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Denkt man nun zum Schlusse an eine jeuer abstrakten Gestalten, welche überall in der Lyrik vorkommen, mehr oder minder durchgeführte Personifikationen eines Begriffes, wie Frieden, Glück, Unglück, und vergleicht man auch in dieser Hinsicht Heine mit Goethe, so zeigt es sich auch hier wieder, daß Goethe den volleren Ton, Heine die sicherere Anlage besißt. Goethe hat folgende Verse an den Frieden geschrieben: Der Du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest! Ach, ich bin des Treibens müde, Was soll all der Schmerz und Lust:? Süßer Friede!

Komm, ach komm in meine Brust!

Wie man sieht, ist hier kein Bild, keine wirkliche konkrete Form. Die sechs ersten Verse steigern sich bis zu dem Ausbruche: „Süßer Friede!" auf dessen Kommen man nicht ganz sicher rechnen kann.

Man vergleiche die beiden folgenden Personifikationen von Glück und Unglück bei Heine:

Das Glück ist eine leichte Dirne

Und weilt nicht gern am selben Ort,

Sie streicht das Haar Dir von der Stirne

Und füßt Dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegenteile

Dich liebefest ans Herz gedrückt,

Sie sagt, sie habe keine Eile,

Seßt sich zu Dir ans Bett und strickt.

Durch so wenige Striche sind selten zwei Begriffe in zwei lebendige Figuren verwandelt worden, und die moderne Mythenbildung hat kaum jemals einen höheren Ausdruck erreicht, als in diesen letzten beiden Zeilen, hinter denen sich eine so tiefe und schreckliche Erfahrung birgt.

Wir sahen Heine in der romantischen Schule auftauchen und sein Handwerk von A. W. Schlegel lernen, der ihm seinen sicheren Geschmack mitteilte. Er ist zuerst romantischen Gespenstergeschichten und romantischen Archaismen in der Lyrik ergeben. Was seine jambischen Versformen betrifft, so beginnt er Wil

aus.

helm Müller zu studieren und nachzubilden; in seinen Trochäen spürt man Clemens Brentanos Einfluß. Schnell bildet er seinen eigenen Stil aus. Derselbe zeichnet sich durch die höchste Verdichtung von Stimmungen, Gedanken und Bildern Sein charakteristisches Merkmal ist größte KnappheitHeine versteht Alles anschaulich, lebendig zu gestalten und flößt selbst ruhigen Stoffen eine nervöse, zuweilen sogar dämonische Leidenschaft ein; nicht selten läßt er das Mimische zum Fraßenhaften werden und vertauscht auch hin und wieder das Tageslicht mit der blendenden Helle des elektrischen Lichtes eine Unnatur zwar, die sich jedoch auch, in der Natur findet. Sein Hauptwirkungsmittel ist poetische Knappheit..

Infolge der Zusammenseßung seines Naturells aus Wiz und Phantasie versteht er es, durch Kontraste zu wirken: er sucht das Schneidende und Ungleichartige und hat eine besondere Vorliebe für Wirkungen, welche entstehen, wo eine gewöhnliche platte Wirklichkeit in eine dichterische Vision übergeht, oder wo die Vision verblaßt und verschwindet, um der altbekannten. Wirklichkeit Raum zu geben.

Seine Schreibweise ist vollständig modern; alles ist anschaulich gemacht, Alles für das Auge. Was heißt es, ein großer Schriftsteller zu sein? Die Fähigkeit zu besitzen, Bilder und Stimmungen hervorzurufen, Bilder durch Stimmungen oder Stimmungen durch Bilder. Heine hat hauptsächlich diese lettere Fähigkeit bei sich ausgebildet, deshalb vernachlässigt er nie, weder den sicheren Umriß, noch den malerischen Effeft.

Auf seinem Höhepunkte kann man Heine nicht mehr mit. seinen Lehrern und Zeitgenossen vergleichen.. Um die Stärke und Geschmeidigkeit seines Stils zu prüfen, war es notwendig, denselben gegen den bedeutendsten Stil der damaligen Zeit, gegen den Goethe's zu messen. Wir sahen ihn bei diesem Vergleich häufig unterliegen, nicht selten jedoch auch sich zu einem fast gleich hohen Plaze erheben. Schon das gereicht Heine zur Ehre, daß es überhaupt möglich und zuweilen notwendig ist, ihn mit Goethe zu vergleichen. Ein Stil ist gewissermaßen ein Ausdruck für eine Persönlichkeit und eine Waffe

im litterarischen Kampfe. Goethes Stil ist in all seiner Größe doch zu einfach, um das Moderne zu erfassen. Aber Heines Stil, diese Waffe, welche in seiner besten Zeit einer alten Toledanerklinge glich, die sich wie eine Gerte biegen ließ und selbst an einem Harnisch nicht zersprang, war ganz besonders geeignet, mit dem modernen Leben in seiner Härte und Häßlichkeit, seiner Anmut, seiner Unruhe und seinem Reichtum an scharfen Gegensätzen anzubinden. Er besaß jedoch auch in höchstem Maße die Fähigkeit, auf die Nerven moderner Leser mit ihrer stärkeren Neigung zu gewürzter Speise und hißigen Getränken als zu einfacher Nahrung und reinem Wein, zu wirken.

16.

Heine und Aristophanes.

Sicherlich hat Heine im allgemeinen Urteil der Nachwelt nichts mehr geschadet, als seine Unumwundenheit auf geschlechtlichem Gebiete. Einzelne Gruppen seiner Gedichte sind sogar aus diesem Grunde recht übel beleumundet, so diejenigen Gedichte, welche der Sammlung „Verschiedene" angehören, von denen übrigens die meisten ungerecht verdammt sind, andere hingegen sind in der That recht platt in ihrem Gedankengange, wie auch ihr Inhalt alles andere als erhaben ist. Goethe hatte in „Der Gott und die Bajadere" ein Beispiel gegeben, wie sogar sehr kühne Stoffe durch die Größe des Stils geadelt werden können, und selbst, wo er, wie in den venetianischen Epigrammen, Tänzerinnen behandelt, welche keineswegs durch die Liebe geläutert werden, und bei dem Verhältnis des Dichters zu jenen verweilt, wirkt schon das antike Versmaß ablenkend, und kein anstößiges Wort kommt darin vor. Endlich verschwinden auch diese wenigen mutwilligen Epigramme in der Masse von Goethes übrigen Gedichten; man fühlt gleichsam auch beim Lesen derselben, daß gerade er von der Allnatur erschaffen ward, um sie ganz zu offenbaren.

Bei Heine nimmt die Offenheit hinsichtlich seines Ver

hältnisses zum anderen Geschlechte einen zu großen Raum ein, und ist oft geschmacklos. Sie verschafft ihm zehn Leser statt des einen, den sie abstößt, der jedoch zuweilen mehr als jene zehn wert ist.

Und doch macht diese Offenheit in gewisser Hinsicht auch jeine Stärke aus. Sie hätte vielleicht nicht so persönlich sein brauchen; andererseits aber war sie doch unumgänglich für denjenigen notwendig, welcher nicht nur das Gebiet des Ernstes, jondern auch dasjenige des Komischen umspannen wollte. Und dadurch nähert sich Heine dem bedeutendsten rein komischen Dichter aller Zeiten.

Am Schlusse seines Wintermärchens" erwähnt Heine, unmittelbar nach der lustigen Stelle, wo er sich Kunde von Deutschlands Zukunft errochen, indem er den Kopf in Karls des Großen Thronstuhl steckte, daß die edelsten Grazien die Saiten seiner Leier gestimmt hätten und daß diese Leier dieselbe sei, die einst sein Vater habe ertönen lassen, „der selige Herr Aristophanes, der Liebling der Kamönen“. Er fügt hinzu, daß er in seinem letzten Kapitel versucht habe, „die Vögel“ nachzuahmen, „dies beste von Vaters Dramen“.

Er hat also seine Ehre darin gejezt, seine Kunst von dem größten komischen Dichter Alt-Griechenlands herzuleiten.

Im ersten Augenblick stutt man darüber. Denn, während verschiedene andere deutsche Dichter, wie Platen und Prut, die Formen der aristophanischen Komödie nachgeahmt hatten: Trimeter, Chöre, Parabasen, die ganze von der griechischen Komikerschule aufgebaute, zugleich freie und feste Kunstform, hat Heine nicht einmal den Versuch gemacht, sich diese Dichtform anzueignen, ebensowenig aber auch irgend eine andere. Es ist charakteristisch für ihn, daß, so andauernd strebend und unbedingt gewissenhaft er hinsichtlich absoluter Richtigkeit einzelner metrischer oder ungebundener Ausdrücke war- ich habe nie eine so vielfach durchgearbeitete Handschrift, wie diejenige des „Atta Troll" in der Königlichen Bibliothek zu Berlin gesehen es ihm doch wiederum unmöglich war, sich den künstlerischen Zwang großer Formen aufzuerlegen. Es entspricht dies der Thatsache, daß in seinen größeren Dicht

ungen der Plan ganz locker, jede einzelne Zeile aber immer wieder durchgearbeitet ist.

Man darf wohl ohne Uebertreibung sagen, daß er sich als Künstler nie eine Aufgabe gestellt und sie gelöst hat.

Nur ein einziges Mal hat er den Versuch zu einer größeren Prosakomposition, zu einem Roman oder einer Novelle gemacht. Dieselbe ist Bruchstück geblieben. Es ist entweder, wie man sagt, der größte Teil des Manuskriptes bei einer Feuersbrunst vernichtet oder überhaupt nie vollendet worden. Dies Lettere glaube ich. Und dieses Fragment „Der Rabbi von Bacharach" ist, näher betrachtet, nur eine in das Gewand früherer Zeiten gekleidete Umschreibung von Heines eigenen Privatverhältnissen.

Auch in einer streng zusammenhängenden metrischen Komposition hat er sich nie versucht. Seine beiden einzigen. größeren Dichtungen „Atta Troll“ und „Das Wintermärchen“ sind freie, launige Phantasiegebilde, Seifenblasen, die, aus Hirngespinsten entstanden, nur durch die Einheit des Tones und die Gleichheit des inneren Baues zusammengehalten werden..

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Es war Heine nie in den Sinn gekommen, Aristophanes zu übersehen oder zu bearbeiten. Er war nicht wie Goethe, der sich troß seiner selbständigen ungeheuren Produktivität. herabließ, Diderot, Benvenuto Cellini, Voltaire, seinen Landsleuten zu übersehen. Als Goethe bei seinen Studien auf. Aristophanes trifft, wird er von ihm bezaubert, und er, nicht. Heine ist es, welcher „Die Vögel" für deutsche Verhältnisse umarbeitet; er entwirft - bezeichnend genug das Schauspiel einer Verwandlung, so daß die Satire aus einer politischen zu einer litterarischen wird. Die beiden politisch un-zufriedenen Hauptpersonen sind bei Goethe litterarische Abenteurer geworden; mit der Eule wollte er wie aus einem. Briefe Jacobis an Heinse hervorgeht Klopstock treffen, mit. dem Papagei den jungen Cramer. Im Epilog zu dieser Bearbeitung findet sich Goethes unsterbliche Bezeichnung des Aristophanes: „der ungezogene Liebling der Grazien", eine Bezeichnung, welche auch so treffend auf Heine paßt.

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War Heine nun auch zu wenig arbeitsam, um jemals.

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