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Hierin liegt die Quelle des spätern absoluten Idealismus.

2. Wird die reine Vernunft als das reale „An sich" des Ich gesetzt, so sind die theoretische und praktische Vernunft nur zwei verschiedene Thätigkeiten ein und desselben Vermögens, und die Erkenntnis dieses reinen An sich wird dann die aufzufindende Eine Quelle sowohl der Physik als der Ethik. Daher spricht Kant selbst schon die Erwartung aus, dafs die Einheit jener beiden Thätigkeiten erkannt und dadurch die Philosophie vollendet werde, da es eine Vernunftforderung sei, dafs die philosophische Erkenntnis nur Ein Prinzip habe. Hiermit hob er selbst die prinzipielle Unabhängigkeit der praktischen und theoretischen Philosophie wieder auf, oder erklärte sie nur für vorläufig. Er hat hierin seinen Nachfolgern das Programm einer zukünftigen Philosophie geschrieben, nach welchem sie nur zu treu gearbeitet haben.

In eben dieser Ansicht von dem Einen Prinzipe für die ganze Philosophie liegt zugleich die Meinung, dafs auch jede einzelne philosophische Disziplin Ein oberstes Prinzip (Satz) an der Spitze haben müsse, von dem alles übrige in derselben abhänge. Daher stellt Kant nur Ein oberstes Sittengesetz auf, ohne auch nur die Frage aufzuwerfen, ob nicht mehrere, wenn auch nicht Sätze, doch Ideen oder Begriffe, die von einander unabhängig seien, die Grundlage der Ethik bildeten.

3. Die Würde des guten Willens lag bei Kant sowohl in der Allgemeingiltigkeit des Gesetzes, welches er aus blofser Achtung gegen dasselbe befolgt, als auch in der Autonomie des Willens, der nur deshalb an das Gesetz, sich gebunden fühlt, weil er es selbst gegeben hat. Dazu hatte er von einem Reiche der Zwecke geredet, in welches der Mensch dadurch hineinpassen müsse, dass er nur solchen Maximen folgte, die als allgemein gesetzgebend gelten können. Hierin liegen im Keime die Gedanken, welche für seine Nachfolger zu leitenden Prinzipien in der Ethik wurden. Bei Fichte tritt besonders die Autonomie in seinem Prinzipe, die Freiheit um der Freiheit willen zu erstreben, hervor. Schelling hat daraus den Gedanken, dafs der allgemeine Wille der gute; der sich gegen das Allgemeine stemmende Partikular-Wille aber der böse sei; Hegel verbindet beides zu seinem Prinzipe des allgemeinen sich selbst bestimmenden Willens; und

Schleiermacher hat endlich das Reich der Zwecke" zu seinem durch die Thätigkeit der Gesamtvernunft herzustellenden Totalorganismus des höchsten Gutes ausgebildet.

Den Übergang von Kant zu Fichte bildet Reinhold, welcher zuerst den Versuch machte, aus einem blofs theoretischen Gedanken ein sittliches Prinzip zu gewinnen. Obwohl derselbe ohne allen Wert ist, führen wir ihn doch hier an, weil er gleichsam einen Schattenrifs des ethischen Gebäudes liefert, welches Fichte später aufführte. Reinhold ging von der „Vorstellung" als dem obersten Prinzipe aus, und forderte zum Behuf derselben ein Vorstellungsvermögen und eine vorstellende Kraft. Diese letztere wird in Verbindung mit der Form des Vorstellungsvermögens zu einem Triebe nach Vorstellung überhaupt. Wie nun in der Vorstellung Stoff und Form wesentlich unterschieden sind, so müssen auch in diesem Triebe zwei Triebe unterschieden werden, der nach dem Stoffe und der nach der Form der Vorstellung. Der erste hat die Wirklichkeit desjenigen, was an der Vorstellung gegeben ist, der andere, das was an ihr hervorgebracht werden mufs, zum Objekte. Jener ist daher, da er nur durch das Gegebenwerden des sinnlichen Stoffes befriedigt werden kann, eigennützig; dieser dagegen intellektuell, da er nur durch blofses Handeln auf den Stoff Befriedigung findet, und insofern uneigennützig. Jener daher der Trieb nach Glückseligkeit, dieser der Trieb nach Moralität. 1) Man wird hierin unschwer Fichtes Naturtrieb und reinen Trieb, wie auch Schleiermachers Natur und Vernunft vorgebildet erkennen. Das gänzlich Nichtige dieser Ableitung der Ethik aus einem theoretischen Gedanken wird aber sofort einleuchten, wenn man bemerkt, dafs diese beiden Triebe (wenn sie überhaupt angenommen werden könnten), notwendig in jeder Vorstellung vereinigt sein müssten, und überhaupt schon um deswillen keinen Unterschied des guten und bösen Wollens begründen können, weil aus ihnen auf rechtmäfsige Weise gar kein Wollen sondern nur ein Vorstellen folgt; denn die Kraft, aus welcher diese beiden Triebe sich entwickeln sollen, ist ursprünglich nur angenommen, um die Wirklichkeit

1) Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des Vorstellungsvermögens. Prag und Jena, 1789. S. 580 ff.

der Vorstellung zu erklären. Wenn nun schon Reinhold, der begeisterte Prophet des Kantinismus, soweit sich von den Grundsätzen seines Meisters, der ausdrücklich alle auf Psychologie gegründete Ethik verworfen hatte, sich entfernte, dafs er diese aus jener,,herausklauben" wollte, blofs um die gesamte Philosophie auf Ein Prinzip zu bauen, so wird man sich nicht wundern dürfen, dafs die selbständigeren Nachfolger Kants sich noch weiter von dessen eigentlicher Absicht entfernten. Doch gehen wir nicht näher darauf ein, 1) sondern wenden uns sogleich zu Herbart.

Die Reform der Ethik durch Herbart.

Die Reform der allgemeinen praktischen Philosophie und im besonderen der Ethik, welche wir Herbart verdanken, war keine ursprünglich anhebende, sondern nur eine fortsetzende und vollendende. Denn wie sehr auch den meisten Zeitgenossen die Herbartischen Forderungen und Ausführungen als völlig neu und originell erschienen, so dafs beinahe ein Vierteljahrhundert darüber hinlief bis in weiteren Kreisen ein wirkliches Verständnis derselben gewonnen und ihr wissenschaftlicher Wert geschätzt wurde: SO war doch Herbart selbst am weitesten entfernt davon, das ganze Unternehmen einzig und allein sich selbst zuzuschreiben; vielmehr verweist er wiederholt und mit allem Nachdruck auf Kant, als den eigentlichen Anfänger einer durchgreifenden Reform der seitherigen Moral hin, und nennt sich selbst, nicht blofs wegen seiner Übereinstimmungen mit den ontologischen Bestimmungen Kants im Gegensatz zu denen des Wolffianismus, sondern noch ganz besonders in Beziehung auf seinen Anschlufs gerade an diese Wendung der wissenschaftlichen Behandlung der Moral einen Kantianer. Es ist nichts Neues in ihr zu erfinden," sagt Herbart bei dieser Gelegenheit, „es kommt nur darauf an, Alte wieder zu finden; das längst Vorhandene soll vollständig und in scharfer Bestimmtheit zusammengestellt; das auf immer Unbestimmbare von dem Sichern und Festen abgeschieden werden." 2) Bei dem in neuerer Zeit beliebten Verfahren aber, historische Erscheinungen nach gewissen sich irgendwie darbietenden Klassen

1) S. Zeitschrift für exakte Philosophie I, 337.

2) Herbart, Metaphys. I, S. XX. Kant, Grundlegung. Abschn. I.

das

begriffen zu registrieren, statt sie ihrer eigentümlichen Beschaffenheit nach zu zeichnen, hat jener Umstand so viele Mifsverständnisse zu Wege gebracht, dafs uns notwendig erscheint, bevor wir auf unsere Aufgabe näher eingehen, einige Erläuterungen hierüber zu geben.

Es kann eine Wissenschaft behandelt werden ganz abgesehen von denjenigen Personen, welche durch ihre Entdeckungen sich um dieselbe verdient gemacht haben, wie das z. B. bei den mathematischen Wissenschaften längst der Fall ist. Das von den Einzelnen Geleistete wird dann als Gemeingut betrachtet, welches den Späteren zur freien wissenschaftlichen Verwendung überlassen ist, ohne dabei einen Streit um das Mein und Dein zu erheben. Je weiter sich nun eine Wissenschaft von ihren blofsen Anfängen entfernt, und je mehr die durch sie dargebotenen Einsichten in völlig objektiver Weise eine wissenschaftliche Rechtfertigung erfahren haben, um so mehr tritt das Persönliche, welches anfänglich mit einzelnen Lehren und Bearbeitungen verknüpft war, zurück. Handelt es sich dagegen noch um beträchtliche Umformungen und Ergänzungen, tritt jemand als Reformer einer Wissenschaft auf, so kann leicht die Frage entstehen, wie er dazu gekommen sein möge; ob er die gewonnenen Einsichten gänzlich seinem eigenen Nachdenken oder, wenigstens teilweise, den vorausgegangenen Bemühungen anderer verdanke. Dafs die Einsichten richtige seien, darüber mag kein Zweifel obwalten; immerhin aber ist es noch ein Unterschied das Richtige zu rechtfertigen und dasselbe zu entdecken; und ebenso ist es noch ein Unterschied, auf einem angegebenen richtigen Wege weiter zu gehen, als den rechten Anfang erst selbst zu suchen, möge es hinterher auch noch so viel Umsicht und Scharfblick erfordern, das gesuchte Ziel nicht zu verfehlen. Gesetzt nun es bemühte sich jemand, der in der Verbesserung irgend eines Teils der wissenschaftlichen Einsichten seine Verdienste hat, derartige Einflüsse, Antriebe und positive Forderungen zu verheimlichen, oder gar zu leugnen, als ob sonst seine Ehre, ein selbständiger Forscher zu sein, in Gefahr käme, und, um jeden möglichen Verdacht zu beseitigen, erginge er sich in kleinlicher, ja heftiger Polemik gegen einen Mann, dem er einen nicht unbeträchtlichen, vielleicht gar den besten Teil seiner wissenschaftlichen Einsichten

verdankt, suchte dessen Bedeutung als Forscher zu seinen Gunsten. so tief als möglich in den Augen anderer herabzusetzen: wäre dies ein das suum cuique respektierendes Verfahren? Oder gehörte es etwa zum Wesen einer wissenschaftlichen Gröfse gegen seine Vorgänger recht grofsartig undankbar sein zu können, ja zu müssen? Haben gleich durch ein solches Verhalten manche neueren Philosophen viel Lob und Ehre erfahren, so lässt sich doch der aufrichtige Forscher dadurch nicht irre leiten. Dankbar wird er stets den Vorteil anerkennen, welchen andere ihm gewährt haben. Ist ihm doch dadurch viel Mühe erspart worden, und hat ihn doch das bereits Erforschte in seinen Bestrebungen weiter gebracht als er sonst vielleicht gekommen wäre. Den Vorwurf einer blofsen Repetierung hat er darum nicht zu fürchten, weil er sich bewufst ist, redlich auch das Seinige gethan zu haben. Wie viel dies sei und welchen Wert es habe, das überläfst er ruhig dem Urteile der Sachkenner, unbekümmert um die Meinung der Menge und der Unverständigen, welche nicht zu unterscheiden wissen, was das aus eigener Untersuchung Gewonnene und das von anderen Überkommene sein mag.

Wie nun das Gesagte für jedweden wissenschaftlichen Betrieb seine Giltigkeit hat, so gilt es auch für alle diejenigen Wissenschaften, welche mit dem Namen der philosophischen oder der Philosophie überhaupt bezeichnet werden. Doch tritt leider gerade hier nicht selten der besondere Umstand ein, dafs dergleichen Fragen zwar auch erhoben, ja mit besonderer Lebhaftigkeit, wenn auch oft mehr aus einer gewissen litterarischen Neugierde und aus einer Liebhaberei an Vergleichungen des durch Zeiten und Orte Getrennten, als aus wirklich wissenschaftlichem Interesse an der Sache behandelt werden; was aber die Bereitwilligkeit der Philosophierenden selbst betrifft, über das Verhältnis ihrer Produktionen zu dem von anderen bereits Produzierten genaue Auskunft zu geben, so findet diese bei weitem weniger statt, als man erwarten sollte. Ursachen davon lassen sich mancherlei anführen. Um nur einiges anzugeben ist es einesteils das vorwiegende Interesse an den Sachen selbst. Lebhaft mit den Untersuchungen derselben beschäftigt, nimmt man auf, was sich zur Förderung der Einsicht etwa darbieten mag, unbekümmert darum woher es stammen möge. Bisweilen auch

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