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druck gelangte. Börne begriff denn doch nicht in dieser Art und nach dieser Weise! Für ihn bestand der Gegensatz zwischen dem Ernst der mannhaften Natur und dem knabenhaften Leichtsinn, und vor allem als der Gegensah zwischen Verehrung der Wahrheit auf der einen, Form- und Kunstverehrung auf der andern Seite. Mit sicherem Blick hat er verschiedene der Albernheiten und kleinen Zugeständnisse nachgewiesen, die sich Heine hie und da, wo der Glanz des Lebens in Betracht kam, zu Schulden kommen ließ, sowie auch mehrere ungerechte Spöttereien über in plumper und naiv-volkstümlicher Form gehaltene ideale Bestrebungen. Börne verabscheute ja Leute vom Schlage der Rothschild, während Heine sich von denselben außerordentlich imponieren ließ. Börne, der sich in den Salons heimatlos, dagegen heimisch unter demokratisch gesinnten Handwerkern fühlte, befand sich in den Versammlungen der deutschen Emigranten, wo sie abenteuerliche Pläne schmiedeten und zu unpraktischen Unternehmungen Geld sammelten, wohl, während es Heine schon bei den vielen Aufforderungen zur Teilnahme an diesem oder jenem demokratischen Werk übel zu Mute ward; er paßte durchaus nicht dazu, auf demokratische Verbrüderung einzugehen. Am liebsten hielt er sich troh seiner revolutionären Neigungen für sich allein und wollte auf keine Weise „frère et cochon" mit den ersten besten Scharen ausgewanderter Landsleute sein.

In einem Brief vom 25. Februar 1833 macht sich Börne unter anderem darüber lustig, daß Heine „eine erhabene Ausdauer" in der dreihundertjährigen Unmenschlichkeit der österreichischen Politik findet, daß er in dem später von ihm selbst so fürchterlich verhöhnten König Ludwig von Bayern „einen der edelsten und geistreichsten Fürsten, die je einen Thron geziert" sieht, und endlich, daß er es „kühn und großartig“ von den Herren von Rothschild nennt, daß sie während der Cholera ruhig in Paris geblieben, während er die unbezahlten Mühen der deutschen Patrioten lächerlich findet. Börne hat hierin und in anderem Recht, ohne jedoch ein feineres oder tieferes. Verständnis für Heines Naturell an den Tag zu legen.

Wieder stand er hier, wie bei Goethe, einem Genie gegen

über, welches er unbefangen zu beurteilen nicht imitande war wenn er auch seinem unruhigen Zeitgenossen weder in ähnlichem Umfange noch auf dieselbe Weise wie seinem großen. Vorgänger Unrecht zufügte.

11.

Heine.

Auch für Heinrich Heine ist, wie schon angedeutet, im neuen deutschen Reiche der Augenblick wenig günstig. Es ist viel, was man ihm vorzuwerfen hat, daß es sich nicht in Kürze aufzählen läßt: zuerst seine Vorliebe für Frankreich und seine vorgebliche oder wirkliche Frivolität. Dann sein nichtgermani= scher Ursprung und Witz, seine Sentimentalität, seine Geckenhaftigkeit, seine Leichtfertigkeit. Das neue Deutschland ist in religiöser Hinsicht indifferent; aber, wenn es auch schweigt, so ist es doch an Zucht und Ordnung gewöhnt. Während heutzutage in Deutschland die höchsten Tugenden: Wahrheitsliebe,. Selbständigkeit, Seelenstolz und Seelenadel viel weniger gelten als Pflichterfüllung, Regelmäßigkeit, bürgerliche Zucht, militärischer Schwung „Schneidigkeit," wie man jagt, war es zu Heines Zeit gerade umgekehrt. Disziplin war nicht hochgeschäßt. Und wie damals Religiosität mehr galt als Religion,. so auch Menschlichkeit mehr als Nationalgefühl. Patriotismus war zu jener Zeit in den Augen der Besten eine Tugend, die man nicht als unbedingt betrachtete; sie meinten, daß Gerech tigkeit nicht aufhöre eine Tugend zu sein, selbst wenn sie gegen. ein fremdes Volk geübt werde.

Bei Heine kommt zu seiner abstrakt radikalen Geistesrichtung noch der Haß gegen Preußen, dessen Zukunft er so wenig ahnte, als er dessen Stärke verstand, jene Stärke Preußens, welche vorzüglich in Carlyles Schilderung von Friedrichs des Großen Vater veranschaulicht worden ist: die Fähigkeit, mit nüchterner Strenge ein Chaos zu bewältigen,. Schwierigkeiten zu beseitigen, und zu verwalten. Dieser Haß glich fast der Todfeindschaft der Rheinländer gegen Preußen.. Man denke an die Verse gegen den preußischen Adler:

Du häßlicher Vogel! wirst Du einst
Mir in die Hände fallen,

So rupfe ich Dir die Federn aus

Und haue Dir ab die Krallen.

Du sollst mir dann in luftiger Höh'
Auf einer Stange sißen,

Und ich rufe zum luftigen Schießen herbei
Die rheinischen Bogenschüßen.

Auf dem Wiener Kongreß hatte Preußen nach langer Weigerung die Rheinlande übernommen. Es erhielt dadurch statt der im Osten erhofften Abrundung eine ganz zerrissene. Gestalt und außerdem kam einer von den Alt-Preußen ganz. verschiedener Volksstamm unter das preußische Szepter. Dies war die Gegend, wo sich in alter Zeit die Scheidelinie zwischen Welten und Germanen befand. Hier zwängte sich die römische Militärprovinz ein. Ueber diesem Lande hattespäter die Priesterherrschaft dergestalt gebrütet, daß im vorigen Jahrhundert Friedrichs des Großen Geist gar keinen Einfluß. ausgeübt hat. Der alte, morsch gewordene Klerikalismus stieß hier gerade mit der französischen Revolution zusammen. und man begrüßte die Männer, welche deren Ideen verbreiteten, mit Jubel.

Die Altpreußen nährten Unwillen und Mißtrauen gegen. die Rheinländer, und diese vergalten jene Gefühle mit Zinsen.. Die Preußen waren und blieben am Rhein fremd und unbeliebt. Vom Sohne, der im Heere diente, hieß es: „er ist bei den Preußen." Der Berliner verfuhr als Beamter in Köln oder Düsseldorf übermütig und verkleinerte alles, und der Rheinländer betrachtete lange eine Anstellung in den alten preußischen Provinzen als eine Verbannung nach Sibirien. Ueberall hörte man Klage über die den Preußen. mangelnde Fähigkeit, sich die Herzen in den neu zueroberten Stämmen zu gewinnen.*)

Heine wurde am Schluß des Jahrhunderts (zwischen 1797 und 1799) in Düsseldorf, der Hauptstadt des derzeitigen.

*) K. Mendelssohn-Bartholdy, Breußen und Frankreich zur Zeit. der Julirevolution. S. 25 ff.

Herzogtums Jülich-Cleve-Berg, geboren. Die Stadt war sechs Jahre hindurch von französischen Revolutionstruppen. besezt. Sie zogen 1801 ab und May Josef wurde Regent; im Jahre 1806 wurde er König von Bayern und an seiner Stelle Joachim Murat Großherzog. Doch schon im Jahre 1808 mußte dieser das Land dem ältesten unmündigen Sohne des Königs von Holland, d. h. an Napoleon, als Vormund des Knaben, abtreten. Das Land wurde nun ganz nach französischem Muster regiert, Leibeigenschaft, Lehnswesen und Frohndienst aufgehoben, das Rechtswesen umgebildet und eine unbedingte Religionsfreiheit eingeführt; schon aus diesem einen Grunde huldigte die jüdische Bevölkerung der Rheinlande Napoleon als dem Befreier aus tausendjähriger Unterdrückung.

Zweifellos hat die Berührung mit den zu jeuer Zeit so kühnen und siegreichen Franzosen sehr viel dazu beigetragen, dem Geiste Heinrich Heines den ersten Schwung zu geben, Sein Respekt für überlieferte Autoritäten erhielt frühzeitig einen Knick. Sein angeborener Wig wurde in jener Richtung entwickelt, welche die Franzosen esprit nennen, und der Keim zu seiner Napoleons-Bewunderung gelegt. Heutzutage erscheint diese Bewunderung von Seiten Heines als eine fast alleinstehende Thatsache in der deutschen Litteratur des Jahrhunderts. Doch war sie hiervon weit entfernt. Man braucht nur bis Wieland zurückzugehen, um bei ihm eine ebenso lebendige Bewunderung Napoleons zu finden, sogar ehe der Lauf der Geschichte sie billigte. Bereits im Jahre 1798 erflärte er, daß Frankreich jetzt eines Diktators bedürfe, daß kein anderer sich dazu eigne, als der General Bonaparte, welcher damals in Egypten war. Im Jahre 1800 prophezeit er, daß Bonaparte sich zum Kaiser machen wird, machen muß, und verteidigt ihn gegen die Angriffe der englischen Blätter. Napoleon, welcher von diesen Prophezeiungen unterrichtet war, unterhielt sich aus diesem Grunde lange mit Wieland, als er 1808 in Erfurt war.

Keiner von den großen Deutschen hatte an der Wende des Jahrhunderts Nationalhaß gefannt. Ohne einen Funken davon hatte Goethe 1793 den Feldzug in Frankreich als

Zuschauer mitgemacht. Schiller hatte sich mit seinem französischen Bürgerbrief gefreut und gedacht, der müsse seinen Kindern einmal zu gute kommen. Knebel, Goethes Freund, hatte gewünscht, Bonapartes Siege besingen zu dürfen. So sah auch Goethe damals mit großer Gemütsruhe, wie Napoleon das Reich Friedrichs des Großen vollständig zerschmetterte; dieser preußische Staat muß sich in seinen Augen als ein vorübergehendes Phänomen in der Geschichte Deutschlands ausgenommen haben. Er war Zeuge gewesen von Napoleons Emporkommen und Siegeslauf und hatte gesehen, wie er die Anarchie überwältigte, die ihm, dem Aristokraten und Evolutionisten, so verhaßt war. Darauf lernte er ihn selbst kennen, mitten unter seinen Marschällen, umgeben von Freiheit, Liebenswürdigkeit, Genialiät, Unwiderstehlichkeit. Der Eindruck, den Napoleon persönlich auf ihn machte, war so stark, daß er die früher gehegte Bewunderung nur vermehrte. Taher wiederholte er, selbst nach dem russischen Feldzuge, jogar während der Erhebung Deutschlands sein „Das nügt ihnen nichts, der Mann ist ihnen zu groß." Erst als alles aus war, leistete er aus Anlaß des Friedens mit seinem Festspiel eine Art notgedrungener Abbitte.

Weniger bekannt als Goethes so oft erwähntes Verhältnis zu Napoleon ist dasjenige Hegels, welcher als Lehrer Heines und als derjenige Denker, der ihm immer als der vorzüglichste vor Augen stand, einen ebenso unbestreitbaren Einfluß auf ihn ausgeübt hat. Hegel, welcher als Unterthan des kleinen, despotisch regierten Württemberg geboren war und es nie gekannt hatte, ein Vaterland zu besigen, wie sehr er sich auch. danach gesehnt, war im Beginn des Jahrhunderts von solcher Bitterkeit über die deutschen Zustände erfüllt, so voller Zorn und Sarkasmus über den politischen Stumpfsinn seiner Landsleute, daß er, genau wie. Goethe, Napoleon mit der überströmenden Bewunderung eines Kosmopoliten entgegenkam. Er, der beständig in dem Gedanken einer phantastischen Ver-. söhnung des Idealen mit dem Wirklichen geschwelgt, hatte während seiner ganzen Jugend den Eindruck von wirklicher Macht entbehrt, bis Napoleons Gestalt ihm entgegentrat und

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