Page images
PDF
EPUB

zuerst mit Lähmung der Augenlider, nach und nach mit der des ganzen Körpers verbunden, traf ihn. Ungefähr acht Jahre lag er in Paris in seiner Matraßengruft ausgestreckt.

Sein Leben, welches weder als ein großes, noch als ein glückliches bezeichnet werden kann, zerfällt in zwei bestimmt begrenzte Hälften, den Aufenthalt in Deutschland bis zur Julirevolution, und den Aufenthalt in Paris vom Jahre 1831 bis zu seinem Tode im Jahre 1856. Er hat wohl ein Leben. ohne Berechnung geführt, aber jedenfalls nicht ohne Instinkt dafür, wo die Entwickelungsmöglichkeiten für sein Talent lagen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß Heine seine Höhe in der Weltlitteratur erflommen hätte, oder auch nur als satirischer Dichter so hervorragend geworden, wenn er nur in seinem Vaterlande geblieben wäre.

Seine Jugendzeit in Deutschland verstrich unter dem Druck der Reaktion; seine Reisebilder gewannen ihre Popularität, da sie der herrschenden politischen Unzufriedenheit Ausdruck gaben; aber bald gab er im Stillen alles Politisieren als unfruchtbar auf. Da schaffte die Julirevolution Luft! Heine bricht auf, läßt sich häuslich in Paris nieder und wird dort bald durch. das vom Deutschen Bunde erlassene Verbot seiner Schriften. gefesselt. Das Ministerium Guizot giebt ihm heimlich jene kleine, Jahresrente, welche ihn in den Stand sezt, ein verhältnismäßig sorgenloses Leben zu führen; aus diesem Anlasse wurde er auch der Gegenstand von Angriffen, welche gewiß nicht jeglichen Grundes entbehren, mit denen ihm aber dennoch großes Unrecht zugefügt ward. Man darf nicht vergessen, daß Heine sich schlecht auf die Kunst verstand, Geld zu verdienen, und es ihm auch nur wenig genügt haben würde, wenn er sich besser darauf verstanden hätte. Er, mit dessen Büchern Millionen verdient sind, verkaufte das Buch der Lieder" an Campe gegen Quittierung einer alten Schuld von 50 Louisd'or für alle Auflagen, und Zeit seines Lebens war er genötigt seine Zuflucht zu dem nur ungern gewährten Beistand seines reichen Onkels zu nehmen. Vielleicht hätte er, würden er selbst und seine Frau sich besser auf Dekonomie verstanden haben, die Regierungsunterstüßung entbehren können. Dieselbe hat

ihn nun wohl verhindert, dies oder jenes über das französische Ministerium in deutschen Zeitungen zu veröffentlichen, was er sonst wohl geschrieben haben würde ein anderes Unglück

hat sie aber gewiß nicht verursacht, und am allerwenigsten hat sie ihn bewogen, irgend etwas zu schreiben, wovon er nicht überzeugt war.

Von Frankreich aus hat er als Schriftsteller einen ununterbrochenen und stets heftigen Kampf gegen die europäische Reattion geführt. Man darf wohl behaupten, daß er in dieser Hinsicht Byrons großer Erbe ist. Wenige Jahre später, nachdem das im Dienste der Freiheit geschwungene Schwert des Spottes der Hand des sterbenden Byron entglitten war, wird es von Heine erfaßt und ein Menschenalter hindurch mit gleich gewaltiger Behendigkeit und Kraft geschwungen. In den lezten acht Jahren aber führt es ein tötlich Verwundeter.

Nie hatte er wahrere, echtere, beißendere und strahlendere Verse geschrieben, als zur Zeit seines Martyriums auf dem niederen, breiten Bett in Paris. Und nie hat wohl auch irgend ein schaffender Geist größeren Mut, größeres Aushalten und Unangefochtensein bei übermenschlichen Qualen gezeigt. Selten hat sich die Macht der Seele über den Körper so unzweideutig erwiesen. Schmerzen, wie die seinen, stumm mit zusammengebissenen Zähnen zu ertragen, das bedeutet bereits viel; dabei aber noch geistig zu schaffen, zu spotten und zu scherzen, Raketen voll Laune und Phantasie herauszuschleudern, seinen Geist in graziösen und tiefsinnigen Traumgesichten rund um den Erdkreis zu senden, während man selbst wie leblos auf dem Lager liegt, das ist erhaben!

Er lag dort, zum Skelett eingeschrumpft, mit geschlossenen Augen und fast ganz gelähmten Händen, die edlen Gesichtszüge abgemagert. Seine Hände, welche weiß und vollendet schön gewesen, waren in ihrer Feinheit fast durchsichtig. Wenn er sprach, glitt zuweilen ein mephistophelisches Lächeln über seine leidende Christus-Physiognomie. Zulegt war eigentlich nur noch vom ganzen Menschen die Stimme zurückgeblieben, wie im Altertum bei Tithon, aber diese Stimme war unendlich reich an Tönen, Einfällen und Scherzen.

Er fuhr fort, geistig thätig zu sein; das Triebrad seines Geistes schien sich selbst ohne Dampf weiter zu drehen, die Lampe selbst ohne Cel fortzubrennen.

Unwahr ist es, daß er sich zu irgend einer Kirche zurückgewandt habe, wohl aber zu einer Religiosität, die gleichsam aufs neue aus den Tagen seiner Kindheit emportauchte, und auch an eine Art Gottesglauben klammerte der Leidende sich. Aber auch über diesen Gottesglauben erhob er sich zuweilen mit einem Lächeln. Ein solches Lächeln war das an seinem lezten Lebenstage zu einem aufgeregten Bekannten gesprochene Beruhigungswort: Dieu me pardonnera - c'est son métier.

Ein rührendes Zeugnis für seine Geisteskraft und seine Sohnesliebe ist es, daß er während seiner ganzen Krankheit auf das Sorgfältigste darüber wachte, daß seine Leiden seiner alten Mutter in Hamburg verborgen blieben; bis zulezt schrieb er ihr lustige, scherzhafte Briefe und ließ aus denjenigen Exemplaren seiner Schriften, die er ihr sandte, alle Stellen herausnehmen, welche die alte Frau auf die Spur hätten führen können.

Ein ansprechender Zug aus seinem Seelenleben ist auch der folgende: er, von allen Männern und Dichtern im Ausdruck der Liebe der Leichtfertigste, wandelte während seiner Krankheit seine Bezeichnungen dafür zu den zärtlichsten und geistigsten um. Wie bekannt versüßte ihm die innige Zuneigung eines jungen und schönen Weibes, das lehte Jahr seines Lebens. Es war dies eine Frau, welche troh ihrer deutschen Geburt in der französischen Litteratur als Schriftstellerin unter dem Namen Camille Selden aufgetreten ist.*)

Sie war damals ungefähr 28 Jahre alt, blauäugig, mit hellbraunem Haar, und so anmutig, reizend und graziös, daß sie Heine's Herz beim ersten Kommen gewann. Bald wurde sie ihm unentbehrlich er litt, wenn nur ein paar Tage verstrichen, ohne daß er sie gesehen, obschon seine Schmerzen so heftig waren, daß er sie zuweilen selbst um Aufschub ihres

*) A. Meißner, Erinnerungen an Heinr. Heine. les derniers jours de Henri Heine. 1884.

Camille Selden,

Bejuches bitten mußte. In den an sie gerichteten Briefen und Gedichten findet man erst jene tiefere erotische Innerlichkeit, jene Liebesfülle, die man sonst nirgends in Heines Liebesgedichten antrifft.

Er nennt sie seine Wahlverlobte, deren Wesen durch des Schicksals Willen mit dem seinen gepaart sei. Vereint würden sie das Glück kennen gelernt haben, getrennt müssen sie zu Grunde gehen:

Ich weiß es jezt. Bei Gott! Du bist es,
Die ich geliebt. Wie bitter ist es,
Wenn im Momente des Erkennens

Die Stunde schlägt des ew'gen Trennens!
Der Willkomm ist zu gleicher Zeit

Ein Lebewohl!

Lachend und weinend tobt er gegen diesen notgezwungenenPlatonismus zwischen zwei Liebenden, denen jede Umarmung unmöglich ist:

Worte! Worte! keine Thaten!

Niemals Fleisch, geliebte Puppe,
Immer Geist und keinen Braten,
Keine Knödel in der Suppe!

In seiner Ungeduld will er verzweifeln, wenn sie ihn einmal warten läßt:

Laß mich mit glüh'nden Zangen kneipen,
Laß grausam schinden mein Gesicht,
Laß mich mit Ruthen peitschen, stäupen -
Nur warten, warten laß mich nicht!

bis dann in dem großen, mystischen Vermählungsgedicht „Die Mouche“ zwischen ihm als Toten und der Passionsblume an seinem Sarge durch die Nähe des Todes alles harmonisch, ausklingt:

Du warst die Blume, Du geliebtes Kind,
An Deinen Küssen mußt ich Dich erkennen.
So zärtlich keine Blumenlippen sind,
So feurig feine Blumenthränen brennen.

Geschlossen war mein Aug', doch angeblickt
Hat meine Seel' beständig Dein Gesichte,
Du sahst mich an, beseeligt und verzückt,
Und geisterhaft beglänzt vom Mondenlichte.

Das sind Bilder und Gefühle aus einer anderen Welt als der körperlichen, einer Welt, wie diejenige des Blinden, wo man Küsse verspürt, doch keine sichtlichen Lippen, Thränen, die aus Augen tropfen, welche man nicht sieht, Duft von Blumen, die sich nicht bewegen, und statt der Sonne des Tages ein zauberartiges geisterhaftes Mondlicht. Und ebensowenig, wie es dort Körperliches giebt, giebt es dort wahrnehmbare Laute: Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm Was Du verschwiegen dachtest im Gemüte Das ausgesprochne Wort ist ohne Scham, Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüte.

[ocr errors]

Es war, sagt er, ein lautloses Zwiegespräch, welches stattfand,
und keiner darf fragen, was dort gesprochen ward:
Frag, was er strahlet, den Karfunkelstein,

Frag, was sie duften, Nachtviol und Rosen
Doch frage nie, wovon im Mondenschein
Die Marterblume und ihr Toter kosen!

Hier hebt sich Heines Lyrik zur Höhe Shelley's, der erhabensten in der modernen Dichtkunst. Hier gleichen seine Töne denjenigen Shelley's: den Geigentönen eines Ariel, die rein und geistig, voll und zitternd, modern in ihrer überwältigenden, halb krankhaften Weichheit, erklingen.

18.

Parteinahme in der Dichtkunft.

Börne und sehr viele nach ihm haben über Heine das Urteil gefällt, oder wollten Heine durch dieses Urteil fällen, daß es ihm mit Nichts Ernst gewesen sei. Abgesehen von Unbedeutendem und Unwichtigem, beruht Börne's Zorn nur darauf, daß es ihm schien, als ob Heine keine Partei nehmen wollte. Er selbst war bis zum Aeußersten, so gut man dies in jener unparlamentarischen Zeit sein konnte, in der Litteratur Parteimann.

In unserer Zeit gilt der allgemein angenommene und abgedroschene Sah, daß die Kunst Selbstzweck sei; zu jener Zeit war man mit dem Gedanken vertraut, daß sie einem

« PreviousContinue »