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Weite im politischen Urteil dieses Geschichtschreibers des neunzehnten Jahrhunderts.

Liberale Forderungen.

Bei Gervinus hängt die politische Wendung wohl auch damit zusammen, daß diese Süddeutschen doch ganz anders als der Rheinländer Sybel sich frühe schon an der „naturgemäßen Ausbildung unserer praktischen Zustände" mitbeteiligten, wobei ihnen dann auch viel flarer als den Preußen die Misère der Kleinstaaterei und der auch in der dänischen Sache wieder zu Tage tretenden Ohnmacht des deutschen Bundes zum Bewußtsein kommen mußte.

Praktisch aber griffen gerade vom Südwesten her Baden, Hessen, Nassau und Württemberg

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aus

liberale Abgeordnete

die Frage einer Bundesreform auf und verlangten auf einer Zujammenkunft in Heppenheim ein deutsches Parlament oder ließen sich von Karl Mathy auf den Zollverein hinweisen als diejenige Schöpfung, aus der Deutschlands politische Einigung unter Preußens Führung herauswachsen könne und müsse; womit er freilich sozusagen nur umkehrte, was schon List in seiner packenden Weise den deutschen Industriellen zugerufen hatte: „Nur aus der Einheit der materiellen Interessen erwächst die geistige, und nur aus beiden die Nationalkraft: welchen Wert aber haben alle unsere Bestrebungen ohne Nationalität und ohne Garantie für die Fortdauer dieser Nationalität?"

Diese Lösung der deutschen Frage hatten schon zur Zeit des Wiener Kongresses einzelne mutige Patrioten zu hoffen und zu fordern gewagt. Ganz besonders warm und gescheit aber war zu Anfang der dreißiger Jahre ein Schwabe, Paul Pfizer in seinem „Briefwechsel zweier Deutschen“ dafür eingetreten. Mit aller wünschenswerten Klarheit spricht er es aus, daß nur durch Preußen die Begründung einer starken Einheit herbeigeführt werden könne, und läßt sich von dem Gedanken einer „preußischen Hegemonie“ in Deutschland auch durch die Erwägung nicht abschrecken, daß „Preußen selbst die Schwierigkeiten, mit welchen es auf jeden Fall zu kämpfen hat, neuerdings durch eine engherzige und unvolkstümliche Politik zur Freude derjenigen noch bedeutend vermehrt habe, deren ganzer

Patriotismus darin besteht, die Preußen zu hassen". Er glaubt an die Kraft und Entwickelungsfähigkeit dieses „jugendlichen“ Staates, der „einen Ruhm darin sucht nichts zu unterlassen, was ihn zum Mittelpunkt deutscher Geistesbildung machen kann". Um aber dieses Ziel zu erreichen, muß „das Bedürfnis festerer Einigung klar erfannt, das Bewußtsein des Nationalzusammenhangs immer lebendiger, die vaterländische Gesinnung immer kräftiger werden, besonders aber muß der denkende, gebildete, durch den Kampf mit dem physischen Bedürfnis nicht ausschließlich in Anspruch genommene Teil der Nation seiner Einheit stets eingedenk bleiben und einem großen Zweck die Rücksichten einer kleinlichen Eigensucht zum Opfer bringen; vor allem aber müssen unsere Schriftsteller, denen wir die Rettung unserer geistigen Einheit verdanken, nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern das Werk vollenden, indem sie der Nation zum Glauben an ihre Kraft, zur Einsicht in ihre Pflicht, zur Erfenntnis ihrer Rechte verhelfen." So klar und so frühe schon ent= wickelte dieser politische Kopf das Programm der deutschen Einigung für die nächsten Jahrzehnte.

Jezt trugen solche Gedanken und Forderungen die Gebildeten und Schriftsteller der Nation hinaus in die weiteren Kreise des Volkes; namentlich war es die 1847 ins Leben gerufene „Deutsche Zeitung“, unter der Redaktion von Gervinus in Heidelberg und im Verlage von Fr. Bassermann in Mannheim, die „vom Süden aus vor anderem preußische Interessen besprechen sollte". „Nie trat eine deutsche Zeitung imponierender vor die Nation", urteilt G. Freytag von ihr; unter der stolzen Schar von Mitarbeitern, den namhaftesten Liberalen aus allen Teilen Deutschlands, standen neben Karl Mathy die Historiker Gervinus, Dahlmann, Häusser, Wait, Droysen u. a. oben an. Es war so recht ein Professorenblatt, und als solches hat es den Grund gelegt zu der Professorenpolitik des Professorenparlaments im Jahre 1848. Daß aber diese für die preußische Hegemonie sich einsehende Zeitung in Preußen selbst am wenigsten Unterstüßung fand, zeigte doch, daß der Südwesten durch seine nun dreißigjährige parlamentarische Schulung an politischer Bildung und national deutscher Gesinnung in jenem Augenblick Preußen voraus war. Andererseits hatte man

freilich hier in diesen Zwergstaaten das Beste nicht gelernt, was man doch sozusagen mit Händen hätte greifen müssen, daß zum Wesen jedes Staates und zur Durchsehung und Durchführung jeder politischen Aktion vor allem — die Macht gehöre. Und doch hatte das schon Paul Pfizer verstanden und gesagt: „Zum Vollbringen eines großen und guten Werkes gehört nicht allein der Wille, sondern auch die Macht. Und wo ist denn außer Preußen die Macht, Deutschland wieder zu beleben?" Die Professoren aber verließen sich allzusehr auf den guten Willen und verwechselten die Macht der Ideen, an die sie glaubten, und die Macht des Worts, das sie handhabten, mit der thatsächlichen Macht, die doch allein im stande ist Ideen in die Wirklichkeit umzusehen und die hinter dem Wort stehen muß, wenn dieses nicht zur Phrase werden soll.

Den nationalen Wünschen dieser Kreise gab am 5. Februar 1848 in der badischen Kammer der Antrag Bassermanns auf Einsezung eines deutschen Parlaments einen weithin wirkenden Ausdruck, den freiheitlichen Forderungen entsprach ebendort Mathys Antrag auf Beseitigung der Censur. Sie kamen gerade zur richtigen Stunde; denn als nun die Revolution ausbrach, da wiesen sie ihr den Weg in die Paulskirche nach Frankfurt.

III.

1848 bis 1871.

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