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Energie dagegen auf. Ausdrücklich auf Herabminderung der Lehrerund Volksbildung selbst hatten es die Stiehlschen Regulative abgesehen. Friedrich Wilhelm IV. sprach es geradezu aus, daß die Seminardirektoren einen Hauptteil der Schuld an den Ereignissen von 1848 tragen, und deshalb redete man eine Zeitlang von völliger Aufhebung der Schullehrerseminarien und dachte daran die Lehrerbildung, um sie recht „einfach" zu machen, Landgeistlichen in die Hand zu geben. Soweit wollte der Minister aber doch nicht gehen, und darum erhielt der Referent für das Volksschulwesen Ferdinand Stiehl den Auftrag, ohne Bruch mit der Vergangenheit durch zeit= gemäße Änderungen die gewünschten Resultate herbeizuführen. Das war der Anlaß zu den berüchtigten drei Regulativen von 1854. Dieselben sind in ihren pädagogischen Bestimmungen besser als ihr Ruf, obwohl auch nach dieser Seite hin die darin enthaltene Zurückweisung der berechtigten Forderungen der Volksschullehrer auf bessere und erweiterte Bildung zu bedauern war. Dagegen war die Art, wie der Religionsunterricht betont und in den Mittelpunkt gerückt und doch zugleich durch die Überfülle von Memorierstoff veräußerlicht und mechanisiert, also verschlechtert wurde, ein Ausfluß dieser reaktionären Zeitströmung; und ihr entsprach der paränetische, für ein Ministerialrejkript wenig geeignete Ton, in dem sie abgefaßt, die frömmelnden Arabesken, von denen sie umrankt waren, so daß die Beseitigung dieser Regulative doch nicht mit Unrecht ersehnt und bald immer stürmischer von liberaler Seite gefordert wurde.

Was Stiehl auf dem Gebiet des Volksschulwesens, das sollte Ludwig Wiese für die höheren Schulen sein und leisten: Vereinfachung und Christianisierung erschienen hier wie dort als die durch die Zeitverhältnisse gebotenen Ziele und Aufgaben. Aber Wiese war flüger als Stichl und verstand seine Zeit besser, er behielt auch als Mann der Reaktion die Fühlung mit der modernen Unterströmung und machte dieser die nötigen Konzessionen. In Personenfragen freilich verfuhr er ähnlich wie seine Vorgänger in den vierziger Jahren. Es ist ihm allerdings nachgerühmt worden, daß er durchdrungen von dem Recht der Freiheit eines Christenmenschen die persönliche Überzeugung hochgestellt" habe; allein dagegen sprechen doch zu deutlich die Beispiele aller derer, die um

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ihrer persönlichen Überzeugung willen unter ihm sich haben Maßregelung oder Zurücksetzung gefallen lassen müssen: er machte vielfach Anstellung und Beförderung von Lehrern nicht von ihren wissenschaftlichen und pädagogischen Leistungen, sondern von ihrer Stellung zu Religion und Kirche abhängig und legte dabei den Hauptwert auf das kirchliche Bekenntnis und die Teilnahme am kirchlichen Leben. Durch diese Art zu christianisieren mußten dann notwendig schwache Charaktere zur Heuchelei und starke Naturen erst recht in die Arme der schärfsten Opposition getrieben und bitter gemacht werden.

Viel glücklicher als in dieser auf Christianisierung abzielenden Behandlung und Mißhandlung von Menschen war Wiese in den auf Vereinfachung des Unterrichts berechneten Verordnungen und Reformen. Die Maturitätsprüfungsordnung von 1856 hielt im ganzen am bewährten Alten fest, und der Gründung von christlichen Privatgymnasien trat er ausdrücklich entgegen. Die schon in den vierziger Jahren erhobenen Klagen über den unchristlichen Geist der höheren Schulen und der philologischen Lehrer wurden auf Kirchentagen und Pfarrkonferenzen wieder aufgenommen und durch den denunziatorischen Hinweis auf die durch ihn verschuldete Revolution nun erst recht eindringlich und nachdrücklich gemacht. Aus diesen Kreisen heraus kam man dann auf den Gedanken, den unchristlichen Staatsgymnasien christliche Privatgymnasien entgegen= zustellen. In Königsberg plante man ein preußisches National= gymnasium, auf dem die Jugend zu wahrer Gottesfurcht und zum Patriotismus erzogen werden sollte. In Stuttgart wurde ein „Privatgymnasium auf dem Grunde des christlichen Bekenntnisses und in der Kraft des christlichen Geistes" ins Leben gerufen. Dem evangelischen Gymnasium in Gütersloh aber, der wichtigsten Gründung dieser Art, gab Friedrich Wilhelm IV. selbst die Weihe; bei seinem Besuch der Anstalt sprach er die bezeichnenden Worte: „Es liegt in Ihrem Unternehmen eine schwere Anklage gegen die andern Lehranstalten; aber sie ist gerecht und wohlbegründet; man fann sie nicht oft genug wiederholen. Viele dieser Anstalten sind glaubensbar. Man darf dies gerade in unserer Zeit aus falscher Weichlichkeit nicht verschweigen. Ich bin für Ihr Unternehmen mit

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meinem ganzen Herzen; es muß durchaus unterstüßt werden.“ Allein eben gegen diesen Anspruch besonderer Christlichkeit und jenen vom König ausdrücklich erhobenen Vorwurf, der schon in der Gründung solcher christlicher" Anstalten für die anderen alle lag, glaubten die Gymnasiallehrer protestieren zu müssen. Die Erlanger Philologenversammlung von 1851 unter Führung von Wiese und Eckstein, von Nägelsbach und Bäumlein erhob dagegen Einspruch und wollte auch den alten Gymnasien das Prädikat der Christlichkeit nicht absprechen lassen. Ganz recht hatten sie, wenn sie betonten und es historisch begründeten, daß das Verhältnis der klassischen Litteratur zum Christentum nicht als ein feindliches betrachtet werden müsse". Das fonnte nur ein dem mittelalter= lichen Mönchtum verwandter Pietismus behaupten. Dagegen war es nur halbe Wahrheit und lag nicht so einfach, wenn die in Erlangen Versammelten die Berechtigung der klassischen Litteratur als einer Vorstufe des Christentums" erweisen und jo den Streit und Gegensatz schiedlich friedlich beilegen wollten. Zwei Jahre nach einer gescheiterten Revolution kommen eben nicht die freiesten Geister, sondern so war es auf den Kirchentagen reaktionären oder günstigstenfalls so war es in Erlangen - die vermittelnden und halben Elemente zu Wort. Unzweifelhaft haben sich aber jene Männer ein Verdienst erworben, daß sie den schlimmsten Angriffen der Reaktion auf die höheren Schulen durch ihre Taubeneinfalt, die sich in diesem Fall wie Schlangenklugheit ausnahm, die gefährlichste Spihe abbrachen. Das soll auch Wiese unvergessen sein, und ebenso seinem Minister v. Raumer, der bei der Einführung Wieses in das Ministerium ausdrücklich hervorhob, ,,nur Beschränktheit könne behaupten wollen, daß eine tüchtige wissenschaftliche Ausbildung durch das klassische Altertum der Erziehung der Jugend zu gottesfürchtigen Menschen hinderlich sei.“ Und ebenso ist es das Verdienst Raumers, daß er die aus Leipzig vertriebenen Philologen Haupt, Jahn und Mommsen 1853 und 1854 für preußische Universitäten gewann, tro „aller Schwierigkeiten und Bedenken, welche sich der Berufung dieser drei Gelehrten ersten Ranges entgegenstellten".

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Die Kirche im Dienste der Reaktion.

Ganz besonders widerlich aber waren die Bütteldienste, welche die protestantische Kirche d. h. der in ihr immer mehr zur Herrschaft gelangende Konfessionalismus und der mit der Orthodoxie sich verbindende Pietismus der Reaktion in den fünfziger Jahren geleistet hat. In Stuttgart hatten sich gleich beim Ausbruch der revolutionären Bewegung die Pietisten als die Anhänger des Alten aufgespielt und den König gebeten, von den geplanten und durch das liberale Ministerium Römer vertretenen Neuerungen Abstand zu nehmen: freilich mochte ihnen Paul Pfizer als Chef des Kultusministeriums besonders unerwünscht sein. In Ludwigsburg unterlag D. Fr. Strauß bei der Wahl zum Frankfurter Parlament seinem pietistischen Gegner Hoffmann, der ausdrücklich erklärte, daß er „die Zustände, die gekommen seien, nicht gewünscht“ habe. Und im Norden waren es natürlich die um Hengstenberg, welche für ihren Einfluß auf König und Staat bangten und die Revolution. in apokalyptischen Bildern als Teufelswerk zu beschwören suchten. Diese Haltung während der Revolution empfahl die kirchlichen Kreise nachher als deren Bändiger und als die Verbündeten des Thrones und der Reaktion; und wenn dabei so geschickt intriguiert und operiert wurde wie in Berlin von dem Hofprediger Friedrich Wilhelms IV., dem Schwaben Hoffmann, oder in Stuttgart von dem Prälaten Kapff, so konnte Einfluß und Erfolg nicht ausbleiben. Namentlich benüßten diese Kreise die innere Mission für ihre Parteizwecke. Sie fand in den üblen Miß- und Notjahren von 1853 und 1854 ein überaus reiches Feld für ihre Thätigkeit vor und hat vielfach der Not gesteuert und der Armut geholfen; aber sie that es jetzt immer entschiedener in kirchlich-pietistischem Parteiinteresse, indem sie das biblische Wort, daß man das Gute „allermeist des Glaubens Genossen" thun solle, nur zu wörtlich befolgte, und brachte sich damit doch vielfach um Segen und Kredit. Bis tief herein in die achtziger Jahre suchte sie bei ihrem Thun zugleich auch parteipolitische Ziele zu fördern, und so hat sie es anders Gesinnten recht schwer gemacht, ihr Wirken gerecht zu be= urteilen und Hand in Hand mit ihr sociale Aufgaben zu erfüllen.

Wenn es im Süden vor allem der Pietismus war, so erhob anderswo der mit ihm verbündete Konfessionalismus aufs kühnste sein Haupt und gebärdete sich mit aller Unduldsamkeit einer siegreichen Hierarchie „knabenhaft, roh und geistlos", wie Bunsen jagt. Von Vilmar in Kurhessen war schon die Rede. Ihm reihte sich in Mecklenburg aufs würdigste Kliefoth an, dessen bekanntestes Opfer der Rostocker Theologe Michael Baumgarten war. Obgleich selbst ein strenger Lutheraner, wurde er dennoch seines Amtes entsezt, weil er den hierarchischen Gelüsten Kliefoths entgegentrat; als er an die Öffentlichkeit appellierte, mußte er dafür sogar im Gefängnis büßen. Weniger brutal als in Mecklenburg und Kurhessen, denen sich als Dritter im Bunde Hannover anschloß, verfuhr die kirchliche Reaktion in Preußen. Aber auch hier stellten sich doch besonders jüngere Geistliche in großer Zahl auf die Seite der reaktionären Partei, des Absolutismus und Feudalismus und verunglimpften auch auf kirchlichem Gebiet jedes Verlangen nach Freiheit als Revolution und Anarchie. Und begünstigt und provoziert wurde das alles von oben, vom preußischen Oberkirchenrat, der erfüllt war vom Geiste Hengstenbergs und Stahls. Namentlich im Often der Monarchie gefährdete dieser lutheranische Konfessionalismus die Union, die sich auch durch den König allerlei Ab= schwächungen gefallen lassen mußte. Den Mittelpunkt aller dieser Bestrebungen aber bildeten mehr und mehr die Kirchentage, auf denen die Parole dieser rückläufigen Bewegung ausgegeben und der Feldzugsplan für ein gemeinsames Vorgehen in den verschiedenen Ländern entworfen wurde. Da sich aber auf ihnen neben den Lutheranern auch Reformierte und Vertreter der Brüdergemeinde zusammenfanden, so nahmen die starren Lutheraner selbst an dieser lojen „Konföderation" Anstoß und zogen sich allmählich von ihnen zurück. Damit verloren sie zuerst an Bedeutung, bis sie schließlich zu tagen aufhörten.

Gerade wenn man diese Zeiten ins Auge faßt und sich erinnert, wie damals die evangelische Kirche im Dienste der Reaktion sich gegen alles kehrte, was politisch und kirchlich liberal war, so wird man sich weniger darüber wundern, daß erst die Liberalen und dann späterhin die Socialdemokraten sich so ganz von ihr

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