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Das spürt man sogar in solchen kleineren Gedichten, wie dem bereits angeführten „Wir saßen am Fischerhause“.

Man gedenke ferner der Weise, in welcher Heine Napoleons Gestalt vor seine Leser treten läßt. In seinen „Grenadieren" ruft er die Vorstellung von Napoleon wie eine Erscheinung herbei. Die Worte „Da reitet mein Kaijer wohl über mein Grab" klingen wie eine vom Glanz der Schwerter beleuchtete nächtliche Offenbarung. In der nicht minder bewunderungswürdigen Schilderung in den „Reisebildern“ wird das Bild wie eine Erinnerung aus der Kindheit heraufbeschworen.

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Oder man erinnere sich, wie Heine das Bild von Jejus hervorruft. Im Gedicht Frieden" sieht er Jesus als Friedensfürsten riesengroß in schimmerndem Weiß über das Meer schreiten. In Deutschland, ein Wintermärchen", malt er den grauen Wintermorgen auf dem Wege nach Paderborn; und als der Nebel zerrinnt, erblickt er am Wegesrand undeutlich im Morgengrauen das Holzkruzifiy mit dem Bilde des großen Schwärmers, der das Menschengeschlecht erretten wollte und jezt als „warnendes Beispiel“ dahängt:

Sie haben Dir übel mitgespielt

Die Herren vom hohen Rate.

Die tiefe Wehmut, der bittere Humor, welche sich in vertrau= lichen, herabseßenden Wendungen äußern, vermehren hier den Eindruck des menschlich Großen und grauenvoll Feierlichen, ungefähr wie jener Eindruck bei Shakespeare vergrößert wird, wenn Hamlet sein „Brav gewühlt, alter Maulwurf“ ausruft, als er des Vaters Geist unter der Erde hört. Im Lichte eines witzigen Bildes wird hier Jesus dem Leser vorgeführt, nicht als Friedensfürst, sondern als derjenige, welcher die Geißel gegen die Tempelschänder schwang und Feuer auf die Erde warf.

Das „Wintermärchen“ ist als Ganzes ein bezeichnendes Beispiel für Heines künstlerisches Verfahren. Alle siebenundzwanzig Abschnitte dieses großen Gedichtes sind ganz gleichartig gebaut. Es beginnt ganz materiell, unten auf der Erde mit Reiseerinnerungen, gewöhnlichen Wirklichkeitseindrücken. Dann erhebt sich der Erzähler unversehens in unmerklichem

Ncbergange zur mächtigen Leidenschaft, zu hohem Pathos, wilder Verachtung, lohender Schwärmerei, zerstörender oder aufbauender Begeisterung, zu einer heiligen Raserei, die wie Blizz auf Blizz wirft, bis alles wiederum in das Grau alltäglicher Begebenheiten und Situationen zurückversinkt.

Heine kommt nach Cöln, ißt Eierkuchen mit Schinken und trinkt Rheinwein dazu, dann treibt es ihn hinaus auf die Straßen. Er gedenkt der Vorzeit der Stadt: Hier hatte die Klerisei freies Spiel, hier brannten auf den Scheiterhaufen Bücher und Menschen, hier buhlten Dummheit und Bosheit gleich Hunden auf freier Gasse. Dann erblickt der Dichter im Mondenschein die große Bastille des Geistes, den Dom von Cöln, der seinen Zorn erweckt. Aber, indem er so dahinschlendert, sieht er hinter sich eine Gestalt, die ihm so bekannt erscheint. Und nun gleiten wir unversehens in eine ganz neue Welt hinüber: in die der Visionen. Jene Gestalt geht, als ob sie sein Schatten wäre, und steht still, wenn er stehen bleibt. Früher hat er sie oft in seiner Nähe gesehen, bei Nacht an seinem Schreibtisch. Unter dem Mantel hält und hielt sie stets etwas verborgen, was seltsam blinkte und einem Beil, einem Richtbeil glich. Das ist des Dichters Liktor, der ihm folgt, wie der Liftor in Rom seinem Herrn voranging.

In den folgenden Abschnitten erscheint Barbarossa im selben Stil wie eine Traumerscheinung, welche noch zweimal wiederfehrt und geht.

Wenn Heine dergestalt in der Geschichte der deutschen Lyrik, ja der ganzen Dichtkunst, mit einem neuen Stil Epoche macht: mit der Vereinigung von Schwärmerei und Wih innerhalb der Lyrik und mit einem ganz neuen Geistesgepräge: der Einführung der Prosa in die Poesie als Folie für diese oder als Spott über dieselbe, so beruht dies auf seiner historischen Stellung, auf dem Uebergang von romantischer Wirklichkeitsumbildung zu pessimistischem Realismus, der damals vor sich ging und das Verschmelzen beider Elemente erklärt, die man in seiner Dichtung findet.

So gelangte er zur künstlerischen Herrschaft über das ihm

besonders eigentümliche Helldunkel, welches mit demjenigen Rembrandts verwandt ist.

Die vollendeten Partieen aus dem Schatten und dem Halbdunkel, in welches sie versenkt sind, heraufsteigen zu lassen, das Licht, das natürliche Licht, geistig und übernatürlich wirken. zu lassen, indem man es auf einem Meer von dunklen Schattenwellen hervorzaubert, es flackernd oder grell, wie eine strahlende Flamme aus dem Zwielicht hervorbrechen zu lassen, das Dunkel durchsehbar, das Halbdunkel durchsichtig zu machen. - das ist die Kunst Rembrandts.

Die nahverwandte Kunst Heines vermag eine rein moderne Traum- und Phantasiewelt in unmerklichem Uebergange aus dem realen Leben hervor und dahin zurücktreten zu lassen. Bald so, daß die Vision voll beleuchtet dasteht, während die Wirklichkeit im Zwielicht versinkt, bald umgekehrt, daß die Vision erblaßt und die Wirklichkeit allmählich voll beleuchtet hervortritt.

15.

Heine und Goethe.

Wir sahen bereits, wie Heine als Student in Bonn in hohem Grade von dem Stifter der romantischen Schule entzückt war.

A. W. Schlegels Persönlichkeit fesselte ihn nicht minder, als dessen Lehre. Er bewunderte in ihm den Mann, welcher die deutsche Poesie von Unnatur zur Wahrheit geführt hatte. Dazu kam, daß Heine von der eleganten Haltung seines vornehmen Lehrers, von dessen weltmännischen Umgangsformen und dessen Bekanntschaft mit der damaligen guten Gesellschaft und ihren berühmten Gestalten geblendet ward.

So empfand er zunächst tief die Güte, mit welcher Schlegel sich seiner und seiner ersten dichterischen Versuche annahm. Schlegel ist es, dem Heine seine frühzeitige Einweihung in die Geheimnisse der Verskunst verdankt, und, was noch mehr wert ist, das Vertrauen zu seinen Fähigkeiten und zu seiner Zukunft.

Bereits in Heines erstem Profaauffah, dem über die Romantik vom Jahre 1810, erhält diese Dankbarkeit zugleich q mit der Kundgabe seines romantischen Glaubensbekenntnisses ihren Ausdruck. Er protestiert hier gegen die Meinung, daß die Romantik „eine Mixtur aus spanischer Emaille, schottischen Nebeln und italienischem Klingklang" wäre; nein, die Romantik wäre weder unklar noch unbestimmt, ihre Bilder dürften mit ebenso plastischen Umrissen wie die der klassischen Poesie gezeichnet werden. „So kommt es", schreibt er, „daß unsere zwei größten Romantiker, Goethe und A. W. Schlegel gleichzeitig auch unsere größten Plastiker sind.“ Und er nennt Goethes "Faust" und Schlegels „Rom“ in einem Atemzuge als Vorbilder plastischer Konturen und bricht endlich gefühlvoll in die Worte aus:,,, möchten dies doch endlich diejenigen beherzigen, die sich so gern Schlegelianer nennen!" Diejenigen, welche Heines Verhältnis zu Schlegel nur aus seinem häßlichen. Ausfall auf des lezteren Privatleben in der „romantischen Schule" kennen, sollen an diese obige Stelle erinnert werden. An A. W. Schlegel richtete Heine auch seine drei ersten Sonette. In dem ersten dankt er ihm für sein persönliches Wohlwollen und hebt seine Schuld gegen ihn hervor, im zweiten preist er ihn wegen seiner Verdienste um die deutsche Dichtkunst, als denjenigen, der sie von der mit Reifrock und Schönheitspflästerchen gepußten Aftermuse befreit habe; im dritten verherrlicht er ihn wegen der Einführung der englischen, spanischen, altdeutschen, italienischen und indischen Poesie in die moderne deutsche Litteratur. Der Ton klingt begeistert: Der schlimmste Wurm: des Zweifels Dolchgedanken,

Das schlimmste Gift: an eigner Kraft verzagen,
Das wollt mir fast des Lebens Mark zernagen,
Ich war ein Reis, dem seine Stüßen sanken.

Da mochtest Du das arme Reis beklagen,
An Deinem güt’gen Wort läßt Du es ranken.

Und Dir, mein hoher Meister, soll ich's danken,

Wird einst das schwache Reislein Blüten tragen u. f. w. Infolge dieses ersten romantischen Einflusses schreibt Heine seine ältesten, rein romantischen Verse in archaistischem Stil, wie das folgende Gedicht:

Die Du bist so schön und rein
Wunnevolles Magedein,

Deinem Dienste ganz allein

Möcht ich wohl mein Leben weihn.

Deine süßen Aeugelein

Glänzen mild im Sonnenschein,

Helle Rosenlichter streun

Deine roten Wängelein.

Das erinnert lebhaft an Tiecks älteste, in den Märchen eingeschobene Verse. Allein in diesem Gedicht, dem obige Verse entnommen sind, kommen Wunne, Magedein, Aeugelein, Wängelein, Mündchen, weiland, vor, ein ganzer Stab von Diminutiven und Archaismen.

Heines nächstes Vorbild als Dichter war ein liebenswürdiger und feinfühliger deutscher Poet, Wilhelm Müller, welcher 1827, nur 31 Jahre alt, starb. Er war der Verfasser der durch Schuberts Musik so bekannt gewordenen „Müllerlieder“, sowie der zu seiner Zeit nicht minder angesehenen „Griechenlieder“. Sein Sohn ist der berühmte sprachenkundige deutsch-englische Philologe Max Müller, dessen Novelle „Deutsche Liebe“, welche das zarte Liebesverhältnis eines jungen deutschen Gelehrten zu einer kranken und bettlägerigen Prinzessin behandelt, auf des Vaters Erlebnisse gegründet sein soll. An Müller schreibt Heine in einem Briefe vom 7. Juni 1826: „Ich bin groß genug, Ihnen offen zu bekennen, daß mein kleines Intermezzo-Metrum (das von Heine am häufigsten angewandte) nicht nur zufällige Aehnlichkeit mit Ihrem gewöhnlichen Metrum hat, sondern daß es wahrscheinlich seinen geheimsten Tonfall Ihren Liedern verdankt." Er entwickelt ferner, daß er frühzeitig von den deutschen Volksweisen beeinflußt und in Bonn von Schlegel in die Verskunst eingeweiht worden sei, „aber", fährt er weiter fort, „ich glaube erst in Ihren Liedern den reinen Klang und die wahre Einfachheit, wonach ich stets strebte, gefunden zu haben. Wie rein, wie klar sind Ihre Lieder, und sämtlich sind es Volkslieder. In meinen Gedichten hingegen ist nur die Form einigermaßen volkstümlich, der Inhalt gehört der konventionellen. Gesellschaft."

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