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werden, von der es in der Vorrede ganz romantisch und fein psychologisch heißt, sie sei „gleich allem Natürlichen und Sittlichen ein unvermerktes, unbewußtes Geheimnis, welches sich in der Jugend einpflanze und unsere Sprechwerkzeuge für die eigentümlichen vaterländischen Töne, Biegungen, Wendungen, Härten oder Weichen bestimme, und auf diesem Eindruck beruhe dann jenes unvertilgliche, sehnsüchtige Gefühl, das jeden Menschen befällt, dem in der Fremde seine Sprache und Mundart zu Ohren schallt“. Polemisch wendet er sich hier gegen die unsägliche Pedanterie, in deutschen Schulen deutsche Grammatik zu lehren und gegen die gewaltthätige Sprachreinigung der Puristen, die alles Fremde bis auf die lehte Zaser aus der deutschen Sprache gestoßen wissen und künstlich Wohllaut und Wortreichtum vermehren wollen; und ebenso bekämpft er sowohl die philosophische als die kritische Richtung des Sprachstudiums. Ihnen stellt er seinen Plan, eine historische Grammatik der deutschen Sprache zu geben, gegenüber: „Spuren, die noch in unserer jeßigen Sprache trümmerhaft und gleichsam versteint stehen, wurden mir allmählich deutlich und die Übergänge gelöst, wenn das Neue sich zu dem Mitteln reihen konnte und das Mittele dem Alten die Hand bot; zugleich aber zeigten sich die überraschendsten Ähnlichkeiten zwischen allen verschwisterten Mundarten und noch ganz übersehene Verhältnisse ihrer Abweichungen“; und so galt es nun, diese fortschreitende unaufhörliche Verbindung bis ins Einzelnste zu ergründen und darzustellen; denn der Gang der Sprache ist langsam, aber unaufhaltbar wie der der Natur; stillstehen kann sie eigentlich niemals, noch weniger zurückschreiten". In diesem Geist hat er sein Werk gehalten und den Gedanken darin durchgeführt, daß auch in der Grammatik „die Unverleßlichkeit und Notwendigkeit der Geschichte anerkannt werden müsse". Damit hat er wirklich in unser deutsches Altertum Bahn gebrochen und der Wissenschaft von demselben das Fundament gegeben.

Und nun begann fröhlich die große und fruchtbare Arbeit der Germanisten, von der unser ganzes Jahrhundert erfüllt ist. Zu gute kam ihr gleich zu Anfang die Bundesgenossenschaft mit der klassischen Philologie, deren Schulung und Methode ihr Lachmann für Kritik und Tertbehandlung zuführte. Was Wolf in seinen

Ziegler, die geistigen u. socialen Strömungen des 19. Jahrh.

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Prolegomena zum Homer vom griechischen Epos gelehrt hatte, das übertrug Lachmann auf das Nibelungenlied. Schon A. W. Schlegel hatte unter Berufung auf Wolf behauptet, dieses sei für Einen Menschen zu groß und es für das Werk der gesamten Kraft seines Zeitalters erflärt; nun sucht Lachmann zu erweisen, daß es aus einer noch erkennbaren Zusammenstellung einzelner romanzenartiger Lieder entstanden sei, und hält es sogar für möglich, diese Lieder aus dem Zusammenhang zu lösen und in ihrer ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen. Mit lehterem hat er sicher unrecht, mit ersterem schwerlich recht gehabt; aber darum bleiben seine Verdienste um Text und Kritik des Nibelungenliedes und anderer Hauptwerke der mittelalterlichen Litteratur und um die Art, wie hinfort auch hier streng philologisch gearbeitet wurde, dennoch bestehen. Daß es aber unter den Germanisten auch nie an deutschen Dichtern gefehlt hat, die neben der strengen Methode das kongeniale Verständnis für ihres Volkes Dichterart besaßen ich nenne nur Uhland und Hoffmann von Fallersleben, das hat dieser Wissenschaft ihre Frische und die Fühlung mit dem Volk und seinen Gebildeten bewahrt bis zum heutigen Tag. Ihr Verdienst aber bleibt der große Beitrag an nationaler Gesinnung, die sie durch die Beschäftigung mit all dem Großen und Herrlichen in unserer Sprache und Dichtung in ihren Jüngern und durch sie in der gebildeten Jugend unseres Volkes überhaupt groß gezogen hat.

Aber auch der durch Herder in sie gelegte universale Zug der Romantik kam der Sprachwissenschaft zu gut. Friedrich Schlegel war es, der in Paris auf das Indische aufmerksam wurde und durch seine fleine Schrift,, über die Sprache und Weisheit der Indier" in Deutschland den Anstoß gab zum Studium des Sanskrit, dessen Verwandtschaft mit anderen indogermanischen Sprachen er mit sicherem Blick erkannte, wenn er sie auch nur dilettantisch begründete. Sein Bruder August Wilhelm folgte ihm auf diesem neuen Wege. Noch vor ihm aber wandte Franz Bopp seine streng methodische Arbeit der Sanskritgrammatik zu und wurde so der Begründer einer neuen Disciplin, der allgemeinen vergleichenden Sprachwissenschaft. Den Zusammenhang dieser Studien mit der Germanistik bezeugt schon Jakob Grimm in seiner Grammatik: „Aufschlüsse, heißt es hier,

wozu uns die allmählich wachsende Bekanntschaft mit der reinsten, ursprünglichsten aller dieser Sprachen, nämlich dem Sanskrit, berechtigt, erscheinen als Schlußstein der ganzen Untersuchung überhaupt; und fügt er hinzu sie hätten keinen besseren Händen anvertraut werden können als denen unseres Landsmannes Bopp." Die dichterische Weihe aber erhielt dieser Universalismus durch Goethes westöstlichen Divan, seinen Gedankenhintergrund und seine begriffliche Rechtfertigung durch das weltumfassende System Hegels und seine Philosophie der Geschichte. So schließt sich der Ring.

Wir aber verlassen damit diese erste Periode deutschen Geisteslebens. Manches von dem hier Berichteten findet Erfüllung und Abschluß erst in späterer Zeit, wie umgekehrt die Anfänge anderer Entwickelungen schon in die zwanziger Jahre fallen oder gar noch weiter zurückreichen; da sie aber erst durch ihren weiteren Verlauf Richtung und Art deutlicher erkennen lassen, versparen wir sie auf später und wenden uns jezt dem folgenden Zeitabschnitt zu, ohne doch mit dem ersten schon ganz fertig zu sein.

II.

1830 bis 1848.

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