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In Lumpen jene, diese jedoch in seidnem Rock;
Die abgemagert, hungerbleich, ein Schattenbild,
Verbannt zu Bettlern, selber eine Bettlerin;
Höchst stattlich diese, wohlgenährt, anmutiglich,
In hoher Herren ehrender Festgenossenschaft,

Ja selbst gesegneten Leibes ist sie, wie Ihr seht.

Auf diesen Vergleich zwischen der Herrlichkeit der Rivalin
und ihrer eignen Armut antwortet das fremde Weib mit Hoheit:
Wohl spotte mein! In meine Wunden lege Du
Die blutbefleckten, diebsgewandten Finger mir!
Auf meine Lumpen speie Du, und rühme Dich,
Weil ich ein armes, heimatlos, vertriebnes Weib,
Du weißt am besten, wessen Hand mein Blut vergoß,
Und wer vom Haupt die Krone mir gerissen hat.

Ihr bautest Du Paläste, mir Gefängniße.

Ihr schmeichelten Deine Schergen, mich verfolgten sie
Dir aber sag ich, Schattenkönigin, o Du,

Die Du mit zittern meines Namens Dich erfrechst:
Hinweg! verbirg Dich! Räume Du den Plaß, der mir
Allein gebührt! Denn Eure Herrscherin bin ich.

Und die Leibeigenen beugen sich vor dem fremden Weibe, welches nicht im Purpurgewande der Königin, sondern, wie sie selbst, in zerrissenen Kleidern kommt, und sie fragen einander, ob nicht sie die erwartete Befreierin sei, welche ihr Joch in Stücke zerbrechen und der Freiheit zündenden Blizz in die schlaftrunkene Welt hinausschleudern wird. Doch jetzt werden. beide Frauen aufgefordert, ihre Rechte zu beweisen, und Schlaukopf, welcher ausruft: „Dies ist ein Kampf des Legitimitätsprincips, souffliert seiner Dame.

Und die offizielle Germania, die fette Blondine, welche scheinbar des Landes Zukunft unter ihrem Herzen trägt welche damit prahlt und deshalb Ehrfurcht und Schonung verlangt, beginnt die Litanei ihres Lebenslaufes: wie sie in grauer Vorzeit auf Bärenhäuten im Walde gelegen und zu schäumendem Met Bucheckern und Eicheln gegessen — Bucheckern und Eicheln, rufen der Doktor, Kilian und Schlaukopf, das ist sie! Sie erzählt, wie sie zu den Pfaffen in die Schule geschickt ward, wie ihr die Nase dicht gegen das Kruzifir gedrückt wurde, wie sie christlich-germanisch wurde, Klöster dotierte,

Kirchen baute, des Papstes Pantoffel füßte u. s. w. — und der Chor antwortet: das ist sie! Sie teilt mit, wie sie sich darauf friedlich entwickelte, sich von jedem, der Lust hatte, Nasenstüber geben ließ, bis sie es soweit in der Loyalität gebracht habe, daß sie, wenn der Herr nur pfeife, komme, Schildwache stehe, den Stock apportiere - furz gesagt: daß sie der vollkommenste Pudel sei. Und der Chor jubelt: das ist sie! Dann schließt sie: Falls Gott und der König wollen, so würde es auch in Zukunft so bleiben. Jetzt sei sie, wie man sehe, nach ministerieller Anordnung schwanger. Verteidigt mich jeßt, Ihr Gendarmen, anerkennt mich als die einzige Germania, als deutsches Vollblut, und baut darauf, daß ich auch noch als Entgelt meinen Sohn zum Gendarmen erziehen werde!

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Die Gendarmen finden Vernunft in dieser Rede, und Schlaufopf triumphiert schon darüber, daß die Landstreicherin verstummt sei. Aber diese antwortet: sie räume ein, daß sie sich nicht auf Eigenlob verstehe, auch habe sie wenig zu loben, da ihre ganze Aussaat in der Zukunft liege. Das will ich zugestehen sagt sie daß die da ganz sicherlich ein Deutschland, ein echtes ist, ein Regierungsdeutschland, das offizielle Deutschland, das Bundestagsdeutschland — aber wahrlich, des Volkes Deutschland ist sie nicht, das Volk kennt sie nicht, das fümmert sich wenig um ihren langen, vermoderten Stammbaum. Und sie ruft die gefesselten Leibeigenen an, ihr zu Hülfe zu kommen und sie für diejenige, die sie sei, anzuerkennen. Aber in demselben Augenblick wird die andere Germania von heftigen Wehen ergriffen. Durch eine Explosion wird sie wie ein Bofist gesprengt, springt in die Luft und ist fort, und aus all dem Rauch, der sich darauf über der Szene ausbreitet, entfalten sich allmählich Nebelgestalten: Wallfahrtende Mönche, Romantiker, welche das Lob des heiligen Mittelalters singen Gänse, welche darüber trauern, daß der Schwanenorden noch nicht fertig, und gemäßigte Freisinnige, welche den Refrain anstimmen:

Immer langsam voran, immer langjam voran, Daß der preußische Fortschritt nachkommen kann! Da zerbrechen die Leibeigenen ihre Ketten, werfen sich vor dem

Brandes. Hauptströmungen. VI.

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fremden Weibe nieder und huldigen ihr als der wahren Germania, die noch jungfräulich, aber einst Mutter des zufünftigen Herrschers werden wird.

Das Sinnbild ist kräftig und schön; vor allem aber wahr. Nicht das unterjochte und zersplitterte Deutschland, welches damals als das fruchtbare und zukunftsreiche ausposaunt wurde, sondern die derzeit verfolgten und verhöhnten Freiheits- und Einheitsbestrebungen erzeugten des deutschen Reiches Zukunft. Es wirkt allerdings etwas verwirrend, daß die wahre Germania gar feine Vorzeit und keinen Stammbaum hat und daß all ihre Kraft und Herrlichkeit in der Zukunft liegen soll. Der Gedanke an einen solchen historischen Bruch besaß in jener Zeit eine gewisse Möglichkeit, ja eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die sie für uns aber nicht hat.

Aber auch das war in diesem radikal-polemischen Gedichte volle Wahrheit, daß sich das offizielle Vaterland allerorten all' dessen bemächtigt, was das Genie des Volkes in der Vorzeit hervorgebracht hat, auch all seiner Vorzeitsgrößen, sogar wenn deren Leben ein unaufhörlicher Kampf gegen alles Offi= zielle gewesen war. Selbst die Bildnisse aller Landesverwiesenen, aller Gefangenen und Enthaupteten trägt es um den Hals. Und zu allen Zeiten sagte man, daß das offizielle Baterland die Zukunft in seinem Schoße trage. Es giebt sich nicht nur zu jeder Zeit dafür aus, die Gegenwart zu sein, da die Existenz Aller an sein Bestehen geknüpft ist, sondern es soll auch die neue Zeit unter seinem Herzen tragen, und dies erfordere jene besondere Schonung, welche einer schwangeren Königin erwiesen wird. Und stets giebt es für die Denkenden eines Volkes zu gleicher Zeit ein zweites Vaterland, ein nicht anerkanntes, ein verleugnetes. Dies kleidet sich nicht in die Nationalfarben, und das Nationallied wird nicht angestimmt, wo man dessen Nähe verspürt. Es ist überall gegenwärtig, wo im Geiste der besten Männer des Landes gefühlt und ge= handelt wird. Ihm wird von des Volkes ganzer, denkender Jugend gehuldigt. Der gewöhnliche Mann steht ihm näher, als die offiziellen Machthaber des Landes. Ihm allein gehört die Zukunft!

Friedrich v. Sallet.

28.

Die revolutionäre Poche.

Otto Ludwig. Karl Beck. Alfred Meißner..
Moris Hartmann.

Es gab zu jener Zeit aufstrebende Geister, wirkliche Dichter, welche abseits von der gewöhnlichen Bahn der Litteratur dieser Jahre standen. Das waren Männer, wie der ausgezeichnete süddeutsche Dichter Eduard Mörike (1804 geboren), der lezte Sprößling der schwäbischen Dichterschule, welcher die engen Grenzen der Schule sprengte und als Lyriker eigentlich ein Reis von Goethes Stamme ist: ein Dichter von gediegenster Genialität, des Seelenlebens idyllischer, schelmischer und trauriger Sänger, der Verfasser des unsterblichen Gedichtes „Denk es, v Seele!" Da waren ferner Männer, wie jene beiden norddeutschen Dichter, der Thüringer Otto Ludwig und der Dithmarsche Friedrich Hebbel, jene beiden so kraftvollen Son= derlinge der neueren deutschen Litteratur, beide im Jahre 1813 geboren und beide ihre höchst verschieden gearteten Eigentümlichkeiten erst nach 1848 entfaltend, zwei knorrige Eichstämme mit reichem Laubwerk, die außerhalb des Waldes stehen. Nur ein Charakterzeichen haben beide aus jener Zeit, zu der sie Jünglinge waren, erhalten: den eigentümlichen finsteren Troß, der ihres Wesens Grundlage ist. Ihre Eigenart dagegen ist eine Vereinigung von Melancholie und Scharfsinn neben einem Hang zum Derb-Realistischen. Sie repräsentieren bereits das Wirklichkeitsstudium und die Wirklichkeitstreue einer späteren unpolitischen Zeit. Das gemeinsame Kennzeichen der vormärzlichen Dichter, jene helle Begeisterung und Richtung nach außen, nach dem öffentlichen Leben, nach durchgreifenden, gesellschaftlichen Reformen oder, im Notfall, nach durchzuführender Umwälzung, besitzen sie jedoch nicht.

Dieser Hang, im Verein mit jener philosophischen Klarheit, welche aus Hegels und Feuerbachs Schule stammt, ist vielleicht am schärfsten bei einem Geiste sichtbar, dessen Werke heutzutage mit Unrecht ziemlich in Vergessenheit geraten sind. Dieser mit Ludwig und Hebbel gleichalterige Dichter, der jung, nur 31 Jahre alt, vor der Märzrevolution starb, ist Friedrich

von Sallet. Er war deutscher Offizier und Autodidakt, der mit Erfolg danach strebte, eine gründliche und umfassende Bildung zu erlangen, ein Charakter, in dessen Festigkeit sich weder Sprünge noch Risse vorfanden. Er vereint des Zeitalters ganzen Tiefsinn mit dessen weitgehendem und leidenschaftlichem Freisinn. Als er 1831 seiner Abschied als Militär erhielt, lebte er nur noch für die Litteratur.

Am bekanntesten ist Sallets „Laien-Evangelium" geworden, eine Art Erbauungsbuch für Freidenker, eine Gedichtsammlung, in der er die einzelnen Begebenheiten der Evangelien symbolisch in modernem Geiste wiedergiebt und auslegt. Er beginnt jedes Gedicht mit einer Erzählung oder Lehre aus der Schrift und sucht dann den unsterblichen, bleibenden Kern in derselben darzustellen, indem er die historischen oder mythischen Einkleidungen bei Seite wirft. Etwa wie in Oehlenschlägers „Evangelium des Jahres“ ist die Auslegung zuweilenan den Haaren herbeigezogen; aber im Gegensaße zu jenem Gedichte ist das Laien-Evangelium durchweg in ein und demselben Versmaße geschrieben, ein Umstand, der unstreitig eine gewisse Einförmigkeit verursacht. Es erinnert seiner Form nach an ein etwas älteres Werk, an Leopold Schefers „Laien-Brevier"; es ist aber kein geringer Unterschied zwischen Schefers weichmütiger Zufriedenheit mit der göttlichen Einrichtung des Weltalls und Sallets ungeduldigem Verlangen, in den Gang der Geschichte einzugreifen. Das Buch kann auch etwas an Rückerts „Weisheit des Brahmanen" erinnern, nur daß Sallets Werk eine Weisheit enthielt, welche voll flammenden Zornes über die Lüge und Geistlosigkeit war, keine friedliche Sammlung goldener Lebensregeln, wie dasjenige Rückerts. Sallet vergleicht im einleitenden Gedichte seine Vorgänger in der morgenländischen Dichtung mit den Königen des Orients, die dem Lichtgedanken Weihrauch, Gold und Myrrhen darboten, aber dann in ihr orientalisches Traumleben zurückjanken. Jezt wird, sagt er, der Gedanke die Völker des Ostens und Westens aufs neue wecken. Hierin liegt es, daß er in seinem Eifer, in abendländischem Geiste die Sache seiner Ideale zu führen, das Kolorit vernachlässigte, und die Klippe, an welcher

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