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die Form der Phänomenologie romantisch. Es handelt sich in dem Werk um das Werden der Wissenschaft und des Wissens, um die Erhebung des Bewußtseins von seinen niedersten Stufen und Formen auf den zur Erkenntnis des Absoluten nötigen spekulativen Standpunkt, zum absoluten Wissen. Auch die Phänomenologie des Geistes ist eine Entwickelungsgeschichte des Einzelbewußtseins. Aber mit dieser individuellen Bildungsgeschichte kombiniert Hegel die Bildungsgeschichte der Menschheit: die psychologische Entwickelung des Bewußtseins ist im wesentlichen identisch mit der Bildungs- oder Kulturgeschichte der Menschheit. Und so entfaltet sich vor unseren Augen das reiche Leben des Geistes nach zwei Seiten hin nach der Seite des Einzelnen als Geschichte seiner Bewußtseinsstufen von den niederen hinauf zu jener höchsten des absoluten Geistes, und nach der Seite des Ganzen als Geschichte der charakteristischen Bildungs- und Kulturstufen der Menschheit. Diese beiden Seiten werden aber nicht geschieden und unterschieden, sondern laufen durcheinander und gehen ineinander über, und nicht einmal bei der zweiten Reihe verfährt Hegel streng historisch, sondern hebt mit einer gewissen Willkür diejenigen Epochen heraus, welche für die jedesmalige individuelle Bewußtseinsstufe als Parallelerscheinung zu dienen und sie in ein helles Licht zu sehen vermögen. Um sich hierzu das Recht zu wahren, nennt er feine Namen von Völkern, Philosophen und Richtungen, wählt auch gelegentlich solche Erscheinungen aus, die ihm zufällig nahe lagen, während sie für uns jezt längst wieder bedeutungslos geworden oder von uns geradezu vergessen sind. Die Folge dieser Behandlungsart ist eine gewisse Undurchsichtigkeit und Schwerverständlichkeit des Werks, das damit an Dantes Divina commedia erinnert. Treffend sagt daher Hegel selber: „Das Ziel, das abfolute Wissen oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Weg die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reiches vollbringen. Ihre Aufbewahrung nach der Seite ihres freien in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins ist Geschichte, nach der Seite ihrer begriffenen Organisation aber die Wissenschaft des erscheinenden Wissens; beide zusammen, die begriffene Geschichte, bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes,

die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Throns, ohne den er das leblose Einsame wäre: nur

aus dem Kelche dieses Geisterreiches

schäumt ihm seine Unendlichkeit.“

Noch viel mehr aber erinnert die Phänomenologie an den zweiten Teil von Goethes Faust, und deshalb hat Haym ganz recht, wenn er von ihr sagt: „hier wird das Fest des absoluten Wissens gefeiert; diese Feier würdig zu begehen, wird ein romantischer Maskenzug aufgeführt. In langer Reihe erscheinen vor dem Throne des Absoluten historische Figuren, zu psychologischen Geistern verkleidet und wiederum psychologische Potenzen unter der Maske historischer Gestalten." Daher dann sein Urteil, die Phänomenologie sei das Werk eines unverzeihlichen Konfusionarius“, „eine durch die Geschichte in Verwirrung und Unordnung gebrachte Psychologie und eine durch die Psychologie in Zerrüttung gebrachte Geschichte". Aber daneben hat Eduard Zeller doch noch mehr recht, wenn er seinerseits die Phänomenologie „das Genialste“ nennt, was Hegel je geschrieben habe. Es ist romantische Genialität.

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Aber troß dieses Tributes, den Hegel der Romantik dargebracht hat, seine Philosophie ist bei allem Wurzeln in der Romantik ein Kampf gegen und ein Sieg über alle Romantik. In ihr wird der Geist Herr über die Natur und die Geschichte Herr über den Einzelnen und das Belieben des Einzelnen; und so bedeutet sie die Abkehr von der romantischen Naturphilosophie sie ist im Wesentlichen Philosophie des Geistes; die Objektivität, wie sie vor allem in den großen Mächten der Kultur und der Geschichte sich darstellt, überwindet die subjektive Willkür des Einzelnen und ist darum in ihrer ganzen reichen Fülle der Gegenstand dieses Philosophierens. Damit tritt Hegel dem griechischen Geiste nahe, für den er sich mit Hölderlin frühe schon begeistert hatte, und ist vor allem Goethe viel mehr verwandt als den romantischen Genossen seiner Jenaer Dozentenzeit, wie ihn denn auch Goethe feinerseits wohl zu schäßen wußte. Für beide ist das Wirkliche eine Macht, vor der sie sich respektvoll beugen.

Aus diesem Gegensatz gegen die Romantik heraus, in der der Einzelne mit seinen Gefühlsansprüchen und der Willkür seiner genialen

Ziegler, die geistigen u. socialen Strömungen des 19. Jahrh.

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Einfälle wahre Orgien feiert, ist die Hegelsche Philosophie zu begreifen als ein Kampf gegen den Einzelnen. Darum haßt auch Nietzsches „Erzieher“ Schopenhauer diesen Philosophen der Objektivität gewissermaßen antecipando als den großen Antipoden seines individualistischen Zöglings, der ihm aber doch mit der Zeit gerechter geworden ist als der romantische Meister selber, weil er ihm ferner stand und Witterung hatte für alles, was Geist besaß und Geist war. Geist aber ist das Element der Hegelschen Philosophie.

Doch ehe Hegel über die Romantik siegen konnte, mußten den Menschen seiner Zeit und mußte auch ihm selber der Wert jener objektiven Mächte, des Staates und der Sitte, des Volkstums und der Religion erst noch durch den Gang der Weltgeschichte zum Bewußtsein gebracht werden: sie mußten an den Wert dieser Güter erst wieder glauben lernen, ehe Hegels Philosophie ausreifen und die Zeitgenossen an seine Philosophie glauben konnten. Und darum haben auch wir, nach dem Vorgang der Phänomenologie, in diese Geschichte des Bewußtseins unseres Volkes hier an dieser Stelle ein Stück realer Geschichte einzufügen und zuzusehen, wie diese auf jene wirkt und sie in neue Wege leitet.

Drittes Kapitel.

Preußens Fall und Wiederaufrichtung.

Deutschland bis zum Falle Preußens.

Neben der rationalistischen Weltanschauung ist zu Anfang des Jahrhunderts noch ein anderes Stück und Werk des Aufklärungszeitalters in die Brüche gegangen, nicht das geringste oder schlechteste

der Staat des aufgeklärten Despotismus, das Friedericianische Preußen. Erst schien es, als sollte derselbe durch die reaktionäre Regierungsweise seines Nachfolgers langsam untergraben werden. Das Wöllnersche Religionsedikt vom 9. Juli 1788 war eine Kriegserklärung gegen den bis dahin herrschenden Geist der Aufklärung, mit Hilfe der Censur und vexatorischer Maßregeln gegen Einzelne, die selbst vor Kant und gerade vor ihm nicht Halt machten, hoffte man mit ihm fertig zu werden. Aber noch wurzelte er zu tief in den mittleren Schichten des Volkes und in weiten Kreisen der Beamtenschaft, und so erhob sich ein heftiger Widerstand gegen diese Reaktion, an dessen Spize man den allzu gewissenhaften und in seinem Alter auch ruhebedürftigen Kant nur ungern vermißt. Dieser Opposition war die Faulheit des „betrügerischen und intriganten Pfaffen“, wie Friedrich der Große Wöllner genannt hatte, und war das ganze unmoralische und heuchlerische Regiment Friedrich Wilhelms II. nicht gewachsen. Und ein Jahr nach dem Erlaß des Edikts erhob sich im Westen die große revolutionäre Sturmflut, die unter ihren Wogen schließlich Freund und Feind, Aufklärung und Reaktion verschlingen sollte.

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Deutschland war kein Staat, so hatte sich auch kein staatliches und nationales Bewußtsein entwickelt; Bildung und Anschauungsweise waren individualistisch, um den Menschen allein handelte es sich, nicht um den Bürger, nicht um das Volk, und so entsprach ähnlich wie im Hellenismus nach Alexander dem Großen dem Individualismus ein weitherziges Weltbürgertum, das an den staatlichen Pflichten achtlos vorüberging. Das Lob eines eifrigen Patrioten war für Lessing das lezte, wonach er geizen würde, des Patrioten nämlich, der ihn vergessen lehrte, daß er ein Weltbürger sein sollte; und noch 1778 wünscht er recht sehr, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, die über die Vorurteile der Völkerschaft hinweg wären und genau wüßten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhört“. Justus Möser mit seinen „patriotischen Phantasien“ war daher ein weißer Rabe, wenn er auch in Herder auf geistigem Gebiet einen Gesinnungsgenossen hatte und der patriotischen Romantik präludierte. Nur schelte man sie darob nicht allzu hart, die führenden Geister in der lezten Hälfte des vorigen Jahrhunderts: sie bauten eben damals doch an einem großen deutschen Vaterland, an dem geistigen Kaiserreich deutscher Nation, dessen Hauptstadt Weimar und dessen Reichskanzler Goethe war. Deutschland wurde zuerst geistig Ein Volk, ehe es sich zu einem machtvollen Staatengebilde zusammenschloß.

Nun hatten freilich die preußischen Fürsten auch einen Staat geschaffen und Friedrich der Große hatte ihn durch die unvergleichliche Genialität seines Wesens in all seiner Kleinheit mächtig und groß gemacht; und er hatte noch weit mehr gethan: er hatte nach Goethes Zeugnis auch dem deutschen Geistesleben, wahren und höheren eigentlichen Lebensgehalt“ gegeben; „die Preußen und mit ihnen das protestantische Deutschland gewannen also für ihre Litteratur einen Schat, welcher der Gegenpartei fehlte und dessen Mangel sie durch keine nachherige Bemühung hat ersehen können“. Derselbe Lessing, der so verächtlich vom Patriotismus sprach, schuf in seiner Minna von Barnhelm ein Werk „von vollkommenem norddeutschem Nationalgehalt".

Aber gerade Goethe, der sich rühmte, schon als Knabe preußisch gesinnt gewesen zu sein, korrigiert sich sofort: „oder um richtiger zu

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