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Krankenpflege im preußischen Heere während der Feldzüge von 1864 und 1866 mit beispielloser Hingebung gewidmet hatte, am 16. Februar 1868 im Mutterhaus Bethanien zu Berlin nach sehr schwerem Leidenskampfe entschlief, da nannte ein Freund ihren Tod einen Heldentod. Das Hungerfieber, welches in Ost= preußen ausgebrochen war, rief „Mutter Anna“ dorthin. Am 17. Januar 1868 war sie mit zwei Schwestern in das dort gelegene arme, furchtbar heimgesuchte Städtchen Rhein geeilt. Niemand war da zur Pflege; die beiden Ärzte des Städtchens lagen selbst am Typhus darnieder. Da traf die Oberin von Bethanien wie ein rettender Engel ein. Vier Tage verwendete sie auf Ordnung der Lazarettpflege. Sie stieg hinab in die Brutstätten der Krankheit, in die verpesteten Höhlen und Behausungen und setzte die Trennung der Kranken von den Gesunden, Reinigung, Lüftung und Heizung der Gelasse durch. Unwohl, den Todeskeim in der Brust, kam sie nach Bethanien zurück; mit heiterer Seelenruhe sah sie ihrem ersehnten Ende entgegen. Sie hat ihr Leben gelassen für ihre Brüder und Schwestern!

Ihr Beispiel, wie das Beispiel der Elisabeth Fry, der Amalie Sieveking u. a. deutet unseren heutigen Frauen und Jungfrauen, die ihrem Leben einen edlen und bleibenden Inhalt geben wollen, das Arbeitsfeld an, wo sie im Dienste der leidenden Menschheit sich bethätigen und ihren Herzen Befriedigung schaffen können. Bei solchem Thun findet das weitverbreitete Seelenleiden der Melancholie, Blasiertheit und des Lebensüberdrusses keine Stätte.

Gegenmittel gegen die Versuchung zum Selbstmord.

Wenn es mir gelungen sein sollte, in den Herzen meiner Zuhörer die Gefühle der Teilnahme und der Besorgnis, wie den Drang zur Selbsterkenntnis zu erwecken, so liegt Ihrerseits die weitere Frage nahe: wie können wir bei andern und bei uns selbst der Versuchung zu dieser schrecklichsten der Sünden begegnen?

Vor allem dürfte es sich empfehlen, in Wort und Schrift den Selbstmord als eine Versündigung an Gott, an den Nebenmenschen und an sich selbst zu kennzeichnen. In beklagenswerter Begriffsverwirrung hat man sich nicht damit begnügt, sich des Richtens und der Schmähung zu enthalten, sondern hat diese Sünden als Thaten des Mannesmutes gefeiert und besungen, da sie doch sicherlich nur Akte von Feiglingen sind, die den Übeln des Lebens nicht standhalten mögen, sondern eigenmächtig ihren Posten verlassen und die Flinte in das Korn werfen. Brandmarkt man demgemäß den Selbstmord als eine Sünde und als eine Schmach, so wird dieses Vergehen andern wenigstens nicht mehr als nachahmungswerter Heroismus erscheinen. Man wecke das heilige Gefühl der Furcht vor Gott und vor dem Gericht nach dem Tode! Wer noch an eine Ewigkeit und Vergeltung glauben kann oder gar muß, der wird sich vor diesem äußersten Schritte scheuen. Schaffet Religion in das verirrte, ungewarnt in seinen Lüsten forttaumelnde Volf, und haltet demselben Gottes heilige, ewige Gesetze vor, die niemand ungestraft

übertritt! Verbreitet das Wort Gottes, daß sich dessen Geist an den Herzen bezeuge und sie strafe über alles sündliche Wesen! Ja, meine Verehrten, so verachtet und gemieden auch in vielen Kreisen, besonders der Gebildeten, die Religion, die Bibel, die Kirche sind - ich kann Ihnen mit Überzeugung keine wirksameren Schutz und Heilmittel nennen, als die Lehre und den Weg Christi, der Apostel und Propheten! Es ist fürwahr in keinem andern Heil als in Christus, dem Lebens- und Friedensfürsten, der nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er lebe, ja ewiges Leben erlange. Man rühmt in unsern Tagen so viele Heil- und Schutzmittel an, aber wo sind die gegen die Selbstmordepidemie wirksamen Mittel? „3st denn keine Salbe in Gilead? Ist kein Arzt da? Warum ist denn die Tochter meines Volks nicht geheilt?" so möchte man mit Jeremia fragen. Kann der Liberalismus, die soziale Emanzipation retten „das, was sterben will?" Sind die Werke der Kunst, Schauspiele und Schaugepränge, Meisterwerke von Ton- und Wortdichtern, von Malern und Bildnern, sind Vergnügungen und Sinnesfreuden Arzeneien für die Sterbensmatten, gegen die Todessehnsucht, gegen den Hang und Drang zur Selbstvernichtung? Nimmermehr! Diese Weltmächte alle steigern in uns nur den Weltsinn mit seinen Illusionen, die Sündenlust mit ihrem Lug und Trug, mit ihrer verderblichen Leidenschaft!

Die heilige Schrift redet mit bedeutungsvollem Nachdruck von einem Taumelbecher, aus dem die Völker der gottentfremdeten Heidenwelt trinken, daß sie mit sehenden Augen nicht sehen, mit hörenden Ohren nicht hören und am lichten Tage der Gottesoffenbarung die Wahrheit nicht erkennen. Solche Taumelbecher schenkt auch die Welt ihren Kindern voll ein und tränkt sie damit, daß sie im natürlichen und bildlichen Sinne des Wortes in beständiger Trunkenheit dahingehen, straucheln und fallen. Wie verbreitet ist heutzutage die Trunfsucht, die Unmäßigkeit, die Nasch- und Schleckerhaftigkeit in Essen und Trinken! Mehr als je steht der Wahlspruch des Materialismus in Geltung: lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot! Mit dieser leiblichen oder vielmehr fleischlichen Trunkenheit geht Hand in

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Hand die geistige, da man in den Gütern und Genüssen von scheinbar geistiger Art schwelgt. im Natursinn aufgeht, den klaren Blick, das unbestechliche Wahrheitsgefühl und Urteil verliert, sich in Illusionen und falschen Idealen wiegt, in einen Wahnglauben einschläfern läßt und haltlos, unselbständig dem großen Haufen nachredet und nachläuft. Zur Nüchternheit mahnt der Heidenapostel Paulus seine vom Götterdienst sittlich und intellektuell irregeleiteten Leser und Hörer, und meint damit ebenso sehr die Enthaltung von Saufgelagen, Zechen und Kammern der Unzucht", die leibliche Mäßigkeit, als die Tugend, da man mit neuen, richtig gestellten Augen die Dinge um sich her, den eigenen Zustand, die Wahrheit über sich wahrhaft erkennt und alle Täuschungen des Weltsinns, der Selbstliebe, Menschenfurcht und Menschengefälligkeit wie einen Nebel zerstreut. Nicht umsonst hat Jesus zu Gethsemane vor der Stunde der Gefahr und Entscheidung seine lieben Getreuen zur Wachsamkeit und zum Gebete ermahnt. Wollen wir uns vor der Versuchung bewahren, die uns bald allmählich beschleicht, bald unversehens überfällt, so müssen wir wachen über die Regungen in unserem Innern, daß nicht allerlei Lüste und Begierden darin zur Herrschaft gelangen. Den guten Geist, der uns auf guten Wegen erhalten kann, müssen wir uns durch fleißiges Beten vom Geber aller guten Gaben Tag für Tag schenken laffen.

Verehrte Versammlung! In Ihrer Mitte befinden sich zahlreiche Väter und Mütter. Nur mit schwerer Sorge können Sie an die Zukunft Ihrer Söhne und Töchter denken, wenn Sie beobachten, welch' ein Geist der Begehrlichkeit, Genußsucht, Selbstvergötterung, Unbotmäßigkeit und Frechheit sich in unserer Jugend breit macht. Wenn in Berlin binnen Jahresfrist sich 300 Schüler den Tod gegeben haben, und zwar aus den nichtigsten, leichtfertigften Gründen, so haben alle Eltern Ursache zur Besorgnis und Wachsamkeit. Möge diese sich in einer Umkehr zu strengeren Erziehungsgrundsägen bethätigen! Treten wir den maßlosen Ansprüchen in Speise, Trank und Kleidung ernst entgegen, gewöhnen wir unsere Jugend an Einfachheit und Mäßigkeit, vor allem an Demut und Bescheidenheit! Die Eitelkeit und Gefall

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sucht, die Selbstüberschätzung führen leicht zu der Manie des Größenwahns, und wo sie verlegt werden, zum Selbstmord. Gewöhnen wir sie an Arbeitsamkeit, denn Müßiggang ist wirklich aller Laster Anfang. Vergönnen wir dem Hang zu schnöder Weichlichkeit keinen Raum; denn gerade die weichen, empfindlichen Seelchen vermögen den Stößen und Stürmen des oft wildbewegten Lebensozeans am wenigsten Widerstand entgegenzusetzen; es mangelt ihnen die stramme Zucht, die Kraft zur Selbstbeherrschung und zur Verleugnung der Wünsche und Wünschlein des begehrlichen Herzens. Wie ein begabter, edelgesinnter Jüngling bei großer Empfindsamkeit und Gefühlsschwelgerei innerlich und äußerlich zugrund gehen und im Selbstmord enden kann, das hat Goethe in mustergültiger Weise in Werthers Leiden" beschrieben, freilich nicht in so ernster und abschreckender Darstellung, daß nicht viele das schlimme Beispiel des Romanhelden nachgeahmt hätten. Vor allem geben wir selbst unserer Jugend das Beispiel ernster Lebensanschauung und Lebensführung! Das Leben eine Gabe Gottes, ein anvertrautes Pfund, womit wir als Menschen, Bürger und Christen wuchern sollen; der Beruf das, wofür man nötigenfalls sein Leben einzusetzen hat! Sie kennen die merkwürdige Devise der Holländer, jener kleinen Nation, die durch Schiffahrt und Handel so groß geworden ist. Dieser Wahlspruch lautet:,,Navigare necesse, vivere non est", zu deutsch: „Schiffahrt treiben ist notwendig, leben nicht.“ So spricht der Geist der treuen Selbstaufopferung in Erfüllung der Berufspflicht. Da lebt man, um zu wirken, wirkt, solange der Lebenstag währt, und tritt erst ab, wenn der abruft, welcher uns auf den Posten gestellt hat. Ein so abgehärteter, pflichttreuer und tapferer Kämpfer ist allein der vom Geist Christi durchdrungene Mann. Er kann mit dem Dichter, dem christlichen Kriegsmanne, sprechen:

„Ich ginge gern, so gern zu dir!
Doch wenn du mich noch länger hier
In Sturm und dunklen Nächten läßt,
So halt' du meine Seele fest,
Daß sie in Sturm und Nächten treu,
Zu deiner Ehre wacker sei,

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