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beschlüsse, sondern durch Blut und Eisen entschieden werden, oder von den catilinarischen Eristenzen und von den Zeitungsschreibern als Menschen, die ihren Beruf verfehlt haben, wie Frevelworte von Mund zu Mund, und gegen das ihm fälschlich zugeschriebene Wort „Macht geht vor Recht" protestierte er vergeblich, denn gerade das traute man ihm zu. Die Theorie von der Verfassungslücke, durch welche er das budgetlose Regiment mit allen Künsten der Sophistik zu rechtfertigen suchte, wirkte weithin erbitternd und verwirrend, und als vollends im Mai 1863 die unselige Preßordonnanz erschien, die von der Gesamthaltung“ eines Blattes dessen Existenz abhängig machte und alles in das Belieben der Verwaltungsbehörden stellte, da glaubte man die Manteuffelsche Ära sei wiedergekommen oder gar noch nach napoleonischem Vorbild überboten, und die Erbitterung wuchs lawinenartig. Das den freisinnigen Abgeordneten von der Stadt Köln gegebene Fest erinnerte umgekehrt an das Muster der französischen Reformbankette vor dem Ausbruch der Februarrevolution, und manche dachten schon ängstlich oder hoffnungsvoll - an das Herannahen ähnlicher Ereignisse, namentlich) als 1865 eine Wiederholung des Festes geplant und verhindert wurde. Wenn der König durch eine Stadt wie Halle reiste, wurde er von der Bevölkerung mit eisigem Schweigen aufgenommen, die Kaufmannschaft von Königsberg beschloß an seinem Geburtstag die Beflaggung und Illumination der Börse zu unterlassen, dagegen wurden. die redegewandten Abgeordneten oder gar ihr Präsident Grabow wie Helden geehrt und gefeiert. Selbst der Kronprinz machte aus seiner Unzufriedenheit mit der Potitik seines Vaters und Bismarcks fein Hehl und protestierte in Danzig öffentlich gegen die erlassene Preßordonnanz, an der er keinen Teil gehabt habe. So war die Gärung und Erregung überall groß. Wenn man sich darüber als über ein Zeichen erwachenden politischen Lebens freuen mochte, so wirkte doch die Verwirrung und Zwiespältigkeit, in die gerade die treuesten Unterthanen durch den Konflikt gestürzt wurden, auf die allgemeine Stimmung recht ungünstig; vielen schien es, als ob sie sich zwischen Verfassungstreue und Königstreue zu entscheiden hätten und das beschwerte ihr Gewissen, und der Groll darüber fiel auf Bismarck, als ob er den Konflikt mutwillig heraufbeschworen oder absichtlich

ungelöst gelassen hätte. Und zu diesem Hin und Her der Geister kam bald noch der Zwiespalt des Urteils über die äußere Politik, in die der neue Minister sofort kräftig eingriff und der er ganz neue fühne Bahnen wies.

Die wahrhaft staatsmännische Haltung Bismarcks bei dem Polenaufstand Rußland gegenüber vermehrte angesichts der traditionell thörichten Polenbegeisterung des deutschen Volkes nur seine Unpopularität und galt als ein Beweis dafür, daß er auch hier an den seit Olmüz geltenden Grundsäßen der reaktionären Politik fest= halte und Rußland willig Heeresfolge leiste: die Polizei- und Henkerdienste für Rußland und den Zaren waren eine beliebte Phrase und ein oft gehörter Vorwurf. Und als der König auf seinen Rat, und diesmal selbst auch schweren Herzens, dem völlig wertlosen Blendwerk und Rührstück oder war es vielmehr ein Intriguenstück? des deutschen Fürstentags in Frankfurt unter Österreichs Agide fern blieb und damit den Schein der Schuld am Scheitern dieses vom Volk jubelnd begrüßten Versuches auf sich lud, da schien sein böser Wille auch in der deutschen Frage öffentlich erwiesen. Wie recht er hatte, verstanden nur wenige der Einsichtsvollsten, seine eigenen so viel vernünftigeren, weil realistisch erwogenen Reformvorschläge wollte niemand ernst nehmen, ja man sah darin nur eine Falle, die der fortschrittlichen Opposition von dem kecken Minister gestellt werden sollte. So konnte er wirklich als der bestgehaßte Mann Deutschlands damals von sich sagen: barbarus hic ego sum, quia non intelligor ulli. Wigblätter wie der Kladderadatsch waren dieses seines Ruhmes voll, und die demokratischen Zeitungen namentlich auch in Süddeutschland behandelten ihn wie einen Tollhäusler oder wie einen Staatsverbrecher, der um den eigenen Kopf spiele, während er umgekehrt seinem König die Erinnerung an das Ende des englischen Karl I. und die Rücktrittsgedanken ausreden mußte. Seine Erfolge dem widerspenstigen Kurfürsten von Hessen gegenüber oder bei der Ausdehnung des preußischen Handelsvertrags mit Frankreich auf den Zollverein fonnten dagegen nicht aufkommen und versanken klanglos in dem Meer von Haß, das sich gegen ihn gesammelt hatte. Mit den „moralischen Eroberungen" Preußens, von denen Wilhelm I. im

November 1858 gesprochen hatte, war es nichts geworden, gerade im Gegenteil hatte Preußen, so schien es, für lange alles moralische Prestige eingebüßt.

Die schleswig-Holsteinische Frage.

Da kam zu guter Stunde die schleswig-holsteinische Frage ins Rollen. Die vertragswidrige Vergewaltigung der Deutschen in Schleswig-Holstein durch die fanatischen Eiderdänen in Kopenhagen und die Bestätigung der im Widerspruch mit allen Verträgen stehenden Verfassung durch den neuen König Christian IX. im Jahre 1863 entfesselte den Sturm zuerst in den Herzogtümern

selbst, dann sofort auch im übrigen Deutschland, wo der Nationalverein gerade nach dieser Seite hin die Stimmung energisch vorbereitet und erhitzt hatte. Los von Dänemark! das scholl nun als Losungswort brausend von Ort zu Ort, Kammern, städtische Behörden, Vereine und Volksversammlungen faßten in diesem Sinne Resolutionen, und aufs neue ertönte das „Schleswig-Holstein stammverwandt“ und das „up ewig ungedeelt“ als Losung und Gelöbnis durch die deutschen Lande. Damit war dem deutschen Volk der Alp von der Seele genommen, die „brecherische“, bleierne Stimmung war vorüber, der deutsche Michel reckte und streckte und dehnte sich, man witterte Morgen-, witterte Frühlingsluft. Und fest zu stehen schien das Recht des Erbprinzen von Augustenburg auf die Herzog= tümer als auf sein väterliches Erbe, ihn anzuerkennen beeilten sich die Kleinstaaten, und der Bundestag wurde mit Anträgen bestürmt, die von ihm dasselbe begehrten. Fürstliche Legitimität, nationale und liberale Wünsche liefen diesmal glücklicherweise in einer Richtung, was wollte man mehr? Jetzt zeigte sich der Vorteil, daß der deutsche Bund als solcher 1852 von der Londoner Konferenz und ihrem Protokoll ausgeschlossen geblieben war, nun war er auch nicht an die Abmachungen dieses heillosen Vertrages gebunden. Für Österreich und Preußen lag die Sache freilich anders, sie gehörten zu den Unterzeichnern und Garanten diejes Protokolls.

In dieser schwierigen Situation übernahm Bismarck die Führung und begann jenen meisterhaften diplomatischen Feldzug, der so flug und richtig mit dem Eigensinn und dem Fanatismus des ver

blendeten Dänemarks rechnete und dadurch vorsichtig und allmählich, Zug um Zug und Schritt für Schritt die deutschen Großmächte von ihrer Verpflichtung loslöste, ohne sie ins Unrecht zu setzen und den übrigen Großmächten Gelegenheit zu einem mehr als platonischen Eingreifen zu geben. Und den diplomatischen Siegen gehen die militärischen zur Seite: es kommt die Erstürmung der Düppeler Schanzen und der Übergang nach Alsen, bei dem die preußischen Truppen das Beste thun. Durch diese Siege setzte sich das vielgeschmähte und seit Olmüz kaum noch als Großmacht angesehene Preußen wieder gründlich in Respekt und gab nach Jahrzehnten zum erstenmal wieder den Deutschen allen das Gefühl, daß sie ein Recht haben, stolz zu sein. Die Armeereorganisation König Wilhelms hatte die Probe glänzend bestanden, das Heer war mit einem Schlag populär, was es im stillen seit den Befreiungskriegen und dem alten Blücher in Preußen selber doch nie ganz aufgehört hatte zu sein, und auch die oppositionellen Parteien freuten sich über die Siege des Volkes in Waffen.

Aber für wen war Schleswig-Holstein vom dänischen Joche befreit worden? Nach der öffentlichen Meinung für den einunddreißigsten kleinen Fürsten; und übermütig, als ob er es schon hätte, und pochend auf sein legitimes Recht lehnte darum der übel beratene Mann die Verständigung mit Bismarck und dessen im preußischen und deutschen Interesse zugleich gestellte Forderungen brüst ab. Da machten die beiden Großmächte ihrerseits ebenso brüst das Recht der Eroberung geltend und behielten nach allerlei Übergangsformen Schleswig-Holstein für sich. Aber so sehr sich Bismarck mit dieser Lösung der allgemeinen Ansicht und Willensmeinung entgegenstellte, die Stimmung für ihn hatte doch bereits eine Wandlung erfahren. Schon 1864 hatte Karl Mathy ge= schrieben: „Bismarck gefällt mir täglich besser“, und diesen Eindruck gewannen immer mehr auch andere. Man fing an zu ahnen, daß auf den verschlungenen Pfaden dieser Politik ein einheitlicher Wille und ein klarer Verstand die Richtung gebe und hinter dem tollen Junker ein ganz großer Mann stehe; man hatte Otto von Bismarck falsch beurteilt, der Mann war jedenfalls ganz ernst zu nehmen.

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