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In der neuesten Zeit ist in Rückwirkung gegen diese Richtungen mehrfach der Versuch gemacht den Streit des Glaubens und Wissens durch das Zurückgreifen auf die Autorität der Kirche zu schlichten. Eine Frau Eleonore Ziemiecka (Sjemientzka) gründete dazu 1842 eine Zeitschrift: »Der Wanderer und bot 1857 einen Abriss der kath. Philosophies; sie fand Anhänger an Felix Kotztowski (Christl. Philos. 2 Bde. 1845) und Maximilian Jakubowicz (Christl. Lebensphilos. 3 Bde. 1852), die zugleich von Günther'schen Anschauungen ausgingen, bevor dessen Philosophie 1857 von Rom verurtheilt war. Als der bedeutendste in dieser Richtung wird Prof. Alex. Tyszynski genannt, ders. schrieb Aufsätze u. Krit. 1854 u. Grundprincipien der allg. Kritik. 2 Bde. 1870. Struve selbst, der seit 1863 als Professor an der Universität Warschau Philosophie in der Richtung des Ideal-Realismus lehrt, hat 1870 das schon genannte System der Logik veröffentlicht.

Wie es mit der Pflege logischer Studien in Schweden und Norwegen steht, ist aus den uns zugänglichen Berichten über die Philosophie dieser Länder nicht ersichtlich. Ein ausführliches Werk über die Philosophie in Schweden hat angefangen: Axel Nyblaeus (Prof. in Lund), das filosofiska forskningan i Sverige frän slated af adertonde århundradet, framstaelld i sitt sammanhang med filosofiens allmänna utveckling 2 Bde. Lund 1873-75; ein dritter Band soll demnächst erscheinen. Einen über die in diesen ersten Bänden dargestellte Zeit hinausgehenden kurzen Bericht gab Harald Höffding (in Kopenhagen), Die Philosophie in Schweden. Beitrag z. Kritik des speculat. Idealismus, in d. Philos. Monatsheften Bd. 15. 1879. S. 193. Zur Ergänzung desselben kann noch verwiesen werden auf einen Art. v. E. Mätzner über Christopher Jacob Boström's Philosophie, das. Bd. 3. 1869. S. 203; auf Art. v. E. G. über Schweden VIII. Etliche Züge aus d. geistigen Leben in d. Augsb. Allgem. Zeitung. Beil. Nr. 97. 98 u. 99; 1881; auf den kurzen Bericht v. K. K. Geijer, Privatdoc. in Upsala, für des Verf. Grundr. d. Gesch. d. Philos. Bd. 3. 5. Aufl. herausg. v. M. Heinze. 1880. S. 422. Ueber die Richtung der philos. Studien in den skandin. Ländern ist auch Manches zu entnehmen dem Buche des Norweg. Professors Monrad, Denkrichtungen der neueren Zeit. Bonn 1879.

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Erster Theil.

Die Wahrnehmung in ihrer Beziehung zu der objectiven Räumlichkeit und Zeitlichkeit.

§ 36. Die Wahrnehmung (perceptio) ist die unmittelbare Erkenntniss des neben- und nacheinander Existirenden. Die äussere oder sinnliche Wahrnehmung ist auf die Aussenwelt, die innere oder psychologische Wahrnehmung auf das psychische Leben gerichtet.

Das geistige

Die Wahrnehmung ist die erste und unmittelbarste Erkenntnissform, weil in ihr die Beziehung des Subjectes zu dem Objecte auf gegebenen Naturverhältnissen beruht, so dass sie keine anderen Erkenntnissformen voraussetzt, sondern allen anderen zum Grunde liegt und nur durch die Gegenwart ihres Objectes bedingt wird. Element ist in ihr noch am engsten mit der Naturbestimmtheit verflochten, und diese Verflechtung ist überall nach dem allgemeinen Gesetze der Entwickelung des Geistes (vgl. o. § 6) die frühere Form. Doch ist die Unmittelbarkeit des Erkennens im Wahrnehmen immer nur eine relative, da in ihr mit der Sinnesthätigkeit bereits viele, wenn gleich nicht einzeln in's Bewusstsein tretende, sondern nur das Gesammtergebniss mitbedingende geistige Operationen verschmolzen sind.

Von der blossen Empfindung, deren nähere Betrachtung nur der Psychologie anheimfällt, unterscheidet sich die Wahrnehmung dadurch, dass das Bewusstsein in jener nur an dem subjectiven Zustand haftet, in der Wahrnehmung aber auf etwas geht, was wahrgenommen wird, was demnach, mag es der Aussenwelt oder dem Subjecte selbst angehören, dem Acte des Wahrnehmens als etwas irgendwie Objectives gegenübersteht. Von dem Denken, durch welches, indem es die Wahrnehmungen in ihre Elemente zerlegt und diese wiederum mit einander combinirt, die mittelbare Erkenntniss gewonnen wird, ist die Wahrnehmung durch ihre (wenn schon nur relative) Unmittelbarkeit verschieden. Doch ist es gestattet, das Denken in einem weiteren Sinne zu nehmen und darunter die Gesammtheit der auf die Repräsentation irgend welcher Objectivität in unserm Bewusstsein abzielenden

(theoretischen) Functionen zu verstehen; in diesem Falle ist auch das Wahrnehmen selbst bereits als ein Denken zu bezeichnen.

Die Wahrnehmung ist in Hinsicht der Weise, wie sie geschieht, Gegenstand der Psychologie, in Hinsicht der Uebereinstimmung oder Nicht übereinstimmung ihres Inhaltes mit dem Sein aber Gegenstand der Logik als Erkenntnisslehre. Die logische Theorie der Wahrnehmung ist ein integrirender Theil der Logik der Erkenntnisslehre, nicht eine blosse psychologische Einleitung zu der Darstellung der normativen Gesetze der Denkoperationen.

Es liegt kein Widerspruch in der Annahme, dass die Wahrnehmung und das Denken durch die Dinge, wie sie an sich sind, und unsere Erkenntniss der Gesetze der Wahrnehmung und des Denkens durch unsere Erkenntniss der Dinge, wie sie an sich sind, bedingt sei. Die Meinung, es liege hierin ein Widerspruch, beruht auf der irrthümlichen Voraussetzung, dass zum Behuf der Erkenntniss eines Dinges an sich dieses selbst in unser Bewusstsein eingehen müsste. In uns kann nicht das Ding an sich«, sofern dasselbe ein Aussending ist, wohl aber unser Wissen um dasselbe sein. Hätten wir nur Eine Erkenntnissweise, nämlich bloss die (sinnliche) Wahrnehmung, dann würden wir allerdings über das Maass der Treue des Bildes kein Bewusstsein gewinnen können; wir wären an eine einzige Auffassung der Wirklichkeit gebunden. Durch eine denkende Betrachtung der Wahrnehmung aber vermögen wir von dieser selbst auf ihre Ursachen und ebenso vom Denken auf dessen Ursache zurückzuschliessen. Es ist kein Widerspruch, dass eine nach Treue und Vollständigkeit mannigfach abgestufte Erkenntniss von dem, was ausserhalb meines Bewusstseins ist, in meinem Bewusstsein sei, und dass auf den höheren Erkenntnissstufen, indem die Reflexion des Subjectes sich auch auf seine eigene Erkenntnissthätigkeit und deren Bedingungen richtet, die Erkenntnissfactoren selbst erkannt und von einander gesondert werden. Nachdem dies geschehen ist, vergleichen wir die erste Auffassung direct mit unserer höher stehenden Erkenntniss, eben hierdurch aber indirect mit den Dingen, wie sie an sich sind. Eine Wahrnehmung kann schon durch andere, genauere Wahrnehmungen berichtigt, d. h. der Uebereinstimmung mit dem, was an sich ist, näher gebracht werden; eine höhere Stufe liegt in der Reflexion auf äussere subjective Bedingungen der Wahrnehmung und in der abstractiven Ausscheidung derselben aus dem Erkenntnissobjecte (z. B. bei der astronomischen Theorie in der Reflexion auf die Erdbewegung), wiederum eine höhere Stufe mit fortschreitender Annäherung an die volle Wahrheit in der physikalisch-physiologischen und in der psychologischlogischen Betrachtung.

Der Kurzsichtige vermag theils durch physikalische Hülfsmittel, theils durch Reflexion dem ihm durch sein Auge gelieferten Bilde ein anderes entgegenzustellen, von dem er wissen kann, dass es mit dem Bilde, welches der Normalsichtige direct gewinnt, mehr, als jenes, übereinkommt. Er vermag dies zu wissen, obschon er nicht aus seinem Bewusstsein heraustreten, nicht sein Bewusstsein direct mit dem des An

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dern vergleichen, sondern immer nur eine seiner Auffassungsweisen mit einer andern seiner Auffassungsweisen direct vergleichen kann. Ist es nun hier kein Widerspruch, dass er über den Grad der Uebereinstimmung seiner Auffassungsweisen mit der ausserhalb seines Bewusstseins liegenden Auffassung des Andern zu urtheilen vermag, so kann eben so wenig ein Widerspruch darin liegen, dass wir über den Grad der Uebereinstimmung unserer Auffassungsweisen mit dem Ansich ein Urtheil zu gewinnen vermögen.

D

Eine Erkenntniss der Dinge an sich ist nicht eine Erkenntniss ohne Erkenntniss; sie involvirt nicht den Widerspruch, dass das Ding an sich (ausserhalb unseres Bewusstseins) in uns (in unserem Bewusstsein) sei. Ich soll das Ding an sich denken, nicht ohne dass ich es denke, aber ohne dass ich mich dabei denke, und dies ist kein Widerspruch. Um Cäsar's Ermordung zu denken, muss ich sie denken; um mir davon Rechenschaft zu geben, dass ich sie denke, muss ich mich, das denkende Subject, auch wieder zum Subject meines Denkens machen. Aber ich muss nicht, um Cäsar's Ermordung zu denken, mich mitdenken (als ob ich selbst dabei betheiligt gewesen wäre). In dem ersten Denken fungire ich nur als denkendes Subject; zum Object werde ich mir selbst erst in dem zweiten, reflectirenden Denken. Wäre nun das erste Denken sofort solcher Art, dass dabei nichts Subjectives für objectiv genommen würde, so wäre es sofort schon eine Erkenntniss des Ansich. Es ist dies nicht, weil es nothwendigerweise durch die eigene Natur des Subjects irgendwie modificirt ist, das naive Denken aber seiner Natur nach auch dieses subjective für etwas objectiv Gültiges nimmt. Obschon hierdurch das naive Denken unvermeidlich mit solchen subjectiven Elementen behaftet ist, welche fälschlich für objectiv gültig genommen werden, so kann doch die Reflexion auf den Erkenntnissvorgang selbst zur fortschreitenden Ausscheidung der derartigen Elemente führen, d. h. zur fortschreitenden Annäherung meiner Erkenntniss der Dinge, wie sie an sich (unabhängig von unserm auf sie gerichteten Erkenntnissacte) sind.

A. Die äussere oder sinnliche Wahrnehmung.

§ 37. Der Logik als Erkenntnisslehre eignet die Frage, ob in der sinnlichen Wahrnehmung die Dinge uns ebenso erscheinen, wie sie in Wirklichkeit existiren oder an sich sind. Gegen die Bejahung dieser Frage spricht zunächst das skeptische Argument, dass die Uebereinstimmung der Wahrnehmung mit dem Sein, selbst wenn sie bestände, nicht erkennbar sein würde, da die sinnliche Wahrnehmung niemals mit ihrem Objecte, sondern immer nur mit einer andern Wahrnehmung verglichen werden könne. Der Zweifel wird verstärkt durch die Reflexion über das Wesen der sinnlichen Wahrnehmung. Denn diese muss als ein Act

unserer Seele entweder von einem rein subjectiven Ursprung sein oder doch ein subjectives Element in sich tragen; in beiden Fällen aber würde die Annahme, dass sie das eigene reale Sein des Wahrgenommenen ungetrübt und erschöpfend wiedergebe, nur durch künstliche und schwer zu rechtfertigende Hypothesen gestützt werden können. Die Beschaffenheit der Erscheinungswelt wird durch die subjective Natur unserer Sinne mindestens mitbedingt, die bei anderen Wesen anders construirt sein können und demgemäss zu anderen Arten der sinnlichen Weltanschauung führen mögen, von welchen allen die Wirklichkeit als solche, wie sie, abgesehen von jeder Auffassungsweise an sich selbst ist, oder das „Ding an sich“ verschieden ist.

Die Unzuverlässigkeit der sinnlichen Wahrnehmung wurde schon von den Eleaten, in gewissem Maasse auch von Demokrit und anderen Naturphilosophen, demnächst von Plato, und mit neuen Argumenten von den alten Skeptikern behauptet. Das Stoische Kriterium der φαντασία καταληπτική war eine oberflächliche Annahme, wodurch die Skepsis nicht überwunden werden konnte. Von den neueren Philosophen begründen den Satz, dass der sinnlichen Wahrnehmung wenigstens die volle materiale Wahrheit nicht zugesprochen werden dürfe, besonders Des Cartes (Medit. init.), Locke (hinsichtlich der von ihm sogenannten, secundären Qualitäten, d. h. derjenigen, die nur durch einzelne Sinne aufgefasst werden), Kant (Kritik der r. Vern., Elementarlehre I. Theil: transscendentale Aesthetik, und in der von Jäsche herausgegebenen Logik S. 69 f.), Herbart (Einl. in die Philosophie § 19 ff.) und Beneke (Metaphysik S. 91-110). Die Bedenken, welche sich an die Nichtvergleichbarkeit der Vorstellung mit dem Objecte selbst knüpfen, erörtert neuerdings namentlich auch Jos. Delboeuf Log. S. 35 sqq.; 71 sqq.; 93 sqq.; vgl. S. 105, wo Delboeuf die Formel gebraucht: A f (a, x), d. h. das Reale A ist uns nicht als solches bekannt, sondern müsste erst ermittelt werden aus a, d. h. der Art, wie es uns erscheint, und x, d. h. der Natur unseres Geistes.

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§ 38. Das subjective Element der Sinneswahrnehmung lässt sich von dem objectiven nicht in der Weise sondern, dass die Räumlichkeit und Zeitlichkeit bloss auf das Subject und doch zugleich das Raum- und Zeiterfüllende oder Stoffliche (Farbe, Ton etc.) auch auf die unsere Sinne afficirenden Aussendinge zurückgeführt wird. Denn unter dieser Voraussetzung könnte zwar die Nothwendigkeit bestehen, den Stoff der sinnlichen Wahrnehmung

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