Page images
PDF
EPUB

Siebentes Kapitel.

Die religiöse Bewegung bis auf

Strauß und Feuerbach.

Die Union.

Der Hofprediger Rogge erzählt von seinem 1790 geborenen Vater, dieser habe in seinem inneren religiösen Leben eine Entwickelung durchgemacht, die ihn von dem aus dem Vaterhause und von der Universität mitgebrachten Rationalismus zum Pietismus und von diesem zu einem stark ausgeprägten konsessionellen Luthertum geführt habe. Das ist ein typisches Beispiel für die religiöse Entwickelung im ersten Drittel des Jahrhunderts überhaupt.

Daß der alte Rationalismus noch immer eine Macht war, ist schon gesagt worden. Dann kam Schleiermachers mächtiger Einfluß auf die Erneuerung der Religion und Religiösität seiner Zeit; und in den Befreiungskriegen ergriff eine religiöse Stimmung die Jugend mehr noch als die in der rationalistischen Periode wurzelnden. Alten. Und auch als sie nach Hause zurückkehrten, hörten die „Burschen“ nicht auf germanisch und christlich gestimmt zu sein; deshalb war auch der Antisemitismus jener Tage national und religiös zugleich. In der Romantik aber faßten sich zunächst alle diese religiösen Tendenzen zusammen, auch da wo sie nicht in ihr wurzelten und aus ihr stammten, in sie mündeten sie vorläufig doch alle ein.

die

1817 das Jubeljahr der Reformation brachte sodann die Erfüllung eines Lieblingsgedankens von Schleiermacher Union, zuerst in Nassau, dann vor allem in Preußen, als die Vereinigung der lutherischen und der reformierten Kirche. Nicht ohne

Schwierigkeit und Widerspruch; denn was uns gebildeten Indifferentisten von heutzutage unverständlich und selbstverständlich erscheint, war damals als ein Trennendes noch verstanden und als ein Festzuhaltendes noch lebendig. Dazu kam, daß schon hier und noch mehr dann freilich beim Agendenstreit der zwanziger Jahre die Kirche und der religiöse Teil ihrer Angehörigen das selbstherrliche Eingreifen des Königs Friedrich Wilhelm III. wie eine Vergewaltigung der Gewissen empfand; und so schloß sich an beides eine oppositionelle Bewegung an, die teilweise sogar bis zu separatistischer Gemeindebildung weiterging. Dort waren es die strengen Lutheraner, von denen einzelne wie Klaus Harms mit seinen 95 Thesen sofort energisch protestierten, andere wie die einfachen Bürgersleute in Breslau unter des Theologen Scheibel und des Naturphilosophen Steffens Führung es in zähem Kampf bis zur Loslösung von der Landeskirche trieben und damit bereits die Frage nahelegten nach der Vereinbarkeit dieser Landeskirche und der fürstlichen Landesbischöfe mit dem Prinzip wahrer protestantischer Freiheit. Hier im Agendenstreit fanden umgekehrt die Kreise der Freidenkenden jene königliche Einmischung unerträglich und bestritten daher „das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten“ nachdrücklich; an der Spitze dieser Opposition stand Schleiermacher, der damals zugleich ohnedies auch politisch verdächtig war. Daß er, nachdem er einen Augenblick ebenfalls mit dem Gedanken seines Austritts aus der Landeskirche sich getragen hatte, schließlich müde wurde und nachgab, hat ihm den Haß des jungen Deutschland über Gebühr zugezogen, der dann freilich noch durch das mehr erbauliche als konsequente Ende des Vielgewandten vermehrt wurde. Welche Rache Guzkow dafür an ihm nahm, ist bereits erzählt; es war auch gar zu verführerisch, Schleiermachers eigene Jugend gegen dieses Lebensende auszuspielen, und es war leichter die Widersprüche in ihm ans Licht zu ziehen, als die Kunst ihrer Vermittlung im Leben und System des großen Dialektikers und Dogmatikers zu begreifen und an ihr sich künstlerisch zu freuen.

Hengstenberg.

Nun ist ja nicht zu verkennen, daß der Unionsgedanke eine gewisse Abschwächung der dogmatisch-konfessionellen Gegensätze, eine

gewisse liberalisierende Indifferenz, also ein rationalistisches Element zur Voraussetzung hat und seine Verwirklichung in der That nur auf Grund der voraufgegangenen Aufklärung möglich war. Das empfand in den zwanziger Jahren vielleicht keiner stärker, ergriff jedenfalls keiner gieriger als Ernst Wilhelm Hengstenberg. Seine Stellung nahm er nach einer entscheidenden Wandlung in seinen Anschauungen erstmals, als er an des Ministers Altenstein Erlaß gegen „mystische, pietistische und separatistische Abwege" scharfe Kritik übte, dann aber vor allem in der 1827 von ihm ins Leben gerufenen Evangelischen Kirchenzeitung, in der wie kaum je zuvor in Deutschland die Religion zur Parteisache gemacht und dadurch herabgewürdigt und vielen aufs neue wieder verdächtig oder gründlich entleidet wurde. Rücksichtslos wurde hier alles „Rationalistische“ bekämpft, mit diesem Namen aber insofern arger Mißbrauch getrieben, als in ihm nicht nur die Überbleibsel des Rationalismus aus dem vorigen Jahrhundert, sondern auch alles das zusammen= gefaßt wurde, was unter der Flagge Schleiermachers oder Hegels oder später als junges Deutschland auftrat. Leidenschaftlich, gehässig und perfid wurden namentlich auch Personen angegriffen, selbst vor Invektiven und Denunziationen scheute das edle Blatt nicht zu= rück; am bekanntesten ist die von Ludwig von Gerlach in der Kirchenzeitung in Scene gesezte Heze gegen die Halleschen Theologen Gesenius und Wegscheider, die der Minister nur mit Mühe vor Absehung schüßen konnte. Es ist eine der schlimmsten Geschichtsflitterungen Treitschkes, verständlich und entschuldbar nur als ein Niederschlag von Jugendeindrücken, daß er in seiner deutschen. Geschichte Hengstenberg hinter Strauß stellt und so bei seinen Lesern den Schein erweckt, als sei dessen Leben Jesu" verantwortlich zu machen für die Schilderhebung und Mobilmachung Hengstenbergs und des orthodox-pietistischen Klubs in der Berliner Wilhelmstraße. Diese war 1827 erfolgt, das Leben Jesu erschien 1835; schon in seinen Habilitationsthesen von 1825 hatte Hengstenberg das alte Tertullianische Credo quia absurdum est wieder einmal zum Prinzip erhoben, der Angriff der „Vernunft“ auf den „Glauben“ folgte erst zehn Jahre später; Hengstenberg hatte längst schon gegen Schleiermachers Vermittlungstheologie und Hegels Versöhnung von

Glauben und Wissen gewütet und gezetert, ehe ihm ganz willkommen in Strauß' Leben Jesu und Glaubenslehre die Konsequenz der beiden Standpunkte sich enthüllte. Mit dieser einfachen Richtig= stellung der Daten enthüllt sich Treitschkes Darstellung als der Nietzschesche „Irrtum der Verwechslung von Ursache und Folge".

Übrigens gilt Hengstenbergs Polemik nicht bloß Schleiermacher oder Hegel oder Strauß, sondern der ganzen theologischen Wissenschaft überhaupt, für die dieser Mann, der ganz Wille war, niemals Verständnis gehabt hat. Und es weist dies zugleich noch auf eine andere Art von Union hin, welche sich in jenen Jahren vollzog, die zwischen Orthodoxie und Pietismus. Eigentlich ein unnatürliches Bündnis, denn der Pietismus ist im Gegensaß zu der Orthodoxie entstanden und sein Verbündeter in diesem Kampfe war das anfängliche Verhältnis von Thomasius zu Francke ist dafür Zeuge von Haus aus der Rationalismus. Aber wie nun dieser im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts immer siegreicher um sich griff und jenen beiden Gegnern gleichmäßig Abbruch that man denke z. B. an die rationalistische Periode des Waisenhauses zu Halle —, da schlossen sie sich jezt, als sein Stündlein sich nahte und die religiöse Wiederbelebung sich spürbar machte, gegen den gemeinsamen Feind zusammen, die Orthodoxie wurde pietistisch und der Pietismus wurde firchlich. Der Vorteil war auf beiden Seiten klar: die Orthodoxie erstarkte und kräftigte sich innerlich, der Pietismus wurde aus einer ecclesiola pressa eine Macht und wurde einflußreich. Allein ebenso deutlich traten auch die Nachteile in die Erscheinung: die protestantische Kirche wurde durch den Einfluß des Pietismus gegen die Meinung Luthers weltfremder, sinnenfeindlicher, kulturfeindlicher, und so spannte sich der alte Gegensaz zur „Welt“ aufs neue, das Volksleben wurde dadurch zerrissener und die Kirche durch diesen Rückfall in mittelalterliche Ideale in ihrer ganzen Existenz gefährdet; und der Pietismus brachte der Kirche die Allüren der ecclesiola, der Sefte: indem die Stillen im Lande zur Macht kamen, wollten sie nicht aufhören, die Stillen zu sein und legten daher das Schleichende, Gedrückte, den Kleinen-Leute-Geruch nicht ab; die mächtig gewordenen thaten so, als ob sie noch immer die Unterdrückten wären, und das gab ihnen dann den Anschein des Heuch

lerischen und Heimtückischen, des Unwahren und Unheimlichen; sie waren die Verfolger und Unterdrücker und gaben sich doch das Air der Verfolgten und Unterdrückten. Daran haben seit jenen Tagen die Besten immer den größten Anstoß genommen, das hat viele abgestoßen und der pietistisch gewordenen Kirche entfremdet.

In Hengstenberg aber lag auch insofern ein WiderspruchsvollUnsicheres, als er anfänglich die Union protegierte, „um unzähligen Seelen den Segen der Landeskirche zu erhalten", vor der föniglichen Lieblingsschöpfung machte dieser glaubenseifrige und rücksichtslose Kritiker also vorsichtig Halt. Erst als Friedrich Wilhelm IV. das Werk des Vaters zwar nicht geradezu rückgängig machte, aber doch als Mißgriff beklagte und abschwächte und dagegen den Konfessionalismus stärkte und begünstigte, fand auch er in den vierziger Jahren den Weg von der Union zur Betonung eines streng lutherischen Konfessionalismus zurück. Darin enthüllte sich zugleich auch der verhängnisvolle Einfluß der heiligen Allianz und ihres Glaubens an die unentwegte Zusammengehörigkeit von Thron und Altar. Diese und im Gegensaz dazu den Zusammenhang von Unglauben und Revolution hat Hengstenberg den Regierenden immer aufs neue klar zu machen und einzuprägen gesucht, darin berührt er sich mit Geng. So hat er dem Glauben Vorschub geleistet, daß die Kirche im Dienst der Reaktion stehe und ist schuld daran, daß alle politischen Oppositionsparteien auch der Kirche Opposition machen: das gilt noch bis zum heutigen Tag.

[ocr errors]

Die Hegelsche Religionsphilosophie.

Während aber Hengstenberg an der Arbeit war, Glauben und Wissen zu trennen, glaubte Hegel eine Formel gefunden zu haben, um die beiden definitiv miteinander zu versöhnen. Ihm ist die Religion diejenige Region, worin alle Rätsel der Welt gelöst, alle Widersprüche des tiefer sinnenden Gedankens enthüllt sind, alle Schmerzen des Gefühls verstummen, die Region der ewigen Wahrheit, der ewigen Ruhe"; deshalb haben die Völker mit Recht das „religiöse Bewußtsein als ihre wahrhafte Würde, als den Sonntag des Lebens angesehen, aller Kummer, alle Sorge, diese Sandbank der Zeitlichkeit, verschwebt in diesem Äther; in dieser Region des

« PreviousContinue »