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und nicht Handeln, so muß Religion Anschauung und Gefühl sein: ahnendes Anschauen des Universums, des Unendlichen im Endlichen, und dadurch ein eigenartiges Gestimmtsein des Gemüts, das wie eine heilige Musik alles Thun des Menschen begleitet. So wird der einzelne Mensch durch Religion ein Kompendium der Menschheit und hat nur in ihr die Universalität, die ihm sonst abgeht. Durch jene Beziehung auf das Universum wird für den Frommen jede Begebenheit zum Wunder, jede neue Anschauung zur Offenbarung; jeder braucht einen Mittler, der seinen Sinn für Religion weckt; jede heilige Schrift ist ein Denkmal, daß ein großer Genius, ein Virtuose der Religion da war, aber nicht mehr da ist, und Religion hat nicht der, der an die Bibel glaubt, sondern wer selbst eine machen könnte; Unsterblichkeit aber heißt nichts anderes als mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in jedem Augenblick. So werden die religiösen Begriffe ihres gewöhnlichen Sinnes und ihrer Unbegreiflichkeit beraubt und in einen neuen Sinn umgedeutet, der sie verständlich und den Gebildeten erträglich macht, sie werden verflüchtigt und vergeistigt, vermenschlicht und doch unendlich bereichert und vertieft, aus der schwindelnden Höhe der Transcendenz auf den realen Boden der Immanenz versezt und damit vereinfacht und psychologisiert.

Wie polemisch aber Schleiermacher sein kann, das zeigt sein ablehnendes Verhalten gegen den Gottesbegriff, der ihm doch zusammenfallen könnte und müßte mit dem des Universums; und das zeigt noch mehr seine Abneigung gegen die Kirche: auch er will ein Geselliges in der Religion, aber verwirklicht findet er es nicht in der Kirche, sondern einzig nur in der frommen Häuslichkeit; freilich nicht in unseren beschränkten Lebensverhältnissen, wo wir unsere eigenen Sklaven sein und verrichten müssen, was durch tote Kräfte sollte können bewirkt werden“, nein, erst — und hier redet er fast so utopisch wie Bebel oder Bellamy — „erst wenn Wissenschaften und Künste die Welt in ein Zauberschloß verwandelt haben, wo der Gott der Erde nur ein magisches Wort auszusprechen, nur eine Feder zu drücken braucht, wenn geschehen soll, was er gebeut, dann erst hebt sich über keinem mehr der Stecken des Treibers und jeder hat Ruhe und Muße, in sich die Welt zu betrachten". Der An

flang solcher Stellen an Novalis ist unverkennbar, wie er ihn denn auch neben Spinoza feiert als „den göttlichen Jüngling, dem alles Kunst ward, was sein Geist berührte, seine ganze Weltbetrachtung unmittelbar zu einem großen Gedicht"; und doch wie menschlich nüchtern und realistisch gedacht das alles im Vergleich zu dem magischen Idealismus jenes Poeten und Phantasten!

Aber Schleiermacher ist auch historisch genug, um die Vielheit der Religionen für notwendig zu erklären und sich der positiven Religionen gegen die dürftige und schemenhafte Idee einer allgemeinen Vernunft- oder natürlichen Religion anzunehmen. Das Recht der Eigentümlichkeit und Individualität bleibt darum dem Einzelnen doch gewahrt und in jedem beginnt die Religion aufs neue als ein ganz Persönliches, auch wo man sich einem größeren Ganzen anschließt, schreiben wir demselben „eine unergründlich tief ins einzelne gehende Bildsamkeit“ zu, vermöge deren aus dem Schoß einer solchen gemeinsamen Sphäre Eigentümlichkeiten aller Art hervorgehen können; so gilt auch hier nicht Uniformität, sondern Eigenart.

Unter allen Religionen aber ist die christliche doch die höchste und vollkommenste, ein allgemeines Entgegenstreben des Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, gegen das Universum, durch und durch polemisch gegen alles Irreligiöse und Unheilige, und der herrschende Ton aller religiösen Gefühle in ihr die heilige Wehmut. Von ihr war Christus selbst erfüllt, getragen vom Bewußtsein der Einzigkeit seines Wissens um Gott und seines Seins in Gott; und doch hat er nie behauptet, der einzige Mittler zu sein, der einzige, in welchem jene Idee sich verwirkliche, und ebenso verbietet die Bibel keinem andern Buch auch Bibel zu sein oder zu werden; denn nichts ist unchristlicher als Einförmigkeit zu suchen in der Religion.

Es ist ein gewaltiges Erbe, das unser Jahrhundert in diesem merkwürdigen Buch vom vorigen überkommen hat, ein Zukunftsund Schicksalsbuch, das heute noch nicht ausgeschöpft und nicht veraltet ist, ein Eckstein zugleich, an dem noch immer manche Anstoß nehmen und scheitern. Und darum ist es kein gutes Zeichen für die religiöse Entwickelung im neunzehnten Jahrhundert, daß

das Oberhaupt der neuesten Theologenschule, Albrecht Ritschl, dem= selben so gar verständnislos und so affektiert feindselig gegenüber sich gestellt hat. Indem Schleiermacher die Religion auf Gefühl stellte, machte er sie als persönliches Erlebnis unabhängig von der fortschreitenden Wissenschaft und unabhängig auch von dem Wandel der sittlichen Anschauungen und rückte sie dennoch in das Centrum. wie des Menschen so des Universums, das ihm pantheistisch mit der Gottheit selbst in Eins zusammenfloß und sich uns als Unendliches in gefühlsmäßiger Anschauung offenbart. Auf diesem Boden allein ist die gesuchte und aufgegebene Versöhnung von Religion und Kultur möglich, so allein kann man fromm fühlen und frei denken zugleich.

Schleiermacher selbst aber hat an den Grundgedanken seiner Reden sein Leben lang festgehalten, auch die mildernden und ins Christliche umdeutenden Änderungen und Erläuterungen der weiteren Auflagen ändern daran nichts, so unerfreulich sie in vieler Beziehung sind. Nur hat er später in der Dialektik seiner religiösen Anschauung eine psychologische und metaphysische Grundlage gegeben, indem er das Gefühl als Identität von Denken und Wollen ins Centrum der menschlichen Persönlichkeit rückt und diese Aufhebung der Gegensäße zugleich als das Göttliche in uns begreift, das ja notwendig über alle Gegensäße hinaus die höchste Einheit sein und darstellen muß. Und auch in der Glaubenslehre faßt er die Religion noch immer als Gefühl, als das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit, dem dann Gott entspricht als die Antwort auf die Frage nach dem Woher unseres empfänglichen und selbstthätigen Daseins; so ist uns das Göttliche auch hier einzig nur gegeben in der eigenen Brust, im Gefühl dieser unserer Abhängigkeit. Im übrigen aber ist freilich die Glaubenslehre der große Eiertanz, den der pantheistische Redner und Dialektiker mit der in der christlichen Kirchengemeinschaft geltenden Lehre, die nicht pantheistisch ist, auszuführen hatte.

Wenn aber die schon in den Reden in den Vordergrund gestellte Determiniertheit und schlechthinige Abhängigkeit den Menschen in seiner Eigenart und Selbständigkeit bedrohte und das Sittliche dabei zu kurz zu kommen schien, so ließ ja Schleiermacher auf die

Reden im Jahre 1800, als Morgengabe für das neue Jahrhundert, die Monologen folgen, das hohe Lied einer ihrer selbst gewissen und sich voll erfassenden Individualität, einen Hymnus auf die Freiheit einer individuell sich bildenden und gebildeten Natur, wirklich das Programm jener neuen Bildung und einer durch und durch idealistischen Sittlichkeit.

Es war die Größe, aber auch die Schwäche der Kantischen Moral, daß sie den Menschen auch als sittlichen vor das allgemeine Vernunftgesetz gestellt und dieses als einen alle individuellen Neigungen zu Boden schlagenden kategorischen Imperativ aufgerichtet hatte. Darin lag ihr demokratischer und revolutionärer Charakter, darin aber auch eine Mißachtung der Individualität und ihrer Rechte, die für „feingestimmte Seelen“ unerträglich war; deshalb hat sie Goethe abgelehnt und hat sich Schiller dagegen aufgelehnt. Das gab nur gebrochene Charaktere, keine harmonischen Menschen; der neuen Bildung aber war es just um solche zu thun. Deshalb stellten ihre Vertreter Goethe so hoch, weil sie in ihm ohne allen inneren Widerstreit diese Harmonie verwirklicht fahen; sein Leben war der verkörperte Protest gegen Kants Lehre von der Nothwendigkeit des Kampfes zwischen Neigung und Pflicht. Schiller aber suchte der mönchischen Moral Kants zu entgehen durch die Entdeckung der schönen Seele, durch diesen ästhetischen Begriff wollte er die sittliche Strenge Kants ermäßigen; doch er war selbst zu sehr im Banne dieser Philosophie, als daß er den Grundfehler in der Vernachlässigung des individuellen Moments im Sittlichen begriffen hätte.

Da kam Schleiermacher und proklamierte wie für die Religion, so auch für die Sittlichkeit das Recht individueller Eigentümlichkeit: zu werden, was man ist, seine Eigentümlichkeit zu bilden, das ist unsere sittliche Aufgabe und ist des Menschen Bestimmung. Darin klingen die Monologen zunächst weit romantischer als die Reden: es war eine Ethik des Individualismus, wie sie auch Friedrich Schlegel wollte, und sie schien bei diesem Virtuosen vornehmer Geistesbildung aristokratisch sein zu müssen durch und durch; es war ein souveräner Subjektivismus, der freilich auch von Kant stammte, aber doch noch mehr an die romantische Ironie Schlegels oder gar an den magischen Idealismus von Novalis erinnerte; und es war Selbstbespiegelung mehr

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