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sagt nun Herbart: Hätte er keinen anderen Grund, als diesen, sich gegen die ganze Lehre des Herrn Fries zu erklären, so würde die absolute Notwendigkeit, Pflicht und Recht vor metaphysischen Zweifeln zu hüten, ihn dazu zwingen. Was sollte wohl daraus werden, wenn auch nur die Erschleichungen jener eingebildeten Vorbereitungswissenschaft, vollends aber wenn

die gesamte Skepsis, welche in alten Zeiten aus falschen Systemen entstand, und in neueren, künftigen Zeiten noch daraus entstehen wird, eingreifen könnte in das unmittelbare Urteil, in die ursprüngliche Evidenz, wodurch das Gewissen jedes und aller Menschen einhellig erhalten wird, mitten unter metaphysischen nicht nur, sondern selbst religiösen Streitigkeiten? Doch es hat damit keine Not! Herr Fries hat sich hier dem gemeinsten Urteil des gesunden Menschenverstandes auf eine Weise blofsgestellt, die den Rez. aller weiteren Bemühungen überhebt."

Diesen und anderen Vorkommenheiten gegenüber bedauert Herbart, dafs Kant von einer Metaphysik der Sitten geredet habe. Zwar habe er in dem, was er so bezeichnet, „die Grundlage der Ethik sehr scharf und nachdrücklich von der Anthropologie abgeschnitten, damit nicht Naturbestimmungen unter die Motive des moralischen Wollens gemengt würden; überdies stütze sich die kantische Freiheitslehre auf die schärfste Trennung der erscheinenden Natur, des Gebietes der strengen Notwendigkeit, von der intelligibeln Welt, worin Freiheit herrscht, und müsse sich darauf stützen, wenn sie irgend einen Zusammenhang und irgend einen Schein von Wahrheit behaupten solle; würden diese Scheidewände weggenommen, so stürze die ganze kantische Lehre zusammen, und es lasse sich nicht einmal aus ihren Materialien ein neues Gebäude aufführen.“ 1) Nichtsdestoweniger sei aber nicht allein von den sich an Kant anschliefsenden Monisten, sondern selbst unter den Kantianern dieser Umstand übersehen worden, und unter dem Titel der Metaphysik der Sitten sei man auf etwas dem Wesen der Ethik und dem kantischen Sinne

bestimmt erst aus der Übereinstimmung eines Dinges mit seinen anerkannten Zwecken, ob etwas gut sei oder nicht, worauf Herbart einfach bemerkt, dass die ursprüngliche Setzung des Zwecks eben durch ein Gefallen in der Beurteilung geschehe. Kl. Schr. III, S. 531. Werke XII, S. 415.

1) Rez. von Steffens kl. Schr. III, S. 559 fg. Werke XII, S. 440.

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Fremdes ausgegangen. Ein auffallendes Beispiel dafür bot selbst der berühmte Verfasser der Geschichte des Pantheismus J. B. Jäsche in seinen Grundlinien der Ethik, deren Vorrede die ungemein dreiste Behauptung" enthält, dass ohne bestimmte Anerkennung einer ethischen Metaphysik, jede Lehre der Ethik entweder zu einer blofsen Physik der Sitten oder in eine blofse Logik des Sittlichen verwandelt, oder endlich in einer Begründung der Ethik durch Ästhetik das Heil der praktischen Philosophie gesucht werde. Nachdem es Herbart bei dieser Gelegenheit als unpassend bezeichnet hatte, sich auf Ansichten und Gesinnungen Kants zu berufen, wo es auf eine wissenschaftliche Genauigkeit ankam, rügt er die Zusammenstellung der Physik der Sitten mit der ästhetischen Beurteilung; letztere sei „eine Wertbestimmung, jene erstere dagegen eine psychologische Erklärung, wie die Sitten entstehen und sich fortbilden können. Nun sei die Wertbestimmung gerade das, was die Sittenlehre leisten solle; die psychologische Erklärung aber das, warum sie sich nicht bekümmern solle. Noch mehr! Die Wertbestimmung ist das, was in allen sittlichen Urteilen wirklich vollzogen wird, wiewohl im gemeinen Leben mit manchem Irrtume vermengt; die psychologischen Erklärungen aber, wodurch bald unzeitige Entschuldigungen eines Vergehens herbeigeführt, bald durch die Frage nach der Thunlichkeit des Geforderten allerlei Zweifel an der Forderung selbst aufgeregt werden, - diese meist übel angebrachten Reflexionen haben von jeher die Sittenlehren verunstaltet, und die schlimmsten Zweifel daran veranlafst, wenn die Physik der Sitten gar eine ethische Metaphysik vorstellen wollte, als ob der Stolz des Namens die niedrige Verwandtschaft bedecken könnte. Es wäre eine wichtige Aufgabe für einen Historiker, alles Unheil zusammen zu stellen, was aus solcher Verunreinigung der Sittenlehre schon entstanden ist." 1) Den Philosophierenden dagegen giebt Herbart den Rat,

1) Rez. von Jäsches Sittenlehre kl. Schr. III, S. 562. Werke XII, S. 563. Diesen Worten werden noch folgende Geschichtsbemerkungen hinzugefügt: ,,Platon stellt in der Republik die edelsten Grundsätze des echten sittlichen Geschmacks auf, aber er kann es nicht lassen, ihnen eine falsche Psychologie (lóyos, vμo's, iñiðvμia) unterzuschieben. Die Stoiker haben nicht genug an dem oμoloyovμivos Cv, sie müssen auch noch allerlei Betrachtungen über die ersten Strebungen der Natur einmengen. Kant knüpft an seine Sittengesetze

erst mit dem Leichteren und Einfacheren zu beginnen, als mit dem Schwierigeren und Verwickelteren. Leichter aber und viel früher zu einer definitiven Entscheidung zu bringen sind die ethischen Untersuchungen, schwieriger dagegen die metaphysischen und psychologischen. Sind jedoch einmal zu einer Zeit, teils durch die natürlichen Irrtümer des gemeinen Denkens, teils und im besondern durch den Einflufs falscher Systeme, die ethischen Begriffe mit metaphysischen und psychologischen Begriffen in Verwirrung geraten, so bleibt nichts anderes übrig, als durch sorgfältige Behandlung der eigentlichen metaphysischen Aufgaben, nicht allein die einmal in lebhafte Anregung gekommenen Interessen zu befriedigen, sondern auch und zwar ganz im besondern, die den verschiedenen Erkenntnisgebieten zugehörigen Begriffe auseinander zu setzen, sie zu reinigen und zu berichtigen und dadurch jene heillose Mengerei mit falschen oder wenigstens ungesäuberten theoretischen Begriffen zu verhüten, welche Herbart, zu seinem grofsen Leidwesen, so gar häufig in den wissenschaftlich sein wollenden Behandlungen der Ethik gefunden hatte. Also: wie sehr Herbart auch prinzipiell auf eine selbständige und von der Einmischung metaphysischer und psychologischer Betrachtungen rein gehaltene Behandlung der ethischen Grundbegriffe drang, und wie streng er sich selbst an diese wissenschaftliche Maxime hielt, so erwarb er sich nicht allein hierdurch, sondern auch dadurch, dafs er die Metaphysik und Psychologie einer gründlicheren Behandlung unterzog, als dies von irgend einem seiner Vorgänger geschehen ist, ein grofses Verdienst um

noch eine Freiheitslehre, die ihn allen metaphysischen Zweifeln preisgiebt. Spinoza und Fichte stellen gar ihre falsche Metaphysik dergestalt in den Vordergrund, als ob das Sittliche darauf beruhete und damit stände und fiele! Alle diese Mifsgriffe samt denen der Engländer, die von Gefühl und Sympathie reden, gehören in eine Klasse, weil sie da, wo es lediglich auf Wertbestimmungen ankommt, unnütze Zusätze einmengen, welche nichts vermögen, als Mifshelligkeiten herbeizuführen, und dasjenige, worüber im Grund alle Parteien einverstanden sind, in Schatten zu stellen."

Eine vortreffliche Darstellung des eigentlich wissenschaftlichen Gedankenfortschritts von den Lehren des Xenophontischen Sokrates zu Plato und über ihn hinaus zu den eigentlichen Grundlegungen der Ethik, siehe in dem Entwurfe zu Vorlesungen über die Einleitung in die Philosophie 1807. Werke XII, S. 122 fg.

Allihn, Ethik. 2. Aufl.

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die Ethik. Denn wer diese Untersuchungen näher kennen gelernt und gründlich erwogen hat, wird ebenso fern davon sein, die Ethik metaphysisch oder psychologisch begründen zu wollen, als einige leidlich ernste Versuche, das syllogistische Schlussverfahren psychologisch zu erklären, das beste Abschreckungsmittel sind, die mittelbaren und unmittelbaren logischen Evidenzen auf diese Weise näher begründen zu wollen. Handelt es sich dagegen um die Frage, wie das, mit wissenschaftlicher Genauigkeit einer exakten Begriffsbehandlung, als gut und recht Erkannte unter den dargebotenen Verhältnissen des wirklichen Lebens, im Verhalten des Einzelnen für sich und als Glied der Gesellschaft, zur Ausführung zu bringen, oder, wie man gern sagt, zu realisieren sei, so werden dann jene Ergebnisse rein theoretischer Untersuchungen eine sehr willkommene Hilfe bieten. Diese aufserordentlich bedeutungsvolle Seite der Reform einer wissenschaftlichen Behandlung der Ethik bei Herbart, dadurch verkleinern zu wollen, dafs man auf die von ihm gründlich zurückgewiesenen Mengereien wieder zurückgeht, ja ihm die wohlüberlegte Sonderung der verschiedenartigen Fragen und die des Primären von dem Sekundären als ein zersplitterndes oder „,atomisierendes" Verfahren zum Vorwurf zu machen, ist nichts anderes, als der Tadel eines wissenschaftlichen Verfahrens deshalb, weil es sich nicht in Heterozetesen ergeht und ergehen will. Wo freilich die alte „thörichte Vorliebe für die Einheit, welche überall die scharfen Kanten der Natur umnebelt, dieselbe Neigung zu Verwechselungen, dieselbe Unsicherheit des Blickes erzeugt," 1) da wird man immer noch geneigt sein, wissenschaftliche Tugenden als Fehler zu bezeichnen, und nicht aufhören, wissenschaftlichen Gebrechen, als wären es ruhmwürdige Eigenschaften, ein Loblied zu singen.

Das System.

In den bisherigen Abschnitten ward zuerst dargethan in welcher Weise Herbart an Kant sich anschlofs, sodann worin er Kant entgegentrat und drittens wie er sich zu den falschen Bestrebungen des stabilen, progressiven und regressiven Kantianismus verhielt. Es könnte nun noch weiter gezeigt werden, wie

1) Kl. Schr. III, S. 568. Werke XII, S. 448.

Herbart bei verschiedenen Gelegenheiten den fortschreitenden Irrtümern seiner Zeitgenossen entgegentrat, und wie die dabei genommenen Gesichtspunkte immer folgende blieben: Erstens, das von Kant bereits als richtig Erkannte nicht wieder in Zweifel ziehen zu lassen, und dem von ihm als falsch Abgewiesenen nicht von neuem Zugang zu gestatten; sodann die von Kant begangenen Fehler nicht nachwirken oder durch noch gröfsere überbieten zu lassen; endlich das von Kant noch ungenügend Behandelte einer weiteren wissenschaftlichen Erörterung zu unterwerfen und, statt sich zu ergehen in den verschiedenen Meinungen über die Sache, die Aufmerksamkeit lieber auf sie selbst zu richten und so durch wissenschaftliche Forschung bestimmte Entscheidungen zu bewerkstelligen. Doch dies besonders durchzugehen, würde uns hier zu weit führen.

Die Aufgabe der allgemeinen Ethik.

Es ist öfters Herbart zum Vorwurf gemacht, dafs er theoretische Philosophie und praktische Philosophie zu schroff abgesondert habe. Doch war eine strenge Sonderung der verschiedenen Aufgaben wissenschaftlicher Forschung die Bedingung ihres Gelingens. Denn, ohne genaue Fragestellung kein bestimmter Bescheid! Nichts anders aber, als solche Verstöfse gegen die wissenschaftliche Ordnung, sind es, wenn die Frage nach dem Sollen abhängig gemacht wird von der Frage nach dem Sein und wirklichen Geschehen, und die Frage nach dem absolut Guten von der Frage nach dem Können oder die Frage nach dem Recht von der Frage nach der Macht. Von solchen Polyzetesen und Hoterozetesen die wissenschaftliche Behandlung der Ethik befreiet zu haben ist ein nicht genug zu schätzendes Verdienst Herbarts. Es ist daher ein sicheres Zeichen, dafs jemand in der wissenschaftlichen Besinnung sehr zurückgeblieben ist, wenn er an die betreffenden Erörterungen noch die Forderung einer höheren wissenschaftlichen Deduktion stellt, in dem Wahne, als bestände das Wesen einer solchen darin, Alles aus Einem oder das Besondere aus irgend welchem angenommenen Allgemeinen, als aus seinem letzten Grunde, in artificiöser Weise abzuleiten. Nicht mit dergleichen Ableitungen eines Vielen aus einer hohlen Einheit, sondern vielmehr mit Auseinandersetzung eines noch undeut

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