. Obgleich sein Unwille gegen Goethe ursprünglich genug war, so war er doch keineswegs der Schöpfer jener Reaktion gegen ihn; er fand sie vielmehr im vollen Gange vor. Ungefähr gleichzeitig mit der Freude, welche von pietistischer Seite über Pastor Pustkuchens falsche Wanderjahre" mit ihrem Angriff auf die Gottlosigkeit des Heiden Goethe erhoben wurde, begann man in der aufstrebenden politischen Jugend Untersuchungen zu billigen, welche Goethes politische Ueberzeugung betrafen. Man maß ihn da mit dem Maßstabe der lezten Tage und schilderte ihn als einen „Aristokraten" welcher ohne Herz für das Volk und in Wirklichkeit ohne Genie sei.

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Der erste, welcher in großem Stil und mit fonsequenter Hartnäckigkeit die Herabseßung Goethes während einer langen Reihe von Jahren systematisch betrieb, war Wolfgang Menzel (geb. 1798). Noch nicht dreißig Jahre alt, ausgerüstet mit einer gewissen groben litterarischen Begabung, ungeheurem Selbstbewußtsein im Auftreten, dabei ein stramm liberaler Doktrinär, Patriot und Moralist, hatte er sich zu großem und gefürchtetem Einfluß aufgeschwungen. Gleich Börne ging auch er ursprünglich von Jean Paul aus. Aber die zu seiner Zeit berühmten Streckverse" (1823), welche unzweideutig eine Nachahmung dieses Vorbildes sind, verunstalten die Jean Paul'sche Art der Geistreichheit zur Karikatur. Dinge, die in absolut keiner natürlichen Verbindung mit einander stehen, werden zu einem Aphorismus zusammengezwungen, wie man ungefähr in einem Kalauer einander nichts angehende Vorstellungen zu einem Wortspiel zusammenkoppelt. Er schreibt: „Allerheiligen geht vor Allerseelen, die Propheten haben den Himmel eher als das Volk“. — „Die Religion des Altertums war die Kristallmutter vieler glänzenden Götter, die christliche

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ist die Perlmutter eines einzigen, aber unschätzbaren Gottes.“ Das Erdenleben ist eine Bastonnade.“ „Jede Kirchenglocke ist eine Taucherglocke, unter welcher man die Perle der Religion findet."

In seinem Litteraturblatt „Deutsche Litteratur", begann er seit 1819 eine mit wahnwißigem Dünkel und felsenfestem Glauben an die Berechtigung seines Angriffes geführte Polemik gegen Goethe. Zuerst suchte er die Bewunderung der Lejewelt für Goethes Originalität zu untergraben und strebte danach, in dessen Schriften Nachahmungen eines Vorbildes oder doch geborgte Gedanken aufzuspüren und überall fremden Einfluß nachzuweisen.

In seinem ersten zusammenhängenden litterarhistorischen Werke „Die deutsche Litteratur", welches 1838 in zwei Bänden erschien, beschuldigte er Goethe in affektirt ruhigem Tone unter Anderem, auch allen Vorurteilen und Eitelkeiten des Zeitalters geschmeichelt zu haben. Er beschränkt hier dessen geistige Fähigkeit auf reine Darstellungsgabe, auf ein „Talent“, welches seinem Wesen nach ohne inneren Halt sei, „eine Hetäre, die sich jedem preisgiebt." Grethe habe allzeit mit dem Strome geschwommen und zwar auf der Oberfläche wie ein Kork, jede Mode-Schwäche und -Chorheit habe in ihm ihren bereitwilligen Diener gefunden; unter der glatten Maske seiner Werke verberge sich eine raffinirte Genußsucht und Sinnlichkeit; seine Gedichte seien die Blüte des in der modernen Welt herrschenden Materialismus. Goethe habe kein Genie, aber in hohem Grade „das Talent, seine Leser zu seinen Mitschuldigen zu machen usw.*)

Heine, welcher unkritisch genug, in einer Recension das Wert und dessen Verfasser lobte ein Lob, das er bald genug bereuen sollte wich doch vor der Menzel'schen Lehre zurück, daß Goethe fein Genie, sondern nur ein Talent sei. Er spricht die Ansicht aus, diese Lehre würde nur bei Wenigen Eingang finden und selbst die Wenigen werden doch zugeben, daß Goethe dann und wann das Talent hat, ein Genie zu sein."**)

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*) Menzel, die deutsche Litteratur. Bd. II. C. 205-222. **) Heine, sämmtliche Werke. Bd. XIII. S. 265.

Menzel sezte indessen sowohl in zahlreichen Zeitungsartikeln als auch in seinem bald um das Doppelte vermehrten Werke über die deutsche Litteratur die Kanonade fort. Er wies darin dreierlei Eitelkeiten und sechserlei Wollüsteleien bei Goethe nach. Er ging dessen größere und kleinere Schriften eine nach der andern durch, maß sie mit seinem moralischpolitischen Zollstabe und fand sie erbärmlich. Clavigo verurteilte er, weil dieser Marie verläßt. Es nüßt nichts, daß der Dichter ihn durch die rächende Bruderhand fallen läßt, gerade dies erbittert Menzel auf das Aeußerste, da bekanntlich der berühmte Liebhaber in der Wirklichkeit lustig weiter lebte, und sein Tod auf der Bühne ihm nur als gewöhnlicher Theatercoup galt. Wie man sieht, muß der Kritiker, um das Stück hinreichend unmoralisch zu finden, ein Wissen zu Hilfe nehmen, das gar nichts damit zu thun hat. „Tasso“ gilt ihm als Goethe's Höflingsbekenntnis", worin die Eitelkeit des Emporkömmlings in den Frauen zugleich das Vornehme, das Königliche begehrt. Mit Leichtigkeit kann sich nun der Leser das Moralische vorstellen, das Menzel an den „Mitschuldigen“, den „Geschwistern", in welcher die Wollust nach der schönen Schwester schielt," an "Stella", wo „der Reiz der Raffinirtheit nach dem Reiz der Bigamie gelüstet“ auszusehen hat. Aber selbst „Wilhelm Meister“ ist ihm nur eine Umschreibung für Goethe's unwürdige Geringschätzung der inneren Würde der Tugend und seiner Begierde nach den Annehmlichkeiten des Adelsstandes.*) Die „Wahlverwandtschaften“ endlich sind für ihn der Typus des „Ehebruchsromans“, welcher sich um Wollüstelei dreht, die das Fremde begehrt. Ja „die Braut von Korinth“ ist ihm nur Ausdruck einer Wollust, „die sogar noch in den Schauern des Grabes, in der Buhlerei mit schönen Gespenstern einen haut goût des Genußes sucht."

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Wo es unmöglich ist, Unsittlichkeitsbeschuldigungen anzubringen, greift Menzel auf seine Beschuldigungen der Un

*) Geadelt zu werden, im Reichtum zugleich den haut goût der Vornehmigkeit in behaglicher Sicherheit zu genießen, war ihm für dieses Leben das Höchste.

selbständigkeit zurück. „Hermann und Dorothea" ist nicht: nur eine untergeordnete Arbeit, als Huldigung des Spießbürgertums, sondern auch eine direkte Nachahmung der Voß'schen „Luise“. Wirklich original, sagt Menzel, habe Goethe nur im "Faust" und im Wilhelm Meister" sein können, weil er in diesen sich selbst kopiert habe. Ueberdies habe er in seiner Jugend von Molière und Beaumarchais, von Shakespeare und Lessing geborgt, während seine späteren Jambentragödien "Früchte seiner Rivalität mit Schiller" seien. Obendrein wäre. er, wie Gott und alle Welt wisse, kein Patriot.

Vergleicht man nun Börne's Angriffe auf Goethe mit diesen von Menzel, so findet man, troß der Unbändigkeit seiner Ausdrücke, die größte Unähnlichkeit; denn Börne läßt sich nicht darauf ein, Goethes Dichterwerke zu beurteilen, geschweige denn zu verurteilen; aber noch weniger erniedrigt er sich zu Beschuldigungen wegen geschlechtlicher Unsittlichkeit sein beständiger Sturmlauf auf Goethe beschränkt sich nur auf dessen politische Persönlichkeit. Saint René Taillandier hat richtig bemerkt, daß Börne alles, was er gegen Goethe auf dem Herzen: hatte, zum Ausdruck gebracht hat, als er über seiner Ankündigung. von Bettina's Schrift „Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde“. folgende Worte aus „Prometheus“ als Motto sezte:

Ich Dich ehren? Wofür?

Hast Du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?

Hast Du die Thränen gestillet

Je des Geängstigten?

Von Goethe's Werken verstand er wohl nur diejenigenzu würdigen, in denen er das Feuer der Jugend fand, undseine Angriffe auf deffen andere Schriften beruhen nicht auf Geringschätzung, sondern auf dem Umstande, daß Goethe, der durch seine Fähigkeiten und sein Ansehen so hoch gestellt war, nie, weder seine Persönlichkeit, noch seine Stellung für irgendwelche Verbesserung der realen Lebensbedingungen in Deutschland eingesezt hatte. Es hält nicht schwer, aus Börne's Schriften zahlreiche Effektstellen herauszuheben, in denen er die Menzel'sche Tonart anschlägt, wie z. B. in seinem „Tagebuch" von 1830, wo er von Goethes Glück erzählt, daß er

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