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aus der Vereinigung von Lebenskunstsinn und wissenschaftlichem Geist, aus dem Zusammentreffen vollendeter Naturphilosophie und vollendeter Kunstphilosophie. Sie enthält und erregt ein Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung. Sie ist die freieste aller Licenzen, denn durch sie sett man sich über sich selbst weg; und doch auch die geseßlichste, denn sie ist unbedingt notwendig. Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie sie diese stete Selbst= parodie zu nehmen haben, immer wieder von neuem glauben und mißglauben, bis sie schwindlicht werden, den Scherz gerade für Ernst, den Ernst für Scherz halten." Weit darüber hinaus geht aber die andere Stelle, wo es heißt: „Die Philosophie ist die wahre Heimat der Ironie, welche man logische Schönheit definieren möchte: denn überall wo in mündlichen oder geschriebenen Gesprächen und nur nicht ganz systematisch philosophiert wird, soll man Ironie leisten und fordern; und sogar die Stoiker hielten die Urbanität für eine Tugend. Freilich giebts auch eine rhetorische Ironie, welche sparsam gebraucht vortreffliche Wirkung thut, besonders im Polemischen; doch ist sie gegen die erhabene Urbanität der sokratischen Muse, was die Pracht der glänzenden Kunstrede gegen eine alte Tragödie in hohem Stil. Die Poesie allein kann sich auch von dieser Seite bis zur Höhe der Philosophie erheben und ist nicht auf ironische Stellen begründet wie die Rhetorik. Es giebt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie atmen. Es lebt in ihnen eine wirklich transcendentale Buffonerie. Im Innern die Stimmung, welche alles übersicht und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigene Kunst, Tugend oder Genialität; im Äußern in der Ausführung die mimische Manier eines gewöhnlichen, guten italienischen Buffo."

Ein Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit zwischen Unbedingtem und Bedingtem, zwischen der Weite des Ideals und der Enge und Kleinlichkeit der wirklichen Welt — vielleicht ist das seit dem Sturm und Drang, seit Rousseau und Herder die Grundstimmung der Zeit; hier berührt sich diese neue Richtung mit jener

früheren, auch damals kam, unter dem Einfluß Rousseaus, der Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit voll und neu zum Be= wußtsein. Hier wäre der Punkt gewesen, wo Schiller den Romantifern näher stand als Goethe; denn ihm lag dieser Gegensatz ganz besonders schwer auf der Seele, weil er sentimentalisch war und nicht wie Goethe naiv. Aber hier kommt auch alsbald der scharfe Trennungsstrich: Schiller sucht den Widerstreit zu überwinden. durch das unendliche Streben seiner sittlichen und künstlerischen Persönlichkeit, durch ein positives Ideal; die Romantiker dagegen, durch jenen Widerstreit im Gleichgewicht ihrer Seele gestört, sehen an die Stelle eines solchen ernsten Strebens das Spiel einer beständig oscillierenden Reflexion, machen aus Ernst Spaß, nehmen „das ganze Spiel des Lebens wirklich auch als Spiel“ und nennen dann dieses Spiel und diesen Spaß Ironie.

Der aber, auf den bei ihnen dieser Begriff zurückgeht, ist nicht Rousseau, sondern Fichte, dessen Philosophie formell parador ist: Ironie ist die Form des Paradoxen, paradox aber ist ihnen alles, was zugleich gut und groß ist. Allein auch material sucht ja die Fichtesche Philosophie die Erhebung über das Bedingte und findet sie im unbedingten und absoluten Ich. Dieses absolute Ich Fichtes wird zum Subjekt der romantischen Ironie. Fichtes Ich schafft sich eine Objektenwelt frei und gebunden zugleich mittelst der produktiven Einbildungskraft. Das war ein Begriff, den auch der Dichter brauchen konnte, wie er ja vom künstlerischen Schaffen herübergenommen ist. So wird das künstlerische, das dichterische Ich verabsolutiert und ihm in seiner Genialität das Recht zugesprochen, sich über alles souverän zu erheben und mit allem nach Willkür zu spielen, das Fichtesche Ich wird zum romantischen Ich, dessen Eigentümlichkeit darin bestehen soll, daß „jeder nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch, historisch oder rhetorisch, antik oder modern sich müßte stimmen können. Und hier ist auch zugleich der Ausgangspunkt für die Forderung, daß alles poetisiert werden soll: jedenfalls werden in der Ironie zunächst einmal Philosophie und Poesie eins. Und wie sich endlich in Fichtes Wissenschaftslehre das Ich selbst in seiner Entwickelung zuschaut und erfaßt, so seht sich auch das roman

Ziegler, die geistigen u. socialen Strömungen des 19. Jahrh.

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tische Ich schließlich über sich hinweg und spielt souverän auch mit sich selber; nun erst wird die romantische Poesie, wie es bei Fichte ein Wissen des Wissens giebt, zur Poesie der Poesie, zur potenzierten Poesie.

Aber auch Fichte konnte noch überboten und übertrumpft werden; es geschah dies durch Novalis. Zunächst erfaßte er Fichtes Philosophie mit dem Herzen und darum in ihrer ganzen Tiefe; auch ihre moralische Tendenz war ihm durchaus sympathisch, das Gewissen erklärte er für des Menschen eigenstes Wesen in vollster Verklärung. Aber rasch genug enthüllen sich uns auch die Differenzen: das Ich ist nicht nur Vernunft wie bei Kant und Fichte, Novalis will tiefer dringen und neue ungenannte Kräfte im Ich aufsuchen. Dieses Geheimnisvolle entdeckt er in dem, was er Instinkt, Genie nennt, und so seht er an die Stelle des vernünftigen Wissens und Erkennens den Begriff der Offenbarung; Philosophie ist ihm Selbstoffenbarung, Selbstbesprechung: „es dünkt dem Menschen, als sei er in einem Gespräch begriffen und irgend ein unbekanntes geistiges Wesen veranlasse ihn auf eine wunderbare Weise zur Entwickelung der evidentesten Gedanken". Das klingt so mystisch, daß der Übergang zur Religion hier nahe liegt, und auch die Hinwendung zu dem gotttrunkenen Spinoza fehlt nicht: da trifft Novalis mit Schleiermacher zusammen und berührt sich noch vorher mit der Glaubens- und Offenbarungsphilosophie Jacobis. Aber bedeutsamer ist für ihn noch ein anderes. In jener Tiefe des Bewußtseins verwandeln sich unsere Gedanken in Geseze, unsere Wünsche in Erfüllung: Fichtes Ich ist weltschöpferisch und beherrscht die Natur durch seine vernünftigen Geseze - das war die Kopernikanische Umkehrung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt, von Ich und Natur seit Kant; der Poet aber feiert die Macht des genialen Ich mit seiner Wunderkraft der Fiktion, und der religiöse Mensch preist die Macht des Glaubens, der Berge versett und Wunder thut. Das alles fließt dann zusammen zu dem Glauben an die Allmacht des romantischen Ich, das ein geniales, ein poetisches, ein religiöses zugleich ist, und so wird es zum Magus der Welt, zum Wunderthäter und Zauberer. Dieser „magische Idealismus“ hängt bei Novalis des weiteren auch noch mit seiner Todessehnsucht zusammen: Sterben

ist ein echt philosophischer Akt, das Leben eine Krankheit des Geistes, und darum steht es bei uns, das Leben wie eine schöne genialische Täuschung, wie ein herrliches Schauspiel zu betrachten; und so zaubern wir gewissermaßen das Jenseits herab und herein in unser diesseitiges Dasein und machen diese Welt zu einer wunderbaren, gespenstischen, zauberhaften. Aber Novalis geht noch direkter auf sein Ziel los. Die Geseze der Mathematik sind nach Kant Geseze unseres Geistes und bestimmen dennoch oder eben als jolche die Welt der Erscheinungen, die Natur, unsere Objektenwelt; folglich wird auch unserem Romantiker die Mathematik zum schaffenden Idealismus, zum Zauberschlüssel und eigentlichen Element des Magiers. Und nun wird das ins Praktische übersezt: der magische Idealist kann ebensowohl seine Gedanken zu Dingen als die Dinge zu Gedanken machen; der Körper soll in den Dienst der eigenen Seele und damit in den der Geisterwelt im ganzen treten. Dieser Zauberer aber, der sich so die ganze Welt dienstbar macht, dieser magische Idealist und idealistische Magier ist doch wieder kein anderer als der geniale Künstler, als der romantische Poet, die Welt, die er schafft, ist Poesie und ist Märchen.

Novalis weist, wie schon gesagt, mit seinen religiösen Stimmungen und seinem mystischen Idealismus über sich selbst hinaus zu Schleiermacher, der aber fraglos größer, der größte ist unter allen diesen Romantifern und ein ganz anderer als sie. Aufgewachsen im sicheren Schoße herrnhutischer Frömmigkeit, aber über die Enge dieses idyllisch friedlichen Kleinlebens rasch sich hinaushebend, war er durch die Auseinandersetzung mit Kant und seiner widerspruchsvollen Freiheitslehre zu einem Determinismus geführt worden, der seinem tief religiösen und specifisch reformierten Abhängigkeitsgefühl entsprach und ihn philosophisch für Spinoza gewann, dessen Manen er bald ehrerbietig die bekannte Locke opferte. In Schlobitten im Hause des Grafen Dohna hat er die Welt vornehmer Geselligkeit und feiner Herzensbildung fennen gelernt; in Berlin kam dann die weltläufige Bildung des Kreises hinzu, der unter dem Vortritt jüdischer Frauen einer Henriette Herz und Dorothea Veit geborener Mendelssohn — zu Goethe emporsah und mit seinem Instinkt das auch über die Poesie hinausgreifende Neue in diesem einzigartigen Genius herausfühlte

und so mit Notwendigkeit von der Nüchternheit der noch immer Berlin beherrschenden Nicolai, Biester und Engel abgestoßen, sich im Gegensatz zu ihnen zusammenfand. Aber zum Krystall einer neuen Bildung schoß das alles doch erst zusammen, als durch den unruhigen Geist Friedrich Schlegels Bewegung in das Ganze kam: hier in Berlin entstand so die romantische Schule, während die Romantik schon ein paar Jahre eher zu existieren begonnen hatte. Und die drei Hohenpriester des Kreises waren Tieck der Dichter, Friedrich Schlegel der Theoretiker und Schleiermacher der Prediger, die beiden lezteren zu persönlich engster Freundschaft verbunden, wobei jener den männlichen, dieser den weiblichen Teil der ungleichen Ehe repräsentierte. Aus diesem Wirbel heraus, gespornt von dem ewig mit Projekten sich tragenden Genossen, schrieb Schleiermacher im lezten Jahre des achtzehnten Jahrhunderts in der Stille von Potsdam seine Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern.

Diese Gebildeten, wer sind sie anders als eben jener Kreis einer neuen Bildung, wie er ihn in Berlin kennen gelernt hatte, in dem man der rationalistischen Theologie und aufgeklärten Predigtweise jezt ebenso überdrüssig war wie seit langem schon der Orthodorie? Und so widmet er in der dritten Rede der Aufklärung die scharfe Absage: sie, die verständigen und praktischen Menschen von heutzutage sind in dem jezigen Zustand der Welt die Feindseligen gegen die Religion; sie sind nicht gebildet zu nennen, obwohl sie das Zeitalter bilden und die Menschen aufklären möchten bis zur leidigen Durchsichtigkeit; sie verachten die Religion nicht, aber sie vernichten sie. Diesen verhängnisvollen Händen will sie Schleiermacher entreißen, indem er sie auf einen ganz anderen ihnen völlig fremden Boden stellt. Nicht im Wissen ist sie zu suchen: damit trifft er die Aufklärer, welche die Religion in Metaphysik freilich in was für eine? - verwandeln und Vernünftig

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feit freilich was für eine? von ihr fordern; und auch nicht im Handeln: auch damit trifft er die Aufklärer mit ihrem schal gewordenen Gerede von Tugend und ihrem weichlichen Eudämonismus, aber ebenso auch Kant und seinen praktischen Vernunftglauben an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Wenn aber nicht Wissen

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