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mit der Aussenwelt zu Stande kommt, so ist Kant's verständige Unterscheidung eines subjectiven und eines objectiven Elementes derselben keineswegs abzuweisen. Die Annahme einer durchgängigen Uebereinstimmung des vom Subject hinzugegebenen Elementes mit dem eigenen Sein der Aussenwelt würde im besten Falle nur eine sehr unsichere Hypothese sein, den Ergebnissen der neueren Physik und Physiologie gegenüber aber auch nicht einmal als eine blosse Hypothese aufrecht erhalten werden können. Wenn Hegel überhaupt das ganze Kantische Unternehmen einer Prüfung des Erkenntnissvermögens abweist, weil das Erkennen des Erkennens dem Erkennen der Realität nicht vorangehen könne, so ist zu erwidern, dass das Erkennen des Erkennens, wiewohl das zweite Stadium der Erkenntniss überhaupt, doch recht wohl das erste Stadium der philosophischen Erkenntniss sein könne. Zuerst richtet sich die menschliche Erkenntnissthätigkeit auf die Aussenwelt und allmählich auch auf manche psychologische Verhältnisse ; dann erst in kritischer Reflexion auf sich selbst und ihre eigene Erkenntnissfähigkeit; endlich wiederum, sofern das Resultat dieser Prüfung ein positives ist, auf die Realität überhaupt in Natur und Geist. Wir müssen vom Vertrauen auf unsere Erkenntnisskraft ausgehn, nicht vom Misstrauen, wenn überhaupt irgend ein Gewinn erzielt werden soll; aber dieses Vertrauen, ursprünglich blind, darf nicht ein blindes bleiben. Sofern sich bestimmte Gründe ergeben, der Wahrnehmung oder dem Denken im Einzelnen oder im Allgemeinen die materiale Wahrheit oder Uebereinstimmung mit dem Sein abzusprechen, dürfen dieselben nicht um jenes Vertrauens willen gewaltsam beseitigt werden. Die Prüfung kann nur denkend vollzogen werden; auch diesem prüfenden Denken wird so lange das Vertrauen auf seine Kraft, das richtige Verhältniss zu ermitteln, geschenkt werden müssen, als nicht bestimmte Gründe vorliegen, ihm dasselbe zu versagen, und bei der Prüfung dieser Gründe gilt wiederum das Gleiche. Dieses Verfahren verliert sich nicht in's Endlose, weil keine Nothwendigkeit vorliegt, dass immer wieder neue Gründe zum Misstrauen gegen das prüfende Denken hervortreten, sondern recht wohl an irgend einem Punkte ein eben so befriedigender Abschluss gewonnen werden mag, wie in der mathematischen Beweisführung. Aber Hegel's Axiom einer Identität von Denken und Sein ist vielmehr eine Flucht vor der Kantischen Kritik, als eine Ueberwindung derselben. (Vgl. die Abhandlung des Verf. über Idealismus, Realismus und Ideal-Realismus in Fichte's Zeitschr. f. Philos., Bd. XXXIV, 1859, S. 63-80.) 3. Die dialektische Methode stellt sich eine falsche Aufgabe und vermag dieselbe nur scheinbar zu lösen. Die Aufgabe ist unrichtig gestellt. Denn wie gerade vom Hegel'schen Standpunkte aus mit Recht gefordert worden ist, dass nicht eine naturlose, sondern eine naturfreie Sittlichkeit erstrebt werde, so gilt auch auf dem intellectuellen Gebiete der analoge Satz: das Denken soll nicht ein empirieloses, sondern ein empiriefreies sein. Nicht ein in sich verharrendes Denken, sondern nur ein Denken, welches den ursprünglich durch die äussere und innere Wahrnehmung gewonnenen Stoff nach den auf die

Idee der Wahrheit gegründeten Normen verarbeitet, erzeugt thatsächlich die menschliche Erkenntniss und hätte in der Logik den Gegenstand der Betrachtung bilden sollen. Die dialektische Aufgabe ist unlösbar. Denn a. im Geiste des denkenden Subjectes kann der abstractere Begriff nicht aus sich allein die concreteren Begriffe erzeugen, da » das Product nicht mehr enthalten kann, als was die Factoren hineingeben (Beneke), und dass auch in der That bei Hegel die einzelnen dialektischen Uebergänge logische Fehler enthalten, ist durch zahlreiche Nachweisungen von Seiten scharfsinniger Gegner (insbesondere von I. H. Fichte, Schelling, Trendelenburg (log. Unters. u. bes. auch die logische Frage in Hegel's System, zwei Streitschriften. Leipzig 1843), Kym (insbes. Hegel's Dialekt. in ihrer Anwendung auf d. Gesch. d. Philos. Zürich 1849, abgedr. in s. metaphys. Untersuchungen. München 1875), Lotze, Chalybäus, George, Ulrici, Reiff (über d. Hegel'sche Dialektik. Tübingen 1866), v. Hartmann (über d. dialekt. Methode, histor. krit. Untersuchungen. Berlin 1868) und der Herbart'schen Schule dargethan worden; b. bei der Uebertragung des dialektischen Processes auf die Realität werden die logischen Kategorien vermöge einer Hypostasirung, die der von Aristoteles bekämpften Platonischen Substantiirung der Ideen analog ist, gleichsam als selbständige Wesen behandelt, die einer eigenthümlichen Entwickelung und eines Ueberganges in einander fähig seien; wie der Fortgang vom Sein zum Nichts, dann zum Werden etc. bis zur absoluten Idee in der objectiven Realität als ein zeitloses Prius der (in der Natur- und Geistesphilosophie betrachteten) natürlichen und geistigen Entwickelung statt haben könne, ist nicht nur unvorstellbar, sondern wohl auch undenkbar; die Priorität der logischen Kategorien aber und ihre dialektische Aufeinanderfolge für eine blosse subjective Abstraction zu halten, würde Hegel's Principien widerstreiten. Die Wahrheit, die der dialektischen Methode zum Grunde liegt, ist die teleologische Betrachtung der Natur und des Geistes, wonach beide sich vermöge einer ihnen unbewusst oder bewusst innewohnenden vernunftgemässen Nothwendigkeit durch Kampf und Vermittlung von Gegensätzen fortschreitend von den niederen zu den höheren Stufen entwickeln. Allein das menschliche Denken vermag die Stufenreihe der Entwickelungen nur, indem es auf der äusseren und inneren Erfahrung fusst, zu erkennen, und so gewinnt auch die dialektische Methode ihre Uebergänge nur scheinbar durch die rein logischen Mittel der Negativität und Identität, in der That aber dadurch, dass der Denker vermöge seines anderweitig bereits entwickelten Bewusstseins die jedesmal höhere Stufe schon kennt oder ahnt, und im Vergleich mit ihr die niedere ungenügend findet. (Die subject. Logik übers. in's Französ. mit Erläut. H. Sloman u. J. Wallon, Paris 1854, Die ganze Logik mit Einl. u. Comment. A. Véra, 2 Bde., Paris 1859. Hegel's Logic, translat. for the Encyclopaedia of philosoph. sciences with proleg. by W. Wallace. London 1874. Ueber Hegel's Logik zu vergl. Al. Schmid, Entwickelungsgesch. der Hegel'schen Logik. Ein Hilfsbuch zu einem gesch. Studium ders. mit Berücks. d. neuest. Schriften

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Conr. Hermann, Hegel

v. Haym u. Rosenkranz. Regensburg 1858. u. d. log. Frage der Philosophie in d. Gegenwart. Leipzig 1878. Ders. zuvor: in d. Philos. Monatsheften. Bd. 8. S. 15 u. S. 511. 1870.

§ 32. Innerhalb der Hegel'schen Schule haben Hinrichs, Schaller, Gabler, Werder, Erdmann, Rosenkranz, Weissenborn, Kuno Fischer u. A. theils das System der Logik wissenschaftlich dargestellt, theils Princip, Methode und einzelne Probleme der Logik in Erläuterungs- und Vertheidigungsschriften behandelt.

Logische Werke aus der Hegel'schen Schule sind: Hinrichs, Grundlinien der Philosophie der Logik, Halle 1826; Die Genesis des Wissens, erster metaphysischer Theil, Heidelberg 1835. Georg Andreas Gabler, Lehrbuch der philos. Propädeutik, Erlangen 1827. Mussmann De logicae ac dialecticae notione historica, Berl. 1828; Grundlinien der Logik und Dialektik, ebd. 1828. Lautier, Die Philosophie des absoluten Widerspruchs im Umrisse der Fundamentalphilosophie, Logik, Aesthetik, Politik, Ethik, Ecclesiastik und Dialektik, Berlin 1837. Werder, Logik als Commentar und Ergänzung zu Hegel's Wissenschaft der Logik, I. Abth., Berlin 1841. J. E. Erdmann, Grundriss der Logik und Metaphysik, Halle 1841, 4. Aufl. ebd. 1864. Franz Biese, Philos. Propädeutik, Berlin 1845. Rosenkranz, Die Modificationen der Logik abgeleitet aus dem Begriffe des Denkens, Leipzig 1846; System der Wissenschaft, ein philosophisches Enchiridion, Königsberg 1850; Wissenschaft der logischen Idee, 1. Theil: Metaphysik, Königsberg 1858; 2. Theil: Logik und Ideenlehre, ebend. 1859. Epilegomena dazu als Replik gegen Michelet u. Lasalle 1862. Weissenborn, Logik und Metaphysik 1850. Kuno Fischer, Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre, Heidelberg 1852; 2. völlig umgearbeitete Aufl. ebd. 1865. G. Thaulow, Einleitung in die Philosophie, Kiel 1862.

§ 33. Schleiermacher (1768-1834) versteht unter der Dialektik die Kunstlehre des wissenschaftlichen Denkens oder die Darlegung der Grundsätze für die kunstmässige Gesprächführung im Gebiete des reinen Denkens. Das reine Denken (im Unterschiede von dem geschäftlichen und dem künstlerischen Denken) ist das Denken um des Wissens willen; das Wissen aber ist das von allen Denkenden identisch zu producirende und mit dem Sein, welches gedacht wird, übereinstimmende Denken. Der transscendentale Theil der Dialektik betrachtet das Wesen des Wissens oder die Idee des Wissens an und für sich, der formale oder technische Theil das Werden des Wissens oder die Idee des Wissens in der

Bewegung. Schleiermacher bestreitet die (Hegel'sche) Annahme, dass das reine Denken von allem andern Denken getrennt einen eigenen Anfang nehmen und als ein besonderes für sich ursprünglich entstehen könne, und lehrt, dass in jedem Denken die Thätigkeit der Vernunft nur auf Grund der äusseren und inneren Wahrnehmung geübt werden könne, oder dass kein Act ohne die intellectuelle und keiner ohne die organische Function< sei, und dass in den verschiedenen Weisen des Denkens nur ein relatives Uebergewicht der einen oder andern Function stattfinde. Die Uebereinstimmung mit dem Sein ist in der inneren Wahrnehmung unmittelbar gegeben und mittelbar auch auf Grund der äusseren Wahrnehmung erreichbar. Die Denkformen, namentlich Begriff und Urtheil, setzt Schleiermacher in Parallele mit analogen Formen der realen Existenz, namentlich den Begriff mit den substantiellen Formen und das Urtheil mit den Actionen.

Schleiermacher's Dialektik ist aus seinem handschriftlichen Nachlass und nachgeschriebenen Vorlesungen 1839 von Jonas herausgegeben worden als 2. Abtheilung des zweiten Bandes des litterarischen Nachlasses oder als 2. Theil des vierten Bandes der dritten Abtheilung von Schleiermacher's sämmtlichen Werken. Die Idee und den Namen der Dialektik hat Schleiermacher theils von Plato, theils von Schelling entnommen. Er sucht das Schelling'sche Postulat der Dialektik als einer >Wissenschaft der Form und gleichsam reinen Kunstlehre der Philosophie durch wirkliche Darstellung zur Ausführung zu bringen. Schleiermacher hält die Kunstform des wissenschaftlichen Denkens vom Inhalte derselben für hinlänglich unterscheidbar, um das Object einer relativ selbständigen Disciplin zu bilden; er anerkennt zwischen den Formen, in denen das Denken und Erkennen sich vollzieht, und den Formen der realen Existenz wohl einen Parallelismus, aber nicht Identität; er lässt das Denken durch die Wahrnehmung und diese wiederum durch die Einwirkung, Affection oder Impression, die von den Gegenständen oder dem Sein ausser uns ausgeht, vermittelt sein. In allen diesen Beziehungen stimmt seine Ansicht nicht nur mit den Ergebnissen einer unbefangenen Einzelforschung überein, sondern entspricht auch treuer, als Hegel's Lehre, der Idee des Universums als eines Gesammtorganismus, in welchem die Einheit des Ganzen der Vielheit und relativen Selbständigkeit der einzelnen Seiten und Glieder keinen Eintrag thut, die Gleichheit in gemeinsamen Grundcharakteren die Verschiedenheit in specifischen und individuellen Eigenschaften nicht aufhebt oder bedeutungslos macht, und nicht irgend ein Glied der Wechselwirkung mit jedem anderen und der Bedingtheit durch jedes andere enthoben ist. Dagegen möchte nicht zu billigen sein, dass Schleiermacher die Kunstlehre des Denkens an die

Stelle der Metaphysik will treten lassen, da doch in der That das System der Philosophie für beide Wissenschaften Raum hat und einer jeden von ihnen eine eigenthümliche Bedeutung und Aufgabe zuweist. (S. o. § 6.) Ferner scheint die Art, wie Schleiermacher das Verhältniss des Denkens zur Wahrnehmung und wie er den Parallelismus der Denk- und Existenzformen bestimmt, im Einzelnen gewisse Berichtigungen zu erfordern, wie dies unten im Zusammenhange der systematischen Darstellnng näher zu zeigen sein wird. Endlich können wir uns die Eintheilung der Dialektik nicht aneignen, wonach Schleiermacher einen transscendentalen und einen technischen oder formalen Theil unterscheidet und in jenem den Begriff und das Urtheil als die Formen des Wissens an und für sich in ihrem Verhältniss zu den entsprechenden Existenzformen, in diesem den Syllogismus, die Induction und Deduction und die combinatorischen Denkformen als die Formen der Genesis des Wissens oder der Idee des Wissens in der Bewegung betrachtet. Denn auch die Formen, die Schleiermacher der zweiten Classe zuweist, entsprechen gewissen Formen des Seins, nur mit dem Unterschiede, dass der Begriff und das Urtheil als die elementarsten Denkformen die einfachsten Formen und dagegen der Schluss und die übrigen Weisen der Construction und Combination den weiteren und allgemeineren Zusammenhang des Seins abspiegeln. Weit entfernt demnach, dass diese letzteren Formen der Genesis des Wissens angehören sollten und mithin bedeutungslos und entbehrlich würden, nachdem das Denken im Wissen zu seiner Vollendung gelangt wäre, kann im Gegentheil gerade das vollendete Wissen nur in ihnen ein Dasein haben. Da also diese Formen des Denkens ebenso sehr eine transscendentale Beziehung auf das Sein haben und der Wissenschaft als solcher eben so wesentlich angehören, wie Begriff und Urtheil, so würden sie alle in den »transscendentalen Theil hineingezogen werden müssen, und für den technischen oder formalen Theil würden nur etwa gewisse psychologische Betrachtungen und didaktische Rathschläge übrig bleiben; solche aber mögen, sofern es ihrer überhaupt bedarf, füglicher den einzelnen Abschnitten eingestreut, als zu einem eigenen Theile zusammengestellt werden. Diese einzelnen Ausstellungen heben indess keineswegs die Anerkennung auf, dass Schleiermacher's dialektische Grundsätze im Allgemeinen die Richtung bezeichnen, in welcher die wahre Vermittelung zwischen den Gegensätzen der subjectivistisch-formalen und der metaphysischen Logik zu suchen ist.

§ 34. An Schleiermacher schliessen sich in der Bearbeitung der Logik namentlich Ritter und Vorländer, auch George (der die entgegengesetzten Bestrebungen Hegel's und Schleiermacher's vermitteln will) an; in einzelnen wesentlichen Beziehungen berühren sich mit seinen logischen Grundansichten auch Beneke, Trendelenburg und Lotze. Endlich haben mehr oder minder die sämmtlichen nachhegelschen Bestrebungen auf dem Gebiete der Denk- und Erkennt

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