Page images
PDF
EPUB

Neuntes Kapitel.

Die Revolution von 1848 und 49.

Vorspiele der Revolution; die Revolution als Vorspiel.
Im Hochland fiel der erste Schuß,
Im Hochland wider die Pfaffen!
Da kam, die fallen wird und muß,
Ja die Lawine kam in Schuß ...

[blocks in formation]

Bald fühlst auch du ihr Wälzen.

Ungarn und Polen macht sie frei;

Durch Deutschland dröhnen wird ihr Schrei,

Und kein Bannstrahl kann sie schmelzen.

So sang am 25. Februar 1848 als ein rechter Prophet und Kündiger des Kommenden Freiligrath, als in Paris ward „abermals das Pflaster aufgerissen" und dort, wie er derb sagt, „aus der lumpigen Pracht des Königssaals der dritte König ward geschmissen“, nachdem im Jahre vorher im Hochland", in der Schweiz der Sonderbundskrieg der liberalen und bundesstaatlichen Partei gegen die von Österreich und Frankreich protegierten Ultramontanen und Partikularisten den Sieg gebracht hatte. Auch in Württemberg und Bayern wurde durch kleine Emeuten der kommenden Revolution präludiert. Dort war es im Notjahr 1847 ein im ganzen harmloser Brotkrawall, der aber angesichts der früheren Beliebtheit des um sein Land hochverdienten Königs Wilhelm I. doch zu denken gab. Hier richtete sich die Sache direkt gegen den König Ludwig I. selber. Ihm hatte noch fürzlich die Frankfurter Germanistenversammlung für seine deutsche Gesinnung den Dank votiert. Allein er verdiente ihn in jenem Augenblick schon nicht mehr, wo er und sein Minister Abel

den ultramontanen Tendenzen und Übergriffen weitgehende Konnivenz bewies und ein wahres „Jesuitenregiment“ in Bayern schalten und walten ließ; und noch schlimmer war sein unwürdiges Verhältnis mit der spanischen Tänzerin Lola Montez, das dem bereits wankenden Ministerium Abel einen ehrenvollen Abgang verschaffte, große Mißstimmung im ganzen Land hervorrief und in der Hauptstadt selbst zur Bedrohung des Königs und zu tumultuarischen Auftritten führte. Da sich an diesen namentlich auch das Gros der Studentenschaft beteiligte, während das Korps Alemannia es mit der königlichen Maitresse hielt und ihr als Leibgarde diente, kam es zur Schließung der Universität und zur Absehung mehrerer namhafter Professoren. Wie der tote Cid die Seinigen zum Siege führte, so brachte die Beerdigung des alten Löwen Görres die Gärung zum Ausbruch und damit die Entscheidung: der König mußte nachgeben, die Universität wieder eröffnen und die Abenteurerin aus dem Lande gehen heißen. Es war das vierzehn Tage vor dem Ausbruch der Februarrevolution in Frankreich.

Gerade angesichts solcher schon in die frühere Zeit fallender Zuckungen und Gleichgewichtsstörungen mag man darüber streiten, ob die Revolution von 1848 nicht besser als Abschluß der vorigen Periode und als Fazit der vierziger Jahre, in Deutschland speciell als Folge der Regierung der Romantiker in Preußen und in Bayern damit zusammenzustellen wäre; zumal wenn man bedenkt, daß die Revolution mißlungen ist. Allein ich sehe in ihr doch weit weniger das Mißlingen als vielmehr das Vorbereiten und Werden eines Kommenden, den Frühling und das Morgenrot einer neuen Zeit für unser deutsches Volk. Seit 1848 ist ein anderer Geist da, und troß der zehn Jahre schwerer Reaktion, die noch einmal kommen, ist doch nicht diese der Sieger geblieben. Der März 1848 bildet den großen Einschnitt im Leben unseres Volkes im neunzehnten Jahrhundert. Mit „vormärzlich“ bezeichnen wir heute mit Recht ein absolut Vergangenes, kaum mehr Verständliches, fast Vorsintflutliches: wer in „vormärzlichen“ Anschauungen lebt, ist veraltet, ist für unsere Zeit tot; wir Menschen von 1848 bis 1898 fönnen uns dagegen verstehen, was immer uns auch trennt; diese fünfzig Jahre sind Gegenwart, nicht einmal das Jahr 1870 hat für das

geistige Leben unseres Volkes eine solche Bedeutung. Daß es im Frühling auch Blüten giebt, die abfallen ohne zu Früchten auszureifen, das lehrt uns die Natur; und daß sich der junge Most gar ungebärdig zeigt und als Sauser den Leuten zu Kopf steigt und sie für eine Weile „toll“ und ausgelassen werden läßt, wissen wir ebenfalls. Sollte es im Leben der Menschheit anders sein? und sollten wir eine Zeit darum schelten, weil nicht alle ihre Früchte reifen? und die Menschen einer solchen stürmischen Werdezeit schelten, weil sie sich gelegentlich recht jugendlich „toll“ und ungebärdig angestellt haben? Fünfzig Jahre sind im Leben eines Volkes eine kurze Spanne Zeit: das Große, das in ihnen geschehen ist, enthält die beste Rechtfertigung auch dafür, daß in jenem Jahr nicht alles geschehen und erfüllt und fertig geworden ist, was man sich im ersten kühnen Anlauf versprach und was man alles auf einmal haben wollte.

Im übrigen schreibe ich nicht die Geschichte dieses Jahres und darf mich daher über diese politische Sturm- und Drangperiode des deutschen Volkes kurz fassen. In solchen revolutionären Zeiten konzentriert sich das geistige Leben auf ein paar einfache Gedanken und Forderungen; diese werden mit elementarer Gewalt ausgesprochen und in allerlei Thaten umgesetzt, davon erzählt dann die politische Geschichtschreibung.

Der Kampf um die Einheit und um die Freiheit.

Vor dem Sturm, der von Paris herüber über die deutschen Lande brauste, beugten sich zunächst in den kleinen deutschen Staaten Fürsten und Regierungen: an die Stelle der reaktionären traten die liberalen Märzminister. Was sie von dem Alten beseitigten und an seine Stelle jezten, die Märzerrungenschaften zeigen, um was gestritten und was vom Volk gewünscht und gefordert wurde. Am kläglichsten und ruhmlosesten aber beugte sich vor diesem Sturm der Deutsche Bundestag in Frankfurt. An seine Stelle trat das Deutsche Parlament, das zu schaffen suchte, was er Jahrzente lang versäumt und verhindert hatte, eine Form für das Ganze, wie sie den nationalen Wünschen des gesamten Volkes entsprach, und das allgemein zu regeln unternahm, was in den einzelnen Ländern

Ziegler, die geistigen u. socialen Strömungen des 19. Jahrh.

18

fast überall schon beseitigt, gewährt und eingeführt war. Darin liegt das zweifache, um das es sich handelte, wir fennen beides schon seit 1815 es war die Freiheit und die Einheit. Ein Flugblatt aus jener Zeit (abgedruckt bei Hans Blum) specialisiert diese Forderungen in einer recht bezeichnenden Weise so:

Allgemeine Volksbewaffnung mit freier Wahl der Offiziere.

Ein deutsches Parlament, frei gewählt durch das Volk. Jeder deutsche Mann, sobald er das 21. Jahr erreicht hat, ist wahlfähig als Urwähler und wählbar zum Wahlmann. Auf je 1000 Seelen wird ein Wahlmann ernannt, auf je 100 000 Seelen ein Abgeordneter zum Parlament. Jeder Deutsche, ohne Rücksicht auf Rang, Stand, Vermögen und Religion, kann Mitglied dieses Parlaments werden, sobald er das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Das Parlament wird seinen Sig in Frankfurt haben und seine Geschäftsordnung selbst entwerfen.

Unbedingte Preßfreiheit.

Vollständige Religions-, Gewissens- und Lehrfreiheit.
Volkstümliche Rechtspflege mit Schwurgerichten.

Allgemeines deutsches Staatsbürgerrecht.

Gerechte Besteuerung nach dem Einkommen.

Wohlstand, Bildung und Unterricht für alle.

Schutz und Gewährleistung der Arbeit.

Ausgleichung des Mißverhältnisses von Kapital und Arbeit.

Volkstümliche und billige Staatsverwaltung.

Verantwortlichkeit aller Minister und Staatsbeamten.
Abschaffung aller Vorrechte.

[ocr errors]

Unter den freiheitlichen Forderungen stand — charakteristisch für diese deutsche Revolution die der Preßfreiheit meist in erster Linie. Der Gelehrte will frei denken, schreiben und lehren dürfen, die Gelehrten waren also die Träger und Führer dieser Revolution. Wenn daher das Landvolk seinerseits die alten Forderungen der Bauernkriege freie Jagd, Windfall, Laubstreu, Abschaffung der Zehnten und Fronen - wiederholte und gelegentlich auch hauste wie die Bauern im sechzehnten Jahrhundert, wenn auch nicht gegen Menschen, so doch gegen Schlösser und Archive, in denen die Saalbücher ihrer Feudalherren aufbewahrt lagen; oder wenn Arbeiter

[ocr errors]
« PreviousContinue »