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antraf, die einnehmende Nachlässigkeit in der Darstellung, eine Folge der nicht beabsichtigten Drucklegung, sowie die Mischung von Geistesüberlegenheit und Frivolität sprachen im höchsten Grade an. Wie oben (S. 136) erwähnt, glaubte man, daß Heine der Autor derselben sei. Der Verfasser war modern bis zum äußersten, gründlich blasiert, politisch weitgehend liberal, mit einem Worte: ein Freigeist.

Für uns haben dieje vier Bände „Briefe eines Verstorbenen" etwa denselben Wert, wie Madame de Girardins einnehmende vier Bände ..Lettres parisiennes du Vicome de Launay." Sie ist frischer und schreibt zuweilen besser als der Fürst. Er besit fosmopolitische Erfahrungen von Gesellschaftskreisen und Ländern, die sie gar nicht kennt. Man lese z. B. als Probe seines Stils die anspruchslose Wiedergabe seines Gespräches mit Goethe in Weimar im dritten Bande der Briefe. Seine begeisterte Ehrfurcht vor Goethe macht den Eindruck von Echtheit, und nicht minder Goethes Antwort auf seine Artigkeiten. Goethe hat mit ihm sofort von Muskau, welches mit M. bezeichnet ist) gesprochen und Pücklers Verdienst um die Erweckung des Schönheitssinnes hervorgehoben: Jeder sollte nur in seiner Sphäre, ob sie nun groß oder klein sei, treu und mit Hingebung arbeiten, dann fördere man das Allgemeinwohl. Er für seinen Teil hätte nichts anderes gethan und Pückler mache es in Muskau ja ebenjo.

Pücklers spätere zahlreiche Reisebeschreibungen lassen uns ganz falt. Es mangelt ihnen allen das Unwillkürliche der ersten Briefsammlung, in noch höherem Grade aber auch das litterarische Talent, welches dies allein nur hätte ersehen können. Den Zeitgenossen der dreißiger und vierziger Jahre sagten sie jedoch, in gleich hohem Maße wie die ersten Bücher zu, und die Popularität des Verfassers erreichte eine enorme Höhe; er war aller Orten, wie etwa Franz Liszt bekannt und bewundert. Heine widmet ihm noch im Jahre 1854 in einer begeisterten Vorrede, in der er ihu „mein hochgefeierter und wahlverwandter Zeitgenosse“ nennt, seine „Lutetia“. Und in Varnhagens Tagebüchern liest man unterm 7. Juli 1839: „Fürst Pücklers Name wirkt doch wie ein Zauber auf die Leute.

Die große Welt in allen Nationen lauscht mit Spannung, jobald die Rede von ihm ist. Er hat einen gewaltigen Ruhm, und je flüger einer ist, desto mehr schätzt er ihn."

Bereits ihm Jahre 1834 hatte Varnhagen von ihm gesagt, daß er etwas Gemeinjames mit dem jungen Deutschland besäße, und zwar das Wesentlichste, nämlich die vollkommene Geistesfreiheit, und später brauchte er von ihm den Ausdruck, daß er das Oberhaus in der deutschen Litteratur repräsentiere, wie Heine das Unterhaus.

Pückler besaß eine rein ritterliche Ergebenheit für das Haus Hohenzollern und näherte sich, so oft er in Berlin war, dem Könige. Er anerkannte Friedrich Wilhelms IV. Bildung und Witz. Da er indessen in religiöser Hinsicht entschiedener Voltairianer war, der nie in einem Priester etwas anderes als einen Heuchler sehen konnte, dem auch alle unklare Frömmigfeit eine Pest war, so mußte ihn das Romantische im Charakter des Königs stark abstoßen. Wie Humboldt wandte auch er sich vom Hofe fort zu Varnhagen, dem klugen Beobachter und Kritiker, welcher vergessen in seiner Ecke saß und in seinem. Journale - einem in Sainte-Beuve's Manier geführten Tagebuche die Geschichte der Zeit schrieb. In späterer Zeit wurde auch er ein fester Gast bei Lassalle's fleinen Mittagsgesellschaften, bei denen er gern das Wort führte — und man sagt, daß er der Einzige gewesen sei, den Lassalle das Gespräch beherrschen ließ.*)

Fügt man dann noch zu den erwähnten Schriftstellern den alten, früher als Demagogen verfolgten Arndt, den Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berief, so hat man die sämmtlichen romantischen, konservativen, neutralen oder aristokratischen Männer der Feder, die an seine Person zu knüpfen, dem mächtigsten der Könige des eigentlichen Deutschlands glückte. Man sieht, wie lange und wie stark! Die Opposition aber wandte sich sogar gegen diejenigen Schriftsteller, welche den

*) A. de Reumont: Aus König Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen. — Briefe A. v. Humboldks an Varnhagen v. Ense. Varnhagen's Tagebücher. Hillebrandt, Zeiten, Völker, Menschen. Bd. II.

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Hof und die Machthaber nur streiften; wir sahen, daß Herwegh seine erste Gedichtsammlung mit einer schnaubenden Herausforderung an Fürst Pückler eröffnete. Ja, selbst gegen Arndt richtete er seinen Spotter nannte ihn ein Abendrot, das nicht mehr die junge Welt erleuchten könne — und erhielt dafür eine poetische Zurechtweisung von Freiligrath.

Freiligrath war der einzige der jungen Dichter, den sich der König sogleich (1841) verpflichtete. (Geibels nahm er sich erst ein paar Jahre danach an). General v. Radowig bewunderte nämlich das Gedicht „Der Löwenritt“ troy dessen Unnatur; er gewann den König für Freiligrath und verschaffte ihm eine jährliche Pension von 300 Thalern aus der königlichen Privatschatulle. Als sich aber Herwegh nicht damit begnügte, sich über ihn in Versen, wie den folgenden, lustig zu machen:

Mir wird von alledem so dumm,

Als ging mir ein Freiligrath im Kopf herum,

sondern auch in seinem „Duett der Pensionierten“ schrieb: Geibel: Bist Du's?

Freiligrath: Ja, willst Du mich kennen?

Ja, ich bin es in der That,

Den Bediente Bruder nennen,

Bin der Sänger Freiligrath,

da entschloß sich Freiligrath, die Pension zurückzugeben. Und nun vollzog sich seine vollständige politische Bekehrung. Mit immer wachsender Leidenschaft schloß er sich mit seinen Gedichtsammlungen „Ein Glaubensbekenntnis" (1844) und „Ca ira“ (1846) an die revolutionäre Partei an, dessen gefeiertster Dichter er wurde. Sofort nach Erscheinen der ersten Sammlung mußte er eilends von seinem Aufenthaltsorte St. Goar am Rhein nach Brüssel und später nach London flüchten, wo er sich als Kaufmann ernährte.

Wie groß seine Popularität schon damals war, zeigt folgende Anekdote. Von Brüssel machte Freiligrath einen Ausflug nach Antwerpen; dort lag ein nach Kanton bestimmter Dreimaster, welchen der Dichter und seine Freunde gern in Augenschein nehmen wollten. Der Oberbootsmann führte sie herum, als der Kapitän gerade mit seiner Gesellschaft aus der

Kajüte heraustrat. Man entschuldigte sich, aber der höfliche Seemann lud die Besucher aufs neue in seine Kajüte. Im kleinen Bücherschranke daselbst standen auch Freiligraths Gedichte. Einer seiner Begleiter sagte zu ihm: „Freust Du Dich nicht darüber, daß Deine Verse mit nach Kanton_jegeln? Wie das? fragte der Kapitän. Der Herr ist Freiligrath. Der richtige? Als die Frage bejaht wird, stürzt der Kapitän ans Sprachrohr: Alle Flagger auf! Die Mannschaft auf die Raaen! Champagner auf Deck!*)

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Die Gährung in Deutschland war in starkem Steigen begriffen. In Desterreich troßten schon seit 1842 die Ungarn. unter Kossuths Führung Metternich; in Bayern hatte das Ansehen der Königsmacht durch König Ludwigs zärtliches Verhältnis zu Lola Montez sehr gelitten; in der deutschen Schweiz stand die radikale Partei der jesuitischen hart gegenüber. In Preußen herrschte jezt die strengste Staatskirchlichkeit im Verein mit Begünstigung der Katholiken und Verfolgung aller Dissidenten, und zwar nicht nur der freikatholischen Partei, welche Ronge gestiftet hatte, und der sogenannten Lichtfreunde einer Freikirchlichen Partei, welche Wislicenus gegründet hatte, sondern selbst der Pietisten und Mucker, die wohl nicht ge= nügend staatsorthodox waren. Ein Protest nach dem andern wurde im Namen der Gewissensfreiheit an den Thron ge= richtet, und zugleich wuchs die rein politische Agitation. Die Führer der Oppositionsparteien aller deutschen Staaten wirkten gemeinsam gegen die alte Bundesverfassung. Lauter und lauter wurde in Preußen da der König der Preßfreiheit keinen sonderlichen Abbruch zugefügt hatte - der Ruf nach der versprochenen Reichsständeverfassung. Auch vom Ausland famen revolutionierende Impulse. Seit 1846 war Pius IX. als Liberaler und als italienischer Patriot aufgetreten. Aufstände brachen ringsum auf der italienischen Halbinsel aus, und diese Aufstände, die Metternich nicht verhindern konnte, waren es, die sein Prestige zertrümmerten. Deutsche Emigranten in der Schweiz und in Nordamerika schürten nach Kräften das Feuer in Deutschland.

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*) Schmidt-Weißenfels: Freiligrath.

Währenddessen war der König von Preußen mit der Errichtung des neuen Schwanen-Ordens und mit architektonischen Plänen beschäftigt. Er wollte ein großes Herrmannsdenkmal am Rhein als Demonstration gegen das fonstitutionelle Frankreich errichten; auch ließ er nach 300-jährigem Stillstande die Bauarbeiten am Kölner Dom wieder aufnehmen. Dies wurde sinnbildlich, nicht in nationaler, sondern in kirchlicher Hinsicht aufgefaßt und gab Heine zu einigen Protesten in Deutschland, ein Wintermärchen“ Veranlassung, sowie David Friedrich Strauß zu seiner bekannten geistreichen Schrift „Der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren“, in der er Julian Apostata als begeisterten, religiösen Reaktionär dergestalt schilderte, daß die Parallele mit Friedrich Wilhelm IV. auch unausgesprochen in die Augen fiel.

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Die aufwachsende Litteratur, welcher der König entschieden feindlich gesinnt war, zahlte ihm dies Gefühl bald mit Zinsen zurück. In Sanssouci hatte er den gichtkranken, mürrischen Tied als Poeta laureatus bei sich, und in Berlin den mystischen Charlatan Schelling als summus philosophus. Er ließ Sophokles Antigone und Euripides' Medea auf den Theatern zu Berlin und Potsdam aufführen, um günstig auf die unruhige deutsche Litteratur einzuwirken die ging aber ihre eigenen Wege.

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26.

Politische Lyrik, philosophische Revolution.
Anastasius Grün. Herwegh. Dingelstedt. Ludwig Feuerbach.

Unter Anastasius Grün's (Graf Alerander von Auersperg's) Gedichten befindet sich in der Sammlung „Spaziergänge eines Wiener Poeten" eins, welches die Ueberschrift „Warum?“ trägt, in dem auch jede Strophe mit einem Warum schließt: Wenn man neue Verbote am Rathause anschlägt, so steht da unten ein kleiner Mann und fragt leise: Warum? Wenn die Pfaffen von der Kanzel gegen das Sonnenlicht zetern und heulen, fragt er: Warum? Wenn sie mit Spießen und Hellebarden gegen Spaßen ausrücken, wenn sie

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