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Aus Goldgier und Spielwut.

1. Zu Monte Carlo, oder: Paradies und Hölle.

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„Wir sind nicht mehr in Europa, sind mitten im schwarzen Erdteil, das sagt uns die warme Luft, die üppige, fast tropische Vegetation: die Agaven mit dem Riesenblütenstamm, die Opuntienkaktus mit den goldglühenden Blütenflammen, die baumartigen Heiden, Rieseneuphorbien, Riesenkaruben, der weihrauchduftige Lentiscus, der mannshohe leuchtende Ginster, die wilden Granat= bäume, die schwellenden Formen, die glühenden Farben allüberall! Und wo die Natur sich nicht gleich willig fügen wollte, da hat die Menschenhand nachgeholfen und das verschwunden gewähnte Paradies aus dem Boden gezaubert." Steigen wir die Nampe von der Bahnstation Monte Carlo empor! Wir gelangen zum „Kasino“, einem feenhaften Prachtbau, wie ein zweiter sich in ganz Europa nicht finden dürfte. „Stehen wir vor dessen Eingangsthür, so haben wir rechts das Riesenhotel de Paris, links das Grand café, in der Mitte einen Springbrunnen, im Rücken blumenduftige Gartenanlagen." Wir treten in den mit kaiserlicher Pracht ausgestatteten, äußerst geschmackvollen Konzert- und Theatersaal. Hier finden Konzerte statt, ausgeführt von achtzig Virtuosen. Aber ich brauche Ruhe und Erholung und ziehe mich in den mit Divanen besetzten Lesesaal zurück, wo die große Welt durch ihre größten und kleinsten Journale vertreten wird. Ich darf das alles genießen, auch wenn ich keinen Sou in der Tasche habe, denn es ist alles gratis, aber der Köder auf der Leim

rute! Wir betreten die Spielfäle. Neue Pracht in maurischem Stil! Dieser erste Saal, in dem zwei große der Roulette ge= weihte Tische stehen, ist hoch und luftig; einen köstlichen Blick gewährt die Ausschau durch die Fenster, vor denen sich das Küstenparadies entfaltet. Fast noch üppiger ist der zweite Saal; auch hier schönste orientalische Ornamentik. Weiterhin der Saal der Pas - Perdus, über dessen Pforte das furchtbare Dantesche , Laßt alles Hoffen, ihr, die ihr hier eintretet!' stehen sollte. „Es ist ein Theatersaal, zu einem Bal-masqué geschmückt, denn hier trägt jeder eine Maske; hier werden mit Blumen im Haar und lachenden Worten endlose Trauerspiele gespielt."

Und nun die Spieler! Die einen versuchen ihr Glück auf den Rouletten, wo auch Fünffrankenstücke genügen, die andern auf den grünen Tischen des Trente-et-quarante-Saales, wo nur Napoleons erlaubt sind. Studieren wir die Gesichter der Spieler, die vom hellsten Gaslichte angestrahlt sind. In dem Winkel des Auges zuckt die Gier, um die Nasenflügel bebt die Angst, um die Lippen zittert die bange Erwartung. Die Zähne sind zusammengebissen, die Hände gekrampft, das Gesicht erbleicht; aber es zwingt sich zu einem verächtlichen Lächeln, wenn der Croupier kalt die zehn-, zwanzig-, dreißigtausend Franken einstreicht. Wer seine Verzweiflung durch Ausrufe oder Haarraufen zu erkennen giebt, ist ein Neuling, ein Anfänger, der imstande wäre, die Dummheit eines Selbstmordes zu begehen - ein Fall, der den Leitern des Instituts stets ge= waltigen Ärger verursacht."

Und nun ein Wort von den Herren und Gründern dieser verführerischen Herrlichkeiten! Die Herren sind die Nachkommen des dunkeln Geschlechts der Grimaldi, die Glieder des Fürstenhauses v. Monaco, eines Gebietes, das unter französischer Oberhoheit steht. Als im Jahre 1848 der Fürst Florestan seine Macht und seine Hilfsquellen auf die Felsen des alten Piratennestes Monaco beschränkt sah, da verfiel er auf den Gedanken, dort eine Spielbank zu gründen. Der unselige Plan war alsbald mit Glück gekrönt, sonderlich als Herr Louis Blanc, dem es in Baden-Baden und Homburg schwül geworden war, Hilfe seiner dort gewonnenen Millionen ein Paradies auf die

mit

Felsen hinzauberte. Die Familie des Spielpächters Blanc wetteifert im Reichtum mit dem Fürstenhause, dessen Mitglieder ihre Schäße in Paris vergeuden und selten in ihrem Felsenschloß von Condamine weilen. „Seinem Gold", fährt W. Kaden in seiner „Riviera“ (Stuttgart, W. Spemann) fort, „haftete kein Makel an, ebenso wenig seinen Töchtern, um die sich Prinzen rauften. Fürst Radziwill heiratete die eine, Prinz Roland Bonaparte die andere. Als Blanc starb, hinterließ er sechzig Millionen, die täglich und jährlich durch neue vermehrt werden." Dieses Monaco ist das Paradies der Natur und der Kunst, aber es steckt eine Hölle darin: „garstige Flecke auf dem glänzenden Marmor; mitten durch die Jubelklänge der weltberühmten Kasinokonzerte vernehmen wir die Flüche und Verwünschungen der Verzweiflung und hören Schüsse krachen, und das reizende Paradies Monaco wird zur Opferstätte, das prächtige Kasino zum Tempel einer blutgierigen Göttin.“

Im nahen Mentone war lange ein Gemälde zu schauen: „Die Hölle von Monte Carlo", rechts eine Roulette mit den Wappen der Radziwill und der Bonaparte, ringsum winden sich die schauerlichen Leichen der Selbstmörder. Der geöffnete Fels zeigt den Eingang zu einer feuerflammenden Höhle, und der Teufel lädt einen langen Zug von Personen, der von Monte Carlo herabkommt, zum Eintritt ein. — Und sie nahen: Voran der Portier, dann in schwarzen Gewändern als Skelette Herr Blanc und sein Associé, Madame Blanc in blühender Gesundheit, hierauf ihre Familie; endlich der jezige Spielpächter, zulegt „Aktionäre, Croupiers mit Harken auf den Schultern: alle Figuren porträtähnlich. Die Landschaft giebt getreulich die schöne Bucht wieder mit allen Villen im dunkeln Grün; aber Wolken ziehen herauf, und aus einer zuckt ein Blitz, der einen Turm des Kasinos und das benachbarte Hotel zerschmettert".

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Nahe liegt die Frage, wie es komme, daß die französische Republik innerhalb ihres Gebietes eine so verderbliche Spielhölle dulde. Eine Antwort auf diese Frage giebt das Journal ,,XIX. Siècle". Seiner Mitteilung zufolge zahlt der Schwiegerjohn der Madame Blanc, Prinz Roland Bonaparte, an die

Pariser Presse jährlich 1100000 Franken Schweigegelder. Der „, Soleil", „République Française" erhalten ca. 40 000 Frs., ,,Figaro" 80 000 Frs., das „, Petit Journal" 25000 Frs. 2c. Wenn die einflußreiche Presse sich solchermaßen bestechen läßt, so werden wohl Regierungsmänner und Parlamentsmitglieder sich auch nicht allzu streng erweisen. Deutschland hat längst, dem Andrängen der öffentlichen Meinung weichend, die Spielhöllen von Homburg und Baden-Baden aufgehoben und so einen umsichgreifenden Krebsschaden aus dem Volksleibe ausgeschnitten. Die französische Republik dagegen belastet ihr moralisches Konto fort und fort mit der Duldung dieses Völkerfluches: das viele zu Monte Carlo vergossene Blut, das zum Himmel schreit, wird über die Beschüßerin der Piraten von Monaco kommen! Die Mittel zur Bestechung der Presse und zur Irreleitung der öffentlichen Meinung sind freilich dort reichlich vorhanden: hatte die Spielbank im Jahre 1878 nur zwanzig Millionen zuwegegebracht, so beliefen sich deren Einnahmen im Jahre des Heils 1890 auf die fabelhafte Summe von neunzig Millionen. Judas der Verräter hat das Sündengeld, das ihm des Herrn Feinde ausbezahlten, weggeworfen, und selbst Pharisäer und Sadduzäer wiesen es von der Tempelkasse zurück mit den Worten: „Es ist Blutgeld und taugt nicht in den Gotteskaften!" Die Grimaldi von Monaco aber können die Blutflecken nicht entdecken, welche an ihrem Golde kleben!

II. Mißbrauch, fluch und Segen des Goldes.

Auf der Promenade du Midi im nahen Mentone erging sich die Fremdenkolonie, deren Glieder unter diesem milden Himmelsstrich Genesung von Brustleiden oder Zerstreuung für den ge= langweilten Geist suchten. Die Wellen des Mittelmeeres spielten herein in die vielgebrochene Bucht, an der sich die Unterstadt hinzieht; mit leisem Gemurmel erstarben sie auf dem flachen Strande, an dem sich die Straße entlangzieht. Weiche Lüfte, teils vom Gebirge, teils von der See her wehend, umschmeichelten die Lustwandelnden; ein tiefblaues Firmament wölbte sich über dem entzückenden Landschaftsbilde und über der üppig-wuchernden Pflanzen

welt wie den Zitronen-, Olivenhainen und Weinbergen, auf deren Pflege die Mentonesen den angestrengtesten Fleiß verwenden. Hotel an Hotel, eines prächtiger als das andere, umsäumen diesen Uferstrich, daß der erstaunte Fremdling nicht weiß, ob er der entzückenden Schönheit der Natur oder der wunderschaffenden Kunst der Menschen den Preis zuerkennen soll. An einer Stelle dieser reizvollen Promenade gewahren wir eine Gruppe von Personen; ihre Sprache verrät sie als Kinder Albions. Denn Mentone muß man wissen ist eine fast ganz englische Kolonie. Auf allen Ausflügen, auf allen Höhen, in allen Thälern hört man nichts als Englisch sprechen, erblickt man die langwehenden blonden Haare der jungen und alten Misses, die steifen „Cotelettes" der noch steiferen Gentlemen. Mr. Oliphant schaute düster drein. Von Zeit zu Zeit setzte er seinen Binocle an das Auge und blickte wie suchend auf das weite Meer hinaus.

„Siehst du nichts, mein Teurer?" flüsterte ihm eine ältliche Dame angstvoll zu, an welche sich zwei jugendliche Blondinen drängten, in deren Gesichtern sich die Züge einer tiefen Erregung erkennen ließen.

„Weißt du gewiß," redete der Vater in gebrochenem Italienisch einen zerlumpten Sardinenfischer an, der sich in seiner Nähe hielt, „weißt du gewiß, daß man den jungen Herrn, dessen Gestalt ich dir beschrieben, als Mister Oliphant anredete?"

„Gewiß, Signore", erwiderte dieser und wiederholte mit südlich-lebhaftem Gebärdenspiel und in einer Flut von Worten, was er der angsterfüllten Familie gestern schon berichtet: wie zwei junge Herren zu ihm herangetreten seien, wie der eine seine Gondel gemietet habe und allein hinausgefahren sei indem er dem scheidenden Begleiter ein trauriges Goodbye zugerufen habe.

„Ich vergaß“, sezte der Mann wie erschrocken hinzu, „den Brief, den Brief." Dabei suchte er hastig in einer Tasche seiner Jacke, die er über seine Schulter geworfen hatte. Endlich zog er ein zerknittertes Papier heraus und überreichte es dem Herrn. Indeed", rief dieser bestürzt aus, „die Schriftzüge unseres teueren Francis!"

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Jammernd umdrängten ihn die Frauen und lauschten dem

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