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die neutralen und konservativen, und von ihnen allen auf rührerische Stimmung einsog.

In diesem kritischen Augenblicke erschien es der Jugend,. als ob die ganze Litteratur zu den Waffen riefe, auch die längst als klassisch anerkannte Litteratur, die ihr unsterbliches Leben in schönen Bänden in den Bücherschränken führte.. Denn in einer gewissen Stimmung liest man sich selbst aus. allen Büchern heraus.

Was war er denn gewesen, dieser Schiller, den man ihnen ‹ allen schon als Kinder in die Hand gedrückt hatte? Was anders als ein Empörer, dessen erstes Buch als Motto die bekannten Worte trug, „Was Arznei nicht heilt, das heilt: das Eisen, und was Eisen nicht heilt, das heilt Feuer“. Undstimmte wohl der Geist in seinen Werken an einem Punkte mit dem fgl. preußischen oder k. k. österreichischen Geiste überein? Was war denn Goethes Wesen in seiner Jugendanders als himmelstürmender Troß gewesen? Endete nicht selbst die Dichtung seines Alters Faust" mit dem Wunsche,. ein freies Volk auf freiem Boden stehen zu sehen, und wie mußte nicht er, der das Berlin Friedrichs II. verabscheut hatte,. dasjenige Friedrich Wilhelms IV. haffen! Und von Hegel der als Revolutionär begonnen und als Ultrakonservativer gestorben war, zog man alle Schlüsse, die er ungefolgert ge= lassen hatte. Und von Feuerbach, der nichts mit Politik zu thun haben wollte, ieitete man das philosophische Niedermezeln des Hauptes des Weltstaates in das Gebiet der wirk lichen Staaten über!

Ja, ein Unwetter zog auf. Wie sonst die Schwalben, so flogen jezt Preußens und Desterreichs heraldische Adler niedrig.Vergebens suchten die Fürsten das Unwetter zu beschwören, wie Friedrich Wilhelm IV. durch Einberufung eines allgemeinen. Landtages nach Berlin im April 1847. Er konnte nach seiner Ueberzeugung nicht anders, als denselben mit einer Rede zu. cröffnen, in welcher er sich troy aller scheinbaren Einräumungen . weigerte, gerade das Entscheidende, was das Volk von ihm. forderte, zu gewähren.

„Keiner Macht der Erde“, rief er aus, „joll es gelingen,.

das natürliche Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles, konstitutionelles zu verwandeln, und nun und nimmermehr werde ich es zugeben, daß zwischen unsern Herrgott im Himmel und dieses Land ein geschriebeues Blatt sich eindrängt, um uus mit seinen Paragraphen zu regieren und die alte heilige Treue zu ersetzen."

Die Zeit war um. Man forderte jährliche Parlamente und vollständige Erfüllung der alten Versprechungen von 1815 und 1829. Jacoby, Heinrich Simon, Gervinus und Andere prüften die königlichen Gesehentwürfe und verwarfen sie.

Und dann brach es los! Zuerst in der Schweiz mit der bewaffneten Ueberrumpelung des jesuitisch gesinnten Sonderbundes durch die radikalen Kantone bereits im November 1847, dann mit entscheidender Gewalt in Paris, darauf in allen Hauptstädten Deutschlands und in manchen außerdeutschen. Wie der Donner in einer Berggegend von Gebirgswand zu Gebirgswand zurückgeworfen wird, jo erweckte in diesem tollen und heiligen Jahre 1848 der Donner der Revolution Echo auf Echo von einer europäischen Hauptstadt zur andern.

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Die Revolution.

Im Hochland fiel der erste Schuß
Im Hochland wider die Pfaffen!
Da kam, die fallen wird und muß,
Ja, die Lawine kam in Schuß

Drei Länder in den Waffen!

Schon kann die Schweiz von Siegen ruhn:

Das Urgebirg und die Nagelfluhn

Zittern vor Luft bis zum Nerne!

Drauf ging der Tanz in Welschland los

Die Scyllen und Charybden,

Vesuv und Aetna brachen los:

Ausbruch auf Ausbruch, Stoß auf Stoß!
Sehr bedenklich, Euer Liebden!"

Also schallt's von Berlin nach Wien
Und von Wien zurück wieder nach Berlin
Sogar dem Nickel graut es!

Und nun ist denn auch abermals
Das Pflaster aufgerissen,

Auf dem die Freiheit nackten Stahls

Aus der lumpigen Pracht des Königssaals
Zwei Könige schon geschmissen

So sang Freiligrath im Februar 1848 wenige Tage nach Ausbruch der Revolution in Paris. Da ging ein langes, schmerzliches und doch linderndes Zucken durch die deutschen Lande. Es war als ob sich Europa Luft geschaffen, als ob eine Fensterscheibe geöffnet worden. Es war, als ob die einzige Macht, welche Wunder schafft, das Beispiel, das deutsche Volk zur Nachahmung, zum Handeln zwang. Und zugleich wirkte auch die Angst mit, der Absolutismus möge jezt seinen letzten Schachzug wagen: Deutschland für bedroht durch die Revolution in Frankreich erklären und Preußens und Desterreichs Völker gegen die französische Republik führen.

In Oesterreich hatte die geistige Unterjochung ihren Höhepunkt erreicht. Im Jahre 1846 hatte die Metternichsche Regierung sogar Kaiser Josephs II. „Herzensergüsse“, welche von einem verbannten Patrioten gesammelt waren, unter die verbotenen Schriften aufführen lassen. Und jezt brachten die Unruhen in den italienischen Provinzen Oesterreichs, welche den österreichischen Staatskredit und die ganze österreichische Industrie mit unermeßlichem Verluste bedrohten, die Erbitterung über Metternichs Regiment auf ihren Höhepunkt. Die entschiedene Niederlage, die er in der Schweiz durch Sprengung des jesuitischen Sonderbundes, den er mit aller Kraft gegen die Radikalen gestüßt, erlitten, hatte dem Glauben jeine Unüberwindlichkeit den legten Stoß versezt. In Preußen hatte gerade die büreaukratische Mißwirtschaft in einer einzelnen Provinz fürchterliche Folgen erzeugt. Monate hindurch hatte der Hungertyphus unter Schlesiens erbärmlich gestellter Arbeiterbevölkerung gewütet, ohne daß man von Oben her eingeschritten wäre. Längs den Landstraßen lagen Tote und Sterbende zu Hunderten und verwesten. In den Hütten lagen in der Januarkälte die einsamen Menschen und starben den Hungertod, und nackte Kinder, welche langsam über der Eltern Leichen verschmachteten; denn wurde Jemand von der Seuche ergriffen,

Brandes, Hauptströmungen VI.

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an

so war von Hülfe keine Rede, da es von den ganz unge bildeten Gemeindevorstehern verboten war, ein solches Haus zu betreten, damit sich die Ansteckung nicht weiter ausdehne. Und die Beamten der Regierung ließen sich nur sehen, um mit Härte die Steuern einzutreiben; als dann der Oberpräsident darauf angegriffen wurde, daß von August 1847 bis Ende Januar 1848 Nichts zur Linderung der Not geschehen sei, da antwortete er, daß Niemand darum formell angesucht habe!

Unter diesen Umständen hatten es die politischen Führer des Bürgerstandes leicht, ihre Standesgenossen mit sich fort zu reißen, und in der Hoffnung, seine Lage zu verbessern, sowie aus Haß gegen die herrschende Polizeiwillkür folgte der Arbeiterstand überall dem Bürgerstande.

Das heutige Geschlecht versteht nicht mehr die 1848er Stimmung. Die Stimmung, welche damals in Dänemark alle Geister ergriff, ist nicht einmal typisch. Wohl war es ein Geisteszustand von nationalem Selbsterhaltungstriebe und Stolz, wie anderwärts; aber in Europa erhoben sich die Völker im Aufruhr gegen die legitime Fürstenmacht und das Zwangsrecht. In Dänemark hingegen schlug man eine Empörung kraft der legitimen Fürstenmacht und des Zwangsrechtes eines gekränkten Nationalgefühls nieder. Es herrschte keine EmpörerStimmung im Geiste der Dänen; sie schlugen sich für altes Recht, nicht wegen neuer Gedanken.

Aber in ganz Europa erhob sich das unterdrückte Volf. Es war sich zu gut bewußt, wie lange es nichts anderes, als Böses erlitten, nichts anderes, als das Unrecht, die Gewohnheit und die Lüge triumphieren gesehen hatte. Das Wirkliche und Abscheuliche war ihm fast zum gleichbedeutenden Begriffe geworden; aber es besaß einen Glauben, welcher Berge versehen, und eine Hoffnung, welche den Erdball erbeben lassen fonnte. Freiheit, Parlament, nationale Einheit, Preßfreiheit, Republik, galten ihm gleichsam als magische Mächte; schon beim Nennen dieser Worte erbebte das Herz wie das eines Jünglings beim plöglichen Erblicken der Geliebten.

Die Vorwärtsstrebenden des heutigen Geschlechts fühlen anders. Sie wissen, daß die Dummheit ein reißendes Tier

ist und von allen das zäheste Leben besißt, daß die Feigheit, der flinke Sklave der Macht, auf deren Wink springt, und sogar start wie der Mut selbst ist, wenn es Vorteile zu verteidigen gilt, auf die sie Anrechte hat, und sie denken, daß das, was man Fortschritt nennt, eine franke Schnecke sei. Der naive Mann aus der Fabel kaufte sich einen Raben, um zu sehen, ob es wahr sei, daß derselbe 200 Jahre alt werden könne. Die Vorwärtsstrebenden in unserer Zeit wissen im voraus, daß die ganze schwarze Rabenredlichkeit, alle rabenschwarzen Lügen in jedem großen und kleinen Krähwinkel sie überleben wird wie viele hundert Jahre, das ist ihnen gleichgültig. Sie haben wohl ausnahmsweise einmal das Gute siegen sehen, aber nie anerkennen gehört, daß das, was für sie das Gute bedeutet, gesiegt habe. Sie haben die Wahrheit stets zuerst geschmäht, dann, wenn möglich, getötet, und wenn dies nicht glückte verstümmelt anerkannt gesehen. Sie hoffen deshalb nicht mehr viel. Manche von ihnen haben die Hoffnung in sich getötet, wie man einen Nerv tötet, der zu große Schmerzen verursachen kann. Sie sind zu oft getäuscht worden.

Jenes Geschlecht von 1848 hatte nie seine Zukunftshoffnung aufgegeben. Allerdings war es durch langjährigen Druck und Schmerz daran gewöhnt worden, die Brutalität und Scheinheiligkeit triumphieren zu sehen und in geistigem Halbdunkel zu leben, aber es glaubte an das kommende Licht. Und jezt sah man es plötzlich: zuerst einen Schein, dann einen Strahl, darauf eine Flamme, endlich den ganzen Horizont, soweit das Auge reichte, als ein Lichtmeer. Zum erstenmale hörte dies Geschlecht schallende, laute Stimmen, denen man nicht widersprach, die Freiheit das Recht der Völker nennen, und zum erstenmale jah es mit bewundernden Augen die Macht, diese bis dahin so unbewegliche Masse, der Unterdrückung und der Unwahrheit ungeheuren Träger, sich wie ein Kriegselefant in Bewegung sezen, sich drehen, sich schütteln, sich rollen, hinunterwerfen, die es trug, und seine Kampffüße nach jener Richtung sich bewegen, wo der neuen Zeit freiheitsbegeisterte und kampfesfrohe Männer standen, bereit, sich auf

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