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auf dessen „Elpenor“: „Die Nachwelt wird es nicht glauben, daß die Sonne unserer Tage ein solches Werk hervorgehen sah." Alle diejenigen aber, welche Hindernisse auf Goethes Weg gehäuft hatten, so lange sein Name noch der streitenden Litteratur angehörte, wurden von dem Augenblicke an seine Verehrer, als dieser Name eine unbestrittene Autorität bedeutete und als eine Art konservativ-nationalen Wappenzeichens angesehen wurde Uebrigens lag die Litteratur darnieder. Das romantische Phantasiespiel in der Dichtung war im Begriffe zu verlöschen. Raupach und Müllner beherrschten die Bühne, Clauren den Roman. Die Unterhaltungslitteratur versant immer tiefer in Schlüpfrigkeit und Lüsternheit.

2.

Wissenschaft und Reaktion.

Im

Die deutsche Wissenschaft war, nachdem die im Gebiete der Romantik stattgehabte Ueberschwemmung das Erdreich mit ihrem Schlamm befruchtet hatte, in all ihren Zweigen mächtig emporgewachsen und wechselte jetzt die Farbe. Sie wurde durch die Ungunst der Verhältnisse weiter von der Wirklichkeit entfernt und schloß sich enger als zuvor an die bestehenden Verhältnisse an. Hegel ist hierfür das große Beispiel. März 1819 erdolchte Karl Sand Kozebue, ein halbes Jahr früher, am 22. Oftober 1818, betrat Hegel zum ersten Male den Lehrstuhl an der Berliner Universität. Schon in seiner Antrittsrede zeigte er den Hörern sein Programm, und aus demselben ging hervor, daß die Hegel'sche Philosophie und der preußische Staat in seiner derzeitigen Gestalt innig zusammengehörten. Denn diese Philosophie beruhte auf der Allmacht des Begriffes, dieser Staat auf der Macht der Bildung und Intelligenz. Daß Preußen gerade damals seinem Wesen und seiner Vergangenheit untreu ward, um an Oesterreichs Gängelbande der geistigen wie politischen Reaktion zu dienen, kam nicht zum Worte. Und doch waren die Karlsbader Beschlüsse gefaßt, und doch war es gerade Preußen, welches die Initiative zu all jenen kleinlichen und tyrannischen Maßregeln ergriff, welche

bald ganz Deutschland unter Polizeiaufsicht brachten. Die Gefühlspolitik der Burschenschafter war jedoch Hegel ebenso verhaßt, wie die Gefühlsphilosophie; die Wartburg-Zusammenkunft für ihn eine romantische Narrheit und Sands Dolchstoß ein Efel. In der Vorrede zur „Rechtsphilosophie“, seinem ersten und bedeutendsten Buche in Berlin, ließ er sich nicht nur zur Vertheidigung der Demagogen-Verfolgungen herab, sondern er entwürdigte sich sogar zum Polizeispion, indem er seinen ehemaligen Kollegen Fries den Regierungen denunzirte: "Hoffentlich wird nicht Amt und Titel zum Talisman für Principien werden, aus welchen die Zerstörung ebenso der inneren Sittlichkeit und des rechtschaffenen Gewissens als die Zerstörung der öffentlichen Ordnung und der Staatsgesehe folgt." Und von jezt an stand Hegel als Deutschlands philosophischer Diktator da. Von Berlin aus beherrschte er das ganze deutsche wissenschaftliche Studium. Es war aber in dieser Philosophie, sogar in eben diesem so konservativ veranlagten rechtsphilosophischen Werke eine Doppelzüngigkeit enthalten, welche zukunftsschwanger war. Schon in seinem berüchtigten Vorworte stand der Say, welcher für diese Periode bezeichnend werden sollte; zuerst hatte ihn sich der Konservativismus der Restaurationszeit angeeignet, dann benüßten ihn Hegels jüngere Schüler als Sturmbock. Er steht dort in zwei Zeilen mit gesperrter Schrift gedruckt:

Was vernünftig ist, das ist wirklich,

Und was wirklich ist, das ist vernünftig. Was will das besagen? Hegel entwickelt, daß, wenn das Gefühl das Gegenwärtige für eitele Nichtigkeit erkläre, so sei dasselbe falsch, und, wenn umgekehrt, die Idee als reine Vorstellung gelte, so müsse geltend gemacht werden, daß nichts außer der Idee wirklich sei. Es sei das Ewige im Gegenwärtigen, Zeitlichen und Vorübergehenden zu entdecken, oder mit andern Worten, es sei in diesem Falle kein neuer Staat zu konstruieren, sondern der Staat, wie er sei, zu be- . greifen. Mit Recht hat es Haym, Hegels Biograph, aus- : gesprochen, daß die Macht der Lehre von Gottes Gnaden weniger gefährlich als diejenige sei, welche alles Bestehende

für heilig erkläre. Aber mit demselben Rechte kann man: andererseits behaupten, daß die Umsturzlust der revolutionären: Jugend nicht so weit als diese Lehre ging, welche nur dem Vernünftigen Wirklichkeit beilegt und also allem übrigen nur: eine Scheinwirklichkeit zuerkennt, der man trogen, die man beiseite schieben, verdrängen und sprengen könne und müße. Deshalb konnte auch Robert Pruß von ebendiesem Sage sagen. daß mit ihm aller Zweifel gehoben, der alte Gott der Finsternis in den Abgrund gestürzt und ein neuer, der ewig herrschende Zeus, die sich selbst begreifende Idee, der Mensch als denkendes Wesen, auf den Thron gesezt sei.*)

So vielfache Erklärungen der Hegelschen Philosophie jezt auch bald zu Tage traten, die Verwandtschaft zwischen dieser Lehre und Goethes Poesie empfanden alle Eingeweihten. Für den kleinen Kreis der Goethebewunderer in Berlin wurde Hegel der fräftigste Bundesgenosse, und die Ehrfurcht vor diesen beiden Männern, von denen man den einen den absoluten Dichter, den anderen den absoluten Philosophen nannte, schmolz ineinander. Der rechtgläubige Hegelianer sah sogar darin, daß Hegel am 27. August, Goethe am 28. August geboren war, ein bedeutungsvolles Zusammentreffen. In den zwanziger Jahren saßen einmal die Getreuen am Abend des 27. August beim festlichen Nachtmahle und tranken auf die Gesundheit des Meisters im Reiche der Gedanken. Hierbei brachten sieein Wort aus der Vorrede zur Rechtsphilosophie, von der Eule der Minerva, welche mit einbrechender Abenddämmerung ̧ ihren Flug beginnt, in Erinnerung. „Aber sobald es Mitternacht geschlagen hatte, erhob sich ein Redner und verkündete· die frohe Botschaft, daß Apollo, des Lichtes und des Sanges Gott, jezt den herrlichen Tag, den achtundzwanzigsten, mit seinem Sonnenwagen am Himmel heraufführe.“**)

Das Nationalgefühl, welches im Jahre 1813 den Feind aus dem Lande vertrieben hatte, enthielt zwei grundverschiedene Elemente, ein Historisches mit rückblickender Richtung, welches.

*) Haym, Hegel und seine Zeit pag. 365 ff. Pruz, Vorlesungen über die deutsche Litteratur der Gegenwart pag. 259 ff. **) Treitschke, Deutsche Geschichte Bd: 3. pag. 686..

bald als Romantik ausschied, und ein freisinniges mit fortschrittlich-gläubiger Richtung, welches dann zum Liberalismus wurde. Als die Reaktion kam, stüßte sie sich auf viele Grundfäße der Romantik und zog sie schließlich ganz in ihre Dienste, Männer wie Görres, Friedrich Schlegel und And. gingen aus dem Lager der Romantik in das der Reaktion über.

Die freiheitsliebende Gruppe hatte natürlich während der napoleonischen Kämpfe mit den Romantikern den Haß gegen Frankreich geteilt. Allein schon als deren Sympathieen die Gestalt von Wünschen und Forderungen (als Preßfreiheit, konstitutionelles Königtum, Wahlrecht usw.) annahmen, verdampfte notwendigerweise der Haß gegen Frankreich. Und je stärker die Reaktion wurde, desto stärker richteten sich die Blicke auf das Nachbarland, welches doch eine parlamentarische Verfassung besaß, und bald gewannen die Helden des französischen Liberalismus auch für die Deutsch-Liberalen eine große Bedeutung, sie nahmen sich sogar aus der Entfernung gesehen, bedeutender aus, als im Lande selbst. In Deutschland war nach dem Siege über Napoleon, wie zuvor nach einer von ihm erlittenen Niederlage, beständige Ruhe die erste Bürgerpflicht.

Hier war alles Gehorsam und Schweigen. Und so erzeugte, wie das in der Regel geschieht, wenn ein hochbegabtes aber zaghaftes Volk das Joch nicht abzuschütteln vermag, der Druck Selbstverachtung, diese wieder eine Art von verzweifeltem Wit, einen beständigen Galgenhumor, was bei den Lesern eine wahre Leidenschaft dafür entwickelte, in Verspottung des eigenen Elends Linderung zu suchen. Die Betrachtung der heimischen Zustände gab einen stets wiederkehrenden Anlaß zur Selbstironie. Diese ergoß sich über die romantischen Schwärmereien, über die Geduld und den beschränkten Unterthanenverstand auf politischem, über die Orthodoxie und den Pietismus auf religiösem Gebiete. Die Karikaturformen aus dem Staatsleben, der Religion und Poesie reizten zum Spott, welcher teils rücksichtslos die Vaterlandsliebe verlegte, teils einen frivolen Ton anschlug, der besonders bei dem · beständigen Hinblick des Liberalismus auf Frankreich mehr französisch als deutsch war oder wenigstens so erscheinen mußte.

"

3.

Oppositionelle Grundßtimmung.

Die hervorragenden unter den freiheitsliebenden Dichtern und Schriftstellern dieser Zeitperiode personifizieren auch verschiedene der eben berührten Schattierungen. Bei Adalbert von Chamisso, welcher mit seiner berühmten Prosaerzählung Peter Schlemihl" und überhaupt mit gewissen Seiten seines Wesens der deutsch-romantischen Richtung angehört, während er in anderer Hinsicht wieder französischem Geist und französischer Richtung nahe steht, gelangt in mehreren seiner eigentümlichsten Gedichte, ja selbst in seinen kleinen epigrammatischen Versen die Betrübnis der Besten über die ständig wachsende politische und soziale Reaktion zum Ausdruck. Bereits in dem, im Jahre 1822 erschienen Gedichte „Die goldene Zeit“ spottet er über ein Zeitalter, welches den für einen Jakobiner erkläre, der öffentlich ausspreche, daß zwei mal zwei vier sei. Im Nachtwächterlied" verspottet er die Jesuitenherrschaft, im „Jofua“ und im „Dampfroß“ verhöhnt er den, welcher der Zeit ihr Geheimnis geraubt und es verstehe, dieselbe von Tag zu Tag zurückzuschrauben. Im „Gebet der Wittwe" giebt er mit tiefem Pessimismus ein Bild von der Herzlosigkeit der Herrschenden und ihrer vollständigen Gleichgiltigkeit für das Schicksal des Volkes. Seine Grundanschauung der Gegenwart endlich sprach er in jenen vier herb-humoristischen Zeilen aus, welche sich als ein wehmütiger mehrstimmiger Kettengesang darstellen:

"

Kanon.

Das ist die Not der schweren Zeit!
Das ist die schwere Zeit der Not!
Das ist die schwere Not der Zeit!

Das ist die Zeit der schweren Not!

Im grundsäßlichen Kampfe mit der Romantik steht nach einem Jugendstreben, das sowohl in Anbetracht der Wahl der Stoffe, als wegen der Nachbildung der Formen des spanischen Dramas romantisch war, Graf August von Platen-Hallermund. Er verhöhnt das letzte Auflodern der Romantik in Deutschland, übrigens ohne den erforderlichen Takt und ohne Kritik, um zwischen demjenigen zu unterscheiden, der zur romantischen

Brandes, Hauptströmungen. VI.

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