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Zweiter Vortrag.

Maisch, Durch eigene Hand.

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Der Peffimismus und der Selbstmord.

„Such nicht den Troft des Glaubens in der Philosophie; Wer Gott erst suchen mußte, der fand ihn wahrlich nie!“

Arthur Schopenhauer, jener bestechende Schriftsteller, der den Pessimismus, die Weltanschauung, wonach die gegenwärtige Weltgestaltung die schlimmste aller denkbaren sein soll, mit philosophischen Gründen zu stützen versuchte, hat den Selbstmord verteidigt, zugleich aber auch als ein zweckwidriges Unterfangen verurteilt. Der Selbstmord erscheint ihm als ein Vorrecht des Menschen vor dem Tiere; denn er sagt: „Dem Menschen allein hat die Natur zum Ersatz für drückende geistige Leiden. das Vorrecht verliehen, sein Leben, auch ehe sie demselben ein Ziel sezt, beliebig enden zu können und nur, so lange er will (nicht wie das Tier, so lange es kann), zu leben." Die Frage, ob wir das Recht haben, uns das Leben zu nehmen, bezeichnet Schopenhauer als eine sinnlose; denn, schreibt er in seinen „,Parerga und Paralipomena", offenbar hat jeder auf nichts in der Welt ein so unbestreitbares Recht wie auf seine eigene Person und sein eigenes Leben. Und daß der, welcher für sich selbst nicht mehr leben mag, nun noch als bloße Maschine zum Nutzen anderer fortleben solle, das erscheint ihm als eine überspannte Forderung.

Über Empfänglichkeit und Anlaß zum Selbstmorde äußert er sich folgendermaßen: „Der blinde Wille, der sich als Lebenstrieb, Lebenslust, Lebensmut äußert, ist es allein, was das Puppenspiel der Menschenwelt in Bewegung setzt und erhält. Das Schwachwerden dieser Lebensluft zeigt sich als Hypochondrie,

Spleen, Melancholie, ihr gänzliches Versiegen als Hang zum Selbstmord, der bei dem geringfügigsten, ja bei einem bloß eingebildeten Anlaß eintritt, indem jezt der Mensch gleichsam Händel mit sich selbst sucht, um sich totzuschießen; sogar wird zur Not ohne allen besonderen Anlaß zum Selbstmord gegriffen. Wenn eine krankhafte Stimmung des Nervensystems oder der Verdauungswerkzeuge einer angeborenen Dyskolie (Verdrießlichkeit) in die Hände arbeitet, dann kann lettere den hohen Grad erreichen, wo dauerndes Mißbehagen Lebensüberdruß erzeugt und demnach Hang zum Selbstmord entsteht. Diesen vermögen alsdann selbst die geringsten Unannehmlichkeiten zu veranlassen: ja bei den höchsten Graden des übels bedarf es derselben nicht einmal, sondern schon das anhaltende Mißbehagen führt zum Selbstmord.

Allerdings kann nach Umständen auch der gesündeste und vielleicht selbst der heiterste Mensch sich zum Selbstmord entschließen, wenn nämlich die Größe der Leiden oder des unausweichbar herannahenden Unglücks die Schrecken des Todes überwältigt. Es giebt unzählige Abstufungen der Selbstmordfälle (zwischen den aus krankhafter Steigerung des angeborenen Mißbehagens entspringenden und dem des Gesunden und Heiteren ganz aus thatsächlichen Gründen). Die Motive zum Selbstmorde sind so höchst verschieden, daß wir kein Unglück angeben können, das groß genug wäre, um denselben bei jedem Charakter herbeizuführen, und wenige, die so klein wären, daß nicht ähnliche ihn schon herbeigeführt hätten.

„Im ganzen wird man finden, daß, sobald die Schrecknisse des Lebens die des Todes überwinden, der Mensch seinem Leben ein Ende macht. Der Widerstand der Schrecken des Todes ist jedoch ein bedeutender; sie stehen gleichsam als Wächter an der Ausgangspforte. Inzwischen ist der Kampf mit diesen Wächtern in der Regel nicht so schwer, und zwar wegen des Widerstreits zwischen geistigen und körperlichen Leiden. Starke geistige Leiden machen uns gegen körperliche unempfindlich. Dies erleichtert den Selbstmord. Denen, die durch rein krankhafte tiefe Mißstimmung zum Selbstmord getrieben werden, kostet er gar keine Selbstüberwindung."

Bezüglich der Beurteilung des Selbstmordes läßt sich unser schwarzsehender Philosoph also vernehmen: „Zu den täglich von Unzähligen mit Selbstgenügen nachgesprochenen Irrtümern gehört auch der Sat: Selbstmord ist eine feige Handlung." „Der weder durch die Bibel noch durch triftige Gründe unterstützte Eifer der Geistlichkeit monotheistischer, d. h. jüdischer Religionen, gegen den Selbstmord scheint der zu sein, daß das freiwillige Aufgeben des Lebens ein schlechtes Kompliment ist für den, der gesagt hat: es war alles sehr gut (der Schöpfer). Es wäre also der obligate Optimismus (der unsere Welt als die beste auffaßt) dieser Religionen, welcher die Selbsttötung anflagt, um nicht von ihr angeklagt zu werden.“ „Worauf gründet sich", fragt Schopenhauer weiter, die Bewunderung des Selbstmordes? Aus der allem Lebenden innewohnenden Todes= furcht, dem natürlichen Grauen vor dem Tode, erklärt sich u. a. das mit einer gewissen Bewunderung verknüpfte Erstaunen, welches diese Handlung selbst in denkenden Köpfen hervorruft, weil dieselbe der Natur alles Lebenden so sehr entgegenläuft, daß wir den, der sie zu vollbringen vermochte, in gewissem Sinne bewundern müssen."

Als den allein triftigen moralischen Grund gegen den Selbstmord läßt der Philosoph des Pessimismus, der als höchstes moralisches Ziel „die Verneinung des Willens zum Leben“ aufstellt, nur die Thatsache gelten, daß der Selbstmörder der wirklichen Erlösung aus dieser Welt des Jammers eine bloß scheinbare unterschiebt. Weit entfernt, Verneinung des Willens zu sein, ist der Selbstmord vielmehr eine Erscheinung starker Bejahung des Willens. Er will das Leben und ist bloß mit den Bedingungen unzufrieden, unter denen es ihm geworden ist. Der Selbstmörder gleicht einem Kranken, der eine schmerzhafte Operation, die ihn von Grund aus heilen könnte, nicht vollenden läßt, sondern lieber die Krankheit behält. Er weist das Leiden, statt es zum Beruhigungsmittel für den Willen werden zu lassen, von sich, indem er die Erscheinung des Willens, den Leib, zerstört, damit der Wille ungebrochen bleibe. Deswegen verdammen beinahe alle Ethiken (Sittenlehrsysteme), philosophische,

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