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Selbstgefühl, sie dazu führte, ihr eigenes Lob zu verkünden und mit unvernünftiger Bitterfeit Andere anzugreifen, ohne sich zuvor gründlich in deren Wesen vertieft zu haben. Jeder von ihnen bezeichnet auf seine Weise den Uebergang vom romantischen Wesen zum modernen. Platen, der sich vollständig in den Fußstapfen der Romantiker bewegte, beschäftigte sich beständig mit fremden Gestalten, mit morgenländischen in der Form von Ghajelen, mit jüdländischen als Sonette, mit altgriechischen als aristophanische Komödien und pindarsche Oden und erreichte kurz vor seinem frühzeitig erfolgten Tode in seinen nachgelassenen Liedern und Gedichten (Politische Poesien, darunter die Polenlieder) einen Höhepunkt in der freisinnig-modernen Lyrik, und Immermann, der sein ganzes Leben hindurch tragische oder phantastische Stoffe mit romantischer Ueberspanntheit oder Symbolik behandelt hatte, verflocht kurz vor seinem Tode ein Stück Wirklichkeit seines Heimat. landes mit einer gesunden Poesie, welche inspirierend auf die ganze Generation nach ihm rund herum in Europa einwirkte.

20.

Der Hegelianismus.

Es war die Hegel'sche Philosophie, welche im Verein mit der Julirevolution die Geister zwang, in das bewegte Leben der modernen Geschichte und Politik einzutreten. Nicht als ob Hegel selbst mit der Julirevolution sympathisierte, im Gegenteil. Diese Art gewaltsamen Eingriffs in das, was ihm jezt als die Vernunft der Verhältnisse erschien, konnte ihm in seinem 60. Jahre nicht mehr zusagen, wie es seiner Zeit der Ausbruch der großen Revolution gethan hatte. Längst war er in Bezug auf Politik hochkonservativ.

Aber nichtsdestoweniger veränderte die Julirevolution den Charakter der Hegel'schen Philosophie. Sie bedeutete den historischen Wendepunkt, den historischen Umschwung, die beide erforderlich waren, um sie vom Katheder ins praktische Leben zu führen. Diese Lehre besaß ja die Eigentümlichkeit, daß

sie auf verschiedene Art ausgelegt werden konnte. Und von Stund' an wurde sie in der Umgestaltung des Lebens eins der am kräftigsten mit eingreifenden Elemente. Dies sahen wir bereits bei Heine, bei dem Hegels Uebergang zum preußischen Konservativismus nie ohne ihn deshalb zu entschuldigen, berührt wird; für ihn ist Hegel stets der große Philosoph der neuen Zeit, der Herrscher im Reiche der Gedanken.

Bevor Hegel nach Berlin berufen ward, hatte er als Lehrer kein Glück gehabt. An den anderen Universitäten war er nur wenig beachtet worden und hatte in seinen jüngeren. Tagen lange vor nur drei, vier Hörern lesen müssen. Jetzt aber stand er auf der Höhe seines Ruhmes. Hegel trat, im Gegensatz zu Schelling, der so früh reif, aber auch so schnell unfruchtbar geworden war, mit seiner schwerfälligeren und langjameren Natur erst mit 48 Jahren in die bedeutungsvollite Periode seines Lebens ein.

Die auf ihn gesezten Erwartungen waren ungeheuer, doch wurden sie ganz erfüllt. Seine Einsicht war außerordentlich; er schien ganz in seiner Zeit zu wurzeln und doch wieder über ihr zu schweben, vertraut mit all ihren Ideen und sie mit ruhiger Vornehmheit und tiefer Ueberzeugung beurteilend. Hunderte und aberhunderte von Zuhörern strömten ihm zu.

Als Universitätslehrer gewährte er dem Anfänger, der ihn zuerst sah, einen sonderbaren Anblick. Eine frühzeitig gealterte Gestalt, gebückt, obschon ursprünglich kräftig, trat ein; ie machte den Eindruck von altmodisch-bürgerlicher Bravheit. Er stieg auf das Katheder, sezte sich, vertiefte sich in sein Folioheft, blätterte darin hin und her und suchte bald oben, bald unten auf der Seite etwas. Seine Haltung war linkisch und ausdruckslos, die Züge schlaff, das Antlig arg mitgenommen, gleichsam zerstört, aber nicht durch Leidenschaften, sondern durch die hartnäckigste Gedankenarbeit. Die Form seines

Hauptes jedoch war schön und edel, und wenn er seine mit dem Gepräge eines großen Verstandes durchgeistigten Gesichtszüge seinen Zuhörern zuwandte, so trugen sie den Ausdruck tiefsten, erhaben naiven Ernstes.

Er begann zu sprechen, räusperte sich, hustete und stotterte und suchte mühsam die Worte. Er besaß einen ausgeprägt schwäbischen Accent, sprach stoßweiße ohne Rhythmus im Vortrag, geriet in lange, verwickelte Perioden, die er selten auflöste, suchte lange nach dem bezeichnenden Wort, fand es aber stets und es erschien den Zuhörern gleich treffend, mochte es nun ein altbekannter oder ein ungewöhnlicher Ausdruck sein. Der Vortrag schien allmählich den Zuhörern nur die außerordentliche Schwierigkeit der inneren Gedankenarbeit veran= schaulichen zu wollen. Es fonnte vorkommen, daß ermüdende Wiederholungen die Aufmerksamkeit des Zuhörers erschlaffen ließen und er einige Säße überhörte, dann konnte es aber auch geschehen, daß er zur Strafe dafür aus all' und jedem Zusammenhange kam. Denn durch scheinbar bedeutungslose Zwischenglieder hatte, währenddessen dieser oder jener Gedanke seine Einseitigkeit, seine Beschränktheit verraten, sich in Widersprüche verwickelt, und jezt sollten diese Widersprüche überwunden werden oder sie waren es schon.

Das Eigentümlichste hierbei war die Vereinigung zweier Elemente: die Sachlichkeit des Redners, so daß Alles der Sache halber gesagt wurde, und ebenso sein Streben nach Klarheit, welches den Eindruck machte, als ob Alles dennoch nur der Zuhörer wegen gejagt würde, damit sie es vollständig verständen.*)

Dieser Redner war ein schlechter Erzähler, aber ein ganz vorzüglicher Denker und Erklärer. Gewiß waren seine angewandten Kunstworte dunkel, diese sonderbare Terminologie, nach welcher „an sich“, nach seiner Anlage und „an und für sich“ die entwickelte Existenz bedeuten sollte, doch gewöhnte man sich daran und es war dann bald, als ob man in so sehr verdünnten und einander so ergänzenden Abstraktionen über der Erde schwebte, daß die Dialektik in Platos Parmenides" im Vergleich zu dieser Dialektik unbeholfen erschien: bald

**) Hotho, Vorstudien für Leben und Kunst. pag. 383.
Hahm, Hegel und seine Zeit. pag. 392,

Schérer, mélanges d'histoire réligieuse. pag. 299.

"

hingegen war es, als dringe man immer tiefer in immer konkreter werdende Stoffe ein. Die Stimme des Redners wurde voller, der Blick, mit dem er umher jah, wurde freier und sicherer, wenn er mit bündigen Worten eine Gedankenbewegung, ein Zeitalter, ein Volk oder auch nur ein besonders merkwürdiges Individuum kennzeichnete, wie z. B. jenen Neffen Rameau's, der ohne Namensnennung in der „Phänomenologie" charakterisiert ist.

Der Anfänger, welcher den berühmten Denker ohne jegliches Exemplifizieren die abstrakten Begriffe entwickeln hörte, welche für Alles in der Natur und in der Welt des Geistes gemeinsam wären, und von denen gejagt wurde, daß sie Natur und Geist in ihrem zugleich geheimnisvollen und regelrecht geflochtenen Neze trügen, konnte sich wohl versucht fühlen, seiner Wege zu gehen und nicht wieder zu kommen.

Aber er fam wieder, denn bald fesselte ihn der mühevolle Vortrag, und bald machte er auch die ersten Fortschritte. Es war zuweilen, als ob ein Gedankenbliß das Dunkel erhellte. Der Zuhörer erkannte, daß es sich hier nach Auffassung des Redners nicht um ein System wie andere Systeme, nicht um eine etwas tiefere oder umfassendere Belehrung wie cine andere verwandter Art handle, sondern, daß sich dieser Mann als Verkünder einer ganz originalen Wissenschaft fühle, welche das Dasein umfaßte, Alles, Gott und Welt, erklärte, und auch Alles zum Abschlußz brachte, da die Gedanken aller früheren Denker in seinem System aufgenommen waren, gleich wie alle niederen Tierformen in der Entwicklungsstufe des menschlichen Embryos enthalten sind. Alles Frühere strebte und zielte nach ihm, alle früheren Bestrebungen waren durch ihn vollendet, so daß von jezt ab nur die Rede von einer genaueren Ausführung der einzelnen Partieen im großen gegebenen Grundriß sein konnte.

Und nun befand sich der Zuhörer gewissermaßen unter cinem Zauber. Sogar das Dunkle und Kunstvolle wurde zu einer neuen Anziehung. Die Schwierigkeiten spornten an; es wurde Ehrensache, ja Lebenssache, zu verstehen. Und mit welchem Entzücken verstand man!

Ja, man verstand, und zwar: diese ganze Sinnenwelt war nur Schein; ihr Wesen war der Gedanke. Nicht all dies Einzelne und Individuelle, sondern nur das Allgemeine war wahr und wirklich. Ich denke, und da meine Gedanken zufolge fester Geseze notgedrungen vorwärts schreiten, so erlange ich endlich vollständige Kenntnis meiner selbst und der Welt. Ich denke meine eigenen Gedanken, betrachte sie nicht mehr als meine persönlichen, sondern als allgemeine Gedanken, denke mir alle menschlichen Intelligenzen vereint mit der meinen, beraube dieselben ihrer Individualität, welche wesentlich erscheint, es jedoch nicht ist, und sehe in all diesen Geistern einen einzigen Geist und in diesem das Prinzip des Daseins. Dieses Grundwesen, welches seinen höchsten Ausdruck im Menschen erreicht, ist dasselbe, welches die Welt durchdringt, welches die Welt hervorbringt. Dieses Grundwesen, welches in der Natur unbewußt wirkt und gestaltet, gelangt in mir zum Bewußtsein. Das Unbedingte, die Idee, das, was gewöhnlich Gott genannt wird, ist weder ein bewußtes, noch ein persönliches Wesen; denn Bewußtsein und Persönlichkeit sehen voraus, daß es ein Etwas außer dem Bewußtsein und der Persönlichkeit giebt; aber das ist auch nicht absolut unbewußt. Des Menschen Bewußtsein von Gott, das ist Gottes Selbstbewußtsein. Ich höre als einzelner, zufälliger Mensch zu leben auf, um das Allleben in mir wirken und pulsieren zu fühlen.

Die Logik, welche eine scholastische Knabendisziplin ge= wesen war, die das Selbstverständliche mit Hilfe ihrer barbarischen Wörterreihen einprägte (Barbara, Celarent, Ferio, Camestres, Baroco), diese Logik, welche lange dahingesiecht und tötlich verhaßt war, stand da von neuem als Lehre von den Gedanken über das Dasein in ihrem Zusammenhange und ihrer Einheit auf; denn der erste Gedanke forderte und rief den zweiten herbei, verschmolz sich mit diesem zu einem neuen, der wieder seinen Gegensaß herbeirief, welcher zugleich seine Ergänzung bildete, und so erforderte ein Gedanke mit Notwendigkeit andere Gedanken, bis sich die Gedankenschlange in den Schwanz biß und einen einzigen ununterbrochenen Ring bildete, von welchem die Reiche der Natur und des Geistes:

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