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Gruppe gehörte oder nicht. Vom Litteraturdrama geht er zur politischen Lyrik über, da er immer mehr einsah, daß das Elend der öffentlichen Zustände die Grundursache für den dem deutschen Volke mangelnden Sinn für Kraft, Stil und Form, auch in der Poesie, sei. Er vermag nicht, das Leben in Deutschland zu ertragen und nimmt seine Zuflucht zu Siciliens sonnenerfüllter Luft und dessen Erinnerungen an das Altertum, um hier des Nordens schwere Atmosphäre und den Druck des Staatsunwesens zu vergessen. Nichtsdestoweniger kann er seine Gedanken nicht von der Schmach in der Heimat abwenden. Er schreibt sein Berliner Nationallied, welches mit dem Chor beginnt:

Diesen Kuß den Moskowiten,

Deren Nasen sind so schmuck;
Rom mit seinen Jesuiten
Nehme diesen Händedruck!

Auch findet man bei ihm folgenden bitteren Ausbruch nationaler Selbstverachtung, den er im Unwillen über die seinen Dichtungen von der Zensur zugefügten schamlosen Streichungen niedergeschrieben hatte:

Doch gieb, o Dichter, Dich zufrieden

Es büßt die Welt nur wenig ein,

Du weißt es längst, man kann hiemieden
Nichts Schlechtres als ein Deutscher sein.

So romantisch auch Heinrich Heine, Platens Gegner, beginnt, so strahlt doch bald der moderne Geist in seiner Prosa durch. Noch ehe er die eigentliche politische Saite ertönen läßt, amüsiert er sich in seinen „Reisebildern" mit herausforderndem Spotte über deutsche Zustände und den deutschen Stumpfsinn, der sich darein findet. Bei Ludwig Börne, so rein ästhetisch er auch lange Zeit erscheinen konnte, da er Jahrzehnte hindurch nur als Theaterkritiker und als Verfasser novellistischer Bagatellen auftrat, war dennoch von Anfang an die abstraktpolitische Freiheitsliebe der thatsächlich allein wirkende Faktor..

Der Umstand, daß diese Schriftsteller Leser und Bewunderer fanden, beweist, daß am Schlusse der zwanziger Jahre der denkende Teil des deutschen Volkes allmählich seinen.

Autoritätsglauben sowohl auf politischem als auf allgemein geistigem Gebiete abschüttelte. Zu dieser Zeit wurden die Verfolgungen der Burschenschaftsverbindungen mit leidenschaftlichstem Eifer betrieben. Sie wurden allerorts aufgelöst. Doch bildeten sie sich sofort aufs neue, ja, in einem einzelnen deutschen Staate, in Bayern, wurden sie auch seit dem Regierungsantritt König Ludwigs von der Polizei erlaubt. Die Spalt= ungen, welche unter denselben eintraten, offenbarten ersichtlich die verschiedenen Strömungen, welche derzeit durch die Volksgesinnung gingen. In Erlangen bildeten sich von 1827 an drei einander feindlich gesinnte Verbindungen: die Teutonia, Arminia und Germania.

Die Teutonia vertrat die reine Romantik und die religiöse Mystik und hatte die Politik als außerhalb ihres Programmes stehend bezeichnet. Die Grundsähe der Arminia verlangten strenge Sittlichkeit und wissenschaftliche Bestrebungen; als ihr Ziel bezeichnete sie die Umgestaltung der öffentlichen Zustände mit Deutschlands Einheit und Freiheit vor Augen. Die Germania endlich entsprach der radikalen Zeitströmung. Sie hatte des Tugendbundes frühere Forderung von strenger Sittlichkeit fallen lassen, sich von jeder Autorität und allem Autoritätsglauben, auch dem religiösen, losgesagt, und sich zu der Anschauung bekannt, daß das Ziel welches auch für diese Verbindung Deutschland Einheit und Freiheit war nur durch eine Revolution erreicht werden könne. Obschon sie ihrem Wesen nach rein politisch war, ist es doch kaum nötig, sich über ihre Bedeutung und Gefährlichkeit Gedanken zu machen.

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Diese drei Grundrichtungen fanden bald auf allen deutschen Universitäten Vertreter, und es ist bezeichnend genug, daß diejenige der Germania in der Regel die Gemüter am stärksten ergriff und anzog.

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4.

Der Einfluß der Julirevolution.

In diesen Stillstand, dies Unterdrücktjein und diese Gährung, welche mit Elementen von Selbstaufgabe und Hoffnung, von Selbstverspottung und Freiheitssehnen erfüllt waren, fiel plößlich im Jahre 1830 die Nachricht von der Pariser Julirevolution. Sie wirkte auf die öffentliche Meinung in Deutschland wie ein elektrischer Schlag. Alle Augen wandten sich nach Paris und in allen geistig lebendigen Kreisen herrschte eine fühlbare Begeisterung.

Am schärfsten konnte man die Wirkung bei den Jüngsten beobachten. Noch zwei Monate vor der Revolution hatte der 18 jährige Karl Guzkow, wie er selbst erzählt hat, noch keinen Begriff von europäischer Politik. Er wußte weder, wer Polignac war, noch was das besagen wollte, la Charte (das französische Verfassungs - Grundgesez) zu verlegen. Er wußte nur, daß troß aller Verfolgungen die deutschen Burschenschaftsverbindungen noch existierten, und daß es die Herstellung von Deutschlands Einheit galt. Wie er sich auch die Umwälzungen dachte, welche den Gang der Ereignisse beschleunigen konnten, so erwartete er sie doch eher von Erlangen und Jena, als von Paris. Als Außerstes hatte er sich die Möglichkeit ausgedacht, daß eine Schar heimkehrender Philhellenen in Stralsund landen, sich mit bewaffneter Hand der Stadt bemächtigen und die pommersche Landwehr zu den Waffen rufen würde, und daß sich dann die Bauern, von Hungersnot getrieben, dem Aufstande anschließen müßten.

Zu dieser Zeit war der französische Publizist Saint Mare Girardin nach Berlin gekommen, um die deutsche Sprache, das deutsche Schulwesen, außerdem dogmatische Theologie, wie sie von Schleiermacher und Neander vertreten wurde und endlich den Pietismus, wie er zu Halle gedieh, zu studieren. Als Mitarbeiter des Journal des débats erhielt er regelmäßig diese Zeitschrift aus Paris und verfolgte als Aspirant eines Ministersessels eifrig den Fortschritt der Opposition in Frankreich. Guzkow gab ihm täglich eine Stunde deutschen Unterricht. Sie lasen eine Komödie von Kotzebue, welche der Franzose zum Uebersetzen Goethe und Schiller vorzog, doch

regelmäßig leukte sich ihr Gespräch auf die Politik. Guzkow verheimlichte Saint Marc Girardin gegenüber keineswegs, wie geringe Meinung er von der allgemeinen politischen Bedeutung der französischen Staatsverfassungsverhältnisse habe, und daß er, aufrichtig gesprochen, der Jenaer Burschenschaft einen größeren Einfluß auf den Gang der Geschichte beimesse, als der Deputiertenkammer in Paris. Girardin gab lächelnd eine höfliche Antwort. Unterbrochen wurden diese Gespräche zu= weilen von Eduard Gans, dem berühmten preußischen Professor, Hegels bedeutendstem Schüler im juristischen Fache und Varnhagens wie Heines Freund. Dieser nahm dann mit seiner großen Sprachfertigkeit im Französischen an der politischen Diskussion teil und war mit seinem schwarzen Wollhaar und Backenbart für Girardin eine auffallende Erscheinung. Da Guzkow den elegant gekleideten, gewandten und sarkastischen Professor vom Katheder herab seinen Spott mit der Burschenschaftsbewegung hatte treiben und im Spaße bekennen hören, daß auch er einmal an den Ufern der Saale erwogen habe, wie man am besten Deutschland zu einer Kaiserkrone verhelfen könne, so beschwor Guzkow den französischen Politiker, nicht zu glauben, daß die deutsche Jugend so wie Gans denke. „Ich weiß das," antwortete Girardin, „Sie wollen die Welt mit Sanskrit, befreien."

Am 3. August des Jahres 1830 wurde in der Aula der Berliner Universität der Geburtstag des Königs mit Gesang und Reden gefeiert. Die Studenten standen dicht zusammengedrängt vorn an den Schranken, hinter welchen Professoren, Beamte und hohe Offiziere saßen. Der berühmte Philologe Böckh hielt die Festrede und über ihm sang der akademische Chor unter Leitung des Musikdirektors Zelter, des Freundes Goethes. Der Rektor der Universität, Professor Schmalz, ging, angethan mit Haarbeutel und Degen von Stuhl zu Stuhl, um mit den Honoratioren einige Worte zu wechseln. Gans hingegen war erregt und ungeduldig; er ließ einige Briefe Friedrich von Raumers, welche soeben von Paris gekommen waren, im Saale von Hand zu Hand gehen. Der Kronprinz, der spätere Friedrich Wilhelm IV. saß lächelnd da, aber alle wußten, daß in Frankreich vor wenigen Tagen ein

König von seinem Throne gestoßen ward. Es war, als ob der Kanonendonner von den Barrikaden in den Festsaal hineindröhne. Böckhs Rede über die schönen Künste vermochte nicht, irgendwelche Aufmerksamkeit zu erregen, und als Hegel von der Rednerbühne die Namen Derjenigen nannte, welche die Preisaufgaben des Jahres mit Glück beantwortet hatten, hörte keiner als Diejenigen darauf, welche die Medaillen erhalten hatten. Guzkow selbst hörte nur mit einem Ohre, daß er in der philosophischen Fakultät den Preis gewonnen habe, mit dem anderen aber hörte er von einem Volke, welches einen König abgesezt hatte, von Kanonenschüssen und von Tausenden, welche im Kampfe gefallen. Selbst die dargebrachten Glückwünsche überhörte er. Er öffnete nicht einmal das Etui, welches die Goldmedaille mit dem Bilde des Königs enthielt, und hatte seine Hoffnung auf eine Professur vergessen, die er an die Hoffnung, diese Medaille zu gewinnen, geknüpft hatte; betäubt stand er da und dachte an Saint Marc Girardin, an dessen und seine eigene Prophezeiung bezüglich der deutschen Burschenschaft. In diesem Zustande lief er in eine Konditorei Unter den Linden und las zum ersten Male in seinem Leben eine Zeitung mit Leidenschaft. An diesem Abende konnte er kaum die Ausgabe des Staatsanzeigers erwarten nicht weil er seinen Namen als preisgekrönt gedruckt sehen wollte, sondern um zu wissen, wie es in Paris aussehe, ob die Barrikaden noch ständen, ob Frankreich aus Lafayettes Händen als Republik oder als Königreich hervorgehen würde. „Die Wissenschaft lag hinter mir, die Geschichte vor mir," schreibt er.*) Auch seine Gestalt ist typisch für die jüngste Generation aus Deutschlands damaliger Zeit für die Zwanzigjährigen. Fast gleichzeitig mit dieser politischen Erweckung Karl Guzkows, hatte im Arbeitszimmer des 81jährigen Goethe ein berühmtes Mißverständnis statt. Soret, der Erzieher des Erbprinzen von Weimar, wurde von Goethe am selben Tage, an dem die Nachricht von der Julirevolution nach Weimar gelangt war, mit dem freudigen Ausruf empfangen: „was den

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*) Guzkow, das Kastanienwäldchen in Berlin Rückblicke auf mein Leben. pag. 7.

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