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Bei den Griechen erhebt sich warnend die Gestalt des unglücklichen Orestes, der den Gattenmord, von seiner Mutter am Vater begangen, durch Muttermord rächt, damit aber die Erinnyen, die Rachegöttinnen, herausfordert, die ihn auf Schritt und Tritt mit den Qualen des bösen Gewissens martern und verfolgen. Heutzutage, unter christlichen Völkern, ist die Verlegung der Pietätsbande und -pflichten durch Mord eine leider nicht seltene Erscheinung, der freilich die Reue (sonst ein hinkender Bote); begleitet vom peinlichen Blutgericht, auf dem Fuße folgt.

Am 8. Februar 1891 hatte der fünfundsechzigjährige Schreiner Scherzer zu Diespeck bei Neustadt a. A. Streit mit seinem Sohn, der ihm wohl gerechte Ursache zur Unzufriedenheit gegeben. In seiner Entrüstung griff der Vater zum Holzbeil und hieb damit seinen Sohn in den Hinterkopf, daß derselbe niederstürzte. Da er sah, was er in seinem Zorn angerichtet hatte, und den Sohn für tot erachtete, so riß er ein Gewehr von der Wand und erschoß sich selbst. Ja, wenn die Lust gebüßt ist, dann fallen uns die Schuppen von den Augen, und verzweifelnd ruft der neue Kain oder Judas aus: Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir könnte vergeben werden!

*

„Die Liebe ist stark wie der Tod!"
(Hohes Lied.)

Im Dezember 1834 erdolchte sich Charlotte, die schöne, hochsinnige Gattin des jungen Dichters Heinrich Stiegliß. In einigen hinterlassenen Zeilen sprach sie dem Gatten den Wunsch aus, er möge „glücklicher werden im wahrhaften Unglück“. Sie schien zu hoffen, der ungeheuere Schmerz würde ihm das dichterische Vermögen, die tragische Leidenschaft stärken. Wer sich auf weibliche Herzen verstand, konnte diesen Selbstmord kaum rätselhaft finden. Heinrich Stieglitz zählte zu jenen bedauernswerten Mittelmäßigkeiten, die durch glänzende Examina zu unberechtigtem Ehrgeiz verleitet werden. Er übernahm sich in künstlerischen Plänen, denen seine Kraft nicht gewachsen war. Seine stolze junge Frau teilte diese unfruchtbaren Qualen einige Jahre hindurch. Dann

ward ihr klar, daß der Mann ihrer Wahl ihren Idealen nicht ent= sprach, und sie vermochte die Enttäuschung nicht zu überleben. Um den Geliebten zu schonen, vielleicht auch weil sie selbst in krankhafter Selbsttäuschung befangen war, verhüllte sie dann die weiblichen. Beweggründe ihres Entschlusses mit starkgeistigen Worten. Gleich den meisten Selbstmorden war auch dieser der Schwäche, dem Kleinmut entsprungen. Ganz Berlin aber betrachtete Charlotte Stieglit als eine Heldin und fand in ihrer That die Offenbarung eines geistigen Opfermuts, ein litterarisches Märtyrertum. Der Ge= lehrte Böckh feierte in griechischen Distichen die neue Alceste, die zum Heil des Gemahls freiwillig zum Hades hinabstieg.“

Aus Heimweh.

„Olieb, so lang du lieben kannst,
Olieb, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!“

Das Heimweh nach dem abgeschiedenen Gatten treibt nicht selten den überlebenden Teil, freiwillig den Tod zu suchen. Ein siebzigjähriger Greis hat sich unlängst auf dem Grabe seiner Gattin erschossen. Das Band der Gewohnheit war zerrissen, die Lebensgefährtin, die stets um ihn gewesen war, ihn mit zärtlicher Sorgfalt auf Schritt und Tritt umgeben, seine kleinen und großen Sorgen alle geteilt, ein Stück seines eigensten Lebens gebildet hatte, war ihm geraubt. Da empfand der Arme eine Lücke in seiner Seele, eine Verlassenheit und Verwaisung, die nichts auszufüllen vermochte. Hätte er Gott mehr geliebt als sein Weib, diese nicht in eitler Menschenvergötterung zu seinem Gözen gemacht, so wäre sein Leben nicht mit ihr in den Tod sortgerissen worden, er hätte Halt in sich und in seinem Gotte gefunden. So würde ein strenger Christ sprechen, sowohl in diesem Falle, als in dem der Gattin Panigas. Es ist bekannt, daß der bulgarische Major Paniga, weil er sich zugunsten Rußlands in eine Ver

schwörung wider den Fürsten Ferdinand einließ, von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt und auf Befehl des Prinzen am 28. Juni 1890 zu Sofia erschossen worden ist. Seine überlebende Gattin trug an diesem schmerzlichen Verluste so schwer, daß sie eines Tags eine der Pistolen ihres Gatten ergriff und sich durch die Brust schoß. Man brachte die Todwunde in ein Spital, wo es den Ärzten gelang, vorerst ihr Leben zu retten. Aber ach, den Tod, der ihr im Herzen sigt, vermögen sie nicht zu bannen!

*

„Die Liebe höret nimmer auf!“

In den Weihnachtsfeiertagen 1890 weilte zu Feuerbach bei Stuttgart der in Bayern dienende Soldat D. Er scheint in diesen Urlaubstagen entweder sein Gewissen belastet oder sich in der alten Heimat fremd gefühlt und eine Anwandlung von Heimweh nach seiner verstorbenen Mutter empfunden zu haben kurz, er begab sich am 27. Dezember auf das Grab seiner Mutter und schoß sämtliche Kugeln seines Revolvers auf sich ab.

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War es Schuldgefühl oder Heimweh oder beides, was den Gerichtsvollzieher K... zu Neustadt in Bayern bewog, sich auf dem Grabe seiner ersten Ehefrau zu erschießen? Der als hu= maner Beamte beliebte Mann scheint sich in schwerer Seelennot befunden zu haben, da er den Abschiedsbrief an seine Familie verfaßte, den man auf seinem Tische fand. „Meine teuren Kinder", hieß es u. a. darin, wenn ihr diese Zeilen leset, so ist euer Vater nicht mehr unter den Lebenden. Warum ich den traurigen Schritt thue, den die Welt so hartherzig verdammt, das wißt ihr leider nur allzu gut. Eure gute Mutter war mir durch ein grausames Geschick entrissen worden; da wollte ich euch eine zweite Mutter geben, die mir und euch einigermaßen unsern schmerzlichen Verlust ersetzen möchte. Leider sind unsere Wünsche nicht in Erfüllung gegangen, selbst die Äußerungen des Heimwehs nach der Unvergeßlichen sind uns in bitteren Worten mißdeutet worden. Der Hölle, wozu mein Haus für mich geworden ist, will ich entrinnen. Am Grabe eurer Mutter wird man meine Leiche finden, denn mit ihr möchte ich wieder ver

einigt werden. Gott wird mir vergeben, was ich in Betrübnis und Verzweiflung gefehlt habe. Er wird euch Verwaisten ein Vater und Versorger sein; lebet wohl, lebet ewig wohl! Mein Segen sei über euch! Euer zum Tode betrübter Vater."

Aus Liebeskummer und Eifersucht.

„Ein Minnen ohne Gotteslieb',
Das ist ohn' Duft ein Fliederstrauch,
Das ist ein Baum ohn' Blättertrieb,

Ein Frühling ohne Klang und Hauch,
Das ist ohn' Perlengrund ein See,
Ein Sommerhimmel sternenleer,

Das ist ein süß verblutend Weh!

Oliebe mich toch Gott noch mehr!"

(D. v. Redwitz.)

Zu Sprottau in Schlesien war gegen Weihnachten 1890 ein Offizier in einem Gasthofe abgestiegen, der sich kurz nach seiner Ankunft daselbst erschoß. Am 4. Februar erschien dort eine junge Dame aus Berlin in Trauerkleidung, die sofort einen Kranz auf dem Grabhügel des Selbstmörders niederlegte. Kaum in den Gasthof zurückgekehrt, tötete sie sich gleichfalls durch einen Revolverschuß. Es war eine Klavierlehrerin aus Berlin. Weil man nicht nach dem Gelüste des selbstsüchtigen Herzens leben und lieben konnte, so verzichtete man lieber trozig auf das Leben selbst.

Gottlob, haben schon viele den Liebesschmerz in stiller Ergebung überwinden lernen und sich aus der Tiefe des Leidens emporgerungen! Und es ward ihnen zum Heil: es riß sie nach oben! Sursum corda maerore attrita! *)

Der Herzog von Rivol, der zu Nizza einen prächtigen Palast bewohnt, hatte einen Kammerdiener, der von Liebe zu der Zofe der Herzogin entbrannt war. Da sie jedoch die Liebeswerbungen des jungen Mannes, dessen Leidenschaft sie mit Grauen erfüllte, beharrlich zurückwies, so griff er im Zorn zur Pistole

*) Aufwärts die fummerbelasteten Herzen!

und tötete erst das Mädchen, dann sich selbst. Das geschah am 9. März 1891.

Daß auch Alter nicht vor Thorheit schüßt, mit Anwandlungen sinnlicher Liebeslust nicht durchaus verschont wird, das beweist der Fall eines dreiundsiebzigjährigen Rentners in Berlin. Derselbe hatte sich in eine Schauspielerin verliebt und ihr, ohne schamrot zu werden, seine thörichte Leidenschaft ge= standen. Da ihn die junge Dame spöttisch abwies, so suchte er den Tod, indem er sich die Pulsader der linken Hand öffnete. Er starb am 15. Februar 1891. Hätte ihn der Spott des jungen Mädchens nicht zur Besinnung zurückrufen können? So aber trat er im Taumel seiner sündlichen Leidenschaft hinüber in die Welt, wo Buße nicht mehr möglich ist. Das Hinfahren in seinen Sünden stellt schon der englische Dichter Shakespeare, der den Glauben an Jenseits und Gericht als kräftiges Motiv in seinen Trauerspielen verwendet hat, als ein entsetzliches Los dar.

Am 28. Februar 1891 feuerte ein Baugewerbeschüler V. in Gotha in einer Gastwirtschaft auf die Tochter des Wirtes und verwundete dieselbe, glücklicherweise ungefährlich. Darauf erschoß er sich selbst und war auf der Stelle tot. Unlautere Liebe führt zur Eifersucht, diese zum Mord.

In den Nehen der königlichen Buhlerin.

Der römische Feldherr Antonius, dem nach dem siegreichen Kampfe mit den Mördern des Julius Cäsar die Herrschaft über den Orient zugefallen war, geriet bei seiner Ankunft in Ägypten in die Neße der bezaubernden Königin Kleopatra, der Witwe eines Ptolemäerfürsten. Seine Macht und seine Schäße teilte er mit diesem Weibe, das er anbetete; selbst seine Ehre, seinen Kriegsruhm brachte er ihr zum Opfer. Die Herrschaft über das Morgenland lag thatsächlich in ihren Händen; er selbst, der stolze Römer, erniedrigte sich zu ihrem Sklaven. Als er besiegt nach Alexandria heimkehrte, als sein Stern zu erbleichen begann, da wandte sich das treu und ehrlose Weib von ihm, dem aufgehenden Stern des Siegers Oktavian zu, entschlossen, diesen in

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