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Heine schrieb „Ueber den Denunzianten" und Börne „Menzel, der Franzosenfresser“, welche Schrift mit Recht als Börnes wizigste und warmherzigste angesehen wird.

Am schlimmsten jedoch wurde Heines Angriff für Menzel, weil sich dieser mit seiner ganzen tigerartigen Kraft auf ihn warf, so daß von ihm nichts weiter als ein lächerliches Flickbündel übrig blieb.

Heine zeigt, wie gut Menzel die Zeit zu seiner Angeberei abgepaßt hat, eine Zeit, zu welcher die Häupter der Bewegungspartei teils verbannt, teils verstummt, teils gut aufgehoben hinter Schloß und Riegel saßen. Er deckt Menzels Heuchelei auf, der, solange er selbst mit Guglow in Kompagnie war, in kummervollem Stillschweigen Zeuge der Lebensgefahr gewesen, in der das Christentum schwebte. Er will ihm feineswegs eine gewisse physische Moralität" absprechen: „Tugend kann jeder allein üben, zu dem Laster gehören aber immer zwei. Auch wird Herr Menzel von seinem Aeußern aufs Glänzendste unterstüßt, wenn er das Laster fliehen will." Heine hat eine zu vorteilhafte Meinung von dem guten Geschmack des Lasters, als daß er glauben könnte, es würde jemals einem Menzel nachlaufen. Der arme Goethe sei nicht so glücklich begabt gewesen. Was Menzels Politik anbetreffe, so dürfe er nicht davon sprechen . . . . wegen der Politik. Und was sein Privatmenschenleben anbelangte es steht da, als wenn es in Folge eines Druckfehlers geschehen sei: Privatschelmenleben - so könne er sich darüber schon gar nicht wegen Mangels an Play auslassen.

Heine hat niemals etwas zugleich so Grobes und Vernichtendes geschrieben!

Wie ging es unterdessen Guzkow, der in jo jungen Jahren, kaum vierundzwanzigjährig, eine Art Mittelpunkt für die litterarischen Ereignisse geworden, und gegen den der „Goliath des Philisterheeres" sich erhoben hatte? Er war im ersten Augenblick überrascht und niedergeschlagen: er machte die erste lehrreiche Lebenserfahrung. Seine ganze Sünde bestand darin, daß er sich in einem mittelmäßigen Roman naiv und aufrichtig ausgesprochen hatte, und nun fand er sich plötzlich als

eine Art gesellschaftliche Pest verschrieen, verspottet von seinen Feinden, verlassen und verleugnet von seinen Freunden. Ruhig ließ er sich mit den Männern vergleichen, welche Johann von Leydens Gräuel in Münster vorbereiten halfen, die Verteilung. des Eigentums und die Ehe mit 12 Frauen auf einmal. Er war unerfahren genug, den Gerichtsverhandlungen mit Siegeshoffnungen entgegen zu sehen, und als man ihn in Mannheim arretierte, war es ihm eine Erleichterung, das Gefängnis zu betreten. Hier war er vor der Kayenmusik der Zeitungen geschützt, hier hörte er nur das leise Pfeifen der Mäuse, die paarweise über sein Bett liefen. Ein friedliches Leben, ein Leben ununterbrochenen, ruhigen Schaffens eröffnete sich ihm. Er schrieb seinen Roman „Seraphine“ und eine Arbeit „Philosophie der That und des Ereignisses," eine Art Kritik der Hegelschen Geschichtsphilosophie. Endlich verließ er das Gefängnis und ergriff, vorläufig anonym, mit Festigkeit, aber auch mit größerer Vorsicht in seinen Ausdrücken, seine Lebensaufgabe von neuem.

Er hatte sich ein Jahr zuvor in eine junge Berlinerin verliebt, und das junge Paar hatte sich verlobt. Aber die Berliner Zeitungen nannten ihn einen Gottesleugner. Die Mutter der jungen Dame war eine hysterische Schwäherin. An einem Tage umarmte sie Guzkow, am andern ergriff sie ein Küchenmesser, bedrohte ihn damit und rief ihrer Tochter zu: er oder ich! Während es nun immer bedenklicher ward, seine Zukunft mit Gußfow zu verknüpfen, wurden auch die milden Tage der Mutter seltener, die heftigen häufiger und als gehorsame Tochter zog sich die junge Dame zurück. Dieser Vorfall hatte einen ungeheuren Eindruck auf Guykow's junges Herz ausgeübt. Er hatte nun erfahren, wie eine Ueberzeugung, welche gegen diejenige der Umgebung streitet, auch im Privatleben isoliert, wie derjenige, welcher der Gesellschaft um sich herum trogt, sich nicht nur dem Verluste seines Wohlbefindens, sondern auch seines Liebesglückes ausseht.

Das Betragen, welches seine Freunde jezt gegen ihn beobachteten, war hierzu ein Seitenstück. Kaum aus dem Gefängnis entlassen, begegnete er Vorwürfen und Anklagen von Personen, denen er früher litterarische Beschäftigung versprochen,

und die sich nun in ihren Hoffnungen getäuscht und sich selbst, da von ihm einmal beschüßt, bloßgestellt sahen.

Aus jener ersten erotischen Täuschung entstand eine seiner besten kleineren Novellen „Der Sadducäer von Amsterdam". Als sich dann seine frühesten Welterfahrungen hiermit vereinten, bildete sich in seinem Geiste jenes Stimmungsleben, aus dem viele Jahre darnach die Dramatisierung jener Novelle entsprang: sein bestes Drama und überhaupt sein bestes Dichterwerf Uriel Acosta“.

Der Held desselben ist eine historische Persönlichkeit Gabriel, später Uriel, Acosta, geboren 1594, ein Religionsphilosoph jüdischer Abstammung, dessen Eltern aber schon. getauft waren. Zufolge seines Unglaubens gegenüber dem Christentum mußte er aus seinem Vaterlande Portugal nach Holland flüchten, wo er sich anfänglich den Juden näherte bald aber Schriften herauszugeben begann, die sich kritisch. sowohl zu den jüdischen wie zu den christlichen Dogmen verhielten. Er wurde zuerst zu Geldbußen, dann zu einer entehrenden Buße verurteilt, er mußte sich nämlich, nachdem er zuvor seine Irrtümer widerrufen, vor der Schwelle der Synagoge niederlegen und sich von allen über ihn wegschreitenden Gläubigen mit Füßen treten lassen. Nach siebenjähriger Verfolgung unterwarf er sich dieser Buße, machte aber, durch den Widerruf seiner Ansichten tief beschämt und verzweifelt, (im Jahre 1647) seinem Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende. Er war der Vorgänger Spinoza's und nach der Ueberlieferung dessen Lehrer.

„Der Sadducäer von Amsterdam" ist eine kleine Novelle in altmodischer Manier, in welcher die wichtigsten Hauptpersonen des späteren Drama's bereits skizziert sind. In Judith, Acosta's schwankender und schließlich treulofer Geliebten, ist augenscheinlich jene unbeständige kleine Berlinerin gezeichnet. Der Stil ist naiv und schwach. An der Stelle, wo Spinoza eingeführt wird, heißt es: „Sie rief, und ihr Einziger, ein Knabe von 7 Jahren, eilte auf seinen Cheim zu, den er im Mondenschein leicht erkannte. Entblößt Eure Häupter! Dieser Knabe war Baruch Spinoza."

Was den jungen Guzkow zu diesem Stoff geführt hat, war augenscheinlich, dessen pathetischer, die Geschichte eines der ersten Märtyrer des freien Gedankens darstellender Charakter.

Heutzutage lesen wir ein derartiges Lebensschicksal ohne besondere Gemütsbewegung. Die geistig Freigewordenen wissen, daß die Entwickelung noch nicht weiter vorgeschritten ist, als daß sie eben geduldet werden. Sie haben in dem Stück Leben, welches sie hinter sich haben, sich dermaßen daran gewöhnt, dasjenige, was sie am höchsten schäßen, verurteilen, und dagegen lobpreisen zu hören, was sie für niedrig oder verrückt halten, daß kein Stoff dieser Art mehr Eindruck auf sie macht.

Für das Geschlecht von 1830 war dies aber anders. Selbst der Punkt, daß Uriel Acosta um Gnade bat und widerrief, kühlte Guzkows Interesse für ihn nicht ab. Er schreibt in der Novelle: „Wir, die wir gewohnt sind, in einem. gleichsam angeborenen, ununterbrochenen · Martyrium unserer Ueberzeugung zu leben, dürfen uns nicht verleiten lassen, den Stab über einen Mann zu brechen, der den Mut besaß, gegen die Dogmen einer fanatischen, intoleranten Religion aufzutreten, und doch im Stande sein konnte, sich unter die Hand zu beugen, die ihn gezüchtigt hatte." Er schildert die Verwirrung in Uriels Seele: Der Glaube gleicht dem Stabe, welcher den Blinden leitet. Wird der Mensch plötzlich sehend, so haben seine Augen noch nicht die Uebung, die Dinge zu unterscheiden, am wenigsten die tausendjährige Nebung des Stabes, ihn vor dem Falle zu bewahren, und so tappt er schlimmer als zuvor umher.

Nachdem der von Menzel entfesselte Sturm über Guhfows Haupt hingebraust war, erhielt dieser Stoff für ihn naturgemäß eine ganz neue Bedeutung. Indem er denselben durchging, fand er, daß er nicht nur Momente echt drama = tischer Art enthalte, sondern, daß dessen Hauptpunkte auch mit denjenigen seines eigenen Lebens übereinstimmten; auch er war ja mit Bann und Interdikt belegt worden. Auch er war verleugnet worden, nachdem er verflucht war. Auch er mußte für seine kühnen Gedanken büßzen. Auch ihn hatte man der Schmach vor der Kirchenschwelle unterworfen und der ganze

Schwarm war über ihn weggeschritten und hatte ihn mit Füßen getreten.

Als er dann endlich im Jahre 1846 in Paris unter dem Eindruck der tragischen Spielweise großer Schauspieler dem Stoffe dramatische Form gab, nahm er einige Veränderungen vor. Er hob die weibliche Hauptfigur, um das Interesse am Stoffe zu erhöhen. Judith ist in der Tragödie „Uriel Acosta" die Verlobte eines Andern; Uriel ist ihr Lehrer. Als dann die Rabbinen in feierlichem Aufzuge die schreckliche Verwünschung über ihn aussprechen, als Alle von ihm weichen und er allein auf der einen Seite der Bühne zurückbleibt, während ihm die Worte entgegentönen:

Fluch dem Freund,

Der Dir im Elend je die Treue hält!

Nie giebt sich Dir ein liebend Herz des Weibes.

da schreitet Judith quer über die Bühne und stellt sich an seine Seite mit dem bekannten, schönen Ausbruch, der mit dem Verse endet:

Er wird geliebt! Glaubt besseren Propheten!

Aus der Novelle nahm Guzkow dann eine Figur mit hinüber, welche dort kaum angedeutet ist und schuf daraus eine unvergleichliche Gestalt, des Dramas vorzüglichste und originalste: diejenige des Aeltesten der Rabbinen, des 90jährigen Ben Atiba. Dieser Greis hat im Grunde genommen, nur eine entscheidende Gegenantwort, die er immerfort Uriel und den Anderen gegenüber wiederholt:

Es war alles da.

Bewunderungswürdige Worte. Ben Akiba ist das Alter, welches das Alles schon zuvor gesehen hat, welches die Kirche angefochten, die Kirche siegend, die Zweifler und Kämpfer sich erhebend, gedemütigt, zu Boden geschlagen und sterbend sah. Die Andern glauben, solches sei neu, doch alles ist alt, und führt zu nichts. Ben Akiba, das ist der dogmatische Konservativismus in Menschengestalt, die Erfahrung, welche ihr schweres Haupt schüttelt. Hört die Jugend auf ihn, so ist Selbstaufgeben die unumgängliche Folge.

Uriel läßt sich zum Widerruf bereden. Er thut es seiner

Brandes, Hauptströmungen VI.

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