Jahre 1811 Ueber das Wesen der Philologie" merkt man Welche Heldenfreudigkeit der Liebe, Derartiges hat mehr sprachliches und technisches als rein poetisches Interesse. Aber Rückert ist auch als Dichter Philologe. Seine hervorragende Kraft ist die rein sprachliche in ihrer Doppelheit: die Fähigkeit, Sprachen zu erlernen und in ihren Geist einzudringen, und die Fähigkeit, zufolge seines tiefsten Eindringens in die Geheimnisse der eigenen, deutschen Muttersprache, die besten Schöpfungen der fremden Poesieen in dieselbe umzudichten. Seine Lust war es, sich selbst sprachliche Schwierigkeiten zu schaffen, um sie zu überwinden. So sehen wir ihn bald in altdeutschem Stil mit langen Albrecht Dürerlocken auftreten, bald als jungen Offizier aus der Zeit der napoleonischen Kriege, bald als Beduinen, der uns mit wunderbarer Kunst die Makamen des Hariri erzählt, bald als Perser seine Verse in die Formen der Ghasele schlingend oder das Heldengedicht von Rostem und Suhrab neuschaffend. Bald schreitet er als Türke in Kaftan und Turban einher, bald als Chinese in Filzschuhen und bezopft, aber am liebsten, sehen wir ihn als Brahmanen an den Ufern des heiligen Ganges sizen und eine sprudelnde Lebensweisheit verkünden, welche tausend goldne Regeln in köstlichen Versen giebt. Wenn man gern von Théophile Gautier erzählt, daß er geistig im alten Aegypten wie im heutigen Rußland, in Konstantinopel wie in Sevilla heimisch gewesen, so ist dies nur dahin zu verstehen, daß er das Klima und die Denkmäler jener fremden Gegenden kannte, - von Rückert aber fann man dies in noch weit tieferem. Sinne behaupten, denn er erfaßte die Menschen in ihren verschiedenartigen Litteraturen, verstand ihre Sprache und fühlte in ihrem Geiste. Allerdings hat er jene fremden Lande nicht mit eigenem Auge geschaut und hat in Folge dessen nichts von Gautiers Anschaulichkeit, nichts von dessen Farbe und Plastik, aber er besißt dafür die ruhige, innere Betrachtung, das Gedankenbild und den Sinnspruch in einer Fülle metrischer Formen. Wer vortreffliche Proben seiner Kunst genießen will, lese z. B. in den Makamen des Hariri den Abschnitt „Jungfrau und junge Frau“ und ganz „Die Weisheit des Brahmanen". Diese Arbeiten hatten Rückert auch in Berlin ein großes Publikum geschaffen, aber die Stadt mit ihrem unruhigen Wesen war ihm zuwider. Er sollte morgenländische Sprache und Litteratur an der Universität lesen, aber nur die ersten paar Male war der Lesesaal mit Neugierigen gefüllt. Bald ging er gar nicht mehr zur Universität, da sich nur zwei oder drei Zuhörer einfanden. Er kam, sozusagen, nie aus seiner Wohnung im dritten Stock eines Hauses der Behrenstraße heraus, sondern saß da oben und schrieb Gedichte, in denen er seinen Abscheu vor Berlin mit seinem modern-pulsierenden Leben Ausdruck gab. Sogar das Berlin des königlichen Romantikers war diesen Größen einer früheren Zeit zu modern.. Etwas später berief der König den Dichter Christian Scherenberg nach Berlin. Dessen Gedichte, vor allem aber die Schlachtenbeschreibungen „Waterloo“, „Abukir“, sagten dem Hofe zu; er mußte dieselben vorlesen. Scherenberg, der noch als 80-jähriger Greis ein liebenswürdiger und gern gesehener Gast in Berliner Kreisen war, wurde 1798 geboren. Sein. Leben war ein harter Kampf gewesen. In den Jahren 1838 bis 1840 bewohnte er, nach Auflösung seiner unglücklichen. Ehe, in so dürftigen Verhältnissen eine Wohnung in dem. fleinen Eckhause der Bendierstraße nach dem Tiergarten: zu, daß er nicht daran denken konnte, sich Brennholz zu. kaufen, sondern von seinen kleinen Kindern im Tiergarten dürres Holz sammeln lassen mußte. Er schrieb Gedichte,. Trauer- und Lustspiele, bekam nie einen Verleger, bewahrte aber troßdessen so vollkommen die Haltung eines Gentleman, daß seine Verwandten in Stettin an einen pseudonymen „Erfolg" glaubten und ihn baten, wenigstens für seine Familie „die Maske zu lüften". Seine Feder brachte ihm nichts anderes ein, als was er für Abfassung von Bittschriften und für bogenweises Abschreiben erhielt; im übrigen lebte er von dem, was er als Hülfslehrer durch Stundengeben bei den Kindern der umwohnenden Gärtnerfamilien verdiente, und diese Honorare bestanden nach Uebereinkunft ausschließlich in Kartoffeln.. Theodor Fontane hat aus Scherenbergs Leben die niedliche Geschichte erzählt, wie man in der Bendlerstraße hoffte, daß eine lange ausgebliebene Bezahlung sich zur Osterzeit in Gestalt eines saftigen Kalbsbratens einfinden würde, und wie: einer der Schüler in seinem unschuldigen Wohlwollen an Stelle dessen eine Lerche in einem kleinen grünen Bauer brachte. Am Ostermorgen 1840 trug dann Scherenberg die Lerche eigenhändig auf ein Feld, öffnete ihr das Bauer und schrieb dann. das hübsche Gedicht, aus dem ein Vers lautet: Du, Vöglein, fingst, das ist das Deine, Die Lerche gab der aime durch Nahrungsjorgen gefesselte Dichter wieder frei, den kleinen grauen Wasserkrug aus dem Bauer behielt er aber zur Erinnerung und beförderte ihn zu seinem Dichter-Tintenfaß. Jezt hatten seine Gedichte Anklang gefunden, und der König wollte ihn sehen. Die frische Ursprünglichkeit und die knorrige Energie in seinen Schlachtenschilderungen entzückten den König. Scherenberg erzählte nie von dieser Vorlesungszeit bei Hofe, ohne jener behaglichen halben Stunde zu gedenken, welche der Vorlesung vorherging, und die er im Zimmer seines Gönners, des Grafen Bismarck-Bohlen zubrachte. Da habe man gescherzt, Zigarren geraucht, und dann, weil der König den Tabak verabscheute durch eine Eau de CologneTaufe den Tabaksgeruch vertrieben. - Manches Jahr danach gab es einen anderen Potentaten in Berlin, zu dessen Hof sich Scherenberg rechnete. Das war Ferdinand Lassalle; bei ihm traf er lebendigere Gesellschaft, und dort machte er sich gern über seine Protektoren bei Hofe lustig. Es lag in seinem Wesen, den Mantel ein wenig nach beiden Seiten zu drehen. Man wußte hiervon bei Hofe, dock ließ man es ihm nicht allzu sehr merken. Ein gern gesehener Gast des preußischen Hofes, wie aller anderen Höfe, war endlich, wenn er sich in Berlin bei seiner innig geliebten, geschiedenen Frau aufhielt, Fürst Hermann Pückler-Muskau. Er war schön, elegant, vornehm, geschmeidig und gewann die Männer durch seine Lebendigkeit und sein Feuer, die Frauen durch die Anmut seines Wesens. Er galt für unwiderstehlich, und schon die Reihe berühmter Frauen, die sich in ihn verliebt haben, ist lang: Sophie Gay, Henriette Sontag, Bettina, Ida Hahn-Hahn u. s. w. Er gehört durch sein Geistesgepräge, etwa wie der Fürst de Ligne vor ihm, der internationalen Aristokratie Europas an. Seine Brunksucht schloß keineswegs ein richtiges Erkennen der Grenzen seiner Fähigkeiten, noch wahre Bescheidenheit aus. Er war ein geistvoller Vagabund, ein wahrer Künstler in der Art und Weise, sein Leben zu führen und überdies auf einem speziellen Gebiete ein Künstler von Fach. Er war es, der in Deutsch land mit dem steifen französischen Geschmack bei Anlage der Gärten brach und die Natur wieder in ihre Rechte einsette. Sein Besit in Muskau war bald der Mustergarten für ganz Europa. Er erlebte nicht nur unzählige flüchtige Abenteuer, sondern auch die Geschichte seiner Ehe ist ein solches. Er hatte sich zu gleicher Zeit in zwei junge Mädchen verliebt, Töchter des Reichsgrafen von Pappenheim, der mit der Tochter des Kanzlers v. Hardenberg verheiratet war. Aber die Mutter, welche damals 40 Jahre alt war, 9 Jahre älter als Pückler, wurde von einer so glühenden Leidenschaft zu ihm ergriffen, daß sie auch ihn mit derselben erfüllte. Sie gab Alles auf, um die Seine zu werden, und er ging die Ehe mit ihr ein, behielt sich jedoch seine unbedingte erotische Freiheit vor. Das Verhältnis entwickelte sich zu einem glücklichen. Nach 10 Jahren jedoch ließ sich das Paar in freundschaftlicher Übereinkunft in der Hoffnung scheiden, daß der Fürst durch eine reiche Heirat seine zerrütteten Vermögensverhältnisse würde regeln können. Dann geht er zu diesem Zwecke auf Reisen, zuerst nach London darauf ringsherum in Deutschland. Gewissenhaft berichtet er in täglichen Briefen seiner geschiedenen Frau, seiner Lucie, die Fortschritte, die er macht, und die Schwierigkeiten, welche ihm bei seinen Versuchen, die reiche Erbin zu fapern, begegnen Da der Versuch mißglückt, kehrt er zu seiner Lucie zurück und lebt aufs neue mit ihr einige Jahre in zärtlichem Verein, geht dann wiederum auf Reisen und kommt nach etwa 6 Jahren mit einer entzückenden kleinen Sklavin, Namens Machbuba zurück und läßt dieselbe ihren Aufenthalt in Muskau nehmen. Die Fürstin war hiermit nicht besonders zufrieden, obschon sie es sich zur Regel gemacht hatte, ihn nie mit Eifersucht zu plagen. Sie erhielt sich, 70 Jahre alt, ihre ihn anbetende Liebe, und er war stets die Güte, Offenheit und Herzlichkeit selbst gegen sie. Fürst Pückler hatte nie daran gedacht, sich zum Schriftsteller auszubilden. Aber im Jahre 1830 kam ihm der Gedanke, die an Lucie während seiner vergeblichen Brautfahrt gerichteten Briefe anonym herauszugeben, und der Weltton dieser Briefe, den man so selten in der deutschen Litteratur Brandes, Hauptströmungen VI. 22 |