Page images
PDF
EPUB

liegt: der Realismus des neunzehnten Jahrhunderts ist der Kampf gegen die Verlogenheit der Romantik.

Überschauen wir das alles, so ist Romantik auch heute noch mitten unter uns, und Romantiker ist jeder, der wie Nietzsche den Einzelnen und sein geniales Ich auf den Thron sezt oder wie Friedrich Wilhelm IV. das Mittelalter wieder in die moderne Welt einführen will oder wie Richard Wagner alle Künste, wie Nietzsche Kunst und Wissenschaft, wie Ludwig II. von Bayern Kunst und Leben in Einen Ocean zusammenfließen und sie alle in wildem Wirbel durcheinander taumeln läßt. Jene drei Tendenzen der Romantik, obgleich zum Teil widerspruchsvoll in sich selber wie die ganze Romantik ein widerspruchsvolles Gebilde ist, sie beherrschen, sie verderben das neunzehnte Jahrhundert von Anfang bis zu Ende. Und nicht bloß da, wo sie herrscht, auch da wo man sie bekämpft, zeigt sich ihre Macht; denn sie zu überwinden ist bis zur Stunde nicht gelungen; dafür hatte sie im deutschen Geistesleben zu feste Wurzeln geschlagen und hatte sie zu viel Fascinierendes für den deutschen Geist, mit dessen Bestem sie doch auch wieder aufs engste verwandt war.

Das allen drei Richtungen Gemeinsame.

Die Stärke der Romantik aber lag doch von Anfang an darin, daß sie den allen diesen drei verschiedenen Richtungen gemeinsamen Grundzug am entschiedensten zum Ausdruck brachte den individualistischen. Absicht und Leistung auch der Aufklärung war, den Einzelnen frei zu machen von den Banden des Glaubens und Aberglaubens, des Herkommens und der Sitte, der Autorität und Heteronomie und den Menschen auf sich zu stellen, an sein eigenes Urteil, sein eigenes Denken zu verweisen; ihre Bildung, ihre Sittlichkeit, ihre Glückseligkeit war durchaus individualistisch: das Wertlegen auf die individuelle Form der Unsterblichkeit, die sie sich zu beweisen so viele Mühe gab, entstammt demselben Zug, und die kleinliche Zuspißung ihrer anthropocentrischen Naturbetrachtung auf die Zwecke und den Nußen des Einzelnen, wie sie z. B. in den Gedichten des biederen Barthold Heinrich Brockes so naiv zu Tage tritt, gehört ebenfalls hierher.

Und individualistisch war, wie wir gesehen haben, auch das klassische Ideal der Neuhumanisten, und war es in dem Maße noch mehr, als dieser Neuhumanismus zugleich auch aristokratisch war. Der Bildungstrieb aller dieser Menschen richtete sich darauf, sich zür schönen und harmonischen Persönlichkeit durchzuarbeiten und wahres Menschentum fein und rein in sich zum Ausdruck zu bringen; das erfüllte sie und ließ in der Stille seines bewegten und lebensvollen Innern jeden Einzelnen von ihnen ganz nur mit sich selbst beschäftigt sein. Von Beziehungen zu anderen stand ihnen daher die Freundschaft mit gleichgestimmten und gleich hochstehenden Seelen an erster Stelle; denn ihr unterzog man sich freiwillig und in ihr fand man deshalb auch volles Genüge. Schiller und Goethe in ihrem Freundschaftsverhältnis zu einander sind dafür typisch, und in anderer Weise ist es auch der Briefwechsel Wilhelm von Humboldts mit Charlotte Diede, den er ganz für sich, vor Frau und Kindern verborgen, jahrelang geführt hat und an dem uns neben allem Schönen und Feinen die Spuren von Eitelkeit und geistiger Genußsucht doch immer unangenehm berühren: es zeigt sich darin die Gefahr einer derartigen geistigen Sublimierung und Bildungsgourmandise.

Solche durchgearbeitete Persönlichkeiten gab es auch in der Romantik, ein Bildungsvirtuose war Schleiermacher so gut wie Humboldt. Im übrigen aber war hier das alles gesteigert und potenziert, outriert und ins Maßlose verzerrt: das Recht und die Macht des genialen Einzelnen, der sich nicht binden ließ durch Gesez, Sitte und Konvention der gewöhnlichen Philistermoral und sich ausleben wollte in schrankenloser Freiheit des eigenen Fühlens und Genießens, steigerte sich bis zur Verabsolutierung und bis zum Glauben an die wunderwirkende Allmacht des Individuums und bis zum frivolen Spiel mit allem, was sonst über jeden Gedanken an Spiel erhaben ernst und fest zu stehen schien in Welt und Leben; hier war man cynisch und aristokratisch zugleich, der Bildungshochmut gab dafür die Vermittelung. Und dem Individualismus widersprach auch die Flucht so vieler von diesen ganz subjektiv gerichteten Menschen in die Vergangenheit einer individuallosen Zeit und in den Schoß einer alle Subjektivität vernichtenden Kirche

nicht eigentlich: es war auf der einen Seite der Gegenschlag gegen den Überschwang des Subjektiven, dem sie eine Zeitlang sich allzu zügellos hingegeben hatten, ein böses deutsches Sprichwort über die spätere Befehrung solcher junger Libertins ist für diese Romantiker vielfach nicht zu hart; und andererseits war es doch wiederum nur ein Spielen und nicht allzu ernst nehmen auch mit diesem Ernsthaftesten und Heiligsten, was es für den Menschen giebt, ein ironisches Oscillieren und sich Stimmen können auch zu den schroffsten Gegensäßen, zu den gewaltsamsten Umschlägen und Überzeugungswechseln; auch darin bethätigt ja der Einzelne seine Souveränität, wenn er, der Freigeborene und Freidenkende, sich nun plößlich selber „unfrei“ machte und so erst recht bewies, daß er alles könne. Darum hätte die katholische Kirche an solchen Konvertiten eine rechte Freude eigentlich nicht haben dürfen, aber wie so oft zog sie den äußeren Gewinn und Effekt der inneren Überzeugung und Kräftigung vor oder begnügte sich jedenfalls damit.

Doch genug des Allgemeinen. Wir wenden uns nun zunächst dahin, wo die Macht der Romantik am Anfang des Jahrhunderts zum erstenmal ihren heimischen Boden verläßt und auf ein ihr freilich von Haus aus nicht ganz fremdes Gebiet übergreift, meine die Philosophie.

ich

Zweites Kapitel.

Die Schellingsche Naturphilosophie und die Hegelsche Phänomenologie.

Von Kant zu Schelling.

Das Jahrhundert hebt philosophisch an. Das Wort, daß wir Deutsche ein Volk von Denkern, vielleicht auch von Träumern seien, stammt aus jenen Tagen. Beherrscht aber war die philosophische Arbeit damals, wie sie es heute wieder ist, von Kant.

Die neuere Philosophie ist von Haus aus Naturphilosophie, zu thun ist es ihr um eine mathematische Erklärung der Außenwelt, die Auffassung ist eine mechanistische, und es fragt sich nur, ob dies auch auf den Menschen ausgedehnt wird l'homme machineoder ob bei den Tieren Halt zu machen ist, wie Descartes meint: jedenfalls wurde auch der Organismus von dieser mathematischmechanischen Erklärung nicht ausgenommen. So ist doch die Entwickelung von dem dualistischen Descartes zu dem monistischen Materialismus der Encyklopädisten eine fonsequente, auch ohne daß man auf Hobbes und die englischen Einflüsse, die freilich auch da sind, zurückgreift. Am konsequentesten aber verfuhr Spinoza, der große Metaphysiker, indem er dem Kausalzusammenhang zu Liebe, den er als einen absoluten erkannte, nicht nur alle Wunder, sondern auch Zwecke und Freiheit aus dem Weltbild strich und nur jene großartige und durchgehende Verkettung und Ordnung in der förperlichen wie in der geistigen Welt gelten ließ, die einander durchaus entsprechen. Auch Leibniz war Mathematiker und erkannte die Bedeutung des mechanischen Prinzips an; aber mit dem System

der wirkenden Ursachen suchte er das der Endursachen zu vereinigen, neben der Kausalität sollte die Teleologie gelten; dies ist die Bedeutung seiner Monadologie.

Indem nun aber seine Schule, die Wolfianer und Aufklärungsphilosophen in Deutschland, für die Erklärung der Körperwelt den Begriff der Monade aufgaben, fielen sie in den alten Dualismus zurück. Dabei kam aber die empirische Seite der metaphysischen gegenüber zu kurz und erlitt der Zweckgedanke eine völlige Umgestaltung: der Zweck wurde nicht mehr in den Dingen gesucht als die ihnen innewohnende Seele und Form, sondern jenseits von ihnen im Menschen. Die Teleologie der Aufklärung war eine anthropocentrische und, wie wir am Beispiel von Brockes sehen, eine ganz äußerliche und ganz kleinliche: zum Nußen des Menschen war die Welt so eingerichtet, wie sie es war. Diese Betrachtungsweise war für die Naturerklärung völlig unfruchtbar, die Philosophie wurde durch sie von der Naturwissenschaft losgelöst und hörte auf Naturphilosophie zu sein; sie wurde Metaphysik und suchte Gott, Unsterblichkeit und Tugend sicher zu stellen; von den empirischen Wissenschaften hatte dabei höchstens die Psychologie einigen Gewinn.

Metaphysiker war auch Kant, er suchte „reine“ Vernunftwissenschaft. Aber bei diesem Suchen stieß er auf Schwierigkeiten, und so kam er zu der Erkenntnis, daß es dort, wo die Wolfianer sie suchten - im Gebiet des Transcendenten, diese reine Vernunftwissenschaft nicht gebe: was sie hatten beweisen und feststellen wollen, ist der Demonstration unzugänglich, eine rationale Theologie, Psychologie und Kosmologie giebt es nicht. So ist er der Allzermalmer der alten transcendenten Metaphysik geworden. Allein dabei ging es ihm wie Saul, der auszog seines Vaters Eselin zu suchen und dafür ein Königreich fand. Vom Transcendenten gab es feine reine Vernunftwissenschaft, wohl aber gab es eine solche von der Natur, Metaphysik ist immanent, ist reine Naturwissenschaft, und die Kritik der reinen Vernunft hat die Möglichkeit einer solchen aufzuzeigen, die Methode dafür zu finden, sie ist eine Theorie der Erfahrung. Zu dieser Naturphilosophie hat Kant selber nur die Anfangsgründe" gegeben. Doch sie und die in ihnen

"

« PreviousContinue »