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Sechstes Kapitel.

Das junge Deutschland.

Die Julirevolution.

Vor mir liegt die Photographie eines Bildes von Karl Begas aus der Zeit kurz nach den Befreiungskriegen, die ich der Güte des Direktors des Wallraf-Museums in Köln verdanke. Es ist ein Familienbild. Vater und Mutter stammen noch aus dem achtzehnten Jahrhundert, es sind geisteshelle, praktisch tüchtige Menschen; ob mehr aufgeklärter Familiendespotismus oder etwas vom kategorischen Imperativ Kants in der energischen, straffen Männergestalt steckt, wage ich nicht zu entscheiden. Die zwei älteren Töchter haben Schiller und Goethe gelesen, ich möchte annehmen mehr Schiller, die eine jedenfalls schwärmt für Thekla und singt „Des Mädchens Klage" zur Laute, ohne sich jedoch mit dem allzu sentimentalen Schmerz dieses Mägdleins zu identifizieren. Moderner ist die dritte Tochter, d. h. sie ist fromm und ernst, wie es die Jahre waren, in denen sie die Augen des Bewußtseins erstmals aufschlug. Die beiden Jungen aber mit den offenen Hemdfragen und den frischen Gesichtern, die wachsen vollends hinein in diese neue Zeit der „teutschen“ Jugend mit ihrer Begeisterung für Vaterland und Freiheit und versprechen einmal wackere Glieder der Burschenschaft zu werden, wenn diese bis dahin nicht aufgehoben ist. Über dem Ganzen aber schwebt der Geist ruhigen Behagens, tüchtigen Arbeitens, ehrenfesten Lebens, so einfach und schlicht wie ihre Kleidung sind auch diese Menschen, so anspruchslos wie die Einrichtung des Zimmers und so harmonisch wie sie ist auch der Geist dieser Familie.

Und so war die deutsche Welt nach den Befreiungskriegen überhaupt, so voll innerer Tüchtigkeit und Kraft, so voll Freude am Schönsten und Besten, was der deutsche Geist bereits geschaffen hatte und was er weiterhin erhoffte und erstrebte. Aber mit diesem Volk haben die deutschen Regierungen nichts anzufangen gewußt, sie haben es hineingetrieben in Opposition und schließlich in Revolution, es ist ein Jammer. Dieser Umschwung kommt jezt. Lange vorbereitet und doch wie mit einem Schlag wird die Welt eine andere: Hast und Unruhe, Gärung und Kritik, kecker Wit und bitterböse Satire tritt uns von nun an überall und in allerlei Formen entgegen.

Den Einschnitt dafür bildet die Julirevolution in Frankreich, deren Flammen schon jetzt auch nach Deutschland herüber zu schlagen drohen, wie achtzehn Jahre später die der Februarrevolution es wirklich gethan haben. Noch war es zu diesem Äußersten zu früh. Man weiß, wie gleichgültig die Sache den freilich immer unpolitischen und nun auch schon einundachtzigjährigen Goethe ließ. Als Eckermann am 2. August zu ihm kam, rief er ihm entgegen: „Nun, was denken Sie von dieser großen Begebenheit? Der Vulkan ist zum Ausbruch gekommen; alles steht in Flammen;" aber er meinte damit nicht die Revolution und den Sturz der Bourbonen, sondern "ganz andere Dinge. Ich rede von dem in der Akademie zum öffentlichen Ausbruch gekommenen, für die Wissenschaft so höchst bedeutungsvollen Streit zwischen Cuvier und Geoffroy de SaintHilaire". In ihm sah er den Sieg der synthetischen über die analytische Behandlungsweise der Natur, den Sieg des Geistes über die Materie auch in der Naturforschung, und das erschien ihm wichtiger als alle Politik. Bei anderen politischeren Naturen wie Hegel oder Niebuhr war dagegen der Eindruck ein großer, aber entschieden schreckhaft. Der erstere schreibt noch im Dezember 1830: Gegenwärtig hat das ungeheuere politische Interesse alle anderen verschlungen eine Krise, in der alles, was sonst gegolten, problematisch gemacht zu werden scheint"; und noch düsterer sieht Niebuhr die Sache an: „daß wir namentlich in Deutschland im Fluge der Barbarei zueilen, ist meine feste Überzeugung, und sehr viel besser steht es in Frankreich nicht. Daß uns auch Verheerung droht, wie

vor zweihundert Jahren, das ist mir leider ebenso klar, und das Ende vom Liede wird Despotismus auf den Ruinen. Um fünfzig Jahre und wahrscheinlich weit früher, wird in ganz Europa, wenigstens auf dem festen Lande, keine Spur von freien Institutionen und von Preßfreiheit sein."

Thatsächlich kam es freilich zunächst nur zur Vertreibung des jammervollen Diamantenherzogs von Braunschweig und zu Unruhen in Sachsen, Hessen-Kassel und Altenburg. Fast bedeutungsvoller für das geistige Leben als diese wirklichen Revolutionen im kleinen wurden zwei Jahre später die revolutionären Reden auf dem Hambacher Fest am 27. Mai 1832, in denen sich die Gärung und der Radikalismus Süddeutschlands Luft machte, und dann im folgenden Jahre jener kopflose Frankfurter Putsch, der wieder viele deutsche Studenten um Freiheit und Lebensmut brachte man denke an Friz Reuter und seine „Festungstid" und der Reaktion aufs neue den Vorwand gab zu Demagogenverfolgungen und Polizeimaßregeln. Dieselbe zeigt jezt derbere und bestimmtere Züge: die Preßund Versammlungsfreiheit wird beschränkt oder beseitigt, und gar vielen bleibt unter ihren festen Griffen nur die Wahl zwischen Einkerkerung oder Exil. Andere werfen an jeder politischen Wirksamkeit verzweifelnd die Flinte ins Korn, so 1839 selbst Uhland, dem die württembergische Regierung 1833 den Urlaub zum Eintritt in den Landtag versagt und darauf die erbetene Entlassung aus dem akademischen Lehramt „sehr gerne" gewährt hatte.

Aber es half doch nichts, der Geist ließ sich nicht bannen, es war doch anders geworden in der Welt durch die Julirevolution, die Luft war heller und freier, das Leben im ganzen mutet uns moderner an. Auf dem Wartburgfeste des Jahres 1817 klang noch alles so rührend weltfremd, da träumte man romantisch von der blauen Blume der Einheit und der Freiheit, da ging man in die Kirche und zum Abendmahl, da flatterten die blonden Locken noch gar jugendlich und große weiße Kragen legten sich fast jungfräulich keusch über den schwarzen Sammet der altdeutschen Röcke

die christgermanische Romantik führte hier das Wort. Dagegen auf dem Hambacher Fest ein demokratischer Liberalismus, ein immer bitterer werdender Radikalismus und, wiewohl das Auge von der

Hardt hinüberschweifte über den Rhein zu der romantischen Ruine von Altheidelberg, eine durchaus realistische Anschauungsweise. Auch jezt wieder erfüllte der Gedanke der Wiedergeburt des Vaterlands, der Befreiung und Wiedervereinigung Deutschlands die Herzen der Feiernden. Aber wild flangen Siebenpfeiffers Worte von dem deutschen Volk, das zürnend die Locken schüttle und dem Meineid seiner Fürsten drohe, zornig die Aufforderung an das Volk, die Freiheit nicht erdrosseln zu lassen von den Mörderhänden der Aristokraten, sondern nachdem die Fürsten es an den Abgrund geführt, das heilige Werk ohne sie zu vollbringen; und auch weltbürgerlich genug klang die Rede dieses liberalen Führers aus, neben dem Hoch auf das freie, einige Deutschland in ein Lebehoch auf die Polen als der Deutschen Verbündete und auf die Franken als der Deutschen Brüder. Allein vorsichtig sezte doch schon er dem lehteren hinzu: „die unsere Nationalität und Selbständigkeit achten“; und Wirth erklärte ausdrücklich: „selbst die Freiheit darf auf Kosten der Integrität unseres Gebietes nicht erkauft werden; der Kampf um unser Vaterland und unsere Freiheit muß ohne fremde Einmischung durch unsere eigene Kraft von innen heraus geführt werden, und die Patrioten müssen in dem Augenblicke, wo fremde Einmischung stattfindet, die Opposition gegen die inneren Verräter suspendieren und das Gesamtvolk gegen den äußeren Feind zu den Waffen rufen." So war das Fremdbürgerliche doch nur Verbrämung und Ornament, das Herz schlug auch bei diesen radikalsten Liberalen im Süden in erster Linie deutsch. Sie wollten nach wie vor das Richtige, nur hatte sie die Ungeduld und die Empörung über das ewige Versagen und die Reaktion nachgerade leidenschaftlich gemacht und der Bewegung einen revolutionären Charakter gegeben.

Allein noch beschränkte sich diese auf Reden; erst kam an die Reihe es ist das bezeichnend für den deutschen Geist die litterarische und philosophische Schilderhebung, ehe sie anno 1848 auch politisch wurde und zur Revolution führte; eine Periode der Kritik geht dem Versuch voran, die Gedanken in Thaten umzusetzen. Und so gliedert sich diese Periode ganz von selbst in die drei Abschnitte vom jungen Deutschland, von der religiösen Bewegung durch die Hegelsche Linke und von der Vorbereitung auf die Revo

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