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Widerstreit derselben, so giebt dies zunächst eine blofs logische Betrachtung. Denken wir an die dabei obwaltenden psychologischen Zustände, so finden wir, dafs es Befriedigung gewährt, wenn ein Wille einem andern sich fügt, Mifsbehagen dagegen, wenn einzelne Willensbestrebungen innerlich sich widerstreiten. Dies Behagen oder Mifsbehagen bereits als Ausdruck eines ästhetischen Urteils ansehen zu wollen, würde das Wesen derselben weit über die oben von uns bezeichneten Grenzen ausdehnen. Sehen wir nun von dem besonderen Inhalt des Gewollten ab, so bleibt nichts anderes übrig, als die einzelnen Willensbestrebungen nach der Verschiedenheit ihrer Stärke zu betrachten.

Was sich uns hier darbietet, ist also ein reines Quantitätsverhältnis verschiedener Willensbestrebungen nach vergleichsweiser Stärke und Schwäche. Ein starker Wille als solcher gefällt neben einem schwachen als solchen, und dieser mifsfällt gegenüber einem starken. Für die Wertschätzung zweier Willen nach Stärke und Schwäche bieten sich vier verschiedene Gesichtspunkte dar: 1. nach Intensität (Stärke), 2. nach Extensität (Ausdehnung), 3. nach Konzentration (Sammlung), 4. Protension (Dauer). Eine derartige Beurteilung von Willensbestrebungen ist die Schätzung nach der Idee der Vollkommenheit.

Verlassen wir nun die Fälle, wo zwei Willensbestrebungen einer und derselben Person Glieder eines ästhetischen Verhältnisses bilden und gehen zur Aufstellung von Verhältnissen über, bei denen die einzelnen Glieder Willensbestrebungen verschiedener Personen sind, so haben wir zuerst zu fragen, ob sich daraus ein neues ästhetisches Verhältnis ergiebt, wenn man die Willensbestrebungen verschiedener Personen nach den angegebenen Quantitäts-Rücksichten mit einander vergleicht? Die Antwort darauf ist die, dafs es der Beurteilung nach der Idee der Vollkommenheit durchaus nicht wesentlich ist, ob die dabei beurteilten Willensbestrebungen einer und derselben Person zugehören, oder ob sie die Willen verschiedener Personen sind. Das Urteil wird dadurch in keiner Weise abgeändert oder auch nur erschwert; im Gegenteil dient ihm dieser letztere Umstand sogar zur Erleichterung. Wollen wir weitere Grundverhältnisse entdecken, so müssen wir jetzt von blofsen Quantitätsverhältnissen der Willensbestrebungen absehen, und auf etwas achten, was nicht die Stärke

oder Schwäche jener Strebungen, sondern die Qualität des Wollens betrifft. Um nun nicht wieder in das unabsehbare Gebiet möglicher Zweckgedanken zurückgedrängt zu werden, bleibt uns nichts anderes übrig, als die mögliche Richtung des einen dieser Willen auf den andern als unterscheidende Merkmale der noch übrigen Willensverhältnisse oder als Teilungsgrund derselben anzusehen. Hier können wieder zwei verschiedene und einander ausschliefsende Fälle stattfinden. Entweder ist der eine unmittelbar oder er ist mittelbar auf den andern gerichtet. Im letzteren Falle kann dies. unabsichtlich oder absichtlich geschehen. Mit Rücksicht auf diese besondern Fälle bieten sich uns noch drei verschiedene Willensverhältnisse dar, welche zu den Ideen des Wohlwollens, Rechts und der Vergeltung führen.

Gesetzt einer Person schwebte das Bild von dem Willen einer anderen Person vor, und diese erste Person wollte etwas darum nicht, weil eben die andere Person es will, so würde diese Art des Widerstrebens des Willens einer Person mit dem Willen der andern Person sicherlich nicht ein Urteil des Beifalls erwecken; im Gegenteil würde es als mifsgünstiges oder neidisches Verfahren entschieden getadelt werden. Stellen wir uns dagegen eine Person in der Weise als wollend vor, dafs sie nicht blofs zufällig will, was irgend eine andere Person auch will, auch nicht den anderen Willen in anderer Weise zum Zielpunkte ihres Wollens macht, um dadurch dem letzten Ziele des eigenen Willens förderlich zu sein, sondern so, dafs eine unmittelbare Hingabe des eigenen Wollens an den Willen der andern Person lediglich darum, weil es der Wille der anderen Person ist, also mit Ausschlufs anderweitiger Motive und Nebenrücksichten, stattfindet, so erhebt sich in uns unwillkürlich derjenige Beifall, welchen das reine Wohlwollen unmittelbar erweckt. Bei diesem reinen Wohlwollen oder der reinen Güte ist es übrigens keineswegs nötig, dass derjenige Wille, welchem die wohlwollende Person sich widmet, wirklich vorhanden sein mag; vielmehr genügt es für die Anerkennung einer wohlwollenden Gesinnung schon vollkommen, dass irgend ein bestimmtes Wollen einer anderen Person als vorhanden angenommen wird, möge es auch den wirklichen Wünschen und Bestrebungen derselben nicht entsprechen. Das Wohlwollen bleibt immer schön, auch wenn es in seiner Richtung fehl greift.

Von einem blofs vorausgesetzten Willen einer anderen Person kann aber dann nicht mehr die Rede sein, wenn es sich um mittelbare Richtung des Willens einer Person auf den Willen einer anderen handelt, vielmehr müssen beide dann als wirklich vor. handene Willen vorgestellt werden. Ausserdem gehört noch etwas dazu, wodurch beide Willen mit einander in Berührung kommen. Nehmen wir also den Fall an, eine Person wollte etwas, eine andere, ohne dafs sie von dem Willen der erstern Kunde hätte, wollte dasselbe. Wäre nun der Gegenstand des beiderseitigen Wollens der Art, dafs jedes, ohne das andere dabei zu beeinträchtigen, ihn sich aneignen kann, so würden sie sich gleichgiltig neben einander verhalten. Ist dagegen der Gegenstand der Art, dafs nur der eine dieser Willen mit Ausschlufs des anderen das Gewollte erreichen kann, so entsteht ein Konflikt beider Willen miteinander. Beide kommen in Streit; der Streit als gegenseitige Verneinung zweier Willen mifsfällt absolut. Die innere Freiheit verbietet, in einem absolut mifsfälligen Willensverhältnis zu verharren. Auf dem dadurch entstandenen Bestreben, der Kollision auszuweichen, und zur Vermeidung des Streites eine feste Bestimmung über den Gegenstand desselben zu treffen, bei der es für die weitere Zukunft sein Bewenden haben soll, beruht die ethische Bedeutung der positiven Bestimmungen des Rechts.

Das der Idee des Rechts zu Grunde liegende Willensverhältnis erweckt nicht einen ursprünglichen Beifall, sondern vielmehr ein Mifsfallen, dem durch Rechtsstiftungen begegnet werden soll. Dasselbe gilt auch von der Idee der Vergeltung. Die Voraussetzung derselben ist ein absichtliches Einwirken des Willens einer Person auf den Willen einer anderen. Von den Gesinnungen des Wohlwollens oder Übelwollens mufs dabei völlig abgesehen werden, wenn wir das Verhältnis rein halten wollen. Wirkt nun in der angegebenen Weise ein Wille auf einen andern ein, so wird das dem andern Willen Angethane von diesem entweder als wohl oder als übel empfunden, und die That des Ersteren ist entweder eine Wohlthat oder eine Übelthat. Unvergoltene Thatsachen mifsfallen absolut! Das ist das der Idee zu Grunde liegende Urteil. Dies Mifsfallen wird beseitigt durch die Vorstellung, dafs ein gleiches Quantum Wohl oder Wehe auf den Thäter zurück

gegangen ist, oder dafs ein jemanden zugefügtes Wohl oder Übel billige Ausgleichung erfahren hat.

Ist die Reihe nun geschlossen? Nach vornhin bietet sie keine offene Stelle dar. Auch nicht in der Mitte. Denn das dabei eingeschlagene Verfahren ist eine Reihenbildung vermittelst kontradiktorisch entgegengesetzter Glieder fortschreitend von innern Verhältnissen zu äussern. Sollten etwa daraus sich noch neue Verhältnisse ergeben, wenn man den Unterschied der Gegenseitigkeit oder Nichtgegenseitigkeit zum weitern Einteilungsgrunde möglicher Richtungen der Willens bestrebungen zweier Personen gegen einander macht? Beim Wohlwollen erhielten wir nur ein doppeltes Verhältnis derselben Art. Ebenso beim Wohlthun und Übelthun. Bei dem der Rechtsidee zu Grunde liegenden Willensverhältnisse dagegen, wobei es sich um eine mittelbare Richtung des Willens einer Person auf den einer andern handelt, ist die Richtung schon gegenseitig, sonst würde kein Streit entstehen. Gesetzt aber nun, es böten sich statt zweier Personen mehrere Personen dar, etwa drei, würden sich dadurch noch andere Willensverhältnisse als die bereits vorhandenen ergeben? Erinnern wir uns daran, dafs wir auf Entdeckung der einfachsten sittlichen. Grundverhältnisse ausgingen, und dafs dieselben blofs zweigliedrig sind. Welche Verhältnisse würden sich also bei dem Verhalten von drei Personen zu einander ergeben? Bezeichnen wir die drei Personen mit den Buchstaben a, b, c und bilden aus dieser Ternion die mögliche Binome, so gewinnen wir ab, ac, bc. Hier wiederholt sich nun das schon früher Erkannte. Wir haben entweder eine Beurteilung nach der Quantität oder Qualität der Bestrebungen, und in letzterer Beziehung eine unmittelbare Richtung des einen Willens auf den andern oder eine mittelbare; und zwar entweder eine absichtliche oder eine unabsichtliche. Sonach kommt nichts anderes dabei zum Vorschein, als das bereits Gewonnene. Wenn dagegen unter der Voraussetzung einer gesellschaftlichen Vereinigung mehrerer Personen zu einem gemeinschaftlichen Zwecke, entsprechend den fünf einfachen Ideen, fünf gesellschaftliche Ideen aufgestellt werden, so sind dies keine ursprünglichen, sondern aus dem Bisherigen abgeleitete Ideen.

Es kann nun noch die Frage sein, wie weit der oben vorgezeichneten ethischen Beurteilung Allgemeinheit zukomme?

Natürlich soweit, als irgend welche Bilder von Willensverhältnissen dem auffassenden Vernunftwesen sich darbieten. Also nicht blofs für das beschränkte irdische Dasein, nicht blofs für eine gewisse Zeit, sondern für alle Ewigkeit. Ob, wann und wo gewollt werden mag, darauf kam es uns zunächst nicht an, auch nicht darauf, wer der Wollende sein mag.

Gehen wir nun an die ausführlichere Darstellung der einzelnen Ideen.

Die Idee der inneren Freiheit.

Solange der Mensch in seinem Wollen vertieft ist, bleibt seine Aufmerksamkeit den Gegenständen des Wollens und den zum Zwecke führenden Mitteln zugewendet. Sein Streben geht dabei dahin, Hindernisse zu beseitigen und Förderungen seiner Absichten herbeizuführen. Eine solche Vertiefung wird um so mehr stattfinden, je mehr jemand für irgend etwas passioniert ist. In einem solchen Falle sagt man auch wohl, er habe keinen Sinn für etwas anderes. Doch selbst ein passioniertes Wollen hat seine Pausen. Es tritt eine Besinnung ein. Die Gegenstände des Wollens treten gleichsam aus dem Bewusstsein des Wollenden zurück, und unwillkürlich bietet sich das Bild des eigenen Wollens dem Vorstellen dar. Der Zustand der Begehrung hört wenigstens eine Zeit lang auf, und macht einem ruhigen Nachdenken Platz. Das Vorstellen bleibt bei einer vereinzelten Betrachtung jenes Willensbildes nicht stehen; andere Vorstellungen finden sich auch noch ein, und durch vergleichende Zusammenfassung des Willensbildes mit der einen oder der anderen dieser hinzutretenden Vorstellungen ergiebt sich ein Urteil des Vorziehens oder Verwerfens, des Beifalls oder des Mifsfallens über jenes Willensbild. Alles dies geschieht meist so schnell und unwillkürlich, dafs das Vorstellen oder innere Auffassen jenes Willensbildes und ein Beurteilen desselben als ein und derselbe Akt erscheint. Das eigene Wollen wird hiernach entweder als klug oder unklug, geziemend oder ungeziemend, gerecht oder ungerecht, edel oder unedel, überhaupt als gut oder böse, schön oder hässlich aufgefasst. Diese Beurteilung bildet den Inhalt dessen, was wir sittliche Einsicht nannten. Gesetzt nun, ein solches Urteil des Beifalls oder

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