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KD 44322

HARVARD
UNIVERSITY
LIBRARY

„Dem Selbstmord wehrt

Das göttliche Verbot, das meine Hand Schwach und verzagt macht."

(Shakespeare.)

Alle Rechte vorbehalten.

Vorwort.

Selbstmordbilder enthält dies Buch? Weg damit! Weg mit dem schrecklichen, krassen Thema, das unser lebensund daseinsfrohes, in Erdenlust schwelgendes Geschlecht höchstens anzuwidern und abzustoßen vermag! So ruft es vielleicht da- und dorther dem Verfasser zu, der es wagt, einem Geschlechte vom heikelsten und verwöhntesten Geschmacke statt Lachen und Lust erregender Zeit- und Lebensbilder schwarz in schwarz gemalte Totenbilder, trauerumrandete Nekrographieen darzureichen. Und nicht einmal damit will er sich Leser erschmeicheln, daß er das Versprechen abgiebt, auch dem Blasiertesten ein Gruseln abzunötigen und dem Sensationsbedürfnisse Zerstreuungssüchtiger Befriedigung zu gewähren. Ja, er bekennt gleich von vornherein offen, daß er ernst stimmen, wecken und bessern will, daß er diesen zwar nicht anmutigen, aber höchst zeitgemäßen Schriftgegenstand nur angefaßt hat, um seinem Vaterland, seinem Volk einen wirklichen Dienst zu erweisen. Wer will denn auch die epidemische Verbreitung der Selbstmordneigung in unseren Tagen bestreiten? Wer kann es in Abrede stellen, daß die Zahl solcher Trauerfälle in 4751

erschreckendem Maße wächst und daß die Beweggründe derselben, wie die Art und Weise ihrer Ausführung einen wahrhaft besorgniserregenden Charakter angenommen haben? Das schlimmste Anzeichen aber, ein Beweis von dem Tiefeingewurzeltsein des Übels, ist die verwunderliche Thatsache, daß wir uns nicht mehr darüber wundern, daß selbst die schauerlichsten, empörendsten Fälle nur ein vorübergehendes Aufsehen zu erregen imstande sind, und daß die dadurch kaum leise berührte Welt sich alsbald beeilt, zur gewohnten Tagesordnung zurückzukehren.

Eben deswegen, weil unseren Zeitgenossen das angeregte Thema ein unliebsames, freudestörendes ist, müssen sie mit einem kräftigen „hört, hört“ gemahnt werden. Warum? Weil in jenen Erscheinungen eine weitklaffende Wunde am Gesellschaftskörper und Volksleibe zutage tritt, welche des barmherzigen Samaritertums wartet. Erst den Finger darauf, um die Thatsache der tödlichen Erkrankung festzustellen! Dann die prüfende Sonde her, um aus dem Symptom, der Erkennungsstelle, die geheimen Ursachen zu erschließen! Ohne Bild geredet: die Selbstmordepidemie weist auf tiefe materielle, moralische und religiöse Schäden hin, an denen unsere heutige Gesellschaft krankt: auf kraßmaterialistische Gesinnung, wie auf erschreckende sittliche Verwahrlosung und Abnahme des religiösen Sinnes, in letzter Instanz lauter Folgen einer ihrem moralischreligiösen Ursprung entwachsenen, raffinierten Zivilisation.

Übrigens ist es keine Statistik des Selbstmords, was ich in den nachfolgenden Bildern zu geben gedenke, sondern nur eine Aufreihung einer Anzahl charakte

ristischer Fälle, welche die Frage zu illustrieren und die ganze Lage zu beleuchten vermögen Bilder aus neuester und neuer Zeit und (zur Vergleichung) aus dem Mittelalter und dem Altertum, bedeutsame Beispiele, die alle Altersstufen, Geschlechter und Stände umfassen.

Von einer Vollständigkeit in der Aufzählung der Beweggründe kann dabei so wenig die Rede sein, als von einer logisch scharfen Einteilung oder einer psychologisch genauen Analyse des Seelenzustandes. In den meisten Fällen erfahren wir ja bezüglich der Motive so gut wie gar nichts. Und wo ein tieferer Einblick ermöglicht ist, da spielen oftmals mehrere Motive ineinander, so daß man einen und denselben Fall den verschiedensten Rubriken zuweisen kann. Wenn in unserem Verzeichnis das Motiv „aus Geisteskrankheit“ fehlt, so rührt dies daher, daß nur die zurechenbaren (imputablen) Fälle Berücksichtigung finden sollten, wobei freilich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß nicht wenige der aufgezählten Fälle im tiefsten Grunde auf Geistesumnachtung beruhen. Wo diese übrigens nicht ausschließlich aus physischen Ursachen zu erklären ist, da muß doch irgendein Zeitpunkt in der Entwickelung des Übels angenommen werden, wo sich das Subjekt seiner Klarheit, Willensfreiheit und Widerstandskraft begeben hat.

Die Hauptsache, welche ins Auge zu fassen und festzuhalten schien, bleibt: nicht die statistische Vollzähligkeit und Beweiskraft, nicht die logische Schärfe der Einteilung und die psychologisch genaue Zergliederung der Motive, sondern die jedesmalige Hinweisung auf unsere unseligen gesellschaftlichen Zustände, die Er

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