Page images
PDF
EPUB

beim Fürsten Pückler wieder. Wie bedeutend sein Einfluß auf die Gestaltang von Heines Dichterideal war, bedarf keines Nachweises; es fühlt dies unwillkürlich ein jeder sofort, der mit der neueren europäischen Litteratur vertraut ist. Merkwürdig aber und zugleich lehrreich ist es zu beobachten, in welchem Lichte Byron dem ersten Pionier in der neuen deutschen Litteraturrichtung, Börne, erschien, der dem englischen Dichter in Allem so ungleich war. Man sollte glauben, Börne würde an dem frivolen und koketten Wesen Byrons denselben Anstoß nehmen, wie an demjenigen Heines. Aber weit gefehlt! Man lese nur in welchen Ausdrücken er sich über ihn äußert, nachdem er Moores „Leben Byrons“ studiert hat: Er nennt (Briefe aus Paris Nr. 44.) dies Buch „Glühwein für einen armen deutschen Reisenden, der auf der Reise durch das Leben friert." Er wird fast krank über solche Lebensführung: „Wie ein Komet, der sich keiner bürgerlichen Ordnung der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne Abschied, und wollte lieber einsam sein, als ein Knecht der Freundschaft. Nie berührte er die trockene Erde; zwischen Sturm und Schiffbruch steuerte er mutig hin, und der Tod war der erste Hafen, den er sah. Wie wurde er umhergeschleudert: aber welche selige Insel hat er auch entdeckt! . . . Das ist die königliche Natur ... Denn König ist, wer seinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute sagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre alt geworden; er hat tausend Jahre gelebt. Und wenn sie ihn bedauern, daß er so melancholisch gewesen! Ist es Gott nicht auch? Melancholie ist die Freudigkeit Gottes. Kann man froh sein, wenn man liebt? Byron haßte die Menschen, weil er die Menschheit das Leben, weil er die Ewigkeit liebte... Ich gäbe alle Freuden meines Lebens für ein Jahr von Byrons Schmerzen hin.“

Wie man sieht, nimmt Börne bei Byron nicht nur alles ernst, sondern er sieht in ihm auch nicht den Genußmenschen, der ihn gerade bei Goethe so sehr abstieß. Und, was am auffallendsten ist, Börne findet seine eigene Natur mit der

Brandes, Hauptströmungen. VI.

3

Byrons verwandt. Er schreibt: „Vielleicht fragen Sie noch verwundert, wie ich Lump dazu komme, mich mit Byron zusammenzustellen? Darauf muß ich Ihnen erzählen, was Sie noch nicht wissen. Als Byrons Genius auf seiner Reise durch das Firmament auf die Erde kam, eine Nacht dort zu verweilen, stieg er zuerst bei mir ab. Aber das Haus gefiel ihm gar nicht, er eilte schnell wieder fort und kehrte in das Hotel Byron ein. Viele Jahre hat mich das geschmerzt, lange hat es mich betrübt, daß ich so wenig geworden, gar nichts erreicht. Aber jezt ist es vorüber, ich habe es vergessen und lebe zufrieden in meiner Armut. Mein Unglück ist, daß ich im Mittelstande geboren bin, für den ich nicht passe."

Solche Worte legen am besten Zeugnis ab von dem Zauber, den Byrons Schatten noch über die Geister der leitenden Persönlichkeiten ausübte.

6.

Der Wert der neuen Litteratur.

Unter solchen Verhältnissen und Einflüssen bildete sich nun Deutschlands oppositionelle Litteratur während der Zeit von 1820—1848. Wenn man eine so große Gruppe geistiger Schöpfungen überblickt, so sieht man sich natürlicherweise zuerst im allgemeinen in der Menge von Aktenstücken nach Nachrichten um, wie die Menschen jener Zeit und jenes Landes fühlten und dachten, in welcher Form ihre Bildung hervortrat, welche Gestalt ihr Hoffen und Wünschen, ihre Menschen- und Freiheitsliebe, ihr Rechtsgefühl und ihr politisches Denken annahm, und endlich, wie ihr Geschmack beschaffen war: wie der schreiben mußte, der sich Gehör und lebendiges Interesse verschaffen wollte. Dergestalt wird unsere historische Wißbegierde in dieser Hinsicht befriedigt.

Darauf entsteht unwillkürlich die Frage, nach dem Werte dieser Litteratur. Für die in Betracht kommenden philosophischen Schriften entstand zunächst die Frage, wie viel neue Wahrheit sie enthielten. Oder betrachtet man sie, wie man es nur zu

häufig zu thun gezwungen ist, zunächst als Phantasieerzeugnisse, so entsteht die Frage nach der Tragweite und Fruchtbarkeit ihrer Hypothesen. Für die dichterischen und zum Teil auch für die verwandten, historisch-darstellenden Werke fällt die Frage nach ihrem Werte mit der Frage nach ihrer Schönheit zufammen, da wir unter Schönheit nichts anderes als künstlerischen Wert verstehen.

Von einer sehr großen Anzahl Schriftsteller bleiben, wie bekannt, nach Verlauf von ein paar Menschenaltern immer nur einige wenige übrig, welche man noch ferner liest. Von einer ungeheuren Anzahl von Werken bleiben nur einige wenige bestehen, die man noch benut. Thatsächlich kennt und liest man in unserer Zeit außerhalb Deutschlands nur sehr weniçe von den Werken der Geister jener Periode. In Deutschland natürlich weit mehr, immerhin aber liest das Publikum eine verhältnismäßig nur kleine Anzahl der Werke aus jener Zeit. Die Zeit ist es, welche da die erste und gröbste Kritik ausübt: nach so und so viel Jahren verkauft sich nichts mehr von diesen oder jenen Schriftstellern, während man die Werke der anderen beständig neu drucken muß. Ein unbedingter Beweis jedoch für den Wert eines Schriftstellers ist es noch nicht, wenn man ihn lange und viel liest. Es beweist dies noch nicht, daß er zu den besten, sondern nur zu den bekanntesten und unterhaltendsten gehört. Die Verbreitung kann durch eine hohe Bildung und durch Seelenadel gehindert werden, wenn diese auch in der Regel das Bestehen sichern.

Von allen Männern jener Zeit, und zwar von den Denkern, liest man außerhalb Deutschlands heute nur noch Feuerbach

doch wenig und Schopenhauer stark. Dieser lezte gehört mit seinem Einfluß auf die Geister einer späteren Periode an; beide Denker aber liest man noch weit weniger wegen ihres inneren Gehaltes, als ihres originellen und kühnen Stiles halber. Von den Dichtern wird nur Heine außerhalb Deutschlands viel und beständig gelesen. In Deutschland_betrachtet und beurteilt man ihn als die Brennnessel im Garten der Litteratur. Die Historiker verbrennen sich an ihm die Finger und thun ihn dann in den Bann. In Litteraturge

schichten und Leitartikeln bezeichnet man seine Prosa als veraltet und seine Poesie als gekünstelt, während man gleichzeitig seine Werke in zahllosen Ausgaben neudruckt, da jezt das Verlagsrecht frei geworden ist. Außerhalb Deutschlands ist sein Ruf jedoch nicht nur unangefochten, sondern im steten Wachsen und Steigen begriffen. In Frankreich beschäftigt er die Geister wie ein Zeitgenosse. Er ist der einzige fremde Dichter, den die Franzosen als einen der Ihren und zwar als einen ihrer Größten betrachten. Es kommt gegenwärtig in französischen Büchern kein fremder Schriftstellername "so häufig vor, als seiner, und keinen erwähnt man mit größerer Bewunderung, selbst nicht denjenigen Shelleys oder Poes.

Es wird häufig von verschiedenen größeren Gesellschaften die Frage aufgeworfen, wie man verfahren müsse, um sich eine ganz erlesene Büchersammlung von hundert der allerbesten Bücher zusammenzustellen. Die Antworten lauten natürlich sehr verschieden. Doch Heines Namen wird man in allen romanischen und slavischen Ländern als einen der ersten auf allen Listen finden. In England stehen gewöhnlich 90 englische Bücher und 10 fremdländische auf der Liste, aber Heinrich Heine ist mit darunter. Der Glaube, daß man 100 Bücher finden könne, welche alle Menschen für die lesenswertesten halten würden, ein Glaube, der von der protestantischen Vorstellung abgeleitet ist, daß es ein Grundbuch dieser Art gäbe, ist natürlich kindlich und jene Frage nur insofern interessant, als sie zeigt, welches ganz unpersönliche Bildungsideal den Fragern wie den unbefangen Antwortenden vorschwebt. Lehrreich ist es indessen zu beachten, wie die Antworten in gewissen bestimmten Fällen in Betreff Heines gelautet haben. Da trat vor einigen Jahren in Deutschland keine geringe Verwunderung zu Tage, als man eine große Anzahl englischer Listen veröffentlichte und auf allen Heinrich Heine, und zwar am häufigsten von allen deutschen Dichtern fand; es waren dabei sogar Listen, auf denen kein einziges Buch von Goethe verzeichnet stand.

Dieser Weltruf beruht indessen nicht einzig und allein auf Heines Vorzügen, sondern auch darauf, daß in seinen

Werken eine große Anzahl Stücke enthalten sind, welche zum Verständnis nur eine ganz geringe Bildung erfordern, deren Genuß auch keinen Seelenadel bedingt, während bei anderen Teilen seelischer Adel eher ein Hindernis für den Genuß bildet. Das beweist aber doch nur glänzend, daß sein Talent dennoch in seiner Richtung das größte seiner Zeit war.

Wenn sich also der litterarische Wert eines Kunstwerkes in seinem Widerstandsvermögen gegen die Zeit und in seiner Fähigkeit, sich außerhalb seines Vaterlandes Leser zu gewinnen, kundgiebt, dies Widerstands- und Ausbreitungsvermögen aber dennoch gar keinen Maßstab für den Wert abgiebt, worauf beruht derselbe dann? Auf der Ursprünglichkeit und Stärke des Seelenlebens und der Gemütsbewegung, für welche das Werk im Verein mit seiner Fähigkeit, uns diese mitzuteilen, der Ausdruck ist. Alle Kunst ist ein Ausdruck für eine Gemütsbewegung, und hat wieder den Zweck, Gemütsbewegungen hervorzurufen. Je tiefer ein kostbarer Stein ausgeschnitten ist, desto schärfer und deutlicher sehen wir später das Bild im Wachsabdrucke.

Je tiefer der Eindruck in der Seele des Künstlers, umso dentlicher und bedeutender auch der fünstlerische Ausdruck. Die Gemütsbewegungen des Künstlers unterscheiden sich nur. dadurch von denjenigen anderer Menschen, daß sie in seiner Seele die Erinnerungen auf eine Weise bilden, welche bewirkt, daß sie nach ihrer Ausbildung die Zuhörer oder Leser gewissermaßen anstecken.

Die Frage, welche ein einzelnes Werk uns beantwortet, ist also dann folgendermaßen: Wie weit reichte des Verfassers Blick? Wie tief vermochte er in seine Zeit einzudringen? Wie eigentümlich hat er Freude und Sorge, Wehmut und Liebe, Begeisterung und Menschenverachtung gefühlt? Wir sagen: ein so starkes Entsehen und solchen Abscheu hat Dummheit oder Schlechtigkeit ihm eingeflößt. So beißend und wißig hat er sich und uns auch an dem durch Dummheit oder Schlechtigfeit Verächtlichen gerächt. Wir empfangen von den Besten einen Eindruck von Hoheit oder Größe, von Wahrheits- oder Schönheitsliebe; dagegen leiden wir bei den fleinen Geistern.

« PreviousContinue »